Alexandra Stahls Roman „Frauen, die beim Lachen sterben“
Serienreif und zugleich besser als die meisten Serien findet Rezensent Abraham Katz den Roman von Alexandra Stahl Frauen, die beim Lachen sterben. Der Roman erzählt von Illusionen, von besten Freundinnen, der Suche nach Liebe und einer Frau, die mit über Vierzig lernt, die Realität zu sehen und zu genießen.
*
„Ich bin nicht gut im Geschichtenerzählen, ich vergesse wichtige Teile, ich fange mit der falschen Szene an, ich finde den Weg nicht zur Pointe, ich vergesse die Pointe,“ bedauert die Ich-Erzählerin Iris in dem Roman Frauen, die beim Lachen sterben. Diese Selbstkritik ist kein Angeln nach Komplimenten. Kein verkappter Wunsch an die Leser, die Erzählerin aufzumuntern im Sinne von „so schlimm ist es doch gar nicht“ oder „der Anfang war schon mal vielversprechend“.
Tatsächlich gibt es für Iris‘ Lamento ein paar mehr Hinweise als nur „kein Gefühl für Pointen“. Wenn sie herumstreunende Katzenbabys sieht, erklärt sie, nicht geahnt zu haben, dass sie eins von ihnen ertränken wird. Offensichtlich soll diese Ankündigung Spannung aufbauen. Was könnte eine lethargische, vierzigjährige Frau dazu bringen, ein hilfsbedürftiges Kätzchen zu töten? Unweigerlich keimt der Verdacht auf, dass wieder einmal ein Roman von der Seriendramaturgie angesteckt worden ist: Spannung zu erzeugen auf Teufel komm raus, damit man weiterguckt. Leider führt die Hochspannung nur zum nächsten Cliffhanger. Hauptsache, man „bingt“ weiter, und die Streaming-Charts klettern in die Höhe.
Weitere Argumente gegen eine gelungene Geschichte könnten das erratische Hin- und Herspringen zwischen den Zeitebenen sein. Wobei in der Gegenwart nicht viel passiert, stattdessen gibt es einen Überfluss von Erinnerungen und Reflexionen. Die Charaktere wirken interessant und lebensnah. Doch je näher man sie durch Iris‘ kritische Augen kennenlernt, desto mehr dämmert einem, dass sie sich mit den falschen Menschen umgeben hat. Oder sind nicht nur in diesem Roman, sondern auch in der Realität etliche gute Freundinnen in Wirklichkeit falsche Freundinnen? Und Männer allesamt neurotische Egozentriker?
Trotz dieser Schwächen ist das Lesen ein riesengroßes Vergnügen. Der Grund für diesen wunderbaren Widerspruch liegt auf der Hand. Iris ist tatsächlich nicht so gut im Geschichtenerzählen. Die Schriftstellerin des Romans dagegen kann es um so besser. Was und wie erzählt also Alexandra Stahl durch ihre Hauptfigur, die wunderbar unzuverlässige Erzählerin und Antiheldin?
Iris befindet sich in einer Krise und wird von ihrer Freundin Ela für ein paar Tage auf eine griechische Insel geschickt, um Abstand zu gewinnen und neue Lebensenergie zu tanken. Die Krise ist akut, erstreckt sich von beruflich bis privat – mehr als genug Gründe für eine mustergültige Depression. Iris gibt sich tatsächlich Mühe, Mittelmeer, Oktobersonne und mediterrane Küche zu genießen. Aus der gebuchten Woche macht sie drei Monate. Im Geiste jedoch ist sie gefangen in Erinnerungen. Also in ihrer Vergangenheit, in der weite Strecken des Romans stattfinden: Skurrile Erlebnisse als Verwalterin einer Künstlerresidenz mit Gästen und Neurosen aus der ganzen Welt.
Ständig grübelt Iris auch über ihre erkaltete Freundschaft zu Ela und Katja. Das Trio trieb früher ziellos durchs Leben. Nachts zogen die Freundinnen durch Szene-Bars, tags hingen sie in Cafés ab. Was nach Freiheit, Hedonismus und Selbstbestimmung klingt, bedeutet in der Realität: Das Leben zog an Iris vorbei, während sie zuschaute und es ironisch kommentierte. Zu wenig hört sie zu jener Zeit auf ihre eigene innere Stimme, zu viel auf die Ratschläge der Freundinnen: Gegen schlimmen Beziehungskummer mit dem erfolglosen, zwanghaften Schriftsteller Simon empfehlt Katja: „Nimm dir einen Lover, das hilft!“ Die Affäre mit dem nächstbesten italienischen Kellner entwickelt sich zu einem weiteren Quell liebloser, peinlicher Treffen. Als Iris endlich genug Energie und Mut zusammengekratzt hat, um sich von Simon zu trennen, kommt er ihr zuvor. Anstatt ihn zu verlassen, ist sie nun die Verlassene. Eine weitere Demütigung in einer Kette von Demütigungen und Enttäuschungen.
Hoffnung auf Veränderung
Mit ihrer Neigung zum Beobachten und Nachdenken anstatt Entscheidungen zu treffen und zu handeln, ist Iris ein äußerst sympathisches Gegenmodel zu dem größenwahnsinnigen (Frauen-)Ideal, das sich gerade großer Beliebtheit erfreut: sich ständig selbst optimieren, Spaß haben, Karriere machen, reisen, kreativ sein, ein Memoir schreiben, ein Start-up gründen, jung und gut aussehen, viel Geld verdienen, einen attraktiven Mann heiraten, Kinder bekommen, alles mit großer Leidenschaft, Begeisterung sowie „Insta“-tauglich. Iris‘ Schwester dagegen stellt trocken fest: „Man kann so wenig ändern, auch wenn man alles begriffen hat.“ Der Mythos vom selbstbestimmten, sorglosen Leben cooler Studentinnen, Studienabbrecherinnen, Lebenskünstlerinnen, Kreativschaffenden und anderer Berliner Bohemiennes zerplatzt wie eine naive, bunt schimmernde Seifenblase auf der Spitze einer sarkastischen Nähnadel.
Zerplatzt sonst noch etwas für Iris und für die Leser? Und ob! Katzenbabys sind niedlich und zum Knuddeln? Nicht wenn sie chronischen Durchfall haben. Der Mythos vom glücklichen Leben auf einer abgelegenen, griechischen Insel? Iris‘ Nachbarn tanzen keinen Sirtaki wie Alexis Sorbas. Sie horten Waffen, betrinken sich und fahren in verbeulten Autos zur Kaninchen-Jagd. Bei der sie ihre eigenen Hunde erschießen.
Trotz solcher Desillusionierungen ist Frauen, die beim Lachen sterben kein schwermütiger Roman, sondern eine raffinierte schwarze Komödie mit teils komischen, teils entzaubernden Einblicken wie zum Beispiel: „Wie wir einander irgendwann an einem Tresen gestanden hatten, wie wenig wir mit der Freude anfangen konnten, die so viele Männer an unseren Brüsten hatten. Das es uns einfach nichts gab. Das mit den Brüsten, hatte Katja gesagt, das machen sie für sich, nicht für uns.“
Der Roman ruht sich nicht darauf aus, Iris‘ Enttäuschungen erleben und ironisch distanziert beschreiben zu lassen. Mit über 40 könnte auch eine extreme Spätentwicklerin und Antiheldin eine winzige Chance bekommen, sich zu entwickeln, vorausgesetzt, dass sie überhaupt entwicklungsfähig ist.
Aber kann man noch glaubwürdig Hoffnung machen auf Veränderungen und eine bessere Zukunft, wenn so vieles, was das Leben ausmacht, auf über 200 Seiten schonungslos analysiert und entlarvt wurde? Ja, Alexandra Stahl kann auch das!
Auf den letzten Seiten zeigt Iris nicht nur eine ungeahnte, ansteckende, authentische Lebenslust, sondern auch Reife und Entscheidungsstärke. Wenn das junge Kätzchen seinen allerletzten Auftritt hat, ist das kein Taschenspielertrick aus der Seriendramaturgie, wie zu befürchten war. Sondern ein überzeugendes Indiz, dass Iris anfängt, ihr Leben selbst zu gestalten. Mit allen Konsequenzen sowie mit ihrem wunderschönen, dunklen Humor, den man bis zum letzten Satz schätzen und lieben gelernt hat. A propos Serien: Frauen, die beim Lachen sterben wäre eine großartige Vorlage für eine lebenskluge, urkomische Serie mit lebensprallen Charakteren und pointierten Dialogen, wie man sie trotz des Überangebots an Serien nur selten zu sehen bekommt.
Alexandra Stahl: Frauen, die beim Lachen sterben. Verlag Jung und Jung, Salzburg 2024, 224 S., € 23
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Serienreif und zugleich besser als die meisten Serien findet Rezensent Abraham Katz den Roman von Alexandra Stahl Frauen, die beim Lachen sterben. Der Roman erzählt von Illusionen, von besten Freundinnen, der Suche nach Liebe und einer Frau, die mit über Vierzig lernt, die Realität zu sehen und zu genießen.
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„Ich bin nicht gut im Geschichtenerzählen, ich vergesse wichtige Teile, ich fange mit der falschen Szene an, ich finde den Weg nicht zur Pointe, ich vergesse die Pointe,“ bedauert die Ich-Erzählerin Iris in dem Roman Frauen, die beim Lachen sterben. Diese Selbstkritik ist kein Angeln nach Komplimenten. Kein verkappter Wunsch an die Leser, die Erzählerin aufzumuntern im Sinne von „so schlimm ist es doch gar nicht“ oder „der Anfang war schon mal vielversprechend“.
Tatsächlich gibt es für Iris‘ Lamento ein paar mehr Hinweise als nur „kein Gefühl für Pointen“. Wenn sie herumstreunende Katzenbabys sieht, erklärt sie, nicht geahnt zu haben, dass sie eins von ihnen ertränken wird. Offensichtlich soll diese Ankündigung Spannung aufbauen. Was könnte eine lethargische, vierzigjährige Frau dazu bringen, ein hilfsbedürftiges Kätzchen zu töten? Unweigerlich keimt der Verdacht auf, dass wieder einmal ein Roman von der Seriendramaturgie angesteckt worden ist: Spannung zu erzeugen auf Teufel komm raus, damit man weiterguckt. Leider führt die Hochspannung nur zum nächsten Cliffhanger. Hauptsache, man „bingt“ weiter, und die Streaming-Charts klettern in die Höhe.
Weitere Argumente gegen eine gelungene Geschichte könnten das erratische Hin- und Herspringen zwischen den Zeitebenen sein. Wobei in der Gegenwart nicht viel passiert, stattdessen gibt es einen Überfluss von Erinnerungen und Reflexionen. Die Charaktere wirken interessant und lebensnah. Doch je näher man sie durch Iris‘ kritische Augen kennenlernt, desto mehr dämmert einem, dass sie sich mit den falschen Menschen umgeben hat. Oder sind nicht nur in diesem Roman, sondern auch in der Realität etliche gute Freundinnen in Wirklichkeit falsche Freundinnen? Und Männer allesamt neurotische Egozentriker?
Trotz dieser Schwächen ist das Lesen ein riesengroßes Vergnügen. Der Grund für diesen wunderbaren Widerspruch liegt auf der Hand. Iris ist tatsächlich nicht so gut im Geschichtenerzählen. Die Schriftstellerin des Romans dagegen kann es um so besser. Was und wie erzählt also Alexandra Stahl durch ihre Hauptfigur, die wunderbar unzuverlässige Erzählerin und Antiheldin?
Iris befindet sich in einer Krise und wird von ihrer Freundin Ela für ein paar Tage auf eine griechische Insel geschickt, um Abstand zu gewinnen und neue Lebensenergie zu tanken. Die Krise ist akut, erstreckt sich von beruflich bis privat – mehr als genug Gründe für eine mustergültige Depression. Iris gibt sich tatsächlich Mühe, Mittelmeer, Oktobersonne und mediterrane Küche zu genießen. Aus der gebuchten Woche macht sie drei Monate. Im Geiste jedoch ist sie gefangen in Erinnerungen. Also in ihrer Vergangenheit, in der weite Strecken des Romans stattfinden: Skurrile Erlebnisse als Verwalterin einer Künstlerresidenz mit Gästen und Neurosen aus der ganzen Welt.
Ständig grübelt Iris auch über ihre erkaltete Freundschaft zu Ela und Katja. Das Trio trieb früher ziellos durchs Leben. Nachts zogen die Freundinnen durch Szene-Bars, tags hingen sie in Cafés ab. Was nach Freiheit, Hedonismus und Selbstbestimmung klingt, bedeutet in der Realität: Das Leben zog an Iris vorbei, während sie zuschaute und es ironisch kommentierte. Zu wenig hört sie zu jener Zeit auf ihre eigene innere Stimme, zu viel auf die Ratschläge der Freundinnen: Gegen schlimmen Beziehungskummer mit dem erfolglosen, zwanghaften Schriftsteller Simon empfehlt Katja: „Nimm dir einen Lover, das hilft!“ Die Affäre mit dem nächstbesten italienischen Kellner entwickelt sich zu einem weiteren Quell liebloser, peinlicher Treffen. Als Iris endlich genug Energie und Mut zusammengekratzt hat, um sich von Simon zu trennen, kommt er ihr zuvor. Anstatt ihn zu verlassen, ist sie nun die Verlassene. Eine weitere Demütigung in einer Kette von Demütigungen und Enttäuschungen.
Hoffnung auf Veränderung
Mit ihrer Neigung zum Beobachten und Nachdenken anstatt Entscheidungen zu treffen und zu handeln, ist Iris ein äußerst sympathisches Gegenmodel zu dem größenwahnsinnigen (Frauen-)Ideal, das sich gerade großer Beliebtheit erfreut: sich ständig selbst optimieren, Spaß haben, Karriere machen, reisen, kreativ sein, ein Memoir schreiben, ein Start-up gründen, jung und gut aussehen, viel Geld verdienen, einen attraktiven Mann heiraten, Kinder bekommen, alles mit großer Leidenschaft, Begeisterung sowie „Insta“-tauglich. Iris‘ Schwester dagegen stellt trocken fest: „Man kann so wenig ändern, auch wenn man alles begriffen hat.“ Der Mythos vom selbstbestimmten, sorglosen Leben cooler Studentinnen, Studienabbrecherinnen, Lebenskünstlerinnen, Kreativschaffenden und anderer Berliner Bohemiennes zerplatzt wie eine naive, bunt schimmernde Seifenblase auf der Spitze einer sarkastischen Nähnadel.
Zerplatzt sonst noch etwas für Iris und für die Leser? Und ob! Katzenbabys sind niedlich und zum Knuddeln? Nicht wenn sie chronischen Durchfall haben. Der Mythos vom glücklichen Leben auf einer abgelegenen, griechischen Insel? Iris‘ Nachbarn tanzen keinen Sirtaki wie Alexis Sorbas. Sie horten Waffen, betrinken sich und fahren in verbeulten Autos zur Kaninchen-Jagd. Bei der sie ihre eigenen Hunde erschießen.
Trotz solcher Desillusionierungen ist Frauen, die beim Lachen sterben kein schwermütiger Roman, sondern eine raffinierte schwarze Komödie mit teils komischen, teils entzaubernden Einblicken wie zum Beispiel: „Wie wir einander irgendwann an einem Tresen gestanden hatten, wie wenig wir mit der Freude anfangen konnten, die so viele Männer an unseren Brüsten hatten. Das es uns einfach nichts gab. Das mit den Brüsten, hatte Katja gesagt, das machen sie für sich, nicht für uns.“
Der Roman ruht sich nicht darauf aus, Iris‘ Enttäuschungen erleben und ironisch distanziert beschreiben zu lassen. Mit über 40 könnte auch eine extreme Spätentwicklerin und Antiheldin eine winzige Chance bekommen, sich zu entwickeln, vorausgesetzt, dass sie überhaupt entwicklungsfähig ist.
Aber kann man noch glaubwürdig Hoffnung machen auf Veränderungen und eine bessere Zukunft, wenn so vieles, was das Leben ausmacht, auf über 200 Seiten schonungslos analysiert und entlarvt wurde? Ja, Alexandra Stahl kann auch das!
Auf den letzten Seiten zeigt Iris nicht nur eine ungeahnte, ansteckende, authentische Lebenslust, sondern auch Reife und Entscheidungsstärke. Wenn das junge Kätzchen seinen allerletzten Auftritt hat, ist das kein Taschenspielertrick aus der Seriendramaturgie, wie zu befürchten war. Sondern ein überzeugendes Indiz, dass Iris anfängt, ihr Leben selbst zu gestalten. Mit allen Konsequenzen sowie mit ihrem wunderschönen, dunklen Humor, den man bis zum letzten Satz schätzen und lieben gelernt hat. A propos Serien: Frauen, die beim Lachen sterben wäre eine großartige Vorlage für eine lebenskluge, urkomische Serie mit lebensprallen Charakteren und pointierten Dialogen, wie man sie trotz des Überangebots an Serien nur selten zu sehen bekommt.
Alexandra Stahl: Frauen, die beim Lachen sterben. Verlag Jung und Jung, Salzburg 2024, 224 S., € 23