Ein Gedichtzyklus von Oleksandra Lavrenchuk
Zu Ostern wird es poetisch:
Oleksandra Lavrenchuk wird 1982 in Kyjw, Ukraine geboren. Als freiberufliche Drehbuchautorin wirkt sie an zahlreichen Projekten in der Ukraine mit, während sie als Dichterin ihre Lyrik in eigenständigen Bänden veröffentlicht. Seit 2022 lebt Lavrenchuk mit ihren beiden Kindern in München, nachdem sie aus der Ukraine fliehen musste. Seitdem ist die Autorin in der Münchner Literaturszene aktiv, u.a. als Teilnehmerin der Lesereihe „meine drei lyrischen Ichs“ (2023) sowie der Reihe „Kooperationen“, bei der sie mit der Lyrikerin Nora Zapf zusammenarbeitet. Die folgenden Gedichte wurden von der Lyrikerin Karin Fellner aus dem Ukrainischen übersetzt.
*
Ein Ort für mich
Was, wenn ich gerade einen Ort erdacht habe, wo es Raum gibt für mich?
Wenn ich mich einfach dort hingesetzt habe – auf eine Landkarte voller Flüsse?
Alles gleitet und zieht, alles gluckert und wölbt sich wie Hefeteig.
Ich – werde in den mittleren Falz eingeschlagen, hineingesaugt,
ich … ergänzen Sie einen Namen …
Nichts zu hören als Gurgeln.
So übertrug ich mich auf eine Fläche, dann völlig auf einen Punkt, dann überhaupt – in ein Loch.
Doch sie werden ein Brötchen backen, ich werde Anklang finden bei ihnen,
sie werden eine Tochter gebären und ihr ein Schildchen anbinden:
„A.A., Gewicht, Größe, Zeit“ – und sie werden sie zu Mami bringen. Ich werde wieder schreien.
Sag mir nicht, dass ich wieder weine!
Als ob es einen Ort gäbe,
als ob es einen „Namen“ gäbe,
als wäre ich ein
(auf diesem Backblech)
vereinzelter Lebkuchenmann.
Opus magnum
Ich knipse die Dunkelheit an – und über mir,
in diesem fremden Raum, leuchten die Sterne.
Rasch lässt meine Sehkraft nach,
drum zwinkern und flimmern sie,
zuerst nah wie im Zoom, dann weit fort.
Ich fühl mich, als wär ich im All,
na, zumindest im Planetarium,
mit zurückgelegtem Kopf
liege ich in einem Stuhl und glaube zu fliegen.
Widmet euch nicht den Humanwissenschaften, Kinder,
ich sag‘s euch nochmal,
auf dieser Erde ist nichts zu finden
als der Weg raus. Und ihr seid zu allem fähig.
Nein, der Planet selbst ist schön.
Genau wie mein Kiew. Es gibt keinen gemütlicheren Ort.
Aber dann stellte sich heraus: Wir sind nicht seine kandierten Früchte.
Wir tragen nichts bei zur Verfeinerung. Wir brechen in Tränen aus.
Wegen all dem, wozu Menschen wie wir fähig sind.
Wer braucht eine solche Spezies?
Der Henker?
Keine Ahnung, mir kommt es so vor, als hätten wir insgesamt versagt.
Als Konzept war die Menschheit eine gute Idee.
Doch dann lief irgendwas schief.
Doch gleichzeitig spüre ich, dass wir noch nicht aufgesteckt haben.
Wir werden um das Beiwort „sapiens“ kämpfen.
Vielleicht heben wir es auch auf und modeln es um zu „sophos“:
Warum nicht? Wir haben nichts zu verlieren. Morgen schon könnte niemand mehr da sein.
Also stör mir nicht meine seligen Träume von heute:
Dass wir Sprache erfanden für mehr als Versorgung,
Gruppenbildung, das Erlegen von Mammuts oder das Tragen sehr schwerer Dinge.
Wir wollten etwas aussagen.
Eine Art Opus magnum abliefern.
Hoffentlich war’s nicht bloß ein Atompilz.
Angelehnt an Shunryū Suzuki und die Griechen
Richtig üben heißt: Füge nicht Übriges hinzu.
Nimmst du die Haltung ein, bist du im Zustand.
Tatsächlich bist du jetzt im Zustand.
Du merkst es nur nicht,
es liegt versteckt unter deiner Unrast.
Tu alles zur Gänze, hinterlass keine Spur.
Gib dich hin, brenne als Flamme
in allem, was du tust,
sei nicht stolz darauf, preise dich nicht,
brenne in jeder Handlung zu Asche
und lass diese Asche zerstäuben,
schau nie zurück.
Sei dir nur bewusst: Das war.
Doch denk nicht daran, werte nicht: gut oder schlecht.
Hinterlass keine Spur, keine Zügel
für deine Gedanken,
sie zurückzuführen.
Sei kein Orpheus.
Lass Eurydike dir nachkommen oder nicht nachkommen.
Dreh dich einfach nicht um.
Alles wird sich von selbst klären im Licht.
Schön
Schön ist, wer als Kind lebhaft und im Alter hell in die Welt schaut.
Glücklich – wer nur leben will.
Stark – wer die eigenen Schwächen zugibt,
freundlich – wer die der anderen aushält.
Weise – wer in allem das Endliche und Unendliche sieht.
Mutig wäre, wer bis zum Schluss sich selbst treu bleibt.
Klug, wer nicht ewig versucht, das Wort „Ewigkeit“ zusammenzupuzzeln.
Reformieren kann, wer es versteht, an Altes anzuknüpfen.
Leichtigkeit kennt kein Reimwort auf „Selbst“.
Und Lachen hilft uns, weiterzumachen.
Das sind Menschen, die wissen, wie man …
lacht.
Krüppel
Bin immer noch in einer fremden Stadt,
bettle, putze, komm nicht raus,
zieh andrer Leute Kleider an, versteck mich im Aprillaub,
hab keine Kraft mehr für Nachrichten.
Flehe: gebt mir ein Medikament,
verhängt eure Alpen und eure Seen, sie blenden mich.
Museen sind ein Refugium – für mich – einen Krüppel,
der die Sprache nicht kennt –
und noch war ich in keinem einzigen.
Ich schließe die Augen – in ihnen stürzen und stürzen
Erde und Asche
auf unbekannte Körper.
Durga
Stell dir vor, du fährst Bahn ohne Maske,
dir gegenüber sitzt eine Person, die dich anstarrt und direkt anatmet.
Als gäbe es erneut keine Grenzen, keine Gefahr,
als wären Menschen sich nicht feind.
Stell dir vor, dir fehlt es an Zuneigung,
nicht an Zärtlichkeit, das Spiegelbild schaut dich an und sagt: liebe.
Als ob es dich liebte, als ob es keine Verbrennungen gäbe
und du schreibst die Schuld einfach so aus der Welt.
Stell dir vor, niemand braucht mehr einen Helm,
Turniere, Rüstungen, dein Verteidiger steht mit bloßem Haupt, die Augen geschlossen
in einem klaren, friedvollen Regen.
Als ob du Ruhe über ihn gössest, als wären wir nicht atopisch,
die Welt nicht länger ein Grund für allergische Reaktionen,
als küsste sie dich herzhaft, umschlösse dich fest
mit allen zehn Armen der Durga.
Homunkulus-Haufen
Ich mache weiter, mach weiter, geh weiter, lächle weiter,
antworte jedem mit Witzen auf alles,
dann geh ich, versteck mich, breche nieder wie ein Tier, breche nieder auf meine Nächsten,
auf die Kinder, auf die, die ich retten wollte. Es trägt
mein Dach in Wellen davon, wirbelnd wie ein Hurrikan,
gelb-Sahara-lose,
es trifft alle, die mir nah sind, mir etwas bedeuten.
Dann brenne ich mir Vorwürfe ein,
präzise, unfehlbar, stechend, glutheiß.
Morgens schieb ich die Teile zusammen zu einem hübschen Homunkulus-Haufen.
Übersetzt von: Karin Fellner
Ein Gedichtzyklus von Oleksandra Lavrenchuk>
Zu Ostern wird es poetisch:
Oleksandra Lavrenchuk wird 1982 in Kyjw, Ukraine geboren. Als freiberufliche Drehbuchautorin wirkt sie an zahlreichen Projekten in der Ukraine mit, während sie als Dichterin ihre Lyrik in eigenständigen Bänden veröffentlicht. Seit 2022 lebt Lavrenchuk mit ihren beiden Kindern in München, nachdem sie aus der Ukraine fliehen musste. Seitdem ist die Autorin in der Münchner Literaturszene aktiv, u.a. als Teilnehmerin der Lesereihe „meine drei lyrischen Ichs“ (2023) sowie der Reihe „Kooperationen“, bei der sie mit der Lyrikerin Nora Zapf zusammenarbeitet. Die folgenden Gedichte wurden von der Lyrikerin Karin Fellner aus dem Ukrainischen übersetzt.
*
Ein Ort für mich
Was, wenn ich gerade einen Ort erdacht habe, wo es Raum gibt für mich?
Wenn ich mich einfach dort hingesetzt habe – auf eine Landkarte voller Flüsse?
Alles gleitet und zieht, alles gluckert und wölbt sich wie Hefeteig.
Ich – werde in den mittleren Falz eingeschlagen, hineingesaugt,
ich … ergänzen Sie einen Namen …
Nichts zu hören als Gurgeln.
So übertrug ich mich auf eine Fläche, dann völlig auf einen Punkt, dann überhaupt – in ein Loch.
Doch sie werden ein Brötchen backen, ich werde Anklang finden bei ihnen,
sie werden eine Tochter gebären und ihr ein Schildchen anbinden:
„A.A., Gewicht, Größe, Zeit“ – und sie werden sie zu Mami bringen. Ich werde wieder schreien.
Sag mir nicht, dass ich wieder weine!
Als ob es einen Ort gäbe,
als ob es einen „Namen“ gäbe,
als wäre ich ein
(auf diesem Backblech)
vereinzelter Lebkuchenmann.
Opus magnum
Ich knipse die Dunkelheit an – und über mir,
in diesem fremden Raum, leuchten die Sterne.
Rasch lässt meine Sehkraft nach,
drum zwinkern und flimmern sie,
zuerst nah wie im Zoom, dann weit fort.
Ich fühl mich, als wär ich im All,
na, zumindest im Planetarium,
mit zurückgelegtem Kopf
liege ich in einem Stuhl und glaube zu fliegen.
Widmet euch nicht den Humanwissenschaften, Kinder,
ich sag‘s euch nochmal,
auf dieser Erde ist nichts zu finden
als der Weg raus. Und ihr seid zu allem fähig.
Nein, der Planet selbst ist schön.
Genau wie mein Kiew. Es gibt keinen gemütlicheren Ort.
Aber dann stellte sich heraus: Wir sind nicht seine kandierten Früchte.
Wir tragen nichts bei zur Verfeinerung. Wir brechen in Tränen aus.
Wegen all dem, wozu Menschen wie wir fähig sind.
Wer braucht eine solche Spezies?
Der Henker?
Keine Ahnung, mir kommt es so vor, als hätten wir insgesamt versagt.
Als Konzept war die Menschheit eine gute Idee.
Doch dann lief irgendwas schief.
Doch gleichzeitig spüre ich, dass wir noch nicht aufgesteckt haben.
Wir werden um das Beiwort „sapiens“ kämpfen.
Vielleicht heben wir es auch auf und modeln es um zu „sophos“:
Warum nicht? Wir haben nichts zu verlieren. Morgen schon könnte niemand mehr da sein.
Also stör mir nicht meine seligen Träume von heute:
Dass wir Sprache erfanden für mehr als Versorgung,
Gruppenbildung, das Erlegen von Mammuts oder das Tragen sehr schwerer Dinge.
Wir wollten etwas aussagen.
Eine Art Opus magnum abliefern.
Hoffentlich war’s nicht bloß ein Atompilz.
Angelehnt an Shunryū Suzuki und die Griechen
Richtig üben heißt: Füge nicht Übriges hinzu.
Nimmst du die Haltung ein, bist du im Zustand.
Tatsächlich bist du jetzt im Zustand.
Du merkst es nur nicht,
es liegt versteckt unter deiner Unrast.
Tu alles zur Gänze, hinterlass keine Spur.
Gib dich hin, brenne als Flamme
in allem, was du tust,
sei nicht stolz darauf, preise dich nicht,
brenne in jeder Handlung zu Asche
und lass diese Asche zerstäuben,
schau nie zurück.
Sei dir nur bewusst: Das war.
Doch denk nicht daran, werte nicht: gut oder schlecht.
Hinterlass keine Spur, keine Zügel
für deine Gedanken,
sie zurückzuführen.
Sei kein Orpheus.
Lass Eurydike dir nachkommen oder nicht nachkommen.
Dreh dich einfach nicht um.
Alles wird sich von selbst klären im Licht.
Schön
Schön ist, wer als Kind lebhaft und im Alter hell in die Welt schaut.
Glücklich – wer nur leben will.
Stark – wer die eigenen Schwächen zugibt,
freundlich – wer die der anderen aushält.
Weise – wer in allem das Endliche und Unendliche sieht.
Mutig wäre, wer bis zum Schluss sich selbst treu bleibt.
Klug, wer nicht ewig versucht, das Wort „Ewigkeit“ zusammenzupuzzeln.
Reformieren kann, wer es versteht, an Altes anzuknüpfen.
Leichtigkeit kennt kein Reimwort auf „Selbst“.
Und Lachen hilft uns, weiterzumachen.
Das sind Menschen, die wissen, wie man …
lacht.
Krüppel
Bin immer noch in einer fremden Stadt,
bettle, putze, komm nicht raus,
zieh andrer Leute Kleider an, versteck mich im Aprillaub,
hab keine Kraft mehr für Nachrichten.
Flehe: gebt mir ein Medikament,
verhängt eure Alpen und eure Seen, sie blenden mich.
Museen sind ein Refugium – für mich – einen Krüppel,
der die Sprache nicht kennt –
und noch war ich in keinem einzigen.
Ich schließe die Augen – in ihnen stürzen und stürzen
Erde und Asche
auf unbekannte Körper.
Durga
Stell dir vor, du fährst Bahn ohne Maske,
dir gegenüber sitzt eine Person, die dich anstarrt und direkt anatmet.
Als gäbe es erneut keine Grenzen, keine Gefahr,
als wären Menschen sich nicht feind.
Stell dir vor, dir fehlt es an Zuneigung,
nicht an Zärtlichkeit, das Spiegelbild schaut dich an und sagt: liebe.
Als ob es dich liebte, als ob es keine Verbrennungen gäbe
und du schreibst die Schuld einfach so aus der Welt.
Stell dir vor, niemand braucht mehr einen Helm,
Turniere, Rüstungen, dein Verteidiger steht mit bloßem Haupt, die Augen geschlossen
in einem klaren, friedvollen Regen.
Als ob du Ruhe über ihn gössest, als wären wir nicht atopisch,
die Welt nicht länger ein Grund für allergische Reaktionen,
als küsste sie dich herzhaft, umschlösse dich fest
mit allen zehn Armen der Durga.
Homunkulus-Haufen
Ich mache weiter, mach weiter, geh weiter, lächle weiter,
antworte jedem mit Witzen auf alles,
dann geh ich, versteck mich, breche nieder wie ein Tier, breche nieder auf meine Nächsten,
auf die Kinder, auf die, die ich retten wollte. Es trägt
mein Dach in Wellen davon, wirbelnd wie ein Hurrikan,
gelb-Sahara-lose,
es trifft alle, die mir nah sind, mir etwas bedeuten.
Dann brenne ich mir Vorwürfe ein,
präzise, unfehlbar, stechend, glutheiß.
Morgens schieb ich die Teile zusammen zu einem hübschen Homunkulus-Haufen.
Übersetzt von: Karin Fellner