Zu Bernhard Blöchls Roman „Eine göttliche Jugend“
Die 158. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunkt Vom Geist der Universität. Gernot Eschrich hat sich in diesem Zusammenhang mit Bernhard Blöchls Roman Eine göttliche Jugend beschäftigt.
*
Was bringt einen Halbwüchsigen aus einem oberbayerischen „Dorf am Wald“ dazu, mit Papas Moped und Geld zum Frankfurter Flughafen durchzubrennen, getrieben von dem obsessiven Wunsch, Madonna, die Sängerin, in den USA zu treffen? Der Protagonist Eddie analysiert die Gründe, indem er sehr anschaulich und lebensnah von schmerzhaften und beglückenden Schlüsselerlebnissen er zählt, etwa von Demütigungen durch die brutale Dorfjugend und Bestrafung durch den Vater, als er bei der Weihnachtsfeier des Fußballvereins mit seiner „Quetschn“ statt volkstümlicher Stücke Melodien von Madonna-Liedern spielt und auf den Zuruf „Red boarisch“ provozierend hochdeutsch und mit (unverstandener) literarischer Anspielung antwortet. „Ich würde vorziehen, das nicht zu tun“.
Überraschend ist an dem Buch manches, zunächst schon mal der angesichts dessen, was der heranwachsende Ich-Erzähler zu leiden hat, ironische Titel, der sich aber erst später ganz erschließt. Ungewöhnlich ist auch die ernsthafte, an traditionelle Entwicklungsromane erinnernde Selbstreflexion, wenn sich der Protagonist fragt: „Wie wird man, wer man ist, wieso spricht man, wie man spricht, weshalb denkt man, wie man denkt, woran glaubt man, wenn man glaubt zu glauben?“, wenn er den Eindruck hat, als Spätgeborener in der Familie nicht eigentlich erwünscht zu sein, und wenn er eines Tages „ein paar Entschlüsse fasst“, die im Kern besagen, dass er sich „von anderen rein gar nichts mehr vorschreiben lassen“ will.
Mit Madonna bekannt gemacht und sozusagen geimpft hat ihn das Mädchen Marijana, das ihn in dem Refugium, das er, der Außenseiter, sich unter einem Tisch in der Gemeindebücherei geschaffen hat, nach Lektüre um Rat fragt. Wie sich dann zwischen dem viven, hübschen Mädchen mit den schwarzen „Korkenzieherlocken“ und dem schüchternen, aber nicht auf den Mund gefallenen Buben eine innige Beziehung entwickelt, ist so anrührend erzählt, wie man es selten zu lesen bekommt.
Dass es nach Jahren zu einem Wiedersehen kommt, hängt damit zusammen, dass Eddie festhält, wen und was er einmal ins Herz geschlossen hat. Marijana hat ihm nämlich bei ihrer ersten Begegnung den Kopfhörer geliehen, Madonnas Lied „Like a Virgin“ vorgespielt und ihn so unwiderruflich auf sich und die Sängerin geprägt.
Nachdem Eddie einige Jahre später tatsächlich seinen Madonna-Traum zu verwirklichen beginnt und nach einer erlebnis- und hindernisreichen Flucht aus der dörflichen Enge mit dem Moped inkl. Schratten desselben in Frankfurt von Marijana kurz vor dem Besteigen des Flugzeugs abgefangen wird, nimmt die Geschichte, dramaturgisch geschickt, noch einmal gehörig Fahrt auf. Die beiden fahren nämlich nach Prag zu Karel Gott (Titel!). Der war für Eddie neben Madonna zur zweiten Lichtgestalt geworden, jener Schwarm vorzugsweise älterer Damen. Und so war es denn auch seine so kluge wie herzensgute Oma Elfie, die ihm die Schwärmerei für den Sänger vermittelt hat, als die Einzige in der Familie, die Eddie bedingungslos liebt. Um ihre fortschreitende Demenz vielleicht noch zu bremsen, will er für sie nun von dem Sänger ein Erinnerungsstück erbitten.
Erfreulich altmodisch ist, dass Eddie und Marijana in Prag nicht gleich mal „Sex haben“, sondern dass sich die tiefe Zuneigung behutsam weiterentwickelt und intensiviert. Erfrischend sind dabei auch die Begegnungen mit der Stadt Prag und ihren Menschen – etwa das spontane, begeisterte Tanzen der beiden zu den Klängen einer Straßenmusikantin: „Wir waren eins. Es ging so schnell vor bei.“ – bis hin zu dem Empfang bei dem unprätentiösen, ausnehmend freundlichen Weltstar Karel Gott. Als dieser Eddie eine für Oma Elfie signierte Vinyl-Single schenkt, greift der mit zittrigen Händen zu und berührt die Finger des Meisters: „Ich fühlte mich groß wie Michelangelos berühmtes Deckengemälde in der Sixtinischen Kapelle.“
Am Ende folgen weitere unerwartete Wendungen. Eddie und Marijana, in sein Dorf zurückgekehrt, kommen sich nicht nur immer näher, stellen sich z.B. die Theodizeefrage und schlafen zum ersten Mal miteinander, Eddie macht vielmehr auch Bekanntschaft mit der „Warteschleife“, einer „Transitzone“ zwischen Leben und Tod, nachdem er durch einen Sturz ins Wachkoma fällt, aus dem er teils tiefgründige, mystisch-paradoxe, teils skurrile Dinge berichtet. Wie dann alles endet? Irgendwie siegt das Leben.
Man legt das Buch bereichert aus der Hand, bodenständig wie es ist, klug, witzig und vor allem frappierend in seiner ungeniert gezeigten Herzlichkeit, die Geschichte eines jungen Menschen, der Freiheit gewinnt, die große Liebe findet und innerlich reift.
Bernhard Blöchl: Eine göttliche Jugend. Volk Verlag, München 2022, 240 S., € 20,00
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Die 158. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunkt Vom Geist der Universität. Gernot Eschrich hat sich in diesem Zusammenhang mit Bernhard Blöchls Roman Eine göttliche Jugend beschäftigt.
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Was bringt einen Halbwüchsigen aus einem oberbayerischen „Dorf am Wald“ dazu, mit Papas Moped und Geld zum Frankfurter Flughafen durchzubrennen, getrieben von dem obsessiven Wunsch, Madonna, die Sängerin, in den USA zu treffen? Der Protagonist Eddie analysiert die Gründe, indem er sehr anschaulich und lebensnah von schmerzhaften und beglückenden Schlüsselerlebnissen er zählt, etwa von Demütigungen durch die brutale Dorfjugend und Bestrafung durch den Vater, als er bei der Weihnachtsfeier des Fußballvereins mit seiner „Quetschn“ statt volkstümlicher Stücke Melodien von Madonna-Liedern spielt und auf den Zuruf „Red boarisch“ provozierend hochdeutsch und mit (unverstandener) literarischer Anspielung antwortet. „Ich würde vorziehen, das nicht zu tun“.
Überraschend ist an dem Buch manches, zunächst schon mal der angesichts dessen, was der heranwachsende Ich-Erzähler zu leiden hat, ironische Titel, der sich aber erst später ganz erschließt. Ungewöhnlich ist auch die ernsthafte, an traditionelle Entwicklungsromane erinnernde Selbstreflexion, wenn sich der Protagonist fragt: „Wie wird man, wer man ist, wieso spricht man, wie man spricht, weshalb denkt man, wie man denkt, woran glaubt man, wenn man glaubt zu glauben?“, wenn er den Eindruck hat, als Spätgeborener in der Familie nicht eigentlich erwünscht zu sein, und wenn er eines Tages „ein paar Entschlüsse fasst“, die im Kern besagen, dass er sich „von anderen rein gar nichts mehr vorschreiben lassen“ will.
Mit Madonna bekannt gemacht und sozusagen geimpft hat ihn das Mädchen Marijana, das ihn in dem Refugium, das er, der Außenseiter, sich unter einem Tisch in der Gemeindebücherei geschaffen hat, nach Lektüre um Rat fragt. Wie sich dann zwischen dem viven, hübschen Mädchen mit den schwarzen „Korkenzieherlocken“ und dem schüchternen, aber nicht auf den Mund gefallenen Buben eine innige Beziehung entwickelt, ist so anrührend erzählt, wie man es selten zu lesen bekommt.
Dass es nach Jahren zu einem Wiedersehen kommt, hängt damit zusammen, dass Eddie festhält, wen und was er einmal ins Herz geschlossen hat. Marijana hat ihm nämlich bei ihrer ersten Begegnung den Kopfhörer geliehen, Madonnas Lied „Like a Virgin“ vorgespielt und ihn so unwiderruflich auf sich und die Sängerin geprägt.
Nachdem Eddie einige Jahre später tatsächlich seinen Madonna-Traum zu verwirklichen beginnt und nach einer erlebnis- und hindernisreichen Flucht aus der dörflichen Enge mit dem Moped inkl. Schratten desselben in Frankfurt von Marijana kurz vor dem Besteigen des Flugzeugs abgefangen wird, nimmt die Geschichte, dramaturgisch geschickt, noch einmal gehörig Fahrt auf. Die beiden fahren nämlich nach Prag zu Karel Gott (Titel!). Der war für Eddie neben Madonna zur zweiten Lichtgestalt geworden, jener Schwarm vorzugsweise älterer Damen. Und so war es denn auch seine so kluge wie herzensgute Oma Elfie, die ihm die Schwärmerei für den Sänger vermittelt hat, als die Einzige in der Familie, die Eddie bedingungslos liebt. Um ihre fortschreitende Demenz vielleicht noch zu bremsen, will er für sie nun von dem Sänger ein Erinnerungsstück erbitten.
Erfreulich altmodisch ist, dass Eddie und Marijana in Prag nicht gleich mal „Sex haben“, sondern dass sich die tiefe Zuneigung behutsam weiterentwickelt und intensiviert. Erfrischend sind dabei auch die Begegnungen mit der Stadt Prag und ihren Menschen – etwa das spontane, begeisterte Tanzen der beiden zu den Klängen einer Straßenmusikantin: „Wir waren eins. Es ging so schnell vor bei.“ – bis hin zu dem Empfang bei dem unprätentiösen, ausnehmend freundlichen Weltstar Karel Gott. Als dieser Eddie eine für Oma Elfie signierte Vinyl-Single schenkt, greift der mit zittrigen Händen zu und berührt die Finger des Meisters: „Ich fühlte mich groß wie Michelangelos berühmtes Deckengemälde in der Sixtinischen Kapelle.“
Am Ende folgen weitere unerwartete Wendungen. Eddie und Marijana, in sein Dorf zurückgekehrt, kommen sich nicht nur immer näher, stellen sich z.B. die Theodizeefrage und schlafen zum ersten Mal miteinander, Eddie macht vielmehr auch Bekanntschaft mit der „Warteschleife“, einer „Transitzone“ zwischen Leben und Tod, nachdem er durch einen Sturz ins Wachkoma fällt, aus dem er teils tiefgründige, mystisch-paradoxe, teils skurrile Dinge berichtet. Wie dann alles endet? Irgendwie siegt das Leben.
Man legt das Buch bereichert aus der Hand, bodenständig wie es ist, klug, witzig und vor allem frappierend in seiner ungeniert gezeigten Herzlichkeit, die Geschichte eines jungen Menschen, der Freiheit gewinnt, die große Liebe findet und innerlich reift.
Bernhard Blöchl: Eine göttliche Jugend. Volk Verlag, München 2022, 240 S., € 20,00