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Zu Daniel Kehlmanns heutigem 50. Geburtstag erscheinen ein Essayband und eine Neuausgabe seines Debütromans

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© Hanser Literaturverlage/Zsolnay

Der österreichisch-deutsche Autor Daniel Kehlmann (*1975) wird mit seinen Romanen schon in jungen Jahren international bekannt. In Deutschland zählen seine Bücher zu einem wichtigen Bestandteil der Nachkriegsliteratur und werden bereits als Schullektüre gelesen. Zu Daniel Kehlmanns heutigem 50. Geburtstag erscheinen ein Essayband und eine Neuausgabe seines Debütromans Beerholms Vorstellung. Katrin Hillgruber über den Autor und sein Werk. 

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Als Daniel Kehlmann im Jahr 1997 mit dem Roman Beerholms Vorstellung im mittlerweile nicht mehr existierenden Deuticke-Verlag debütierte, wohnte der Student der Philosophie und Germanistik noch in seinem Elternhaus in Wien. Dorthin waren die deutsche Schauspielerin Dagmar Mettler und der aus Wien stammende Regisseur Michael Kehlmann 1981 mit ihrem sechsjährigen Sohn aus dessen Geburtsstadt München „übersiedelt“, wie es so schön im österreichischen Deutsch heißt. Mit voller Wucht muss den ebenso arglosen wie hoffnungsvollen Jungautor eine Rezension seines Debütromans getroffen haben, die ihm unverhohlen empfahl, das Buch die Toilette hinunterzuspülen (wohingegen die Frankfurter Allgemeine Zeitung befand: „Der Autor mag auf dem richtigen Weg sein.“) Die seismographischen Wellen dieser Erschütterung sind immer noch zu spüren, nachzulesen in Kritisiert werden, einem Vortrag, den Daniel Kehlmann 2023 auf einem Symposium über Literaturkritik in Stockholm gehalten hat.

Bei der Weihnachtsfeier des Deuticke-Verlags im Dezember 1996 hatte er „mit zitternder Stimme und nervösen Atembeschwerden“ seine erste Lesung aus dem Manuskript von Beerholms Vorstellung absolviert. Anschließend sei „einer der berühmtesten Autoren des Landes“ (dessen Identität er nicht lüftet) auf ihn zugetreten und habe ihn im Vertrauen gefragt, ob er „a wos Österreichisches“ schreibe: Der namhafte Kollege hatte das nicht grundsätzlich gemeint, sondern wollte ihn an ein Festival der österreichischen Literatur im Ruhrgebiet vermitteln. Diese Anekdote habe ihn nie mehr ganz losgelassen, bekannte Daniel Kehlmann in seiner Dankesrede für den Anton-Wildgans-Preis, der nur an österreichische Landeskinder vergeben wird. Was aber macht den Schriftsteller und Dramatiker Kehlmann zu einem solchen? Für ihn ist es der „Grundkurs in Spott und Skepsis, den die österreichische Tradition jedem angedeihen lässt, der in ihr heranwächst“.

Ein fünfzigster Geburtstag, wie ihn Daniel Kehlmann heute am 13. Januar feiert, ist ein willkommener, zuweilen auch gefürchteter Anlass für Rückblicke. Im Nachwort der bei Zsolnay erschienenen Neuausgabe seines Debütromans Beerholms Vorstellung nimmt der Autor selbst ausgesprochen erhellend den „jungen Mann, der ich war“ ins Visier – und damit seinen als „paradox“ empfundenen Anfang als Schriftsteller: „Blatt für Blatt erfand ich einen Protagonisten, der mir möglichst fremd sein sollte, einen unzuverlässigen Ich-Erzähler, der sein eigenes Leben wie die titelgebende Zaubervorstellung inszeniert, einen egozentrischen, eitlen, verwirrten und eventuell übernatürlich begabten Menschen, der – und das war das Befreiende daran – überhaupt nicht so war wie ich.“ Daniel Kehlmann war wie sein Protagonist Beerholm ein ambitionierter (Amateur-)Magier, gab dieses Hobby aber nach Abgabe des Manuskripts plötzlich auf, wie er schreibt. 

Zauberei und Komik können nur dann überzeugen, wenn sie gründlich vorbereitet und präzise ausgeführt werden, man denke an die stolpernden Vertreter in Loriot-Sketchen, die in Sekunden komplette Wohnzimmer verwüsten. Schon der Anfang von Beerholms Vorstellung ist unheimlich dicht und farbenfroh gestaltet. Das phantastische Szenario beginnt harmlos mit einem synästhetischen Idyll, dem „sonnenwarmen Frotteehandtuch“ des jugendlichen Ich-Erzählers, „gelb in einer grünen, lichtduftenden Wiese“. Wie gekonnt der Autor dann zum tödlichen Blitzschlag überleitet, der Beerholms Ziehmutter beim Wäscheaufhängen auf ebendieser Wiese mit Todesfolge ereilt, erinnert an die ins Magische ausgreifende Präzision, die Romane wie Das Badehaus oder Der Kopf des großen Schriftstellers und Wahl-Münchners Ernst Augustin kennzeichnet. Nicht von ungefähr ist Daniel Kehlmann ein bekennender Anhänger des magischen Realismus à la Gabriel García Márquez, aber auch von Tolstoi und Nabokov.

Noch heute werde er regelmäßig von Zauberkünstlern auf seinen allerersten Protagonisten Arthur Beerholm angesprochen, stellt Kehlmann im Nachwort erfreut fest. Sein Debütroman, der so furios mit einem Blitzschlag beginnt, steigert sich zum Schluss in die atemberaubende Schilderung eines imaginierten Sturzes. Wie sich Schrecksekunden des freien Falls in brillante Literatur verwandeln, das bewundert Daniel Kehlmann in seinem Essayband Sorgt, dass sie nicht zu zeitig mich erwecken an seinem US-amerikanischen Kollegen und Freund Jonathan Franzen, mit dem er 2009 die Tübinger Poetik-Dozentur bestritt. Kehlmann zitiert eine Schlüsselszene aus Franzens Erfolgsroman Die Korrekturen. Darin sieht Edith Lambert, eine alte Dame auf Kreuzfahrt, beim Blick aus dem Bullauge ihrer Kabine ihren Gatten Albert über Bord fallen. Kehlmann preist den in einem einzigen Satz geschilderten Sturz Alberts als „semantisches Wundergebilde, wie man es nie in einer konventionellen Erzählung finden würde – und doch ist das kein leeres Spiel, es geht um Verzweiflung und Niedergang, es geht um den Tod“. 

Der SPIEGEL bat im Herbst 2023, kurz vor Erscheinen des jüngsten Kehlmann-Romans Lichtspiel, das Freundespaar Zadie Smith und Daniel Kehlmann in London zu einem inspirierenden Werkstattgespräch. Im neuen Essayband jedoch, der bereits erschienene Reden und Kritiken versammelt, huldigt der Autor in durchweg höchst lesenswerten Texten ausnahmslos männlichen Vorbildern wie Heimito von Doderer, Karl Kraus oder Franz Werfel. Die einzige Schriftstellerin, mit der er sich befasst, ist Elisabeth Langgässer, weil er 2022 den nach ihr benannten Literaturpreis erhalten hat.

Nach dem hochkomischen Künstlerroman Ich und Kaminski (kongenial verfilmt von Wolfgang Becker mit Daniel Brühl in der Hauptrolle) bescherte Die Vermessung der Welt Daniel Kehlmann im Jahr 2005 den endgültigen Durchbruch. Dieses weitgehend in indirekter Rede gehaltene Buch verniedlicht seine historischen Protagonisten Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß allerdings auch etwas. Es lässt sich durchaus eine Parallele zur umstrittenen „Kafka“-Serie der ARD erkennen, zu der Kehlmann mit David Schalko das Drehbuch schrieb, und die unter anderem dem Kafka-Darsteller Joel Basman ein leicht infantiles k.-u.-k.-Idiom in den Mund legt. Die Vermessung der Welt trug ihrem Verfasser nicht nur internationalen Ruhm ein – allein im deutschsprachigen Raum wurden 2,3 Millionen Exemplare verkauft –, sondern machte ihn zum zwischen New York und Berlin pendelnden Weltbürger. Daniel Kehlmann ist ein begeisterter Transatlantiker und hingebungsvoller Leser der amerikanischen Klassiker wie E.L. Doctorow. 

Eine sympathische Anglophilie prägte auch die Laudatio, die Kehlmann im Oktober 2023 in Frankfurt bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an den von einer grausamen Messerattacke halbwegs genesenen Salman Rushdie hielt. Er bezeichnete seinen New Yorker Freund als den „vielleicht wichtigsten Verteidiger der Freiheit von Kunst und Rede in unserer Zeit“, so wie er sich anderer Stelle über die Ignoranz des hiesigen Literaturbetriebs gegenüber dessen einstigem Liebling Helmut Krausser aufregt. Ohne Kraussers Roman Melodien (1993) hätte er nicht seine Scheu gegenüber historischen Stoffen ablegen können, so Daniel Kehlmann. Der apart-hochfahrende Titel des Buches übrigens ist ebenfalls (literatur)historischen Ursprungs: Er zitiert den letzten Satz, den Friedrich Schiller seinem Helden Wallenstein in den Mund gelegt hat.

Daniel Kehlmann: Sorgt, dass sie nicht zu zeitig mich erwecken. Essays und Reden. Rowohlt Verlag, Hamburg 2024, 304 Seiten, 25 Euro.

Ders.: Beerholms Vorstellung. Roman (Neuausgabe mit einem Nachwort des Autors). Zsolnay Verlag, Wien 2025, 240 Seiten, 24 Euro.

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