Elke Schmitters Roman über ein kapitales Liebeselend
In ihrem neuen Roman Alles, was ich über Liebe weiß, steht in diesem Buch (C.H. Beck, 2024) erzählt Elke Schmitter von Helena und Levin, zwei lebenserfahrenen Menschen in einer Amour fou. Andreas Heckmann schreibt darüber, wie die romantische Liebe in dem Buch davonkommt.
*
Von einer manischen, rauschhaften, an epiphanischem Erleben und ozeanischen Gefühlen reichen Amour fou ist in Elke Schmitters neuem Roman anfangs ausgreifend die Rede, in die sich nach einer Woche befremdende Momente einschleichen, von der Erzählerin Helena zunächst ignoriert. Bald aber häufen sich die Irritationen, offenbaren sich Scheu und Bindungsangst beim so sehr geliebten Levin, dann folgen Enttäuschung, Verständnislosigkeit, Rückzug, bis der selige Flug nach vierzehn Tagen vorbei ist, gründlich vorbei.
Der zweite Teil des Buchs protokolliert tagebuchartig das Bemühen, die Liebeskatastrophe zu verarbeiten, wobei die Erzählerin wie im ersten Teil zu psychoanalytischen Ansätzen und Theorien greift, nun aber auch Gespräche mit Therapeutinnen und Therapeuten referiert. So taucht etwa die Überlegung auf, bei Levins Buddhismus handele es sich um die Distanzierungsstrategie eines Narzissten, um die Welt und alle verletzenden Gefühle, die sie in ihm bewirken könnte, auf Abstand zu halten. Helena will Levin verstehen, will sich selbst verstehen, will über den gewaltigen Kater, über den Abgrund hinwegkommen, den der kurze Traum vom Großen Paar in ihrem schon recht fortgeschrittenen Leben hinterlassen hat, und greift dabei in opulenten Fußnoten auch auf Luhmanns Liebe als Passion, Eva Illouz' Warum Liebe weh tut und natürlich Altmeister Freud nebst seinen Schülern und Schülerinnen zurück.
Das ist – typisch Trauerarbeit – mitunter redundant, und wenn das Tagebuch den Jahreskreis ausgeschritten hat, haben wir einiges drei-, womöglich viermal durchlitten. Eine Freundin befürchtet denn auch, Helena werde „zu einer Hanne Darboven der Herzen. Aber das bin ich längst … ich schraffiere Kästchen, in der Zeit und für die Zeit, die ohne ihn vergeht. Bewahre die Bleistiftstummel auf, einzeln und beschriftet, wie lange sie gebraucht haben, um so klein und unbrauchbar zu werden.“
Wohl auch zur Abmilderung des monomanen Fragens nach den Gründen des Scheiterns, Schweigens, Missverstehens, danach auch, warum der zehrende Schmerz nicht schwinden will, sind Zitate in den Text gestreut, die von langwierigem Liebesleid zeugen: zum einen Briefe einer Leidenschaft 1773 bis 1776 von Julie de Lespinasse, zum anderen Zitate aus einem Konvolut von C. S., „Seelenfreundin“ der Nürnberger Tier- und Blumenmalerin Regina Dietzsch (1706-83), die eine ähnliche Misere spiegeln wie die der Rokoko-Salonnière, allerdings im deutlich nüchterneren Hamburger Kaufmannsmilieu. Es gibt sprachliche Indikatoren genug, dass diese Aufzeichnungen von Schmitter kommen.
Der Geliebte trägt einen so seltenen Vornamen, dass der Gedanke an Levin Schücking sich aufdrängt, mit dem die Droste eine intensive Freundschaft verband, die abkühlte, als er Louise von Gall heiratete. Und natürlich an Rahel Varnhagen, geborene Levin, aus deren Tagebüchern das Motto des Buchs stammt. Was sich im 19. Jh. in Zeitlupe zugetragen haben mag, geschieht bei Elke Schmitter im Zeitraffer. Aber von wem berichtet sie eigentlich? Eine Malerin namens Helena sagt „ich“, aber in den Fußnoten wird ihre Wahrnehmung mitunter barsch korrigiert („Hier irrt H.“), obwohl es keine Herausgeberfiktion gibt, der Text also nicht etwa von Schmitter angeblich aus dem Nachlass publiziert wurde. Eine überraschende Unschärfe. Auch der häufige Wechsel der literarischen Form, die vielen teils fiktiven Textpassagen zweier Gewährsfrauen, die Referate aus therapeutischen Sitzungen, der Bezug auf psychoanalytische Theorien – all das macht den Roman zu einem hochhybriden Unternehmen. Die in der Realität eines Berliner Winters gegründete und für Helena so folgenschwere Affäre löst sich in diverse Textsorten auf.
Und das, obwohl Elke Schmitter bislang eine sehr disziplinierte Erzählerin war. Ihr Debüt, die von Marcel Reich-Ranicki 2000 mit höchstem Lob bedachte Frau Sartoris, ist geradezu altmeisterlich gearbeitet und als Bestseller in viele Sprachen übersetzt. Leichte Verfehlungen von 2002, ein Zeitroman über einige erfolgreiche Frauen mittleren Alters im Berliner intellektuellen Milieu der Jahrtausendwende, ist so hellsichtig, frisch und frech, als wäre er gerade erschienen, auch wenn er ohne soziale Medien und Klimakatastrophe auskommt und Campari Orange statt Aperol Spritz getrunken wird. Dass dieses so kluge und unterhaltsame Buch weit weniger erfolgreich war als Frau Sartoris, mag an der Welle von Zeitromanen in jenen mit Popliteratur überfütterten Jahren gelegen haben. Und auch Schmitters vorletzter Roman Inneres Wetter (2021), eine Familiengeschichte um drei alternde Geschwister, die ihren alten Vater besuchen, kommt bei aller Abgründigkeit, die diesem Thema notwendig anhaftet, erstaunlich leichtfüßig daher, mit einem kühlen, nie zynischen, nie sentimentalen Blick aus wechselnden Perspektiven auf heikle Verhältnisse.
Demgegenüber ist Alles, was ich über Liebe weiß, steht in diesem Buch widerständig, fast monströs. Ein Lektürefluss stellt sich nicht ein, soll sich nicht einstellen. Immer wieder Brüche, Sprünge, ausufernde Fußnoten, immer wieder Barrikaden, die es zu überwinden gilt.
Haben wir es hier mit einer virtuosen Absage an die gegenwärtig so populäre autofiktionale Literatur zu tun? Könnten, was „Helena“ berichtet und zusammenträgt, nur kunstvoll arrangierte Splitter sein, die mal insistierend, mal en passant einer Liebeskatastrophe gelten? Hat es Levin – ob in weiblicher Ausfaltung als Rahel, ob in männlicher als Schücking – nie gegeben? Ist er so wenig „authentisch“ wie der beklemmende marokkanische Vergewaltigungsbericht von H.? Stammt all das aus Büchern, wurde es bei Fritz Riemann in Grundformen der Angst oder anderswo gefunden, oder aber fantasiert und mit Spuren von Eigenerleben angereichert, wie sie wohl jeder literarische Text fast zwangsläufig enthält? Ist dieser Roman genau das? Vielleicht wirklich genau das? Ein Buch, das schon im Titel demonstrativ „Ich“ sagt und mit dem Anspruch daherkommt, eine Summa zu sein, um sich dann kunstvoll zu dekonstruieren?
Elke Schmitter: Alles, was ich über Liebe weiß, steht in diesem Buch. Einbildungsroman. C.H.Beck Verlag, München 2024, 352 Seiten, ISBN 978-3-406-82228-5.
Elke Schmitters Roman über ein kapitales Liebeselend>
In ihrem neuen Roman Alles, was ich über Liebe weiß, steht in diesem Buch (C.H. Beck, 2024) erzählt Elke Schmitter von Helena und Levin, zwei lebenserfahrenen Menschen in einer Amour fou. Andreas Heckmann schreibt darüber, wie die romantische Liebe in dem Buch davonkommt.
*
Von einer manischen, rauschhaften, an epiphanischem Erleben und ozeanischen Gefühlen reichen Amour fou ist in Elke Schmitters neuem Roman anfangs ausgreifend die Rede, in die sich nach einer Woche befremdende Momente einschleichen, von der Erzählerin Helena zunächst ignoriert. Bald aber häufen sich die Irritationen, offenbaren sich Scheu und Bindungsangst beim so sehr geliebten Levin, dann folgen Enttäuschung, Verständnislosigkeit, Rückzug, bis der selige Flug nach vierzehn Tagen vorbei ist, gründlich vorbei.
Der zweite Teil des Buchs protokolliert tagebuchartig das Bemühen, die Liebeskatastrophe zu verarbeiten, wobei die Erzählerin wie im ersten Teil zu psychoanalytischen Ansätzen und Theorien greift, nun aber auch Gespräche mit Therapeutinnen und Therapeuten referiert. So taucht etwa die Überlegung auf, bei Levins Buddhismus handele es sich um die Distanzierungsstrategie eines Narzissten, um die Welt und alle verletzenden Gefühle, die sie in ihm bewirken könnte, auf Abstand zu halten. Helena will Levin verstehen, will sich selbst verstehen, will über den gewaltigen Kater, über den Abgrund hinwegkommen, den der kurze Traum vom Großen Paar in ihrem schon recht fortgeschrittenen Leben hinterlassen hat, und greift dabei in opulenten Fußnoten auch auf Luhmanns Liebe als Passion, Eva Illouz' Warum Liebe weh tut und natürlich Altmeister Freud nebst seinen Schülern und Schülerinnen zurück.
Das ist – typisch Trauerarbeit – mitunter redundant, und wenn das Tagebuch den Jahreskreis ausgeschritten hat, haben wir einiges drei-, womöglich viermal durchlitten. Eine Freundin befürchtet denn auch, Helena werde „zu einer Hanne Darboven der Herzen. Aber das bin ich längst … ich schraffiere Kästchen, in der Zeit und für die Zeit, die ohne ihn vergeht. Bewahre die Bleistiftstummel auf, einzeln und beschriftet, wie lange sie gebraucht haben, um so klein und unbrauchbar zu werden.“
Wohl auch zur Abmilderung des monomanen Fragens nach den Gründen des Scheiterns, Schweigens, Missverstehens, danach auch, warum der zehrende Schmerz nicht schwinden will, sind Zitate in den Text gestreut, die von langwierigem Liebesleid zeugen: zum einen Briefe einer Leidenschaft 1773 bis 1776 von Julie de Lespinasse, zum anderen Zitate aus einem Konvolut von C. S., „Seelenfreundin“ der Nürnberger Tier- und Blumenmalerin Regina Dietzsch (1706-83), die eine ähnliche Misere spiegeln wie die der Rokoko-Salonnière, allerdings im deutlich nüchterneren Hamburger Kaufmannsmilieu. Es gibt sprachliche Indikatoren genug, dass diese Aufzeichnungen von Schmitter kommen.
Der Geliebte trägt einen so seltenen Vornamen, dass der Gedanke an Levin Schücking sich aufdrängt, mit dem die Droste eine intensive Freundschaft verband, die abkühlte, als er Louise von Gall heiratete. Und natürlich an Rahel Varnhagen, geborene Levin, aus deren Tagebüchern das Motto des Buchs stammt. Was sich im 19. Jh. in Zeitlupe zugetragen haben mag, geschieht bei Elke Schmitter im Zeitraffer. Aber von wem berichtet sie eigentlich? Eine Malerin namens Helena sagt „ich“, aber in den Fußnoten wird ihre Wahrnehmung mitunter barsch korrigiert („Hier irrt H.“), obwohl es keine Herausgeberfiktion gibt, der Text also nicht etwa von Schmitter angeblich aus dem Nachlass publiziert wurde. Eine überraschende Unschärfe. Auch der häufige Wechsel der literarischen Form, die vielen teils fiktiven Textpassagen zweier Gewährsfrauen, die Referate aus therapeutischen Sitzungen, der Bezug auf psychoanalytische Theorien – all das macht den Roman zu einem hochhybriden Unternehmen. Die in der Realität eines Berliner Winters gegründete und für Helena so folgenschwere Affäre löst sich in diverse Textsorten auf.
Und das, obwohl Elke Schmitter bislang eine sehr disziplinierte Erzählerin war. Ihr Debüt, die von Marcel Reich-Ranicki 2000 mit höchstem Lob bedachte Frau Sartoris, ist geradezu altmeisterlich gearbeitet und als Bestseller in viele Sprachen übersetzt. Leichte Verfehlungen von 2002, ein Zeitroman über einige erfolgreiche Frauen mittleren Alters im Berliner intellektuellen Milieu der Jahrtausendwende, ist so hellsichtig, frisch und frech, als wäre er gerade erschienen, auch wenn er ohne soziale Medien und Klimakatastrophe auskommt und Campari Orange statt Aperol Spritz getrunken wird. Dass dieses so kluge und unterhaltsame Buch weit weniger erfolgreich war als Frau Sartoris, mag an der Welle von Zeitromanen in jenen mit Popliteratur überfütterten Jahren gelegen haben. Und auch Schmitters vorletzter Roman Inneres Wetter (2021), eine Familiengeschichte um drei alternde Geschwister, die ihren alten Vater besuchen, kommt bei aller Abgründigkeit, die diesem Thema notwendig anhaftet, erstaunlich leichtfüßig daher, mit einem kühlen, nie zynischen, nie sentimentalen Blick aus wechselnden Perspektiven auf heikle Verhältnisse.
Demgegenüber ist Alles, was ich über Liebe weiß, steht in diesem Buch widerständig, fast monströs. Ein Lektürefluss stellt sich nicht ein, soll sich nicht einstellen. Immer wieder Brüche, Sprünge, ausufernde Fußnoten, immer wieder Barrikaden, die es zu überwinden gilt.
Haben wir es hier mit einer virtuosen Absage an die gegenwärtig so populäre autofiktionale Literatur zu tun? Könnten, was „Helena“ berichtet und zusammenträgt, nur kunstvoll arrangierte Splitter sein, die mal insistierend, mal en passant einer Liebeskatastrophe gelten? Hat es Levin – ob in weiblicher Ausfaltung als Rahel, ob in männlicher als Schücking – nie gegeben? Ist er so wenig „authentisch“ wie der beklemmende marokkanische Vergewaltigungsbericht von H.? Stammt all das aus Büchern, wurde es bei Fritz Riemann in Grundformen der Angst oder anderswo gefunden, oder aber fantasiert und mit Spuren von Eigenerleben angereichert, wie sie wohl jeder literarische Text fast zwangsläufig enthält? Ist dieser Roman genau das? Vielleicht wirklich genau das? Ein Buch, das schon im Titel demonstrativ „Ich“ sagt und mit dem Anspruch daherkommt, eine Summa zu sein, um sich dann kunstvoll zu dekonstruieren?
Elke Schmitter: Alles, was ich über Liebe weiß, steht in diesem Buch. Einbildungsroman. C.H.Beck Verlag, München 2024, 352 Seiten, ISBN 978-3-406-82228-5.