Krafts Schattenkanon. Eine Ergänzung. Teil 11: Hanns Heinz Ewers, Lustmord einer Schildkröte (1908)
300 Jahre Literaturgeschichte hat sich der Münchner Schriftsteller und Publizist Thomas Kraft vorgenommen, um für das Literaturportal Bayern einige Schätze zu heben. Rund 40 unentdeckte Romane und Erzählungen deutschsprachiger Autorinnen und Autoren – darunter bekannte wie weniger bekannte – finden in dieser kurzweiligen Reihe (neu) ans Licht.
*
Ein schillerndes Multitalent und ein Maskenspieler mit der Lust an der Provokation und am Skandal – der Weltenbummler Hanns Heinz Ewers entzieht sich biografisch und literarisch allen Zuschreibungen der Literaturkritik. In seinen Erzählungen, oft als Reiseberichte getarnt, geht es um Groteskes, Abweichendes, Gewalttätiges – vom menschlichen Hahnenkampf bis hin zum manischen Bleistiftspitzer. Dem Leser verschlägt es mehr als einmal den Atem! Es geht düster und morbide zu, exzessiv und hintersinnig.
Und das passt zu diesem Mann, den die einen als Granden der fantastischen Literatur bewundern, während andere ihn als meist genialischen, aber auch etwas peinlichen Vielschreiber belächeln. Ein Autor, von dem Siegfried Kracauer sagt, der Regisseur Hanns Heinz Ewers habe das Glück gehabt, ein schlechter Autor zu sein, weil aus einem schlechten Buch oft ein guter Film würde. Seine Texte galten als trivial bis pornografisch. Und zumindest politisch unkorrekt. Ein ständiger Tabubrecher, der versuchte, die moralische Basis seiner Leser zu erschüttern. Der einzige Preis, den Ewers in seinem Leben erhält, wird ihm in einem Schönheitswettbewerb für Männer zugeeignet. Das verwundert nicht.
Hanns Heinz Ewers (1871-1943) wurde als der deutsche Edgar Allen Poe tituliert, ihm eilte der Ruf voraus, vor nichts zurückzuschrecken. Süchte, Obsessionen, Obszönitäten, nichts war Ewers im Leben und in der Kunst fremd. Trotz seines umfassenden Schaffens bleibt sein Name in erster Linie mit dem Buch Ein deutsches Schicksal verbunden, das der Verherrlichung des ermordeten SA-Sturmführers Horst Wessel dienen soll. Die Nationalsozialisten jedoch zeigen sich mit dem Werk derart unzufrieden, dass Ewers 1934 ein generelles Publikationsverbot auferlegt wird. Während des „Röhm-Putsches" steht sein Name auf der Todesliste der SS, und später werden seine Bücher verbrannt.
Ewers, der 1932 der NSDAP beitritt und als Pressereferent für das Ausland tätig wird, gilt zwar als offizieller Vertreter des Regimes, wird jedoch von vielen hochrangigen Nationalsozialisten als suspekt und dekadent angesehen. Er ist schließlich gezwungen, unterzutauchen. Sein schillerndes Auftreten in den Kreisen von Hitler und Goebbels verdeckt sowohl sein heimliches Engagement für die Opfer des Regimes – denen er bei der Flucht und beim Untertauchen hilft – als auch sein literarisches Werk, das bis heute oft im Schatten seiner ambivalenten Haltung steht.
Als Ewers 1943 stirbt, ist sein Stern bereits verblasst, und der Verfasser des weltberühmten Bestsellers Alraune, der in 20 Sprachen übersetzt und nicht weniger als fünfmal verfilmt wird, ist zu der Zeit bereits weitgehend vergessen. Zwischen 1900 bis zum Ende der Weimarer Republik zählt Ewers zu den Stars der Literaturszene: Freund von Erich Mühsam, Liebhaber von Else Lasker-Schüler, ein Lieblingskind der Boheme. Immer aber bewegt er sich zwischen den Stühlen, ist für einen Skandal gut. Und er kostet das alles reichlich aus, um letztlich diese Lebenserfahrungen in Literatur zu verwandeln.
Trotz seiner problematischen Nähe zum Nationalsozialismus verdient Ewers jedoch eine differenzierte Betrachtung. Dies belegen die jüngst veröffentlichten Erzählungen, die von Markus Andreas Born und Sven Brömsel unter dem Titel Lustmord einer Schildkröte neu herausgegeben wurden. Der hervorragend ausgestattete Band, der mit zwei kenntnisreichen Nachworten versehen ist, stellt den stilistisch versierten Autor als einen provokativen Denker dar, der sowohl in seinem Leben als auch in seiner Literatur gegen die moralischen Konventionen seiner Zeit rebellierte.
So zeigt die ironische Groteske „Abenteuer in Hamburg“ die Geschichte eines Kleptomanen, der allerlei Hindernisse überwinden muss, um seine gestohlenen Bleistifte an einer speziellen Maschine spitzen zu können. In „Der letzte Wille der Stanislawa d’Asp“ bewegt sich die Erzählung in schaurigere Gefilde: Hier verlangt eine kaltblütige Geliebte von ihrem Ehemann, sie drei Jahre nach ihrem Tod auszugraben und umzubetten. Als der Mann den Sarg öffnet, ist ihr Leichnam nicht verwest. Die Frage bleibt: Wie soll dieser nun in die bereitgehaltene kleine Urne passen? Ein weiteres Beispiel für Ewers’ Faszination für die Abgründe der menschlichen Psyche ist seine vielleicht bekannteste Erzählung Die Tomatensoße. Der Erzähler wird zu einem geheimen, blutigen Spektakel namens „Salsa de Tomates“ geführt, bei dem zwei Männer sich mit kleinen Messern zerfleischen. Die makabre Szenerie wird von einem voyeuristischen Geistlichen kommentiert, der das blutige Massaker mit den Worten begrüßt: „Welch herrliche Genüsse schenkt uns das Leben!“
Ewers’ Werke sind ein faszinierendes, wenn auch verstörendes Zeugnis seines tiefen Interesses an den dunklen Seiten der menschlichen Natur. Lässt man alle Vorbehalte beiseite, so kann man mit diesen Texten tatsächlich in eine literarische Welt eintreten, die lustvoll in ein dunkles Fantasien entführt. Mit Lustmord einer Schildkröte wird eine auch weiterhin polarisierende Figur der deutschen Literatur wiederzuentdecken, die mit ihrer provokativen Haltung und ihrer oft schockierenden Darstellung von Obsessionen und Abgründen bis heute nachwirkt.
Hanns Heinz Ewers: Lustmord einer Schildkröte und weitere Erzählungen. Ausgewählt, ediert und mit Nachworten angereichert von Marcus Andreas Born und Sven Brömsel. Die Andere Bibliothek, Berlin 2014
Lesen Sie nächste Woche von einem begeisterten Anhänger Edgar Allen Poes und seinem fantastisch-satirischen München-Roman der 1910er-Jahre.
Krafts Schattenkanon. Eine Ergänzung. Teil 11: Hanns Heinz Ewers, Lustmord einer Schildkröte (1908)>
300 Jahre Literaturgeschichte hat sich der Münchner Schriftsteller und Publizist Thomas Kraft vorgenommen, um für das Literaturportal Bayern einige Schätze zu heben. Rund 40 unentdeckte Romane und Erzählungen deutschsprachiger Autorinnen und Autoren – darunter bekannte wie weniger bekannte – finden in dieser kurzweiligen Reihe (neu) ans Licht.
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Ein schillerndes Multitalent und ein Maskenspieler mit der Lust an der Provokation und am Skandal – der Weltenbummler Hanns Heinz Ewers entzieht sich biografisch und literarisch allen Zuschreibungen der Literaturkritik. In seinen Erzählungen, oft als Reiseberichte getarnt, geht es um Groteskes, Abweichendes, Gewalttätiges – vom menschlichen Hahnenkampf bis hin zum manischen Bleistiftspitzer. Dem Leser verschlägt es mehr als einmal den Atem! Es geht düster und morbide zu, exzessiv und hintersinnig.
Und das passt zu diesem Mann, den die einen als Granden der fantastischen Literatur bewundern, während andere ihn als meist genialischen, aber auch etwas peinlichen Vielschreiber belächeln. Ein Autor, von dem Siegfried Kracauer sagt, der Regisseur Hanns Heinz Ewers habe das Glück gehabt, ein schlechter Autor zu sein, weil aus einem schlechten Buch oft ein guter Film würde. Seine Texte galten als trivial bis pornografisch. Und zumindest politisch unkorrekt. Ein ständiger Tabubrecher, der versuchte, die moralische Basis seiner Leser zu erschüttern. Der einzige Preis, den Ewers in seinem Leben erhält, wird ihm in einem Schönheitswettbewerb für Männer zugeeignet. Das verwundert nicht.
Hanns Heinz Ewers (1871-1943) wurde als der deutsche Edgar Allen Poe tituliert, ihm eilte der Ruf voraus, vor nichts zurückzuschrecken. Süchte, Obsessionen, Obszönitäten, nichts war Ewers im Leben und in der Kunst fremd. Trotz seines umfassenden Schaffens bleibt sein Name in erster Linie mit dem Buch Ein deutsches Schicksal verbunden, das der Verherrlichung des ermordeten SA-Sturmführers Horst Wessel dienen soll. Die Nationalsozialisten jedoch zeigen sich mit dem Werk derart unzufrieden, dass Ewers 1934 ein generelles Publikationsverbot auferlegt wird. Während des „Röhm-Putsches" steht sein Name auf der Todesliste der SS, und später werden seine Bücher verbrannt.
Ewers, der 1932 der NSDAP beitritt und als Pressereferent für das Ausland tätig wird, gilt zwar als offizieller Vertreter des Regimes, wird jedoch von vielen hochrangigen Nationalsozialisten als suspekt und dekadent angesehen. Er ist schließlich gezwungen, unterzutauchen. Sein schillerndes Auftreten in den Kreisen von Hitler und Goebbels verdeckt sowohl sein heimliches Engagement für die Opfer des Regimes – denen er bei der Flucht und beim Untertauchen hilft – als auch sein literarisches Werk, das bis heute oft im Schatten seiner ambivalenten Haltung steht.
Als Ewers 1943 stirbt, ist sein Stern bereits verblasst, und der Verfasser des weltberühmten Bestsellers Alraune, der in 20 Sprachen übersetzt und nicht weniger als fünfmal verfilmt wird, ist zu der Zeit bereits weitgehend vergessen. Zwischen 1900 bis zum Ende der Weimarer Republik zählt Ewers zu den Stars der Literaturszene: Freund von Erich Mühsam, Liebhaber von Else Lasker-Schüler, ein Lieblingskind der Boheme. Immer aber bewegt er sich zwischen den Stühlen, ist für einen Skandal gut. Und er kostet das alles reichlich aus, um letztlich diese Lebenserfahrungen in Literatur zu verwandeln.
Trotz seiner problematischen Nähe zum Nationalsozialismus verdient Ewers jedoch eine differenzierte Betrachtung. Dies belegen die jüngst veröffentlichten Erzählungen, die von Markus Andreas Born und Sven Brömsel unter dem Titel Lustmord einer Schildkröte neu herausgegeben wurden. Der hervorragend ausgestattete Band, der mit zwei kenntnisreichen Nachworten versehen ist, stellt den stilistisch versierten Autor als einen provokativen Denker dar, der sowohl in seinem Leben als auch in seiner Literatur gegen die moralischen Konventionen seiner Zeit rebellierte.
So zeigt die ironische Groteske „Abenteuer in Hamburg“ die Geschichte eines Kleptomanen, der allerlei Hindernisse überwinden muss, um seine gestohlenen Bleistifte an einer speziellen Maschine spitzen zu können. In „Der letzte Wille der Stanislawa d’Asp“ bewegt sich die Erzählung in schaurigere Gefilde: Hier verlangt eine kaltblütige Geliebte von ihrem Ehemann, sie drei Jahre nach ihrem Tod auszugraben und umzubetten. Als der Mann den Sarg öffnet, ist ihr Leichnam nicht verwest. Die Frage bleibt: Wie soll dieser nun in die bereitgehaltene kleine Urne passen? Ein weiteres Beispiel für Ewers’ Faszination für die Abgründe der menschlichen Psyche ist seine vielleicht bekannteste Erzählung Die Tomatensoße. Der Erzähler wird zu einem geheimen, blutigen Spektakel namens „Salsa de Tomates“ geführt, bei dem zwei Männer sich mit kleinen Messern zerfleischen. Die makabre Szenerie wird von einem voyeuristischen Geistlichen kommentiert, der das blutige Massaker mit den Worten begrüßt: „Welch herrliche Genüsse schenkt uns das Leben!“
Ewers’ Werke sind ein faszinierendes, wenn auch verstörendes Zeugnis seines tiefen Interesses an den dunklen Seiten der menschlichen Natur. Lässt man alle Vorbehalte beiseite, so kann man mit diesen Texten tatsächlich in eine literarische Welt eintreten, die lustvoll in ein dunkles Fantasien entführt. Mit Lustmord einer Schildkröte wird eine auch weiterhin polarisierende Figur der deutschen Literatur wiederzuentdecken, die mit ihrer provokativen Haltung und ihrer oft schockierenden Darstellung von Obsessionen und Abgründen bis heute nachwirkt.
Hanns Heinz Ewers: Lustmord einer Schildkröte und weitere Erzählungen. Ausgewählt, ediert und mit Nachworten angereichert von Marcus Andreas Born und Sven Brömsel. Die Andere Bibliothek, Berlin 2014
Lesen Sie nächste Woche von einem begeisterten Anhänger Edgar Allen Poes und seinem fantastisch-satirischen München-Roman der 1910er-Jahre.