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25.04.2025, 10:13 Uhr
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Liebe, Mord, Sex und Gewalt: Zum Subgenre „Dark Romance“

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© Illustrationen von Victoria Eisen

Liebe, Mord, Sex und Gewalt charakterisieren die Dark Romance. Woher kommt sie und wieso ist sie so beliebt? Wie sind schwierige Themen wie Folter mit Liebe zu vereinen? Für das Münchner Studentenmagazin Philtrat blickt Zeynep Polat auf ein neues Subgenre mit weitreichenden Implikationen. 

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„If you have ANY triggers at all, this may not be the story for you”, warnt H. D. Carlton, die Autorin des internationalen Bestsellers Haunting Adeline, in der Beschreibung ihres Romans. Eine kurze Recherche enthüllt eine lange Liste an Trigger Warnings, die in einem Liebesroman zunächst fehl am Platz scheinen: sexualisierte Gewalt, Mord, Folter, Entführung und Stalking… Diese sind nur einige der Warnungen, die die einen von der Lektüre aufhalten oder bei den anderen das Interesse wecken sollen. Der Spiegel-Bestseller ist das aktuell beliebteste Buch eines neuen Subgenres: Dark Romance.

Dark Romance hat in den letzten paar Jahren, vor allem durch den Aufstieg der Social-Media-Plattform TikTok, an Popularität gewonnen. Heute existiert eine ganze Community von Leserinnen und Lesern, die ausschließlich Bücher dieses Genres lesen, rezensieren und empfehlen. 2024 ist sogar ein deutschsprachiger Dark-Romance-Verlag gegründet worden. Doch woher kommt das Subgenre? Und wie lässt sich das große Interesse eines vor allem weiblichen Publikums daran erklären?

Dark Romance stellt, anders als traditionelle Liebesromane, Figuren dar, die vor allem durch ihr kriminelles und problematisches Handeln auffallen: Mörder, Vergewaltiger, Stalker werden zu love interests; Opfer verlieben sich in ihre Entführer, Frauen schwärmen von Männern, die aus Eifersucht andere Männer ermorden und zerstückeln. Zusätzlich stehen explizite und oft gewaltvolle Sexszenen im Vordergrund. 

Von Wattpad zur Dark Romance

Tatsächlich sind Liebesgeschichten, die dunkle Themen behandeln, keine neue Erfindung. Bereits Emily Brontë in Wuthering Heights und Charlotte Brontë in Jane Eyre schrieben Liebesgeschichten, in denen ihre Protagonisten sich in moralischen Grauzonen befanden. In den letzten zwei Jahrzehnten hat dieser Trend durch den Aufstieg unterschiedlicher Plattformen, die das Schreiben und Publizieren zugänglicher machen, stark zugenommen.

2006 wurde die soziale Plattform Wattpad gegründet. Auf Wattpad konnten Nutzerinnen und Nutzer kostenlos Geschichten lesen, schreiben und veröffentlichen. Die Plattform gewann schnell an Popularität, und 2012 berichtete die App, Wattpad hätte sieben Millionen monatliche Besucherinnen und Besucher. Wo in der Vergangenheit Autorinnen und Autoren den Wünschen von Verlagen ausgesetzt waren, wenn sie ihre Arbeit publizieren wollten, erlaubte Wattpad dies ohne jegliche Einschränkung und mit nur einem Knopfdruck. Das Publizieren von Geschichten wurde zunehmend zugänglicher. Auf Wattpad schrieben vor allem Mädchen und junge Frauen, kommentierten in den Spalten der Bücher und lasen die von anderen Frauen veröffentlichten Geschichten. Es entstand ein (mehr oder weniger) Safe Space, eine mehrheitlich weibliche Community mit einem gemeinsamen Interesse am Lesen und Schreiben. 

Auf Wattpad gab es natürlich jedes Genre – jedoch war die App vor allem für eines bekannt: BadBoy-Romanzen. Tausende Geschichten erzählten von unschuldigen Frauen, die sich in einen gefährlichen Mann verliebten. Diese Romane auf Wattpad waren Vorläufer des Subgenres Dark Romance. Sie wurden so beliebt, dass traditionelle Verlage anfingen, Wattpad-Bücher zu drucken – und in manchen Fällen, wie After oder The Kissing Booth, sogar zu verfilmen.

Dann erschien 2015 Fifty Shades of Grey. Die Badboy-Fantasie ging weiter, nun mit einem älteren Publikum und in einer sexuell expliziteren Art. BDSM – oder eine verzerrte Darstellung davon – wurde in den Mainstream eingeführt, die „dunkle Liebe“ kam als Schock für viele.

Dark Romance scheint daher ein natürliches Ergebnis der literarischen Entwicklungen der letzten zwei Jahrzehnten zu sein. Der Trend, gefährliche und gewalttätige Protagonisten zu romantisieren, steigerte sich immer weiter.

Gewalt und Liebe

Die Kombination aus Horror und stürmischer Liebe verkauft sich gut – aber wie kommt es, dass emanzipierte Frauen im 21. Jahrhundert fiktive Männer romantisieren, die den Protagonistinnen Gewalt zufügen? Dies hat natürlich nichts mit der Realität zu tun. Gewalt in Romanen ist anders als echte Gewalt, da Leserinnen und Leser, indem sie ein bestimmtes Buch erwerben und lesen, sich aktiv für diese fiktive Erfahrung entscheiden. Besonders durch Trigger Warnings, welche in dem Subgenre einen hohen Stellenwert haben, findet die Handlung mit der Einwilligung und innerhalb der Kontrolle der Leserinnen und Leser statt. Sobald es zu viel wird, kann das Buch einfach zugeklappt werden.

Zusätzlich werden Dark Romance-Bücher (mehrheitlich) von Frauen für Frauen geschrieben. Dies schafft ein Vertrauensverhältnis in der Community – Leserinnen werden nicht den gewaltvollen Fantasien von Männern ausgesetzt, sondern sie nehmen freiwillig teil an den Fantasien anderer Frauen. 

Das heißt nicht, dass das Subgenre unproblematisch ist. Dark Romance existiert schon lange in literarischen Nischen – doch was sind die Konsequenzen, wenn es in den Mainstream gerät, so wie es mit Fifty Shades of Grey der Fall war? Viele Kritikerinnen und Kritiker warnen vor der Normalisierung von Gewalt gegen Frauen und toxischen Beziehungen. Medien, die ein solches Verhalten romantisieren, auch wenn sie von Frauen geschrieben wurden, könnten zur Zunahme solcher Taten führen. Nach der Veröffentlichung von Fifty Shades of Grey wurde in den Medien von der „fifty shades defence“ gesprochen: Männer, die Frauen ermordeten, behaupteten, diese seien bei „hartem Sex“ ums Leben gekommen (siehe: CNN). Dadurch bekamen sie in manchen Instanzen eine geringere Strafe: Die Kampagne We Can´t Consent To This dokumentiert Fälle, in denen die „fifty shades defence“ angewendet wurde.  Diese Verteidigung wird jedoch bereits seit den 1970ern unter dem Namen „rough sex murder defence“ verwendet, kann also nicht nur auf die mediale Darstellung von BDSM zurückgeführt werden. 

Es bleibt unklar, ob Gewaltfantasien in der Fiktion tatsächlich eine reale Auswirkung haben. Und die wichtige Frage bleibt: Wieso schreiben Frauen überhaupt über Gewalt in Verbindung mit Liebe? Ist es ein Symptom des Patriarchats oder nur die Erkundung von Imagination und Kinks in einem geschützten Raum?   

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