Info

Rezension zu Ewald Arenz Roman: „Zwei Leben“

https://www.literaturportal-bayern.de/images/lpbblogs/instblog/2025/klein/EwaldArenz_ZweiLeben_500.jpg
© DuMont Buchverlag

Ewald Arenz, 1965 in Nürnberg geboren, zählt zu den profilierten Stimmen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Der ebenfalls in Nürnberg lebende Autor Florian Birnmeyer hat Arenz jüngsten, vielbeachteten Roman Zwei Leben für das Literaturportal Bayern gelesen.

*

Zwei Frauen, unähnlich und doch ähnlich

Mit einer ausgezeichneten Leichtigkeit entführt Ewald Arenz jüngster Roman, Zwei Leben (2024), die Leserinnen und Leser nach Salach, in ein kleines Dorf im Süddeutschland der 1970er-Jahre. Tatsächlich gibt es dafür ein reales Vorbild in Baden-Württemberg, wo die Gemeinde Salach nahe Göppingen liegt. Im Mittelpunkt des Romans steht einerseits Roberta, die nach einer Schneiderlehre in der Stadt auf den elterlichen Bauernhof zurückkehrt. Die Schneiderlehre hat sie begonnen, weil sie, inspiriert von Modezeitschriften, von der Welt der Haute Couture träumte, von Paris und New York; doch dann nähte sie doch zwei Jahre lang Kleidung nach vorgefertigten Mustern in einer Fabrik und kehrte anschließend als gelernte Schneiderin auf den elterlichen Hof zurück, dem sie sich noch immer verbunden fühlt. Sie möchte auf jeden Fall den Eindruck vermeiden, dass das Leben in der Stadt sie zu einer anderen gemacht hat, dass sie etwa das Arbeiten verlernt haben könnte.

Das zweite Leben, das Arenz seinen Lesern in diesem Roman vor Augen führt, ist ebenfalls das einer Frau: Gertrud ist die Ehefrau des Dorfpfarrers und die Mutter von Wilhelm, in den Roberta sich verliebt, als sie ins Dorfleben zurückkehrt. Da reicht schon ein Besuch im Pfarrerhaushalt – und der Funke springt über. Im Gegensatz zu Wilhelm selbst fühlt sich seine Mutter auf dem Land nicht wohl, hat sich von Beginn hat unwohl gefühlt und immer gehofft, dass ihr Mann irgendwann doch noch eine andere Stelle annehmen könnte, in einem größeren Ort, wo es Kultur gibt. Gertrud liest gern und sie tut dies bereits nachmittags, wie Roberta bei ihrem Besuch im Pfarrhaushalt überrascht bemerkt.

Zwei Frauen also, die sich ähnlicher sind, als man es auf dem ersten Blick annehmen möchte. Denn ebenso wie Roberta hat Gertrud zuvor in der Stadt gewohnt. Im Gegensatz zu Roberta vermisst sie die Stadt ein wenig mehr, ist sie doch auch bereits länger aus dieser weggezogen, doch beide brauchen die Stadt auch als Kontrast zum dörflich-ländlichen und ereignisarmen Leben, in dem der Dorftratsch Theater und Konzerte ersetzt. So fährt Roberta, als sie zum ersten Mal mit Wilhelm ausgeht, mit ihm in die nächstgelegene Stadt und sieht sich mit ihm und einem Freund einen Film im Kino an – ein abendlicher Ausflug in die ,große‘ Welt.

Getrieben wird der Roman vom Gegensatz zwischen Stadt und Leben auf dem Land, den man ebenfalls mit dem Titel der zwei Leben in Verbindung bringen könnte. Getragen wird die Erzählung aber auch von den inneren Spannungen der Figuren, von der Sehnsucht Gertruds, noch einmal woanders hinzuziehen, wo sie ihre künstlerisch-literarische Ader nähren kann, aber auch von der Liebe Robertas zu Wilhelm, die Schichtgrenzen überwindet – sie die zurückgekehrte Bauerntochter mit der Lehre, er der intellektuelle Pfarrersohn, der wahrscheinlich für sein bald beginnendes Studium fortziehen wird. Roberta ist zudem zwischen dem Wunsch nach Selbstverwirklichung und der Bindung an familiäre Traditionen hin- und hergerissen. Die Figurenzeichnung überzeugt durch Tiefe und Vielschichtigkeit.

Versetzt in eine Idylle

Liebesgeschichte sind anfangs immer auch prekär, zarte Blüten, die es zu pflegen gilt. Hier haben wir eine ländlich-sinnliche Liebesgeschichte, die voll einschlägt. Arenz mit seiner unbestreitbaren und durch zahlreiche Beststeller attestierten Fähigkeit, nicht nur Stimmungen kongenial einzufangen, sondern auch Sinnesempfindungen auf beinahe synästhetische Art und Weise zwischen Buchdeckel zu pressen, gelingt es wunderbar, die Sinneswahrnehmungen der ländlich-bäuerlichen Umgebung einzufangen. Die Beschreibungen der Landschaft, der Jahreszeiten und der täglichen Arbeiten auf dem Hof lassen die Leserinnen und Leser tief in die Welt von Salach eintauchen.

Besonders berührt haben mich die zahlreichen Dialektausdrücke und bäuerlichen Ausdrücke von „Sel“, das eine dialektale Anrede oder Rederöffnung zu sein scheint, auf die ein Name folgen muss, bis hin zu „odeln“ und „Odel“, Wörter, die man viel zu selten hört. Das Buch steckt voller Bezeichnungen für Natürliches – von „Laub“ über „Brennnesseln“ bis hin zu „Brocken“. Und auch „Frau Pfarrer“ hört man heute kaum noch im Alltag. Es hat also auch etwas Nostalgisches, einen Hauch von früher, wenn man Arenz liest. Man fühlt sich in eine ländliche Welt oder – man kann fast sagen – Idylle versetzt, die heute nicht mehr zu existieren scheint und vielleicht auch nie existiert hat.

Eine Frage, die ein nicht sonderlich wohlwollender Leser stellen könnte: Ist dies Literatur oder bloß Eskapismus? Natürlich, es ist Literatur, aber Unterhaltungsliteratur – und eine der besseren Sorte. Denn Arenz hat den Anspruch, seinen Leserinnen und Lesern im Laufe der ausgedehnten Dorf- und Land-/Stadt-Erzählung nicht nur eine Welt mit all ihren Ecken und Kanten vor Augen zu führen, mit ihren Einzelheiten und Besonderheiten, die er wohl selbst als Kind hat erfahren dürfen, sondern er möchte auch – ganz in der Tradition des alten Romans – eine Moralerziehung an seinen Lesern durchführen, indem er beispielhafte Charaktere vorführt. Kein Charakter ist bei Arenz misslungen, alle folgen geordneten Bahnen, alles läuft nach einer Teleologie ab. Selbst die Widersprüche lassen sich schnell erkennen. So würde man sich das echte Leben auch manchmal wünschen.

Zwei Leben ist ein berührender Roman, der die Leserinnen und Leser dazu einlädt, über die eigenen Lebensentscheidungen und die damit verbundenen Konsequenzen nachzudenken. Mit diesem Werk festigt Ewald Arenz seinen Ruf als einfühlsamer Erzähler, der die leisen Töne des Alltags meisterhaft einfängt.