Das Rätsel um die Bürste von Oskar Maria Graf in der Monacensia – Literarische Erkundungen (17)
Das Jahr 2025 beginnt auch bei Fabienne Imlinger mit guten Vorsätzen: In ihrer abschließenden literarischen Erkundung nimmt sie sich fest vor, endlich das Geheimnis der Bürste von Oskar Maria Graf zu lüften. Dafür fährt sie unter anderem ins Museum Starnberger See, lauscht stundenlang den Erzählungen einer gewissen Céleste Albaret und kehrt schließlich zurück ins Hildebrandhaus, wo sie sich den Herausforderungen einer Geschichte von unten stellen muss. Wird das Rätsel der Bürste am Ende doch noch gelöst? Wer war bei der Tukan-Kreis-Lesung von Oskar Maria Graf am 21. Juli 1958 anwesend? Was ist eine Mehlberei? Und wird es Fabienne Imlinger gelingen, nicht zum George Lucas der literarischen Erkundungen zu werden? Lesen Sie selbst!
*
Es ist so weit, liebe Leser*innen.
Wir lesen uns heute zum letzten Mal – zumindest hier, zumindest in dieser Form. Keine Cliffhänger mehr und auch keine Fortsetzungen, schließlich will ich nicht als der George Lucas der literarischen Erkundungen in die Geschichte eingehen. Und deshalb müssen heute alle losen Enden ihr, na ja, Ende finden, und zwar dort, wo alles angefangen hat: im Forum Atelier der Monacensia, dem früheren Atelier des Bildhauers Adolf von Hildebrand.
Erinnern Sie sich?
Hier bin ich einem Phantomgeklapper gefolgt und habe unversehens eine Bürste am Schreibtisch von Oskar Maria Graf entdeckt. Hier habe ich mich gefragt, wer eigentlich die sechs Meter hohen Fenster putzt, und wer überhaupt putzt, und wer schreibt, und wie das eine mit dem andern zusammenhängt, und mit der Frage, wer bleibt: wer also Spuren in der Monacensia – und nicht nur dort – hinterlässt, und wer nicht.
Um all das wird es heute, im grande finale, wieder gehen. Es wird ein wilder Ritt – wohin, das kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen.
Sind Sie aufgeregt?
Ich auch.
Na dann. Los geht’s.
(In meinem Kopf läuft jetzt die Titelmelodie von Downton Abbey.)
Erste Station: Am Starnberger See mit Oskar Maria Graf
Eines schönen Tages im Frühjahr 2024 bin ich aufs Land gefahren. Ich war in Sachen Bürste unterwegs und wollte die Ausstellung Oskar Maria Graf. Dichter und Antifaschist vom Starnberger See im Museum Starnberger See besuchen.1 Die Ausstellung wurde mit einem Foto von OMG in Lederhose beworben.2 Eines der prominent in Szene gesetzten Ausstellungsstücke war eine Lederhose von OMG, deren Ausmaße IRL ziemlich beeindruckend waren, ebenso wie der Eklat, für den OMG sorgte, als er 1958, bei seinem ersten München-Besuch nach 25 Jahren, in Lederhose bei der 800-Jahr-Feier der Stadt München im Cuvilliés-Theater erschien.
(Was angesichts der Allgegenwart von offiziellen und nicht-offiziellen Lederhosenträgern im heutigen München einigermaßen unvorstellbar anmutet.)
(Angeblich kam OMG zu einem Faschingsfest einmal als Bauernschrank verkleidet. Darunter war er nackt.3 Das Foto hätte ich gerne gesehen.)
(Übrigens werden Sie nicht glauben, wer bei meinen Recherchen zu OMGs Bürste noch so auftauchte! Außer Fotos von besagtem Auftritt im Cuvilliés-Theater fand ich im Bildarchiv der Bayrischen Staatsbibliothek Fotos, die im Rahmen einer Lesung OMGs im Tukan-Kreis am 21. Juli 1958 entstanden. Und raten Sie mal, wer im Publikum saß, ein Glas Bier in der einen, eine Zigarette in der anderen Hand? Liesl Karlstadt!)
Aber ich darf mich nicht verzetteln (oder sollte ich sagen: verklammern?). Darf mich weder von Liesl Karlstadt noch von Lederhosen und Bauernschränken ablenken lassen und auch nicht von dem Foto, das ich in der Ausstellung gesehen habe und das OMG inmitten seiner vielköpfigen Familie unter dem erstaunlichen Schild zeigt: COLONIALWARENHANDLUNG, BÄCKER & MEHLBEREI.
Mein Interesse gilt einzig und allein meiner Bürstenmission und der fortsetzungslosen Beendigung meiner literarischen Erkundungen, und deshalb werde ich nicht versuchen herauszufinden, was ein oder eine Mehlberei ist, oder was es mit dem deutschen Kolonialismus in einem bayrischen Kaff – no offense, Berg! – auf sich hat.
Wer suchet, der findet, heißt es in der Bibel, und ich glaube kaum, dass es einen besseren Leitspruch für das literarische Erkunden gibt (ich würde sagen: postkartenreif!). Nur manchmal findet man nicht unbedingt das, was man sucht.
Zweite Station: In Paris mit Céleste Albaret
Kennen Sie Céleste Albaret?
Sie wird als Augustine Célestine Gineste am 17. Mai 1891 in dem kleinen Dorf Auxillac im Südwesten Frankreichs geboren. Sie hat eine Schwester und zwei Brüder, wächst in einfachen Verhältnissen auf. Noch mit 22 Jahren, als sie Odilon Albaret heiratet und ihm nach Paris folgt, ist sie, wie sie selbst sagt, im Grunde ein Kind. Und sie ist ziemlich überfordert: von Paris – wo es schmutzig ist, laut, voller Autos. Überfordert (oder enttäuscht?) ist sie auch von ihrem Dasein als Ehefrau: Sie kann nicht kochen, sie geht kaum aus, ihr Ehemann ist oft weg, weil er als Taxifahrer den ganzen Tag – und manchmal auch nachts – Leute durch Paris kutschiert. (Einmal nimmt Odilon sie mit in die Oper, und sie schläft fast ein, so sehr langweilt sie sich.)
Sie merken schon: Ich habe mich in letzter Zeit ziemlich viel mit Céleste Albaret beschäftigt, vermutlich auch deshalb, weil sie mich vage an meine Tanten erinnert. Ich habe mir Filmaufnahmen angesehen, in denen sie zwischen Interviewpartner und Kamera hin und her blickt und die Fragen beantwortet, die man ihr stellt. Ich habe mir alle Folgen des Podcasts La Grande Traversée4 angehört, habe ihren Erzählungen gelauscht und noch immer ihren Tonfall im Ohr, ihr kategorisches „Jamais!“, ihr näselndes „Aaaaaaah Céleste …“, wenn sie den Mann nachahmt, der – neben ihrem Ehemann – die wichtigste Rolle in ihrem Leben gespielt hat; der Mann, wegen dem all diese Männer (denn es waren vor allen Dingen Männer) zu ihr kommen und sie befragen.
Vielleicht ist es Ihnen aufgefallen: Céleste Albaret gehört fast derselben Generation an wie Oskar Maria Graf. (Er wird am 22. Juli 1894 als neuntes von elf Kindern geboren.) Sie stammen aus ähnlichen, ländlich-bäuerlichen Verhältnissen und sie haben beide – aus jeweils anderen Gründen, aber dennoch – den Schritt gewagt: in die große Stadt, in ein anderes als das ihnen vorbestimmte Leben. Und auch Céleste Albaret hat – 1973, da war sie schon über 80 Jahre alt – ein Buch geschrieben. Wobei, um genau zu sein hat es ein Mann namens Georges Belmont geschrieben, nachdem er sie insgesamt 49 Stunden lang interviewt und ihre Gespräche auf Tonband aufgezeichnet hat. Das Buch heißt auf Deutsch: Monsieur Proust. Die Erinnerungen seiner Haushälterin Céleste Albaret.
Ich weiß, was Sie jetzt denken.
Um Himmels Willen, jetzt hat sie sich doch wieder verzettelt!
Wissen Sie denn immer noch nicht, dass bei mir der Umweg das Ziel ist?
Dritte Station: Sieben Unbekannte im Hildebrandhaus
Wenn ich Ihnen von Céleste Albaret erzähle, dann geht es mir nicht in erster Linie darum, in Anlehnung an Judith, der von Virginia Woolf erdachten Schwester Shakespeares,5 eine Parallele aufzumachen zwischen Céleste Albaret und OMG.
Ich erzähle Ihnen von Céleste Albaret, weil ich im Frühjahr 2024 nicht nur nach Starnberg gefahren bin, um mehr über die Bürste am Schreibtisch von OMG herauszufinden. Ich habe mich auch mit Ellen Bosnjak getroffen, die als Archivarin in der Monacensia arbeitet,6 um etwas über das Dienstpersonal der Familie Hildebrand zu erfahren. Ich hatte mir schon ausgemalt, wie ich die Geschichte des Hildebrandhauses erzählen würde: als eine Art Münchner Downton Abbey. In einer Biografie des Hildebrandhauses, wie sie die Monacensia mit ihrer neuen Dauerausstellung Maria Theresia 23. Biografie einer Münchner Villa (ach, das wäre doch der perfekte Titel für meine Serie gewesen!) unternimmt, sollten die Geschichten der Hausangestellten nicht fehlen. Einerseits, weil wohl kaum jemand ein Haus besser kennt, kaum jemand mehr weiß (siehe Céleste!) über den Alltag und die Schicksalsschläge, die knarzenden Stufen, die Bürsten an Schreibtischen, kurzum: das große Ganze ebenso wie die scheinbar unwichtigen Details. Andererseits, weil sich aus Perspektive des Dienstpersonals vermutlich andere Geschichten erzählen ließen (siehe Céleste!), und überhaupt Geschichte anders erzählen ließe, als Geschichte von unten nämlich.7
Wer suchet, der findet, heißt es. Tja. Was Ellen Bosnjak mir zeigte, war das:
Signatur DE-1992-WOHN-E-522, mit freundlicher Genehmigung des Stadtarchiv München
Was Sie hier sehen, ist ein sogenannter Häuserbogen aus dem Jahr 1905.
(Warum eine Wohnungserhebung in diesem Jahr stattfand, fragen Sie? Oh, ich hatte schon angefangen, mich in eine umfangreiche Recherche zur Wohnungspolitik der Jahrhundertwende zu stürzen. Dann fiel mir George Lucas ein.)
Von Interesse für uns ist vor allem die Tabelle auf der rechten Seite, warten Sie, wir zoomen mal näher ran:
Signatur DE-1992-WOHN-E-522, mit freundlicher Genehmigung des Stadtarchiv München
Wie aus dem Eintrag in der Tabelle Personen der Haushaltung ersichtlich ist, wohnten im Hildebrandhaus im Jahr 1905 außer fünf Familienmitgliedern noch sieben Dienstboten; zwei Männer und fünf Frauen.
Das ist alles.
Mehr gibt es nicht.8
Während also die Familie Hildebrand zahlreiche Spuren hinterlassen hat (nicht zuletzt ein ganzes Haus, das den Eigennamen Hildebrand trägt und heute das Literaturarchiv der Stadt München beherbergt), während wir die Namen ihrer Mitglieder kennen, ihre Lebenswege, wen sie geheiratet haben und wann sie gestorben sind, während wir ihre Gesichter kennen, wissen, was sie anhatten, wie sie lachten, was sie lasen – wissen wir über die sieben Menschen, die 1905 im Hildebrandhaus angestellt waren, so gut wie nichts. Keine Namen. Keine Geburts- und Sterbedaten. Gesichter oder Gelächter oder Hobbys schon gar nicht.
Endstation: Can the Subaltern Speak?
Der haitianische Historiker Michel-Rolph Trouillot erinnert uns daran, dass Geschichte immer mit Macht verbunden ist: Ein Monument errichten oder ein Archiv begründen ist kein neutraler Akt, sondern bedeutet immer, eine Perspektive einzunehmen, eine Geschichte auszuwählen und andere dem Vergessen anheimfallen zu lassen. Schweigen und Lücken, sagt Trouillot, sind konstitutiver Teil der Geschichte und der Archive, weil die kolonialen und kapitalistischen Strukturen unserer Gesellschaft auf Asymmetrien und Ungleichheiten gründen.9
Angesichts der Lücken – der grundlegenden Lücken, die Trouillot anspricht, aber auch der ganz konkreten Lücken, die die sieben Hausangestellten hinterlassen haben – könnte ich Ihnen die Ausnahme präsentieren. Menschen wie Céleste Albaret, die nicht nur Spuren hinterlassen, sondern selbst Zeugnis abgelegt haben. Ihre Geschichte könnte anstelle der Geschichte jener sieben Menschen stehen, die im Hildebrandhaus lebten und arbeiteten. Das zu tun ist umso verlockender, als Céleste Albaret wunderbar anschaulich erzählen kann, gewitzt ist und souverän – sie ist, for lack of a better word, eine Persönlichkeit, weswegen es auch seit 2019 einen kleinen Céleste-Albaret-Hype gibt.10
Mit Céleste Albaret ließe sich also eine Geschichte von unten erzählen, die in diesem Fall auch eine Art Heldinnengeschichte ist, getragen von einer Person, für die vermutlich nicht nur ich (qua Tantenähnlichkeit) Sympathie empfinde. Und wissen Sie, wenn ich ehrlich bin, dann hatte ich mir vermutlich eine Person wie Céleste Albaret vorgestellt, als ich wissen wollte, wer heute die sechs Meter hohen Fenster in der Monacensia putzt – was sehr viel über mich sagt, und über meine Vorstellung einer Geschichte von unten, wie ich sie gerne hören würde.
In ihrem Essay Can the Subaltern Speak? – (Echt jetzt?? Will ich wirklich zum Schluss noch einen der kompliziertesten Texte der postkolonialen Theorie ins Spiel bringen??)
In ihrem Essay Can the Subaltern Speak? zeigt die indische Literaturwissenschaftlerin Gayatri Chakravorty Spivak, dass die Herausforderung einer Geschichte von unten nicht nur in der Abwesenheit oder Spärlichkeit schriftlicher Zeugnisse besteht. Ihre komplexen Überlegungen erinnern uns vielmehr an die Schwierigkeit, solche Zeugnisse überhaupt zu hören, wirklich zu hören, ohne sie in unsere jeweiligen Vorstellungen und Kategorien (etwa „die Haushälterin“ oder „die Reinigungskraft“) einzuordnen; ohne marginalisierte Personen – Spivak verwendet den Begriff Subalterne – als subversive Held*innen wider Willen zu feiern oder als handlungsunfähige Opfer brutaler Zustände zu beklagen.11 Spivaks Pointe, dass Subalterne nicht sprechen können, ist unter anderem in diesem Sinne zu verstehen: nicht dass sie buchstäblich nicht der Sprache mächtig wären (obwohl auch das der Fall sein kann, beispielsweise wenn sie die dominante Sprache eines Landes nicht beherrschen). Sondern dass Sprechen, will es Gehör finden, will es von Gewicht sein, an Bedingungen geknüpft ist. Und das bedeutet umgekehrt, dass Subalterne, wenn sie sich eines Sprechens bemächtigt haben, das Gehör findet, aufgehört haben, Subalterne zu sein.
Wie also umgehen mit den Lücken in den Archiven, mit dem Schweigen, mit den Zum-Schweigen-Gebrachten, Vergessenen?
Ich überlasse es Ihnen, liebe Leser*innen, Antworten auf diese Frage zu finden.12
**
Damit endet die Staffel der Literarischen Erkundungen von Fabienne Imlinger, Autorin und Literaturwissenschaftlerin, die zusammen mit Martina Kübler den Buchpodcast „Ich lese was, was du auch liest“ betreibt. Sieben Folgen hat Fabienne Imlinger für die Reihe im Literaturportal geschrieben und sich dabei mit der Frage „Wer putzt?“ beschäftigt. Eine achte Folge, ein Weiterdenken, erscheint am 5. März im
MON_Mag, dem Online-Magazin der Monacensia, das anlässlich der neuen Dauerausstellung
Maria Theresia 23. Biografie einer Münchner Villa im Oktober 2024 startete und seither Ausstellungen und Themen der Monacensia in wöchentlichen Beiträgen begleitet.
Die Autorin Volha Hapeyeva übernimmt die Reihe „Literarische Erkundungen in und um die Monacensia“.
[1] www.museum-starnberger-see.de/ausstellungen/vorschau/oskar-maria-graf
[2] Sie haben richtig gelesen: OMG. So lautet die offizielle Abkürzung für Oskar Maria Graf, das jedenfalls entnehme ich der Homepage der Oskar Maria Graf Gesellschaft, www.oskarmariagraf.de.
[3] So erzählt es zumindest Luise Kinseher in der Doku Die Rebellionen des Oskar Maria Graf, Bayrischer Rundfunk 2017, Buch & Regie: Andreas Ammer, Redaktion: Armin Kratzert, www.ardkultur.de/literatur/belletristik/doku-die-rebellionen-des-oskar-maria-graf-br-100.
[4] www.radiofrance.fr/franceculture/podcasts/serie-celeste-albaret-chez-monsieur-proust.
[5] In ihrem berühmten Essay A Room of One’s Own geht Virginia Woolf der Frage nach, warum so wenige Frauen „große“ Literatur schreiben. In einem Kapitel entwirft sie das Leben von William Shakespeares fiktiver Schwester Judith, und zeichnet nach, wie es dieser – selbst wenn sie dasselbe schriftstellerische Talent gehabt hätte wie ihr Bruder – im England des 16. Jahrhunderts ergangen wäre. (Für alle, die A Room of One’s Own noch nicht gelesen haben: It does not end well for Judith.)
[6] Ellen Bosnjak gilt an dieser Stelle mein herzlichster Dank dafür, dass sie sich wiederholt Zeit genommen hat, ihr schier unerschöpfliches Wissen mit mir zu teilen.
[7] Unter dem Begriff „Geschichte von unten“ wird etwa seit den 1960er-Jahren der Alltag diskriminierter Gruppen erforscht.
[8] Ellen Bosnjak wies mich noch auf ein Tondokument aus dem Jahr 1960 hin, in dem Dietrich von Hildebrand über den Umzug der Familie von Florenz nach München und nachfolgende Ereignisse berichtet. Darin erzählt er unter anderem eine Anekdote über einen Hausdiener, den die Familie aus Italien mitgenommen hatte, und der den Kronprinzen Rupprecht für einen Soldaten hält.
[9] Trouillot, Michel-Rolph. Silencing the Past. Power and the Production of History. Beacon Press 1995, S. 48.
[10] Okay, dieser Hype ist wirklich Nische, aber es gibt ihn. Außer dem bereits erwähnten Podcast von 2019 erschien 2021 die Biografie À la recherche de Céleste Albaret von Laure Hillerin (Flammarion) und 2022 der erste Teil der Graphic Novel von Chloé Cruchaudet, der 2023 auf Deutsch im Insel Verlag unter dem Titel Céleste – „Gewiss, Monsieur Proust“ erschienen ist.
[11] Spivak verdeutlicht dies am umstrittenen Beispiel der Witwenverbrennung in Indien: „Zwischen lokalen frauenfeindlichen Traditionen und dem Rassismus der BritInnen hätten die Witwen keine Chance gehabt, sich zu artikulieren: Die einen feierten sie als Heldinnen, ja verhießen einen über Selbstopferung gewonnenen Subjektstatus, die anderen instrumentalisierten sie in ihren Diskursen über ,barbarische Zustände‘. Für eine eigene Position der Frauen war da kein Platz.“ Rezension von Sabine Rohlf: Can the Subaltern Speak? Postkolonialität und subalterne Artikulation, www.springerin.at/2008/2/lektuere/can-the-subaltern-speak.
[12] Und für die Bürsten-Amateure unter Ihnen sei jetzt noch das Geheimnis der Bürste gelüftet. Wie aus Fotos ersichtlich ist, hing sie tatsächlich am Schreibtisch von Oskar Maria Graf in New York. Laura Mokrohs und Franziska Willibald von der OMG-Gesellschaft haben mir Folgendes dazu geschrieben: „Wir vermuten, dass es sich bei der Bürste um eine Bücherbürste handeln könnte. Textstellen oder Erwähnungen, in denen Graf selbst etwas darüber sagt, sind uns aber leider nicht bekannt. Da die Wohnung sehr klein war, kann es aber auch sein, dass Graf die Bürste, die einen anderen Zweck hatte, einfach nur am Schreibtisch aufbewahrte. Aus Briefen aus den Exiljahren in New York weiß man übrigens auch, dass Graf sich in dieser Zeit teils um den Haushalt kümmerte und seine Frau Mirjam in der Redaktion des Aufbau das Haupteinkommen erwirtschaftete.“
Das Rätsel um die Bürste von Oskar Maria Graf in der Monacensia – Literarische Erkundungen (17)>
Das Jahr 2025 beginnt auch bei Fabienne Imlinger mit guten Vorsätzen: In ihrer abschließenden literarischen Erkundung nimmt sie sich fest vor, endlich das Geheimnis der Bürste von Oskar Maria Graf zu lüften. Dafür fährt sie unter anderem ins Museum Starnberger See, lauscht stundenlang den Erzählungen einer gewissen Céleste Albaret und kehrt schließlich zurück ins Hildebrandhaus, wo sie sich den Herausforderungen einer Geschichte von unten stellen muss. Wird das Rätsel der Bürste am Ende doch noch gelöst? Wer war bei der Tukan-Kreis-Lesung von Oskar Maria Graf am 21. Juli 1958 anwesend? Was ist eine Mehlberei? Und wird es Fabienne Imlinger gelingen, nicht zum George Lucas der literarischen Erkundungen zu werden? Lesen Sie selbst!
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Es ist so weit, liebe Leser*innen.
Wir lesen uns heute zum letzten Mal – zumindest hier, zumindest in dieser Form. Keine Cliffhänger mehr und auch keine Fortsetzungen, schließlich will ich nicht als der George Lucas der literarischen Erkundungen in die Geschichte eingehen. Und deshalb müssen heute alle losen Enden ihr, na ja, Ende finden, und zwar dort, wo alles angefangen hat: im Forum Atelier der Monacensia, dem früheren Atelier des Bildhauers Adolf von Hildebrand.
Erinnern Sie sich?
Hier bin ich einem Phantomgeklapper gefolgt und habe unversehens eine Bürste am Schreibtisch von Oskar Maria Graf entdeckt. Hier habe ich mich gefragt, wer eigentlich die sechs Meter hohen Fenster putzt, und wer überhaupt putzt, und wer schreibt, und wie das eine mit dem andern zusammenhängt, und mit der Frage, wer bleibt: wer also Spuren in der Monacensia – und nicht nur dort – hinterlässt, und wer nicht.
Um all das wird es heute, im grande finale, wieder gehen. Es wird ein wilder Ritt – wohin, das kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen.
Sind Sie aufgeregt?
Ich auch.
Na dann. Los geht’s.
(In meinem Kopf läuft jetzt die Titelmelodie von Downton Abbey.)
Erste Station: Am Starnberger See mit Oskar Maria Graf
Eines schönen Tages im Frühjahr 2024 bin ich aufs Land gefahren. Ich war in Sachen Bürste unterwegs und wollte die Ausstellung Oskar Maria Graf. Dichter und Antifaschist vom Starnberger See im Museum Starnberger See besuchen.1 Die Ausstellung wurde mit einem Foto von OMG in Lederhose beworben.2 Eines der prominent in Szene gesetzten Ausstellungsstücke war eine Lederhose von OMG, deren Ausmaße IRL ziemlich beeindruckend waren, ebenso wie der Eklat, für den OMG sorgte, als er 1958, bei seinem ersten München-Besuch nach 25 Jahren, in Lederhose bei der 800-Jahr-Feier der Stadt München im Cuvilliés-Theater erschien.
(Was angesichts der Allgegenwart von offiziellen und nicht-offiziellen Lederhosenträgern im heutigen München einigermaßen unvorstellbar anmutet.)
(Angeblich kam OMG zu einem Faschingsfest einmal als Bauernschrank verkleidet. Darunter war er nackt.3 Das Foto hätte ich gerne gesehen.)
(Übrigens werden Sie nicht glauben, wer bei meinen Recherchen zu OMGs Bürste noch so auftauchte! Außer Fotos von besagtem Auftritt im Cuvilliés-Theater fand ich im Bildarchiv der Bayrischen Staatsbibliothek Fotos, die im Rahmen einer Lesung OMGs im Tukan-Kreis am 21. Juli 1958 entstanden. Und raten Sie mal, wer im Publikum saß, ein Glas Bier in der einen, eine Zigarette in der anderen Hand? Liesl Karlstadt!)
Aber ich darf mich nicht verzetteln (oder sollte ich sagen: verklammern?). Darf mich weder von Liesl Karlstadt noch von Lederhosen und Bauernschränken ablenken lassen und auch nicht von dem Foto, das ich in der Ausstellung gesehen habe und das OMG inmitten seiner vielköpfigen Familie unter dem erstaunlichen Schild zeigt: COLONIALWARENHANDLUNG, BÄCKER & MEHLBEREI.
Mein Interesse gilt einzig und allein meiner Bürstenmission und der fortsetzungslosen Beendigung meiner literarischen Erkundungen, und deshalb werde ich nicht versuchen herauszufinden, was ein oder eine Mehlberei ist, oder was es mit dem deutschen Kolonialismus in einem bayrischen Kaff – no offense, Berg! – auf sich hat.
Wer suchet, der findet, heißt es in der Bibel, und ich glaube kaum, dass es einen besseren Leitspruch für das literarische Erkunden gibt (ich würde sagen: postkartenreif!). Nur manchmal findet man nicht unbedingt das, was man sucht.
Zweite Station: In Paris mit Céleste Albaret
Kennen Sie Céleste Albaret?
Sie wird als Augustine Célestine Gineste am 17. Mai 1891 in dem kleinen Dorf Auxillac im Südwesten Frankreichs geboren. Sie hat eine Schwester und zwei Brüder, wächst in einfachen Verhältnissen auf. Noch mit 22 Jahren, als sie Odilon Albaret heiratet und ihm nach Paris folgt, ist sie, wie sie selbst sagt, im Grunde ein Kind. Und sie ist ziemlich überfordert: von Paris – wo es schmutzig ist, laut, voller Autos. Überfordert (oder enttäuscht?) ist sie auch von ihrem Dasein als Ehefrau: Sie kann nicht kochen, sie geht kaum aus, ihr Ehemann ist oft weg, weil er als Taxifahrer den ganzen Tag – und manchmal auch nachts – Leute durch Paris kutschiert. (Einmal nimmt Odilon sie mit in die Oper, und sie schläft fast ein, so sehr langweilt sie sich.)
Sie merken schon: Ich habe mich in letzter Zeit ziemlich viel mit Céleste Albaret beschäftigt, vermutlich auch deshalb, weil sie mich vage an meine Tanten erinnert. Ich habe mir Filmaufnahmen angesehen, in denen sie zwischen Interviewpartner und Kamera hin und her blickt und die Fragen beantwortet, die man ihr stellt. Ich habe mir alle Folgen des Podcasts La Grande Traversée4 angehört, habe ihren Erzählungen gelauscht und noch immer ihren Tonfall im Ohr, ihr kategorisches „Jamais!“, ihr näselndes „Aaaaaaah Céleste …“, wenn sie den Mann nachahmt, der – neben ihrem Ehemann – die wichtigste Rolle in ihrem Leben gespielt hat; der Mann, wegen dem all diese Männer (denn es waren vor allen Dingen Männer) zu ihr kommen und sie befragen.
Vielleicht ist es Ihnen aufgefallen: Céleste Albaret gehört fast derselben Generation an wie Oskar Maria Graf. (Er wird am 22. Juli 1894 als neuntes von elf Kindern geboren.) Sie stammen aus ähnlichen, ländlich-bäuerlichen Verhältnissen und sie haben beide – aus jeweils anderen Gründen, aber dennoch – den Schritt gewagt: in die große Stadt, in ein anderes als das ihnen vorbestimmte Leben. Und auch Céleste Albaret hat – 1973, da war sie schon über 80 Jahre alt – ein Buch geschrieben. Wobei, um genau zu sein hat es ein Mann namens Georges Belmont geschrieben, nachdem er sie insgesamt 49 Stunden lang interviewt und ihre Gespräche auf Tonband aufgezeichnet hat. Das Buch heißt auf Deutsch: Monsieur Proust. Die Erinnerungen seiner Haushälterin Céleste Albaret.
Ich weiß, was Sie jetzt denken.
Um Himmels Willen, jetzt hat sie sich doch wieder verzettelt!
Wissen Sie denn immer noch nicht, dass bei mir der Umweg das Ziel ist?
Dritte Station: Sieben Unbekannte im Hildebrandhaus
Wenn ich Ihnen von Céleste Albaret erzähle, dann geht es mir nicht in erster Linie darum, in Anlehnung an Judith, der von Virginia Woolf erdachten Schwester Shakespeares,5 eine Parallele aufzumachen zwischen Céleste Albaret und OMG.
Ich erzähle Ihnen von Céleste Albaret, weil ich im Frühjahr 2024 nicht nur nach Starnberg gefahren bin, um mehr über die Bürste am Schreibtisch von OMG herauszufinden. Ich habe mich auch mit Ellen Bosnjak getroffen, die als Archivarin in der Monacensia arbeitet,6 um etwas über das Dienstpersonal der Familie Hildebrand zu erfahren. Ich hatte mir schon ausgemalt, wie ich die Geschichte des Hildebrandhauses erzählen würde: als eine Art Münchner Downton Abbey. In einer Biografie des Hildebrandhauses, wie sie die Monacensia mit ihrer neuen Dauerausstellung Maria Theresia 23. Biografie einer Münchner Villa (ach, das wäre doch der perfekte Titel für meine Serie gewesen!) unternimmt, sollten die Geschichten der Hausangestellten nicht fehlen. Einerseits, weil wohl kaum jemand ein Haus besser kennt, kaum jemand mehr weiß (siehe Céleste!) über den Alltag und die Schicksalsschläge, die knarzenden Stufen, die Bürsten an Schreibtischen, kurzum: das große Ganze ebenso wie die scheinbar unwichtigen Details. Andererseits, weil sich aus Perspektive des Dienstpersonals vermutlich andere Geschichten erzählen ließen (siehe Céleste!), und überhaupt Geschichte anders erzählen ließe, als Geschichte von unten nämlich.7
Wer suchet, der findet, heißt es. Tja. Was Ellen Bosnjak mir zeigte, war das:
Signatur DE-1992-WOHN-E-522, mit freundlicher Genehmigung des Stadtarchiv München
Was Sie hier sehen, ist ein sogenannter Häuserbogen aus dem Jahr 1905.
(Warum eine Wohnungserhebung in diesem Jahr stattfand, fragen Sie? Oh, ich hatte schon angefangen, mich in eine umfangreiche Recherche zur Wohnungspolitik der Jahrhundertwende zu stürzen. Dann fiel mir George Lucas ein.)
Von Interesse für uns ist vor allem die Tabelle auf der rechten Seite, warten Sie, wir zoomen mal näher ran:
Signatur DE-1992-WOHN-E-522, mit freundlicher Genehmigung des Stadtarchiv München
Wie aus dem Eintrag in der Tabelle Personen der Haushaltung ersichtlich ist, wohnten im Hildebrandhaus im Jahr 1905 außer fünf Familienmitgliedern noch sieben Dienstboten; zwei Männer und fünf Frauen.
Das ist alles.
Mehr gibt es nicht.8
Während also die Familie Hildebrand zahlreiche Spuren hinterlassen hat (nicht zuletzt ein ganzes Haus, das den Eigennamen Hildebrand trägt und heute das Literaturarchiv der Stadt München beherbergt), während wir die Namen ihrer Mitglieder kennen, ihre Lebenswege, wen sie geheiratet haben und wann sie gestorben sind, während wir ihre Gesichter kennen, wissen, was sie anhatten, wie sie lachten, was sie lasen – wissen wir über die sieben Menschen, die 1905 im Hildebrandhaus angestellt waren, so gut wie nichts. Keine Namen. Keine Geburts- und Sterbedaten. Gesichter oder Gelächter oder Hobbys schon gar nicht.
Endstation: Can the Subaltern Speak?
Der haitianische Historiker Michel-Rolph Trouillot erinnert uns daran, dass Geschichte immer mit Macht verbunden ist: Ein Monument errichten oder ein Archiv begründen ist kein neutraler Akt, sondern bedeutet immer, eine Perspektive einzunehmen, eine Geschichte auszuwählen und andere dem Vergessen anheimfallen zu lassen. Schweigen und Lücken, sagt Trouillot, sind konstitutiver Teil der Geschichte und der Archive, weil die kolonialen und kapitalistischen Strukturen unserer Gesellschaft auf Asymmetrien und Ungleichheiten gründen.9
Angesichts der Lücken – der grundlegenden Lücken, die Trouillot anspricht, aber auch der ganz konkreten Lücken, die die sieben Hausangestellten hinterlassen haben – könnte ich Ihnen die Ausnahme präsentieren. Menschen wie Céleste Albaret, die nicht nur Spuren hinterlassen, sondern selbst Zeugnis abgelegt haben. Ihre Geschichte könnte anstelle der Geschichte jener sieben Menschen stehen, die im Hildebrandhaus lebten und arbeiteten. Das zu tun ist umso verlockender, als Céleste Albaret wunderbar anschaulich erzählen kann, gewitzt ist und souverän – sie ist, for lack of a better word, eine Persönlichkeit, weswegen es auch seit 2019 einen kleinen Céleste-Albaret-Hype gibt.10
Mit Céleste Albaret ließe sich also eine Geschichte von unten erzählen, die in diesem Fall auch eine Art Heldinnengeschichte ist, getragen von einer Person, für die vermutlich nicht nur ich (qua Tantenähnlichkeit) Sympathie empfinde. Und wissen Sie, wenn ich ehrlich bin, dann hatte ich mir vermutlich eine Person wie Céleste Albaret vorgestellt, als ich wissen wollte, wer heute die sechs Meter hohen Fenster in der Monacensia putzt – was sehr viel über mich sagt, und über meine Vorstellung einer Geschichte von unten, wie ich sie gerne hören würde.
In ihrem Essay Can the Subaltern Speak? – (Echt jetzt?? Will ich wirklich zum Schluss noch einen der kompliziertesten Texte der postkolonialen Theorie ins Spiel bringen??)
In ihrem Essay Can the Subaltern Speak? zeigt die indische Literaturwissenschaftlerin Gayatri Chakravorty Spivak, dass die Herausforderung einer Geschichte von unten nicht nur in der Abwesenheit oder Spärlichkeit schriftlicher Zeugnisse besteht. Ihre komplexen Überlegungen erinnern uns vielmehr an die Schwierigkeit, solche Zeugnisse überhaupt zu hören, wirklich zu hören, ohne sie in unsere jeweiligen Vorstellungen und Kategorien (etwa „die Haushälterin“ oder „die Reinigungskraft“) einzuordnen; ohne marginalisierte Personen – Spivak verwendet den Begriff Subalterne – als subversive Held*innen wider Willen zu feiern oder als handlungsunfähige Opfer brutaler Zustände zu beklagen.11 Spivaks Pointe, dass Subalterne nicht sprechen können, ist unter anderem in diesem Sinne zu verstehen: nicht dass sie buchstäblich nicht der Sprache mächtig wären (obwohl auch das der Fall sein kann, beispielsweise wenn sie die dominante Sprache eines Landes nicht beherrschen). Sondern dass Sprechen, will es Gehör finden, will es von Gewicht sein, an Bedingungen geknüpft ist. Und das bedeutet umgekehrt, dass Subalterne, wenn sie sich eines Sprechens bemächtigt haben, das Gehör findet, aufgehört haben, Subalterne zu sein.
Wie also umgehen mit den Lücken in den Archiven, mit dem Schweigen, mit den Zum-Schweigen-Gebrachten, Vergessenen?
Ich überlasse es Ihnen, liebe Leser*innen, Antworten auf diese Frage zu finden.12
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Damit endet die Staffel der Literarischen Erkundungen von Fabienne Imlinger, Autorin und Literaturwissenschaftlerin, die zusammen mit Martina Kübler den Buchpodcast „Ich lese was, was du auch liest“ betreibt. Sieben Folgen hat Fabienne Imlinger für die Reihe im Literaturportal geschrieben und sich dabei mit der Frage „Wer putzt?“ beschäftigt. Eine achte Folge, ein Weiterdenken, erscheint am 5. März im
MON_Mag, dem Online-Magazin der Monacensia, das anlässlich der neuen Dauerausstellung
Maria Theresia 23. Biografie einer Münchner Villa im Oktober 2024 startete und seither Ausstellungen und Themen der Monacensia in wöchentlichen Beiträgen begleitet.
Die Autorin Volha Hapeyeva übernimmt die Reihe „Literarische Erkundungen in und um die Monacensia“.
[1] www.museum-starnberger-see.de/ausstellungen/vorschau/oskar-maria-graf
[2] Sie haben richtig gelesen: OMG. So lautet die offizielle Abkürzung für Oskar Maria Graf, das jedenfalls entnehme ich der Homepage der Oskar Maria Graf Gesellschaft, www.oskarmariagraf.de.
[3] So erzählt es zumindest Luise Kinseher in der Doku Die Rebellionen des Oskar Maria Graf, Bayrischer Rundfunk 2017, Buch & Regie: Andreas Ammer, Redaktion: Armin Kratzert, www.ardkultur.de/literatur/belletristik/doku-die-rebellionen-des-oskar-maria-graf-br-100.
[4] www.radiofrance.fr/franceculture/podcasts/serie-celeste-albaret-chez-monsieur-proust.
[5] In ihrem berühmten Essay A Room of One’s Own geht Virginia Woolf der Frage nach, warum so wenige Frauen „große“ Literatur schreiben. In einem Kapitel entwirft sie das Leben von William Shakespeares fiktiver Schwester Judith, und zeichnet nach, wie es dieser – selbst wenn sie dasselbe schriftstellerische Talent gehabt hätte wie ihr Bruder – im England des 16. Jahrhunderts ergangen wäre. (Für alle, die A Room of One’s Own noch nicht gelesen haben: It does not end well for Judith.)
[6] Ellen Bosnjak gilt an dieser Stelle mein herzlichster Dank dafür, dass sie sich wiederholt Zeit genommen hat, ihr schier unerschöpfliches Wissen mit mir zu teilen.
[7] Unter dem Begriff „Geschichte von unten“ wird etwa seit den 1960er-Jahren der Alltag diskriminierter Gruppen erforscht.
[8] Ellen Bosnjak wies mich noch auf ein Tondokument aus dem Jahr 1960 hin, in dem Dietrich von Hildebrand über den Umzug der Familie von Florenz nach München und nachfolgende Ereignisse berichtet. Darin erzählt er unter anderem eine Anekdote über einen Hausdiener, den die Familie aus Italien mitgenommen hatte, und der den Kronprinzen Rupprecht für einen Soldaten hält.
[9] Trouillot, Michel-Rolph. Silencing the Past. Power and the Production of History. Beacon Press 1995, S. 48.
[10] Okay, dieser Hype ist wirklich Nische, aber es gibt ihn. Außer dem bereits erwähnten Podcast von 2019 erschien 2021 die Biografie À la recherche de Céleste Albaret von Laure Hillerin (Flammarion) und 2022 der erste Teil der Graphic Novel von Chloé Cruchaudet, der 2023 auf Deutsch im Insel Verlag unter dem Titel Céleste – „Gewiss, Monsieur Proust“ erschienen ist.
[11] Spivak verdeutlicht dies am umstrittenen Beispiel der Witwenverbrennung in Indien: „Zwischen lokalen frauenfeindlichen Traditionen und dem Rassismus der BritInnen hätten die Witwen keine Chance gehabt, sich zu artikulieren: Die einen feierten sie als Heldinnen, ja verhießen einen über Selbstopferung gewonnenen Subjektstatus, die anderen instrumentalisierten sie in ihren Diskursen über ,barbarische Zustände‘. Für eine eigene Position der Frauen war da kein Platz.“ Rezension von Sabine Rohlf: Can the Subaltern Speak? Postkolonialität und subalterne Artikulation, www.springerin.at/2008/2/lektuere/can-the-subaltern-speak.
[12] Und für die Bürsten-Amateure unter Ihnen sei jetzt noch das Geheimnis der Bürste gelüftet. Wie aus Fotos ersichtlich ist, hing sie tatsächlich am Schreibtisch von Oskar Maria Graf in New York. Laura Mokrohs und Franziska Willibald von der OMG-Gesellschaft haben mir Folgendes dazu geschrieben: „Wir vermuten, dass es sich bei der Bürste um eine Bücherbürste handeln könnte. Textstellen oder Erwähnungen, in denen Graf selbst etwas darüber sagt, sind uns aber leider nicht bekannt. Da die Wohnung sehr klein war, kann es aber auch sein, dass Graf die Bürste, die einen anderen Zweck hatte, einfach nur am Schreibtisch aufbewahrte. Aus Briefen aus den Exiljahren in New York weiß man übrigens auch, dass Graf sich in dieser Zeit teils um den Haushalt kümmerte und seine Frau Mirjam in der Redaktion des Aufbau das Haupteinkommen erwirtschaftete.“