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21.11.2024, 16:44 Uhr
Abraham Katz
Rezensionen

„Das brennende Gewissen“ – ein Krimi über den Anschlag auf ein jüdisches Altenheim in München 1970

Der 1966 geborene und in München lebende Christof Weigold legt mit Das brennende Gewissen. Petry ermittelt einen Kriminalroman vor, der auf einem historischen Verbrechen basiert. Das Buch ist eher heiter als düster, befindet Rezensent Abraham Katz und lobt auch dessen „kulinarische“ Qualitäten.

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Dass Buchhändler erstochen werden, kommt selten vor, einfach weil sie keinen Anlass dafür liefern, dass man ihnen etwas Böses will. Mord aus Habgier scheidet aus, weil keine große Beute zu holen ist. Ihre geringen Einnahmen lohnen das Risiko nicht, dafür im Gefängnis zu landen. Büchersüchtige leihen sich ihren „Stoff“ in der Bibliothek oder ziehen ihn aus öffentlichen Bücherschränken, wo man sich gratis bedienen kann. Von Mord aus Rache an Buchhändlern hört man auch selten. Sehr wahrscheinlich, weil sie verträgliche Mitmenschen sind. 

Trotzdem ist das Mordopfer, das die Ermittlungen in Das brennende Gewissen ins Rollen bringt, eine Buchhändlerin in München. Sie heißt Erica Mrosco und wurde 75 Jahre alt. 

Einen kleinen Hinweis, wo die Motive für dieses Verbrechen zu suchen sind, liefert das Motto, das dem Buch vorangestellt ist, ein Zitat aus William Faulkners Requiem für eine Nonne: „Das Vergangene ist nie tot. Es ist nicht einmal vergangen.“

Die Vergangenheit, in die der neueste Krimi des Münchner Autors Christof Weigold seine Leser führt, bietet tatsächlich ein paar Charaktere und Motive an, die zu einem Mord führen könnten: Ein Neffe, der dringend Geld braucht und auf das Erbe seiner Tante spekuliert. Junge, kahlgeschorene Neonazis und ältere, müffelnde Reichsbürger, mit denen sich die streitlustige Linke, Erica Mrosko, Scharmützel lieferte. Palästinensische Terroristen verübten mehrere Anschläge in der BRD. Jürgen Köster ist ein Althippie, der Frieden und Liebe predigt, insgeheim jedoch auf Kriegsfuß steht mit „dem Staat“. Natürlich rühmt er „freie Liebe“ ohne Besitzansprüche. Was für ihn bedeutet: die Frauen, mit denen er zusammenwohnt, zu manipulieren und auszunutzen, wie es ihm gefällt. Außerdem gibt es noch einen Brandanschlag. Anfang der siebziger Jahre verschütteten Attentäter Benzin im Treppenhaus eines jüdischen Altenheims und zündeten es an. Mehrere Bewohner starben in den Flammen. Einer wollte sich mit einem Sprung aus dem Fenster in Sicherheit bringen. Stattdessen stürzte auch er in den Tod.

Aufmerksame Leser ahnen, dass einige fiktive Charaktere wie die Althippies einer Schwabinger Wohngemeinschaft von Menschen inspiriert worden sind, die wirklich in München gelebt haben oder noch leben. 

Der Brandanschlag auf das jüdische Altenheim jedoch wurde nicht von der Realität inspiriert und fiktionalisiert. Laut Akten hat sich der Anschlag exakt so zugetragen, wie er in dem Roman geschildert wird. Die Spuren führten zu rechts- und linksradikalen sowie zu palästinensischen Kreisen. Sowohl in der Realität als auch im Roman gibt es Indizien dafür, dass die Ermittlungen nicht mit der gebotenen Konsequenz geführt wurden, so dass man die Täter bis heute nicht gefunden hat.

So ein Jahrzehnte alter „Cold Case“ mit Spuren zu Terroristen verschiedenster Couleur, die ihr Leben in Freiheit genießen, anstatt verurteilt werden, klingt nach einem finsteren Szenario. Erstrecht seit dem Erstarken des Rechtspopulismus in Deutschland. Und noch mehr seitdem der aktuelle Krieg zwischen der Hamas, der Hisbollah und Israel zu einem Anstieg des Antisemitismus in der ganzen Welt geführt hat. 

Doch „Das brennende Gewissen“ ist kein pessimistischer Roman mit palästinensischen Terroristen, dumpfen Reichsbürgern und fanatischen Neonazis, sowie einer Justiz, die es nicht schafft, die Täter hinter Gitter zu bringen.

Stattdessen hat Christof Weigold warmherzige, flotte Szenen geschrieben mit liebenswerten Protagonisten und spannenden Wendungen. So dass man abwechselnd ungläubig, verblüfft und neugierig Seite für Seite weiterliest. 

Felix Petry ist ein sympathischer, unkonventioneller Fallanalytiker, der auf sein Bauchgefühl hört und auf seiner Vespa zwischen den Münchner Verkehrsbaustellen herumdüst. Seine neue Kollegin, Alina Schmidt, ist jung, ehrgeizig und rational. Da sind Reibungen vorprogrammiert. Aber nur ganz kleine und nur am Anfang. Im weiteren Verlauf erweist sich Alina als loyale Kollegin, mit der man „Pferde stehlen“ kann. Etwas schade ist, dass Petry und Alina selten wirklich miteinander sprechen, sondern dass sich viele ihrer Dialoge an die Leser richten. Daher sind es weniger Dialoge, sondern vielmehr gut gemeinte, geduldige Erklärungen. Für Leser, die wenig davon mitbekommen haben, was in den letzten Jahrzehnten alles in der Welt passiert ist.

Petrys und Alinas Vorgesetzter, Josef Rattenhuber, ist der sprichwörtliche „harte Hund“. Außerdem gehören zum Figuren-Ensemble Sophie, mit der Max sein erstes Blinddate hat. Petrys Mutter, Ingrid, und sein Adoptivvater, Daniel, betreiben ein jüdisches Restaurant, in dem vorzügliche, bodenständige Speisen serviert werden. Was klingt wie ein nettes Ornament, entwickelt sich als Stärke des Romans. Alle Snacks und Mahlzeiten werden so sinnlich beschrieben, dass einem das Wasser im Mund zusammenläuft. Immer wieder werden Wiener Schnitzel paniert, in heißem Butterschmalz ausgebraten und mit Saft aus Zitronenschnitzen beträufelt, so dass Vegetarier Lust bekommen könnten, eigenhändig Fleisch aus der Oberschale eines Kalbs zu schneiden und es dünn zu klopfen. Ähnlich wie Liebhaber guten Essens und Trinkens kommen Fans gefühlvoller Szenen auf ihre Kosten. Die in der Realität langwierige und kleinteilige Ermittlungsarbeit liefert nur den Hintergrund für große Gefühle. Echte Kriminalbeamte könnten beim Lesen vor Neid erblassen. Anstatt Spuren mühevoll systematisch zu suchen und zu sichern, finden Petry und Schmidt jedes Indiz immer genau in dem Moment, in dem sie es brauchen. 

Wen das Duo schließlich erfolgreich überführt, wird hier nicht verraten. Nur so viel: Die „politischen“ Motive der irre geleiteten Täterin oder des irre geleiteten Täters bleiben Kulisse. Im Vordergrund steht eine Herzschmerzgeschichte. Fast alle Antagonisten sind gerade mal so „böse“, dass man mit ihnen Spannung erzeugen kann. Ihre Lebensgeschichten jedoch sind so rührig, dass man Mitleid mit ihnen haben muss. 

Diese Mischung aus bittersüßer Liebegeschichte und leichtem Krimi sorgt für Nervenkitzel und erwärmt die Herzen. 

 

Christof Weigold: Das brennende Gewissen. Petry ermittelt. Kampa Verlag, Zürich, 384 S., ISBN-978-3-311-12086-5, 18,90 €

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