Studierende der LMU texten alte und zukünftige Formen der Wahrnehmung (2)
ZUR REIHE: „Zukunft öffnen!“ widmet sich den Ideenwelten der jungen Generationen. Sie können hier ihre Gedanken, Meinungen und Visionen über die Zukunft in vielfältiger Form zum Ausdruck zu bringen; in Gedichten, Essays, Erzählungen, Comics und Berichten. So entsteht eine kreative Plattform, die „nach vorne schaut“.
Für den folgenden Beitrag haben sich die Studierenden der LMU in München unter der Leitung der Autorin Slata Roschal mit neuen und zukünftigen Formen der Wahrnehmung schreibend auseinandergesetzt. Herausgekommen sind inspirierte, literarische Miniaturen. Die ersten Texte finden Sie hier zusammen mit der jeweils gestellten kreativen Aufgabe oder ihrer Inspirationsquelle.
*
Zauberformeln
Aufgabe (Lyrix): Schreiben Sie eine Zauberbeschwörung, die, ähnlich wie die Texte von V. Chlebnikov und D. Kraus, auf lautlicher, assoziativer Ebene funktioniert, überzeugend und befehlend wirkt.
Greinend schieben geschobene Geschriebene Schicht
Schweigend scharren schiefe Schriebe in knarrenden Schubladen
Weinerlinge wiegen schweigend schnarrende Weigerlinge
Schreiende Schweigerlinge schnarchen auf gehobenen Schanzen
Verschobene Leiderlinge verwaschen schwarzweißen Schnodder
Ein Regenbogen schiebt sich in Sicht.
Raol Weiß
Schneewittchen
Aufgabe: Schneewittchen isst vom vergifteten Apfel. Schreiben Sie die Geschichte auf ein Happy End hin weiter, indem Sie auf den Topos der schönen weiblichen Leiche verzichten.
Alsdann kam Schneewittchen ins Krankenhaus, wo der Chefarzt sie rettete. Nach ihrer Genesung lud er sie zu einem Date ein, da er nicht aufhören konnte, über ihre wunderschöne Trachea nachzudenken. Sie überlegte, sah, dass er eigentlich ganz attraktiv war, also wieso nicht. Sie gingen ins Restaurant, er redete viel, wollte viel über sie wissen, doch sie wusste, dass es nur eine kurze Affäre werden würde, weil sie nicht bereit war, sich zu binden. Nach ein paar Treffen merkte sie, dass er langsam obsessiv wurde und brach den Kontakt zu ihm ab. Nun lebt sie ein glückliches Single-Leben mit ihren 7 Katzen.
Barbara Umanska
Natürlich wusste sie, dass der Apfel vergiftet war, wegen dem vergifteten Kamm usw. Sie nahm trotzdem einen Bissen davon und mimte das gutgläubige Mädchen. Sie imitierte ein Schlucken und schob das Apfelstück gleichzeitig unter ihre Zunge, ließ den restlichen Apfel und ihren Körper zu Boden fallen. Während sie fiel, schlug sie die Hand vors Gesicht, als erschrecke sie sich vor ihrem eigenen Tod. In Wirklichkeit spuckte sie aber das Apfelstück aus und ließ es in den Falten ihres Kleides verschwinden. Die böse Stiefmutter war indessen verschwunden, da sie sich dem Erfolg ihres Mordes sicher war. Schneewittchen wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis die Stiefmutter herausfand, dass sie noch am Leben war und beschloss das Haus der Zwerge zu verlassen. Diese waren noch im Bergwerk beschäftigt, weshalb sie noch genug Zeit hatte das Haus ungehindert zu verlassen. Sie schrieb ihnen einen Abschiedsbrief und packte das Nötigste zum Essen ein. Den vergifteten Apfel hatte sie verbrannt, um sicher zu gehen, dass er keinen weiteren Schaden anrichtete. Sie kehrte dem Zwergenhaus den Rücken zu und war ein wenig traurig, ja das war sie, und blickte trotzdem ihrer Zukunft gespannt und mit Vorfreude entgegen. Das Problem mit der Stiefmutter war im Übrigen schnell gelöst. Schneewittchen schnitt sich die Haare ab, eine Kurzhaarfrisur, die sie äußerst praktisch fand und schaffte es so das Schönheitsideal des Zauberspiegels auszutricksen. Fortan war die Stiefmutter die schönste im Land und Schneewittchen lebte glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage.
Anna Weber
Kartoffel
Aufgabe: Der Comic „tot“ aus Dominik Wendlands ANTIDEPRITAGEBUCH erzählt von zwei Gespenstern.
„Und… duuuu… warst also auch mal lebendig?“
„Ja. Ich war eine Kartoffel.“
Schreiben Sie, ausgehend von diesem Comic, einen kurzen Text aus der Perspektive des zweiten Gespenstes ‒ wie findet zuvor sein Tod statt? Bei der Darstellung eines Todes ist alles künstlich und funktional, probieren Sie aus ‒ tritt der Tod plötzlich oder vorhersehbar auf, mit wem, wo, wann, warum? Welche gesellschaftlichen Wünsche, Probleme lassen sich darauf projizieren?
Wieso die Kartoffel so gierig wurde, ist eine traurige Geschichte. Sie war eine Kartoffel wie jede andere, hatte viele Freunde unter der Erde. Auch den Tag der Ausgrabung und das Landen im Supermarkt sah sie als ein Abenteuer an. Sie wurde mit anderem Gemüse gekauft und lernte ihre Liebe die Karotte kennen. Doch was sie nicht wusste, war, dass Frau Müller sie zu einer Kartoffel-Möhren-Suppe machen wollte. Welch leidvoller Tod das Schälen, Schneiden, Kochen und Pürieren war! Doch das wäre nur halb so schlimm, wenn sie nicht ansehen müsste, dass ihrer Geliebten dasselbe Schicksal widerfahren ist! In dem Moment, als sie zum Geist wurde, schwor sie Rache an der ganzen Menschheit. Nun treibt sie die Wut voran um weiter zu hustlen. Auch fühlt sie sich manchmal einsam, da ihre Lebensgefährtin nicht zum Geist wurde. Ihr neuer Freund Dominik wollte sich lieber auflösen als mit ihr zu bleiben. Sehr schade, denn sie hat Ambitionen.
Barbara Umanska
DOMINIK WENDLAND „TOT“: DIE WURZELN DES BÖSEN – A POTATO STORY
Ich war einst eine Kartoffel. Was ich jetzt bin? Ich bin nicht sicher. Ist die Kartoffel jenes Stück unförmiges Gemüse, das im Feld liegt oder ist eine Kartoffel mehr als das? Ist eine Kartoffel rein materiell oder geht es darüber hinaus, über das Gegenständliche, über das Fassbare? Naja, Philosophie hat mich nie sonderlich interessiert. Meine Gedanken konzentriere ich lieber auf andere Dinge, auf andere Pläne, die ich für dieses Land, diesen Staat, diese Welt habe. Und ich plane schon lange. Seit diesem Tag…
Ich war noch jung, es war Juni, aber das habe ich erst nachher erfahren. Als die Hacke direkt neben meinem Kopf in die Erde gefahren ist, habe ich versucht, meine Wurzeln auszufahren, doch ich konnte meine Geschwister nicht mehr spüren, als ich aus der Erde gerissen wurde.
An das, was danach kam, erinnere ich mich kaum. Ich erinnere mich daran, bei lebendigem Leibe geschält zu werden. Ich erinnere mich daran, wie mein Körper zerstückelt wurde, an kochend heißes Wasser. Ich erinnere mich daran, wie Kartoffelspalten um mich herum trieben und wie ich nicht sagen konnte, ob es meine, die meiner Geschwister oder die von Fremden sind.
Ich kann mich nicht erinnern, wann es aufhörte. Ich kann mich nicht erinnern, ob der Schmerz plötzlich verschwand oder ob er noch stundenlang nachhallte. Ich weiß nur, dass ich plötzlich hier war. Und dass es endlich vorbei war.
Dann traf ich die Teekanne. Sie erklärte mir alles. Sie ist wirklich eine sehr nette Teekanne. Die erste Nacht hab ich in einer Walnussschale verbracht. War äußerst gemütlich. Die Teekanne übernachtete nebenan in einem ausgetrockneten Schneckenhaus und so hatte ich Zeit. Zeit, mir zu überlegen, was ich mit meinem Leben anstellen will. Zeit, um einen Plan zu schmieden. Einen Plan, um die ganze Welt einzunehmen. HAHAHAHAHAHAHA!!
Elisa Sofie Unterseer
Studierende der LMU texten alte und zukünftige Formen der Wahrnehmung (2) >
ZUR REIHE: „Zukunft öffnen!“ widmet sich den Ideenwelten der jungen Generationen. Sie können hier ihre Gedanken, Meinungen und Visionen über die Zukunft in vielfältiger Form zum Ausdruck zu bringen; in Gedichten, Essays, Erzählungen, Comics und Berichten. So entsteht eine kreative Plattform, die „nach vorne schaut“.
Für den folgenden Beitrag haben sich die Studierenden der LMU in München unter der Leitung der Autorin Slata Roschal mit neuen und zukünftigen Formen der Wahrnehmung schreibend auseinandergesetzt. Herausgekommen sind inspirierte, literarische Miniaturen. Die ersten Texte finden Sie hier zusammen mit der jeweils gestellten kreativen Aufgabe oder ihrer Inspirationsquelle.
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Zauberformeln
Aufgabe (Lyrix): Schreiben Sie eine Zauberbeschwörung, die, ähnlich wie die Texte von V. Chlebnikov und D. Kraus, auf lautlicher, assoziativer Ebene funktioniert, überzeugend und befehlend wirkt.
Greinend schieben geschobene Geschriebene Schicht
Schweigend scharren schiefe Schriebe in knarrenden Schubladen
Weinerlinge wiegen schweigend schnarrende Weigerlinge
Schreiende Schweigerlinge schnarchen auf gehobenen Schanzen
Verschobene Leiderlinge verwaschen schwarzweißen Schnodder
Ein Regenbogen schiebt sich in Sicht.
Raol Weiß
Schneewittchen
Aufgabe: Schneewittchen isst vom vergifteten Apfel. Schreiben Sie die Geschichte auf ein Happy End hin weiter, indem Sie auf den Topos der schönen weiblichen Leiche verzichten.
Alsdann kam Schneewittchen ins Krankenhaus, wo der Chefarzt sie rettete. Nach ihrer Genesung lud er sie zu einem Date ein, da er nicht aufhören konnte, über ihre wunderschöne Trachea nachzudenken. Sie überlegte, sah, dass er eigentlich ganz attraktiv war, also wieso nicht. Sie gingen ins Restaurant, er redete viel, wollte viel über sie wissen, doch sie wusste, dass es nur eine kurze Affäre werden würde, weil sie nicht bereit war, sich zu binden. Nach ein paar Treffen merkte sie, dass er langsam obsessiv wurde und brach den Kontakt zu ihm ab. Nun lebt sie ein glückliches Single-Leben mit ihren 7 Katzen.
Barbara Umanska
Natürlich wusste sie, dass der Apfel vergiftet war, wegen dem vergifteten Kamm usw. Sie nahm trotzdem einen Bissen davon und mimte das gutgläubige Mädchen. Sie imitierte ein Schlucken und schob das Apfelstück gleichzeitig unter ihre Zunge, ließ den restlichen Apfel und ihren Körper zu Boden fallen. Während sie fiel, schlug sie die Hand vors Gesicht, als erschrecke sie sich vor ihrem eigenen Tod. In Wirklichkeit spuckte sie aber das Apfelstück aus und ließ es in den Falten ihres Kleides verschwinden. Die böse Stiefmutter war indessen verschwunden, da sie sich dem Erfolg ihres Mordes sicher war. Schneewittchen wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis die Stiefmutter herausfand, dass sie noch am Leben war und beschloss das Haus der Zwerge zu verlassen. Diese waren noch im Bergwerk beschäftigt, weshalb sie noch genug Zeit hatte das Haus ungehindert zu verlassen. Sie schrieb ihnen einen Abschiedsbrief und packte das Nötigste zum Essen ein. Den vergifteten Apfel hatte sie verbrannt, um sicher zu gehen, dass er keinen weiteren Schaden anrichtete. Sie kehrte dem Zwergenhaus den Rücken zu und war ein wenig traurig, ja das war sie, und blickte trotzdem ihrer Zukunft gespannt und mit Vorfreude entgegen. Das Problem mit der Stiefmutter war im Übrigen schnell gelöst. Schneewittchen schnitt sich die Haare ab, eine Kurzhaarfrisur, die sie äußerst praktisch fand und schaffte es so das Schönheitsideal des Zauberspiegels auszutricksen. Fortan war die Stiefmutter die schönste im Land und Schneewittchen lebte glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage.
Anna Weber
Kartoffel
Aufgabe: Der Comic „tot“ aus Dominik Wendlands ANTIDEPRITAGEBUCH erzählt von zwei Gespenstern.
„Und… duuuu… warst also auch mal lebendig?“
„Ja. Ich war eine Kartoffel.“
Schreiben Sie, ausgehend von diesem Comic, einen kurzen Text aus der Perspektive des zweiten Gespenstes ‒ wie findet zuvor sein Tod statt? Bei der Darstellung eines Todes ist alles künstlich und funktional, probieren Sie aus ‒ tritt der Tod plötzlich oder vorhersehbar auf, mit wem, wo, wann, warum? Welche gesellschaftlichen Wünsche, Probleme lassen sich darauf projizieren?
Wieso die Kartoffel so gierig wurde, ist eine traurige Geschichte. Sie war eine Kartoffel wie jede andere, hatte viele Freunde unter der Erde. Auch den Tag der Ausgrabung und das Landen im Supermarkt sah sie als ein Abenteuer an. Sie wurde mit anderem Gemüse gekauft und lernte ihre Liebe die Karotte kennen. Doch was sie nicht wusste, war, dass Frau Müller sie zu einer Kartoffel-Möhren-Suppe machen wollte. Welch leidvoller Tod das Schälen, Schneiden, Kochen und Pürieren war! Doch das wäre nur halb so schlimm, wenn sie nicht ansehen müsste, dass ihrer Geliebten dasselbe Schicksal widerfahren ist! In dem Moment, als sie zum Geist wurde, schwor sie Rache an der ganzen Menschheit. Nun treibt sie die Wut voran um weiter zu hustlen. Auch fühlt sie sich manchmal einsam, da ihre Lebensgefährtin nicht zum Geist wurde. Ihr neuer Freund Dominik wollte sich lieber auflösen als mit ihr zu bleiben. Sehr schade, denn sie hat Ambitionen.
Barbara Umanska
DOMINIK WENDLAND „TOT“: DIE WURZELN DES BÖSEN – A POTATO STORY
Ich war einst eine Kartoffel. Was ich jetzt bin? Ich bin nicht sicher. Ist die Kartoffel jenes Stück unförmiges Gemüse, das im Feld liegt oder ist eine Kartoffel mehr als das? Ist eine Kartoffel rein materiell oder geht es darüber hinaus, über das Gegenständliche, über das Fassbare? Naja, Philosophie hat mich nie sonderlich interessiert. Meine Gedanken konzentriere ich lieber auf andere Dinge, auf andere Pläne, die ich für dieses Land, diesen Staat, diese Welt habe. Und ich plane schon lange. Seit diesem Tag…
Ich war noch jung, es war Juni, aber das habe ich erst nachher erfahren. Als die Hacke direkt neben meinem Kopf in die Erde gefahren ist, habe ich versucht, meine Wurzeln auszufahren, doch ich konnte meine Geschwister nicht mehr spüren, als ich aus der Erde gerissen wurde.
An das, was danach kam, erinnere ich mich kaum. Ich erinnere mich daran, bei lebendigem Leibe geschält zu werden. Ich erinnere mich daran, wie mein Körper zerstückelt wurde, an kochend heißes Wasser. Ich erinnere mich daran, wie Kartoffelspalten um mich herum trieben und wie ich nicht sagen konnte, ob es meine, die meiner Geschwister oder die von Fremden sind.
Ich kann mich nicht erinnern, wann es aufhörte. Ich kann mich nicht erinnern, ob der Schmerz plötzlich verschwand oder ob er noch stundenlang nachhallte. Ich weiß nur, dass ich plötzlich hier war. Und dass es endlich vorbei war.
Dann traf ich die Teekanne. Sie erklärte mir alles. Sie ist wirklich eine sehr nette Teekanne. Die erste Nacht hab ich in einer Walnussschale verbracht. War äußerst gemütlich. Die Teekanne übernachtete nebenan in einem ausgetrockneten Schneckenhaus und so hatte ich Zeit. Zeit, mir zu überlegen, was ich mit meinem Leben anstellen will. Zeit, um einen Plan zu schmieden. Einen Plan, um die ganze Welt einzunehmen. HAHAHAHAHAHAHA!!
Elisa Sofie Unterseer