Malen nach Erzählen
Der 1963 in Charkiw geborene Schriftsteller und bildende Künstler Alexander Milstein lebt seit 1995 in München. Nach dem Studium der Mathematik beginnt er 1988 zu schreiben. Seitdem hat er acht Bücher mit Prosa veröffentlicht, die Hälfte davon in Russland und die andere Hälfte in der Ukraine, wo 2017 das Buch Pyatipol erscheint, in dem neben Texten erstmals Bilder des Autors zu sehen sind. Seine Geschichten werden auch in der Süddeutschen Zeitung und der Zeitschrift Der Freund veröffentlicht. 2017 nimmt er an Eine Brücke aus Papier in Kijiw teil. 2023 illustriert Milstein den Band Durch die Zeiten und trägt außerdem einen Text dazu bei. Seine Malerei bezieht sich teilweise auf seine literarischen Werke. Er zeigt sie in Ausstellungen und fügt sie seit Pjatipol auch in seine Bücher ein.
*
Ich bin sicher, dass jeder, der zumindest von seinen Freunden und Bekannten für einen Schriftsteller gehalten wird, schon einmal mitten in einem Gespräch gehört hat: „Darüber solltest du schreiben!“
Als ich anfing zu malen, wandelten sich die Ratschläge dementsprechend.
Bisher gab es nicht so viele davon wie in meinem früheren Leben als Schriftsteller, aber hier wollte ich eigentlich nur über eines schreiben, das mit dem Titelbild und mit Boris Mikhailov zusammenhängt. Mit dem echten Fotografen nämlich und mit fast der Hauptfigur, wenn man meinen Ich-Erzähler nicht mitzählt ... Obwohl es immer noch die Frage ist, wie man zählt ...
Es gibt eine Version von Christian Kracht, der einmal eine Zeitschrift herausgegeben und am Ende einen kurzen Artikel über die Beiträger geschrieben hat. Die Informationen über mich sahen wie folgt aus (auf dem Foto habe ich übermalt, was für das Thema dieses Textes nicht relevant ist):
Aber das war ein Blick aus Nepal, aus Katmandu ... ein Auto-Zitat aus „Die Parallele Aktion“ wird erklären, wie der echte Boris Mikhailov dorthin kam:
„Wenn ich zum ersten Mal „Ich bin nicht ich“ in Charkiw gesehen hätte, wo bei der Präsentation der Fotograf auf dem Boden vor den Stufen der Ausstellungshalle lag, und jeder, der die Ausstellung besuchte, über ihn hinwegschreiten musste .... Dann, denke ich, hätte ich ein einheitliches Bild, ein Konzept gesehen. Aber damals in New York, sah ich auf den riesigen Schwarz-Weiß-Bildern einen nicht mehr ganz jungen Mann, der aussah wie Salvador Dalí mit gestutztem Schnurrbart, der vor seiner eigenen Kamera herumalberte. Und ich erinnerte mich – ja, irgendetwas fällt mir immer ein, und diesmal war es eine Anekdote über sowjetischen Komponisten Aram Chatschaturjan – wie er Dalí besuchte und dieser, nachdem er ihn drei Stunden lang im Warteraum schmoren gelassen hatte, nackt auf einen Wischmop sprang, um ihn herumgaloppierte und zu entsprechender Musik einen Säbel schwang („Tanz mit Säbeln“, Chatschaturjans Visitenkarte), und das war das Ende des Empfangs. Nur war es hier kein Wischmop, sondern ein Klistier mit langem Schlauch in den Händen des Fotografen, wie ein Schwan, der seinen Hals bog, und der Fotograf tanzte, so vermute ich, etwas aus Tschaikowskis Ballett. Auf dem anderen Bild ... Halt, halt. Ich habe schon einmal darüber geschrieben und es dem Fotografen zum Lesen gegeben, und es hat bei ihm, gelinde gesagt, keine wirklich positiven Gefühle ausgelöst. Er rief mich an und bat mich, es nicht zu veröffentlichen. Ich wurde wütend, es tat mir nicht leid, alles zu löschen – vor allem, weil es damals zwei Seiten waren, aber aus Prinzip ... Dann sagte der Fotograf: „Ich habe dich in Koktebel deshalb nicht fotografiert, weil du mich gebeten hast, dich nicht zu fotografieren ... Du wirst also nicht über mich schreiben, weil ich dich bitte, es nicht zu tun ...“ – „Was soll das heißen, du hast nicht fotografiert“, wunderte ich mich, „und was habe ich jetzt an meinen Wänden hängen?“ – „Ich habe fotografiert, ja ... Aber nicht wie ich es hätte tun können.“ Darauf habe ich nicht symmetrisch geantwortet, weil ich dachte, dass ich immer so schreibe, wie ich kann ... Ich habe nur gesagt, dass ich über ihn nicht schreiben werde (ich wurde von der Dnipro-Zeitschrift „NA!!!“ darum gebeten). All dies blieb ein Entwurf, und bis heute habe ich es nicht wieder angefasst, nur jetzt auf einmal ...
Die Sache ist die: Ich habe vor kurzem herausgefunden, dass es in der Pinakothek eine Serie der Werke Mikhailovs mit dem Titel „Der Graphomane auf der Krim“ gibt, und ich gestehe, dass ich dachte, der Fotograf würde es mir heimzahlen! Es ist nicht gerade Paranoia, Leser, denn wir hatten es geschafft, den Fotografen auf der Krim zu besuchen, wo er ununterbrochen etwas fotografierte, und ich wusste, dass er aus all dem eine neue Serie gemacht hatte, die in London, im Barbican, ausgestellt wurde ... Obwohl ich den Fotografen am ersten Tag unseres gemeinsamen Urlaubs wirklich bat, keine Fotos von mir zu machen, fing er nach einer Weile an, unbemerkt zu knipsen, und dann, ohne sich zu verstecken, das Objektiv in meine Richtung zu richten, als ich mich an seine Kamera gewöhnt hatte und sie nicht mehr bemerkte... Auch wilde Tiere bemerken Fotografen irgendwann nicht mehr ... Nun, das ist die erste Sache ... Und zweitens: Ich habe dem Fotografen schon vor langer Zeit gesagt, dass ich meinen Krim-Roman schreibe (und ich schreibe ihn wirklich, und was Sie jetzt lesen, ist ein Metaroman). Um es kurz zu machen: Als ich den Titel seiner Ausstellung hörte – „Der Graphomane auf der Krim“ – hatte ich die schlimmsten Vorahnungen. Ich wagte es nicht, die Pinakothek zu betreten, aus Angst, die Zuschauer würden mich erkennen und mit dem Finger zeigen.
Und dann tauchte der Fotograf in München auf, höchstpersönlich. Es stellte sich heraus, dass Siemens diese Serie seiner Werke für die Pinakothek gekauft hatte, und der Fotograf war überredet worden, einen Vortrag mit Diaschau für die sogenannten „Freunde der Pinakothek der Moderne“ zu halten. Erst als der Fotograf in München ankam und mir mitteilte, dass die Serie aus dem Jahr 1995 stamme, habe ich ... aufgeatmet. Ich mag zwar ein Graphomane, Schreib-Maniac sein, mein Meta-Leser, kein einziger Schriftsteller ist vor dieser Definition gefeit ... aber das ist kein Grund, da müssen Sie mir zustimmen, mich mit einer solchen Plakette an die Wände aller Museen der Welt zu hängen ... Und 1995 hatten wir nicht nur noch keinen gemeinsamen Urlaub mit dem Fotografen, Vita und Tanya auf der Krim gemacht, sondern kannten ihn überhaupt nicht...“
Ich sah das Album von Vytas Luckus zum ersten Mal, als ich bei den Mikhailovs in Berlin übernachtete, ich nahm es einfach aus dem Regal und war begeistert. Boris erzählte mir, dass er nach Vilnius gereist war, um Luckus zu besuchen. Er sei ein ziemlich exzentrischer Mann gewesen, zum Beispiel habe er eine Zeitlang einen lebenden Löwen in seinem Haus gehalten. Nicht lange, glaube ich. Und eines Tages besuchte ein alter Freund ihn, und der Fotograf begann, ihm seine neuesten Arbeiten zu zeigen. Der Freund sah sie sich an und sagte: „Tut mir leid, alter Mann, aber um ehrlich zu sein, gefallen mir diese neuen Bilder nicht.“ Luckus reagierte auf diese Worte, indem er ein Brotmesser vom Tisch nahm und es seinem Kumpel vollständig in den Hals rammte. Unmittelbar danach wurde er irgendwie wach und rief einen Krankenwagen, der auch recht schnell eintraf, und der Arzt stellte den Tod fest. Danach stürzte sich Luckus sofort aus dem Fenster, ebenfalls in den Tod.
„Ist das alles wirklich wahr?“, fragte ich. „Ja“, sagte Boris, “die reine Wahrheit.”– „Wir erzählen diese Geschichte immer, wenn neue Gäste zu uns kommen, bevor wir ihnen unsere Arbeit zeigen“, fügte Vita Mikhailova hinzu, und meine Gedankenstarre löste sich und ich lachte. Am nächsten Tag besuchte Julia Kissina die Mikhailovs, Boris begann, ein einen Fächer aus neuen Farbbildern vor ihr auszubreiten, sie betrachtete die Fotos ... und nach einer Weile sagte sie: „Es tut mir leid, aber um ehrlich zu sein, ich mag diese neuen Bilder von dir nicht, ich verstehe nicht warum“. Ich verkrampfte mich ein wenig, was mich aber nicht davon abhielt, ein paar Fotos zu machen, vielleicht sollte ich eins hier platzieren … aber nein, ich bin kein Fotograf.
Ein paar Jahre später saß ich mit den Mikhailovs in einem kubanischen Restaurant gegenüber vom Tacheles und zeigte ihnen die gerade erschienene „Die Parallele Aktion“, auf deren Cover sich ein Mann mit schwarzem Hut vom Fotografen abwendet, auf einer Zeitung sitzend, die er auf den Betonrand eines Strandes in Berdjansk gelegt hat, Anfang der achtziger Jahre. Das Foto wird in einem der Kapitel des Metaromans erwähnt, aber das Buch öffnete sich bei mir in diesem Moment an der Stelle, an der Luckus und sein seltsamer Tod erwähnt werden, mit einem Zitat aus dem „Thomas-Evangelium: „Glücklich ist der Mensch, der den Löwen gefressen hat, aber wehe dem Löwen, der den Menschen gefressen hat.“ Es war im Jahr 2014, ich hatte bereits ein Jahr zuvor mit dem Malen begonnen, hatte den Mikhailovs meine ersten Zeichnungen gezeigt. Nach den Worten des gnostischen Textes sah ich einen Funken in Boris' Augen, und er rief aus: „Das musst du zeichnen!“
Ich schaute ihn perplex an und sagte: „Borja, wie kann man das zeichnen?“
„Zeichne es! Ich sag‘s dir doch! Überlege, wie! Das sollst du zeichnen! ...“, rief Boris, worauf ich mit Gesten reagierte – ich breitete die Hände aus, zuckte mit den Schultern, drückte den Kopf in die Schultern und wiederholte: „Was sagst du da?“ und “Nein, es ist unmöglich zu malen.“ Es gibt ein Foto, das mein Sohn von diesem Moment gemacht hat, als er uns gegenüber am Tisch saß. Zwei Jahre, nachdem B. M. mir diesen Ratschlag gegeben hatte, übergab mir der Grafiker Max Theo Kehl ein Paket mit fünf Plexiglasplatten und einer Zigeunernadel, die aus einem fast unbehauenen Stück Holz ragte. Er sagte, es sei etwas, das mir gefallen würde und das seiner Meinung nach generell zu meinem „Stil“ passe. Ich sagte: „Welcher Stil?“, und schaute zweifelnd auf die Ahle ... irgendwie sah das alles seltsam aus ... Ich sagte, dass ich eigentlich ganz zufrieden mit meinen Kugelschreibern sei, worauf Max sagte: „Probier's mal, das ist fast dasselbe wie ein Kugelschreiber, aber es wirkt ... brutaler, du wirst sehen. Probier es aus.“ Ich zuckte mit den Schultern und nahm ihm das Päckchen ab, schwebte zu Hause lange mit der Ahle über der Platte und legte sie dann beiseite ... Mir fiel nichts ein, gar nichts ... außer ein paar Worten, die unsichtbare Menschen hier und da an die Wände von Fahrstühlen kratzen ... bis mir plötzlich einfiel – „Und das zeichnest du!“ Dann fielen mir noch Zirkusbilder aus meiner Kindheit ein: Lichter, eine Arena... und ich kratzte ein bisschen auf der Plexiglasplatte herum.
Nach ein paar weiteren Jahren, in denen die Computermaus durch einen Kugelschreiber, Pastellkreiden und schließlich Acryl ersetzt wurde ..., erinnerte ich mich an meine Radierung (die übrigens ein Unikat wurde, das in Iwano-Frankiwsk liegt oder hängt, weil Max die Platten mit meinen Kratzern beim Umzug verloren hat) und machte genau das: „Malen nach Zahlen“, siehe Titelbild.
Das zweite Mal kam „Und du zeichnest das!“ aus dem Mund der Übersetzerin von Anna Karenina (u. a.), als ich ihr im Café des Stadtmuseums die Worte von Tatjana Tolstaja zitierte: „Shakespeare und Dante stocherten im Dunkeln, bis mein Großvater Michail Lozinsky sie an die Hand nahm und aus der Dunkelheit ans Licht Gottes führte” (Michail Lozinsky war ein renommierter sowjetischer Übersetzer). Ich lachte und sagte, dass es schwierig sei, so etwas zu zeichnen, ich würde es nicht machen. Aber nach einer Weile habe ich es dann doch mit einem Filzstift gezeichnet, also buchstäblich:
Der dritte Ratschlag kam völlig unerwartet, denn die ersten beiden hatten sich aus heiterem Himmel ergeben, zufällig, im Laufe eines Gesprächs. Aber der dritte war der Grund für den Anruf und kam, nachdem ich den Hörer abgenommen hatte. Igor Chursin, ein Kollege von Mikhailov auch aus Charkiw, sagte: „Du malst inzwischen, nicht wahr? Deshalb möchte ich dir etwas erzählen, damit du es malst. Im Kindergarten haben wir ein Spiel gespielt, das hieß „Hirten und Schafe“: Die Mädchen liefen um mich herum, und ich trieb sie leise mit einem dünnen Zweig ... Nein, nein, du hörst zu ...“ Das Lustigste ist, dass ich es hinterher gemalt habe ... aber nicht das Spiel, von dem er mir erzählt hat, sondern nur ein Porträt von ihm in einem reifen Alter, nicht mit einem Zweig, sondern mit einem Stock, mit einem hohen Hirtenhut, inmitten einer Schafherde auf dem Berg …
„Sag niemandem, woher die Bilder kommen. Das Bild liebt das Geheimnis“ – mit diesen Worten unterbrach mich irgendwann ein Künstler, als ich ihm meine Zeichnungen zeigte und ihm sagte, was sie jeweils inspirierte. Eine Zeit lang hielt ich mich an seinen Rat, der Künstler war für mich eine große Autorität, aber dann, so sieht es aus, habe ich wieder angefangen zu labern. Doch jetzt mache ich Schluss, sage nur, dass ich bis jetzt keinen Rat mehr bekommen habe, was ich malen soll, oder ich habe es vergessen. Hier am Ende einfach das Porträt von Boris Mikhailov, das ich gemalt habe, nachdem er vor dem Hintergrund der Feldherrnhalle zum Siegestor schielte, natürlich mit seiner Kamera, von der er sich noch nie getrennt hat. Er hat eine Vielzahl von ihnen, aber alle mit Flügeln, wie hier:
Ach doch, noch ein Ratschlag fällt mir jetzt ein, ich habe ihn auch am Telefon gehört, während eines Gesprächs mit Krakau, wo damals eine Dichterin lebte. „Ich habe gestern etwas gesehen, das mich sofort auf eine Idee gebracht hat: Es sieht aus wie die Bilder von Milstein. Sieh mal, du musst es Malen.“ Kurz zuvor hatte ich ein Bild gezeichnet, das von einem Gedicht inspiriert war, das sie mir geschickt hatte, und das, wie sie sagte, wiederum von meinem Roman inspiriert war, den sie nicht nur gelesen, sondern auch rezensiert hatte. Ich hätte nie erraten, wovon die Musik inspiriert war, hätte sie es mir nicht gesagt. Es ging um Wagner und die Spieldose; in meinem Roman gab keines von beiden. In Krakau aber sah sie eine Bank, auf der ein bronzener Stefan Banach und sein Schüler saßen – sie spielten Schach miteinander, aber das war noch nicht alles. „Auf den Schultern der beiden saßen lebende kleine Mädchen und lachten!“, sagte sie. Ich bedankte mich. Unwillkürlich erinnerte ich mich, wie sich konjugierte Operatoren im Banach-Raum verhalten. An Vieles aus meinem Mathematikerleben konnte ich mich nicht mehr erinnern... aber ein paar Tage später zeichnete ich ein Bild:
Malen nach Erzählen>
Der 1963 in Charkiw geborene Schriftsteller und bildende Künstler Alexander Milstein lebt seit 1995 in München. Nach dem Studium der Mathematik beginnt er 1988 zu schreiben. Seitdem hat er acht Bücher mit Prosa veröffentlicht, die Hälfte davon in Russland und die andere Hälfte in der Ukraine, wo 2017 das Buch Pyatipol erscheint, in dem neben Texten erstmals Bilder des Autors zu sehen sind. Seine Geschichten werden auch in der Süddeutschen Zeitung und der Zeitschrift Der Freund veröffentlicht. 2017 nimmt er an Eine Brücke aus Papier in Kijiw teil. 2023 illustriert Milstein den Band Durch die Zeiten und trägt außerdem einen Text dazu bei. Seine Malerei bezieht sich teilweise auf seine literarischen Werke. Er zeigt sie in Ausstellungen und fügt sie seit Pjatipol auch in seine Bücher ein.
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Ich bin sicher, dass jeder, der zumindest von seinen Freunden und Bekannten für einen Schriftsteller gehalten wird, schon einmal mitten in einem Gespräch gehört hat: „Darüber solltest du schreiben!“
Als ich anfing zu malen, wandelten sich die Ratschläge dementsprechend.
Bisher gab es nicht so viele davon wie in meinem früheren Leben als Schriftsteller, aber hier wollte ich eigentlich nur über eines schreiben, das mit dem Titelbild und mit Boris Mikhailov zusammenhängt. Mit dem echten Fotografen nämlich und mit fast der Hauptfigur, wenn man meinen Ich-Erzähler nicht mitzählt ... Obwohl es immer noch die Frage ist, wie man zählt ...
Es gibt eine Version von Christian Kracht, der einmal eine Zeitschrift herausgegeben und am Ende einen kurzen Artikel über die Beiträger geschrieben hat. Die Informationen über mich sahen wie folgt aus (auf dem Foto habe ich übermalt, was für das Thema dieses Textes nicht relevant ist):
Aber das war ein Blick aus Nepal, aus Katmandu ... ein Auto-Zitat aus „Die Parallele Aktion“ wird erklären, wie der echte Boris Mikhailov dorthin kam:
„Wenn ich zum ersten Mal „Ich bin nicht ich“ in Charkiw gesehen hätte, wo bei der Präsentation der Fotograf auf dem Boden vor den Stufen der Ausstellungshalle lag, und jeder, der die Ausstellung besuchte, über ihn hinwegschreiten musste .... Dann, denke ich, hätte ich ein einheitliches Bild, ein Konzept gesehen. Aber damals in New York, sah ich auf den riesigen Schwarz-Weiß-Bildern einen nicht mehr ganz jungen Mann, der aussah wie Salvador Dalí mit gestutztem Schnurrbart, der vor seiner eigenen Kamera herumalberte. Und ich erinnerte mich – ja, irgendetwas fällt mir immer ein, und diesmal war es eine Anekdote über sowjetischen Komponisten Aram Chatschaturjan – wie er Dalí besuchte und dieser, nachdem er ihn drei Stunden lang im Warteraum schmoren gelassen hatte, nackt auf einen Wischmop sprang, um ihn herumgaloppierte und zu entsprechender Musik einen Säbel schwang („Tanz mit Säbeln“, Chatschaturjans Visitenkarte), und das war das Ende des Empfangs. Nur war es hier kein Wischmop, sondern ein Klistier mit langem Schlauch in den Händen des Fotografen, wie ein Schwan, der seinen Hals bog, und der Fotograf tanzte, so vermute ich, etwas aus Tschaikowskis Ballett. Auf dem anderen Bild ... Halt, halt. Ich habe schon einmal darüber geschrieben und es dem Fotografen zum Lesen gegeben, und es hat bei ihm, gelinde gesagt, keine wirklich positiven Gefühle ausgelöst. Er rief mich an und bat mich, es nicht zu veröffentlichen. Ich wurde wütend, es tat mir nicht leid, alles zu löschen – vor allem, weil es damals zwei Seiten waren, aber aus Prinzip ... Dann sagte der Fotograf: „Ich habe dich in Koktebel deshalb nicht fotografiert, weil du mich gebeten hast, dich nicht zu fotografieren ... Du wirst also nicht über mich schreiben, weil ich dich bitte, es nicht zu tun ...“ – „Was soll das heißen, du hast nicht fotografiert“, wunderte ich mich, „und was habe ich jetzt an meinen Wänden hängen?“ – „Ich habe fotografiert, ja ... Aber nicht wie ich es hätte tun können.“ Darauf habe ich nicht symmetrisch geantwortet, weil ich dachte, dass ich immer so schreibe, wie ich kann ... Ich habe nur gesagt, dass ich über ihn nicht schreiben werde (ich wurde von der Dnipro-Zeitschrift „NA!!!“ darum gebeten). All dies blieb ein Entwurf, und bis heute habe ich es nicht wieder angefasst, nur jetzt auf einmal ...
Die Sache ist die: Ich habe vor kurzem herausgefunden, dass es in der Pinakothek eine Serie der Werke Mikhailovs mit dem Titel „Der Graphomane auf der Krim“ gibt, und ich gestehe, dass ich dachte, der Fotograf würde es mir heimzahlen! Es ist nicht gerade Paranoia, Leser, denn wir hatten es geschafft, den Fotografen auf der Krim zu besuchen, wo er ununterbrochen etwas fotografierte, und ich wusste, dass er aus all dem eine neue Serie gemacht hatte, die in London, im Barbican, ausgestellt wurde ... Obwohl ich den Fotografen am ersten Tag unseres gemeinsamen Urlaubs wirklich bat, keine Fotos von mir zu machen, fing er nach einer Weile an, unbemerkt zu knipsen, und dann, ohne sich zu verstecken, das Objektiv in meine Richtung zu richten, als ich mich an seine Kamera gewöhnt hatte und sie nicht mehr bemerkte... Auch wilde Tiere bemerken Fotografen irgendwann nicht mehr ... Nun, das ist die erste Sache ... Und zweitens: Ich habe dem Fotografen schon vor langer Zeit gesagt, dass ich meinen Krim-Roman schreibe (und ich schreibe ihn wirklich, und was Sie jetzt lesen, ist ein Metaroman). Um es kurz zu machen: Als ich den Titel seiner Ausstellung hörte – „Der Graphomane auf der Krim“ – hatte ich die schlimmsten Vorahnungen. Ich wagte es nicht, die Pinakothek zu betreten, aus Angst, die Zuschauer würden mich erkennen und mit dem Finger zeigen.
Und dann tauchte der Fotograf in München auf, höchstpersönlich. Es stellte sich heraus, dass Siemens diese Serie seiner Werke für die Pinakothek gekauft hatte, und der Fotograf war überredet worden, einen Vortrag mit Diaschau für die sogenannten „Freunde der Pinakothek der Moderne“ zu halten. Erst als der Fotograf in München ankam und mir mitteilte, dass die Serie aus dem Jahr 1995 stamme, habe ich ... aufgeatmet. Ich mag zwar ein Graphomane, Schreib-Maniac sein, mein Meta-Leser, kein einziger Schriftsteller ist vor dieser Definition gefeit ... aber das ist kein Grund, da müssen Sie mir zustimmen, mich mit einer solchen Plakette an die Wände aller Museen der Welt zu hängen ... Und 1995 hatten wir nicht nur noch keinen gemeinsamen Urlaub mit dem Fotografen, Vita und Tanya auf der Krim gemacht, sondern kannten ihn überhaupt nicht...“
Ich sah das Album von Vytas Luckus zum ersten Mal, als ich bei den Mikhailovs in Berlin übernachtete, ich nahm es einfach aus dem Regal und war begeistert. Boris erzählte mir, dass er nach Vilnius gereist war, um Luckus zu besuchen. Er sei ein ziemlich exzentrischer Mann gewesen, zum Beispiel habe er eine Zeitlang einen lebenden Löwen in seinem Haus gehalten. Nicht lange, glaube ich. Und eines Tages besuchte ein alter Freund ihn, und der Fotograf begann, ihm seine neuesten Arbeiten zu zeigen. Der Freund sah sie sich an und sagte: „Tut mir leid, alter Mann, aber um ehrlich zu sein, gefallen mir diese neuen Bilder nicht.“ Luckus reagierte auf diese Worte, indem er ein Brotmesser vom Tisch nahm und es seinem Kumpel vollständig in den Hals rammte. Unmittelbar danach wurde er irgendwie wach und rief einen Krankenwagen, der auch recht schnell eintraf, und der Arzt stellte den Tod fest. Danach stürzte sich Luckus sofort aus dem Fenster, ebenfalls in den Tod.
„Ist das alles wirklich wahr?“, fragte ich. „Ja“, sagte Boris, “die reine Wahrheit.”– „Wir erzählen diese Geschichte immer, wenn neue Gäste zu uns kommen, bevor wir ihnen unsere Arbeit zeigen“, fügte Vita Mikhailova hinzu, und meine Gedankenstarre löste sich und ich lachte. Am nächsten Tag besuchte Julia Kissina die Mikhailovs, Boris begann, ein einen Fächer aus neuen Farbbildern vor ihr auszubreiten, sie betrachtete die Fotos ... und nach einer Weile sagte sie: „Es tut mir leid, aber um ehrlich zu sein, ich mag diese neuen Bilder von dir nicht, ich verstehe nicht warum“. Ich verkrampfte mich ein wenig, was mich aber nicht davon abhielt, ein paar Fotos zu machen, vielleicht sollte ich eins hier platzieren … aber nein, ich bin kein Fotograf.
Ein paar Jahre später saß ich mit den Mikhailovs in einem kubanischen Restaurant gegenüber vom Tacheles und zeigte ihnen die gerade erschienene „Die Parallele Aktion“, auf deren Cover sich ein Mann mit schwarzem Hut vom Fotografen abwendet, auf einer Zeitung sitzend, die er auf den Betonrand eines Strandes in Berdjansk gelegt hat, Anfang der achtziger Jahre. Das Foto wird in einem der Kapitel des Metaromans erwähnt, aber das Buch öffnete sich bei mir in diesem Moment an der Stelle, an der Luckus und sein seltsamer Tod erwähnt werden, mit einem Zitat aus dem „Thomas-Evangelium: „Glücklich ist der Mensch, der den Löwen gefressen hat, aber wehe dem Löwen, der den Menschen gefressen hat.“ Es war im Jahr 2014, ich hatte bereits ein Jahr zuvor mit dem Malen begonnen, hatte den Mikhailovs meine ersten Zeichnungen gezeigt. Nach den Worten des gnostischen Textes sah ich einen Funken in Boris' Augen, und er rief aus: „Das musst du zeichnen!“
Ich schaute ihn perplex an und sagte: „Borja, wie kann man das zeichnen?“
„Zeichne es! Ich sag‘s dir doch! Überlege, wie! Das sollst du zeichnen! ...“, rief Boris, worauf ich mit Gesten reagierte – ich breitete die Hände aus, zuckte mit den Schultern, drückte den Kopf in die Schultern und wiederholte: „Was sagst du da?“ und “Nein, es ist unmöglich zu malen.“ Es gibt ein Foto, das mein Sohn von diesem Moment gemacht hat, als er uns gegenüber am Tisch saß. Zwei Jahre, nachdem B. M. mir diesen Ratschlag gegeben hatte, übergab mir der Grafiker Max Theo Kehl ein Paket mit fünf Plexiglasplatten und einer Zigeunernadel, die aus einem fast unbehauenen Stück Holz ragte. Er sagte, es sei etwas, das mir gefallen würde und das seiner Meinung nach generell zu meinem „Stil“ passe. Ich sagte: „Welcher Stil?“, und schaute zweifelnd auf die Ahle ... irgendwie sah das alles seltsam aus ... Ich sagte, dass ich eigentlich ganz zufrieden mit meinen Kugelschreibern sei, worauf Max sagte: „Probier's mal, das ist fast dasselbe wie ein Kugelschreiber, aber es wirkt ... brutaler, du wirst sehen. Probier es aus.“ Ich zuckte mit den Schultern und nahm ihm das Päckchen ab, schwebte zu Hause lange mit der Ahle über der Platte und legte sie dann beiseite ... Mir fiel nichts ein, gar nichts ... außer ein paar Worten, die unsichtbare Menschen hier und da an die Wände von Fahrstühlen kratzen ... bis mir plötzlich einfiel – „Und das zeichnest du!“ Dann fielen mir noch Zirkusbilder aus meiner Kindheit ein: Lichter, eine Arena... und ich kratzte ein bisschen auf der Plexiglasplatte herum.
Nach ein paar weiteren Jahren, in denen die Computermaus durch einen Kugelschreiber, Pastellkreiden und schließlich Acryl ersetzt wurde ..., erinnerte ich mich an meine Radierung (die übrigens ein Unikat wurde, das in Iwano-Frankiwsk liegt oder hängt, weil Max die Platten mit meinen Kratzern beim Umzug verloren hat) und machte genau das: „Malen nach Zahlen“, siehe Titelbild.
Das zweite Mal kam „Und du zeichnest das!“ aus dem Mund der Übersetzerin von Anna Karenina (u. a.), als ich ihr im Café des Stadtmuseums die Worte von Tatjana Tolstaja zitierte: „Shakespeare und Dante stocherten im Dunkeln, bis mein Großvater Michail Lozinsky sie an die Hand nahm und aus der Dunkelheit ans Licht Gottes führte” (Michail Lozinsky war ein renommierter sowjetischer Übersetzer). Ich lachte und sagte, dass es schwierig sei, so etwas zu zeichnen, ich würde es nicht machen. Aber nach einer Weile habe ich es dann doch mit einem Filzstift gezeichnet, also buchstäblich:
Der dritte Ratschlag kam völlig unerwartet, denn die ersten beiden hatten sich aus heiterem Himmel ergeben, zufällig, im Laufe eines Gesprächs. Aber der dritte war der Grund für den Anruf und kam, nachdem ich den Hörer abgenommen hatte. Igor Chursin, ein Kollege von Mikhailov auch aus Charkiw, sagte: „Du malst inzwischen, nicht wahr? Deshalb möchte ich dir etwas erzählen, damit du es malst. Im Kindergarten haben wir ein Spiel gespielt, das hieß „Hirten und Schafe“: Die Mädchen liefen um mich herum, und ich trieb sie leise mit einem dünnen Zweig ... Nein, nein, du hörst zu ...“ Das Lustigste ist, dass ich es hinterher gemalt habe ... aber nicht das Spiel, von dem er mir erzählt hat, sondern nur ein Porträt von ihm in einem reifen Alter, nicht mit einem Zweig, sondern mit einem Stock, mit einem hohen Hirtenhut, inmitten einer Schafherde auf dem Berg …
„Sag niemandem, woher die Bilder kommen. Das Bild liebt das Geheimnis“ – mit diesen Worten unterbrach mich irgendwann ein Künstler, als ich ihm meine Zeichnungen zeigte und ihm sagte, was sie jeweils inspirierte. Eine Zeit lang hielt ich mich an seinen Rat, der Künstler war für mich eine große Autorität, aber dann, so sieht es aus, habe ich wieder angefangen zu labern. Doch jetzt mache ich Schluss, sage nur, dass ich bis jetzt keinen Rat mehr bekommen habe, was ich malen soll, oder ich habe es vergessen. Hier am Ende einfach das Porträt von Boris Mikhailov, das ich gemalt habe, nachdem er vor dem Hintergrund der Feldherrnhalle zum Siegestor schielte, natürlich mit seiner Kamera, von der er sich noch nie getrennt hat. Er hat eine Vielzahl von ihnen, aber alle mit Flügeln, wie hier:
Ach doch, noch ein Ratschlag fällt mir jetzt ein, ich habe ihn auch am Telefon gehört, während eines Gesprächs mit Krakau, wo damals eine Dichterin lebte. „Ich habe gestern etwas gesehen, das mich sofort auf eine Idee gebracht hat: Es sieht aus wie die Bilder von Milstein. Sieh mal, du musst es Malen.“ Kurz zuvor hatte ich ein Bild gezeichnet, das von einem Gedicht inspiriert war, das sie mir geschickt hatte, und das, wie sie sagte, wiederum von meinem Roman inspiriert war, den sie nicht nur gelesen, sondern auch rezensiert hatte. Ich hätte nie erraten, wovon die Musik inspiriert war, hätte sie es mir nicht gesagt. Es ging um Wagner und die Spieldose; in meinem Roman gab keines von beiden. In Krakau aber sah sie eine Bank, auf der ein bronzener Stefan Banach und sein Schüler saßen – sie spielten Schach miteinander, aber das war noch nicht alles. „Auf den Schultern der beiden saßen lebende kleine Mädchen und lachten!“, sagte sie. Ich bedankte mich. Unwillkürlich erinnerte ich mich, wie sich konjugierte Operatoren im Banach-Raum verhalten. An Vieles aus meinem Mathematikerleben konnte ich mich nicht mehr erinnern... aber ein paar Tage später zeichnete ich ein Bild: