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07.01.2025, 09:00 Uhr
Sara Gómez
Text & Debatte
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FREISCHWIMMEN – DER ORT AN DEM ICH BIN. Ein mäandernder Text über Schreiben und Schwimmen (6)

Literatur und Bewegung gehen ein spannendes Gespann ein. Der Bewegung im Kopf setzen viele Autorinnen und Autoren eine körperliche Bewegung entgegen oder ergänzen die eine mit der anderen. Von den offensichtlichen gesundheitlichen Gründen abgesehen, ist das eine oftmals die Verlängerung des anderen. 

Die Autorin Sara Goméz ist leidenschaftliche Schwimmerin ohne jede Ambition an sportliches Achievement. In dieser 9-teiligen Blogreihe lässt sie sich treiben wie in einem See und kommt dennoch immer wieder zurück in ihre Bahnen. Sie schreibt darüber, wie Schreiben und Schwimmen, wie Bewegung und Denken für sie zusammenhängen. Wir präsentieren hier die sechste Folge.

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CRY MY A RIVER – DER AUSVERKAUF DES SCHWIMMBADS

Ich recherchiere, dass der Song von Anthony Hamilton geschrieben wurde, der zu meinem Erstaunen immer noch lebt. „Cry me a river“ war für Ella Fitzgerald gedacht, die ihn in Jack Webbs Film Pete Kelly’s Blues singen sollte. Allerdings wollte Webb, dass Hamilton eine Strophe änderte, da er nicht glaubte, dass eine Schwarze Frau das Wort „plebian“[1]  benutzen würde. Wow! Welcome zum Rassismus der 1950er! Dass Hamilton sich weigerte, etwas zu ändern, und den Song daraufhin zurückzog, um ihn Webbs Ex-Frau Julie London anzubieten, die ihn wiederum auf ihrem ersten Album veröffentlichte, rechne ich den beiden noch knapp 70 Jahre später hoch an. Ella Fitzgerald nahm den Song später doch noch auf – mein Rachegefühl ist befriedigt – es folgten: Dinah Washington, Leslie Gore, Michael Bublé. Und selbst das Schreckgespenst meiner 20er, Justin Timberlake, nimmt in seinem Song „Cry Me a River“ von 2002 selbstredend Bezug auf das bis dato zum Klassiker avancierte Stück über die Ablehnung eines Verflossenen durch die einst Gekränkte. 

Kränkungen im Schwimmbad – imaginierte und reelle habe ich jede Menge erlebt. Meist kleine Subtilitäten. Vor allem immer wieder, den Mikrokosmos dieser nach wie vor patriarchal und rassistisch geprägten Gesellschaft spiegelnd, jener Unterschied, wer sich wieviel oder überhaupt Platz nimmt.

Dabei ist die Idee des öffentlichen Schwimmbads, ähnlich wie die der städtischen Bibliotheken eine egalitäre: Alle Menschen sollten unabhängig von ihrem Geldbeutel, und damit Klasse, Herkunft, Diskriminierungserfahrungen, … Zugang zum Schwimmen haben. Und zu Büchern. Dass diese Kosten nun sukzessive vielerorts nicht mehr gestemmt werden können oder die Prioritäten andere sind, verstärkt die Unterschiede zwischen Arm und Reich noch krasser und trägt nicht zuletzt Mitschuld an steigenden Ertrinkendenzahlen: 2024 sind in Deutschland „bis zum Ende des Sommers 353 Menschen [bei Schwimmunfällen] gestorben – und damit so viele wie seit fünf Jahren nicht mehr“[2] verweist der Deutschlandfunk auf eine schwindelerregende Tendenz.

Eine, die mich daran erinnert, wie meine chilenische Kusine vor vielen Jahren im Münchner Nordbad aus dem Staunen nicht herauskam: Nie im Leben würde es ein so gut ausgerüstetes öffentliches Schwimmbad in Chile geben! Meinen Hinweis auf den in meinen Augen recht teuren Eintritt wischte sie weg – schließlich konnten wir beide es uns leisten. Und es stimmt ja, wir konnten es uns als End-Zwanzigjährige erlauben und es gibt (noch!) Unterstützung für Menschen mit geringem Einkommen, um sich den Eintritt ins öffentliche Schwimmbad und zu öffentlichen Bibliotheken leichter leisten zu können. Wie schwierig die Beantragung von solchen Hilfen ist, steht noch mal auf einem anderen Blatt.

So hat die neoliberale Kehrtwende, die in Chile unter Pinochets Militärdiktatur bis Anfang der 1990er stattfand, viele Entwicklungen vorweg genommen, die nun auch in Deutschland immer sichtbarer werden: Der Ausverkauf des Gesundheits- und Bildungssystems, des Mobilitäts- und Wohnsektors – all diese Bereiche, die in öffentlicher Hand gut aufgehoben wären, und das kurzfristige Aufstocken öffentlicher Kassen, als sie privatisiert wurden, zeigt sich nun in immer größer werdenden Wunden: „Etwa alle vier Tage schließt laut DLRG [Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft] in Deutschland ein Schwimmbad für immer“[3].

Insofern ja: „Das Freibad ist politisch“[4] .

 

[1] Zu Deutsch: plebiszitär, also ein Plebiszit/eine Volksabstimmung betreffend. 

[2] Deutschlandfunk: https://www.deutschlandfunk.de/dlrg-zahl-der-badetoten-deutlich-gestiegen-100.html, vom 20.9.2024.

[3] Deutschlandfunk: https://www.deutschlandfunkkultur.de/eintauchen-wenn-die-buerger-ihr-freibad-retten-dlf-kultur-e7809718-100.html, vom 01.08.2024.

[4] Deutschlandfunk: https://www.deutschlandfunk.de/der-politikpodcast-folge-326-freibad-dlf-8682d571-100.html, vom 20.07.2023.

Externe Links:

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