"Zu Lothar Meggendorfers fünfzigstem Geburtstag". Eine Plauderei von Julius Beck
Heute, am 6. November, jährt sich der Geburtstag des Münchner Kinderbuchautors, Malers, Zeichners und Illustrators Lothar Meggendorfer (1847-1925). Bekannt wurde er als Mitarbeiter der Fliegenden Blätter und Münchener Bilderbogen. Meggendorfer gilt als einer der witzigsten und fantasievollsten Schöpfer von Spielbilderbüchern – Büchern mit beweglichen Bildern, die auf Texte des Münchner Autors Julius Beck zurückgehen. Dessen muntere und interessante „Plauderei“ über Lothar Meggendorfer enthält einiges, das bisher noch nicht bekannt war.
*
Heute, den 6. November, feiert ein Humorist von Gottes Gnaden, dessen urdrollige Zeichnungen seit einer Reihe von Jahren die kleine wie die große Welt zu verzücken wußten; begeht ein Künstler, dessen Werke zwar nicht in Galerien und Museen den Beschauern die Größe eines erhabenen Genies bekunden, dafür aber fast dominierend in den Kinderstuben einer ganzen Welt einen Ehrenplatz behaupten, feiert ein Mann von tiefem Gemüth und unerschöpflicher Erfindungsgabe für die Erheiterung seiner großen und kleinen Mitmenschen, fernab vom rauschenden Getriebe der großen Welt, in der er sich nie heimisch fand, seinen fünfzigsten Geburtstag: Lothar Meggendorfer.
Der Name führt uns Hunderte von drolligen Bildern in die Erinnerung, die in ihren wenigen einfachen Strichen eine ganze Summe von überwältigender Komik zeigen und gerade durch die ungekünstelte Behandlung unmittelbar, ohne weitere Worterklärungen an’s Zwerchfell rühren; der Name weckt das fröhliche Lachen, das aus den Kinderherzen kommt, wenn die kleinen Händchen in den schnurrigen Bilderbüchern blättern, die seit Jahren aus der Hand des Meisters in die Welt gesendet wurden und von denen das eine oder andere doch fast in jeder deutschen Kinderstube zu finden ist.
Den Humor der Kleinen, ja wahrlich, den versteht Meggendorfer besonders meisterlich, weil er das Kindergemüth, die Kinderseele kennt. Was er für die Kinder schuf, ist einzig in seiner Art, einzig und unübertrefflich; hierin liegt wohl unseres Humoristen größte Kunst. Und doch dürfte es nur uns als eine Kunst erscheinen, denn ihm selbst ist es nur die künstlerische Wiedergabe des eigenen reichen Gemüths, eines Kindergemüths, das er sich durch all die Fährnisse des Lebens bis heute zu bewahren wußte. Wer nur einmal mit Meggendorfer persönlich verkehrt hat, der fühlt sich von seinem liebenswürdigen bescheidenen Wesen unendlich angezogen. Sein Gesicht weist einen stets gleichbleibenden, milden Ausdruck, während in den kleinen hellblauen Äuglein unverkennbar ein lustiger Schalk sitzt, jeden Augenblick bereit, selbst in das ernsteste Gespräch mit einem trockenen Witzwort zu springen. Und wem sich Meggendorfer gar im „Hausgewande“ zeigt, im fröhlichen Sichgehenlassen, der begreift dann wohl, daß er die meisten Szenen seiner Kinderbilderbücher oder Bilderbogen, wie er selbst gesteht, thatsächlich mitgemacht oder doch miterlebt hat. Meggendorfer ist auch ein vorzüglicher Erzähler, und es ist recht schade, daß er seine Erlebnisse nicht der Welt im Buche vorlegt; sie würden sicher ebenso ergötzen, wie es seine Zeichnungen thun. An Streichen hat es ja in seiner Jugendzeit, obwohl diese nicht gerade eine sorglos freudenreiche war, nicht gefehlt.
Sein humoristisches Talent zeigte er schon als Schulknabe, und es gab oft eine ganze Völkerwanderung nach der damals wohlbekannten „Eichthalwiese“ an der Ecke der Klenze und Fraunhoferstraße [heute der Gärtnerplatz], woselbst der kleine Lothar ein „Kasperltheater“ aufgeschlagen und seine Zuhörer mit den urkomischesten Stücken eigener Erfindung zum Lachen reizte.
Schon mit fünfzehn Jahren kam der 1847 geborene Lothar, nachdem er einige Klassen der Latein- und Realschule seiner Vaterstadt München besucht hatte, an die dortige Malakademie. Damit fing für ihn bereits der Ernst des Lebens an, denn, auf sich selbst angewiesen, mußte er sich, was er für seine Studien benöthigte, selbst verdienen. Der Vater, der kgl. bayer, Obertaxator, Joh. Nep. Meggendorfer, lebte nicht mehr, und die Pension der Mutter, einer geborenen v. Sicherer, war viel zu klein gegenüber der zahlreichen Familie. Aber frisch und wohlgemuth, den Kopf trotzdem voll Schnurren, das Herz voller Kunstideale, zog er die dornenvolle Bahn seiner Schülerjahre: fleißig den Studien obliegend und seine freie Zeit im Stundengeben verwendend im – Zitherspiel, das damals mehr gepflegt wurde als heute, und worin sich Meggendorfer eine bemerkenswerthe Virtuosität angeeignet hatte. So brachte er sich denn recht und schlecht durch, ward von seinen Professoren und Akademiekameraden seines bescheidenen Wesens, offenen Kopfes und unverwüstlichen Humors halber gern gesehen und erklomm, wenn auch auf anderem Wege als seine Ateliergenossen in der Componirklasse des Professors Wilhelm v. Dietz, den Gipfel des Ruhmes.
Meggendorfer, dessen ganze Wesensanlage nach dem humoristischen Kunstgebiete drängte, fand gleichwohl den Weg nicht sofort dorthin, und sein Talent schuf im ernsten künstlerischen Streben gar manche anerkannte Leistung. Auch er mußte erst die ganze bittere Wahrheit der Busch’schen Verse: „Bilder malen ist nicht schwer, sie verkaufen desto mehr“ kennen lernen, bis er nach manchen Brotarbeiten seine zeichnerischen Fähigkeiten in den Dienst des lachenden Gottes stellte.
Zufällig tauchte sein Blick einmal in Poccis humor- und gemüthreiche Schöpfungen für die Kinderwelt. Alles, was er von diesem unvergeßlichen Meister des süddeutschen Humors, speziell des münchnerischen, sah und las, zog ihn an, schien ihm verwandt und eine ganze Welt von Ideen stieg in ihm auf. Diesen „Kasperl“ mit seinen lustigen Streichen, seinen drolligen Wortverdrehungen, seinem sieghaften Gleichmuthe in den grauenhaftesten Gefahren, den kannte er ja schon längst; das war ja der Interpret seines heiteren Sinnes auf der „Eichthalwiese“. Hatte der denn geschlafen? Das war’s ja, was er brauchte, was ihm so ganz zusagte, seinem Wesen und Können vertraut war. Pocci wurde sein Vorbild.
Meggendorfers begehrenswerthestes Ziel richtete sich nun nach der Mitarbeiterschaft an den „Fliegenden Blättern“, und als in dem Erstling seiner Bilderbögen: „Der Longinus“, der alte Kaspar Braun, das bedeutende humoristische Talent des jungen Künstlers „entdeckt“ hatte, da war Meggendorfers Glück gemacht und sein Ruf rasch begründet. Zahllos sind die Beiträge, die der fleißige, unerschöpfliche Meister von da an dem „Braun und Schneider’schen Verlag“ überlieferte.
Aber immer und immer wieder wandten sich Meggendorfers Ideen jener Welt zu, in der er später seinen Ruhm besonders befestigte: der Kinderwelt. Eines Tages nun – er hatte schon seit einigen Jahren sein eigenes Heim gegründet – trat er zum ersten Male mit einem merkwürdigen Blatte vor das kritische Forum – seiner Kinder. Das Blatt zeigte nur das Bruststück der damals vielbeliebten und allbekannten, von Nestroy eingeführten Figur des „Staberl“,
ein glatter Kopf mit schwarzer Zopfperücke, tief in großen Vatermördern steckend, der Oberkörper eingehüllt in einen grellrothen Frack mit breitausgelegten Reversen, unter einem Arm der schwarze Schiffhut, unterm anderen das Paraplui, „Staberl“ genannt; das Schwänzchen des Zopfes schwang sich lustig in die Höhe. Erregte das drollige Bild schon an und für sich die Freude der Kinder, so steigerte die sich bis zum Jubel, als plötzlich die bebrillten Augen, der Mund und der Zopf sich durch Drehen und Schieben an einem unten aus dem Bilde stehenden Streifen sich zu bewegen anfingen. Nicht satt konnten sich die Kinder an dem urdrolligen Bilde sehen, das durch einen vom Vater fein erdachten Mechanismus gleichsam lebendig gemacht wurde. Das lebende Bild war erfunden, hatte die Kritik der Kinder glänzend bestanden und die Herren Braun und Scheider nahmen den Erstling der Meggendorfer’schen Kinderbilderbücher, der aus acht Blättern bestand unter dem Titel „Lebende Bilder“ mit den ebenso kindlich-naiven als vortrefflichen Versen von Franz Bonn gern in ihren Verlag. Und nun erschienen jährlich zwei und selbst mehrere solcher humorvoller Bücher von Meggendorfers Hand, mit und ohne Text, beweglich und unbeweglich, auf dem Weihnachtsmarkt.
Jedesmal von Klein und Groß freudigst begrüßt. So erreicht die Zahl dieser Werke, theils im obengenannten, theils im Verlage von J.F. Schreiber in Eßlingen erschienen, heute fast das volle Hundert, von denen die meisten ganz schöne Auflagen aufweisen können, was gewiß für die Erfolge der Bücher spricht.
Freilich wie und unter welchen Augen entstanden dieselben aber auch – unter den maßgebendsten: den eigenen Kindern! Da saßen oder standen sie um ihn herum oder sahen dem Vater über die Schultern, wenn er seine Bilder schuf, und was ihnen gefiel oder mißfiel, das war für den Künstler maßgebend. Kein Buch kam je in die Hände des Verlegers, bevor es nicht die Prüfung der eigenen Kinderstube bestanden.
Mit den Schöpfungen für die Kinderwelt konnte sich die Fülle seiner Ideen nicht begnügen. Für den Überschuß an Humor mußte der Künstler noch einen größeren Tummelplatz haben, wo er seiner Laune die Zügel schießen lassen konnte. Deshalb gründete er die bekannte Zeitschrift „Lothar Meggendorfers Humoristische Blätter“. Zugleich erfand er die sogenannten „Drehbilder“ welche eine ganze Welt erheiterten; und endlich sprang seine Frohnatur auch zu den Kinderspielen über, von denen wohl an dreißig Stück bei Gustav Weise in Stuttgart erschienen, von denen auch wieder die meisten einen durchschlagenden Erfolg errangen. Das neueste Gebiet des Humors, auf das sich Meggendorfer geworfen hat, ist die Musik. Natürlich das ganze Meggendorfer’sche Haus ist ja musikalisch und er selbst spielt neben der schon früher erwähnten Zither mit besonderer Virtuosität – Guitarre und bläst Trompete, am liebsten möchte er beide Instrumente zusammen spielen, wenn es nur ginge. Lothar Meggendorfer dichtet und komponiert – Couplets.
Immer wieder findet er neue Wege für seine liebenswürdigen Launen und sicher überrascht er uns auch ferner noch mit manchen Äußerungen seiner humorvollen Vielseitigkeit. Nur Eines wird er wohl nie pflegen, so viele Register sein süddeutscher Humor auch zu ziehen versteht: die politische Satire; sie ist ihm nicht sympathisch und hierin zeigt er sich ganz als der echte Sohn Münchens, dessen Witz mehr in den fröhlichen Herzen als in dem beißenden Verstande seinen Ursprung hat.
Nach all dem Gesagten müßte man glauben, daß Meggendorfer die Malkunst ganz beiseite gelegt hat. Dem ist aber nicht so; ja gerade für diese erfüllen ihn seit einiger Zeit ganz besondere Ideen, die wohl gelegentlich einmal in irgendeiner überraschenden Form das Tageslicht erblicken werden.
Aber noch etwas ist Meggendorfer mit großer Neigung: Landwirth. Ein Theil seiner Zeit ist seiner nicht gerade kleinen Landwirthschaft gewidmet, und er arbeitet in Feld, Wald und Wiese wie ein echter und rechter Ökonom. Seine bewegliche Natur findet neben der Musik in dieser Beschäftigung die befriedigendste Erholung.
Braucht man nach all‘ dem Geschilderten wohl zu erwähnen, daß Meggendorfer eine kerngesunde Natur ist, die keinen Müßiggang kennt und die Zeit nicht an Dinge verschwendet, die ihr nutzlos erscheinen? O, der Mann mit dem Kinderherzen kann sehr ernst sein und tief, wenn er um seine Ansicht über das öffentliche Leben gefragt wird, so wie er wiederum seinen vielen Besuchern, denen er die ausgedehnteste Gastfreundschaft zutheil werden läßt, diejenige Seite seines Wesens zeigt, welche in der übermüthigen Art seiner unverletzbaren Scherze und Witze den ganzen gemüthreichen Menschen offenbart. Ein offenes, frohmüthiges Herz und ein kluger, feiner Sinn sind die Elemente seiner Natur, die sowohl in seinen Werken als auch in seiner Persönlichkeit frei zu Tage tritt, damit verbunden eine riesige Arbeitskraft und Arbeitslust, ein energischer Wille und jenes göttliche Geschenk, das er stets zum Besten der Allgemeinheit verwendete, halfen ihm über alle Widrigkeiten des Daseins hinweg und verschafften ihm jenen Namen, der ihn mit vollem Rechte in die erste Reihe der deutschen Humoristen stellt. Möge er uns und unsere Kinder noch mit vielen, vielen Werken seiner lachenden Kunst erfreuen!
Münchner Neueste Nachrichten: Wirtschaftsblatt, alpine und Sport-Zeitung, Theater- und Kunst-Chronik vom 6. November 1897
"Zu Lothar Meggendorfers fünfzigstem Geburtstag". Eine Plauderei von Julius Beck>
Heute, am 6. November, jährt sich der Geburtstag des Münchner Kinderbuchautors, Malers, Zeichners und Illustrators Lothar Meggendorfer (1847-1925). Bekannt wurde er als Mitarbeiter der Fliegenden Blätter und Münchener Bilderbogen. Meggendorfer gilt als einer der witzigsten und fantasievollsten Schöpfer von Spielbilderbüchern – Büchern mit beweglichen Bildern, die auf Texte des Münchner Autors Julius Beck zurückgehen. Dessen muntere und interessante „Plauderei“ über Lothar Meggendorfer enthält einiges, das bisher noch nicht bekannt war.
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Heute, den 6. November, feiert ein Humorist von Gottes Gnaden, dessen urdrollige Zeichnungen seit einer Reihe von Jahren die kleine wie die große Welt zu verzücken wußten; begeht ein Künstler, dessen Werke zwar nicht in Galerien und Museen den Beschauern die Größe eines erhabenen Genies bekunden, dafür aber fast dominierend in den Kinderstuben einer ganzen Welt einen Ehrenplatz behaupten, feiert ein Mann von tiefem Gemüth und unerschöpflicher Erfindungsgabe für die Erheiterung seiner großen und kleinen Mitmenschen, fernab vom rauschenden Getriebe der großen Welt, in der er sich nie heimisch fand, seinen fünfzigsten Geburtstag: Lothar Meggendorfer.
Der Name führt uns Hunderte von drolligen Bildern in die Erinnerung, die in ihren wenigen einfachen Strichen eine ganze Summe von überwältigender Komik zeigen und gerade durch die ungekünstelte Behandlung unmittelbar, ohne weitere Worterklärungen an’s Zwerchfell rühren; der Name weckt das fröhliche Lachen, das aus den Kinderherzen kommt, wenn die kleinen Händchen in den schnurrigen Bilderbüchern blättern, die seit Jahren aus der Hand des Meisters in die Welt gesendet wurden und von denen das eine oder andere doch fast in jeder deutschen Kinderstube zu finden ist.
Den Humor der Kleinen, ja wahrlich, den versteht Meggendorfer besonders meisterlich, weil er das Kindergemüth, die Kinderseele kennt. Was er für die Kinder schuf, ist einzig in seiner Art, einzig und unübertrefflich; hierin liegt wohl unseres Humoristen größte Kunst. Und doch dürfte es nur uns als eine Kunst erscheinen, denn ihm selbst ist es nur die künstlerische Wiedergabe des eigenen reichen Gemüths, eines Kindergemüths, das er sich durch all die Fährnisse des Lebens bis heute zu bewahren wußte. Wer nur einmal mit Meggendorfer persönlich verkehrt hat, der fühlt sich von seinem liebenswürdigen bescheidenen Wesen unendlich angezogen. Sein Gesicht weist einen stets gleichbleibenden, milden Ausdruck, während in den kleinen hellblauen Äuglein unverkennbar ein lustiger Schalk sitzt, jeden Augenblick bereit, selbst in das ernsteste Gespräch mit einem trockenen Witzwort zu springen. Und wem sich Meggendorfer gar im „Hausgewande“ zeigt, im fröhlichen Sichgehenlassen, der begreift dann wohl, daß er die meisten Szenen seiner Kinderbilderbücher oder Bilderbogen, wie er selbst gesteht, thatsächlich mitgemacht oder doch miterlebt hat. Meggendorfer ist auch ein vorzüglicher Erzähler, und es ist recht schade, daß er seine Erlebnisse nicht der Welt im Buche vorlegt; sie würden sicher ebenso ergötzen, wie es seine Zeichnungen thun. An Streichen hat es ja in seiner Jugendzeit, obwohl diese nicht gerade eine sorglos freudenreiche war, nicht gefehlt.
Sein humoristisches Talent zeigte er schon als Schulknabe, und es gab oft eine ganze Völkerwanderung nach der damals wohlbekannten „Eichthalwiese“ an der Ecke der Klenze und Fraunhoferstraße [heute der Gärtnerplatz], woselbst der kleine Lothar ein „Kasperltheater“ aufgeschlagen und seine Zuhörer mit den urkomischesten Stücken eigener Erfindung zum Lachen reizte.
Schon mit fünfzehn Jahren kam der 1847 geborene Lothar, nachdem er einige Klassen der Latein- und Realschule seiner Vaterstadt München besucht hatte, an die dortige Malakademie. Damit fing für ihn bereits der Ernst des Lebens an, denn, auf sich selbst angewiesen, mußte er sich, was er für seine Studien benöthigte, selbst verdienen. Der Vater, der kgl. bayer, Obertaxator, Joh. Nep. Meggendorfer, lebte nicht mehr, und die Pension der Mutter, einer geborenen v. Sicherer, war viel zu klein gegenüber der zahlreichen Familie. Aber frisch und wohlgemuth, den Kopf trotzdem voll Schnurren, das Herz voller Kunstideale, zog er die dornenvolle Bahn seiner Schülerjahre: fleißig den Studien obliegend und seine freie Zeit im Stundengeben verwendend im – Zitherspiel, das damals mehr gepflegt wurde als heute, und worin sich Meggendorfer eine bemerkenswerthe Virtuosität angeeignet hatte. So brachte er sich denn recht und schlecht durch, ward von seinen Professoren und Akademiekameraden seines bescheidenen Wesens, offenen Kopfes und unverwüstlichen Humors halber gern gesehen und erklomm, wenn auch auf anderem Wege als seine Ateliergenossen in der Componirklasse des Professors Wilhelm v. Dietz, den Gipfel des Ruhmes.
Meggendorfer, dessen ganze Wesensanlage nach dem humoristischen Kunstgebiete drängte, fand gleichwohl den Weg nicht sofort dorthin, und sein Talent schuf im ernsten künstlerischen Streben gar manche anerkannte Leistung. Auch er mußte erst die ganze bittere Wahrheit der Busch’schen Verse: „Bilder malen ist nicht schwer, sie verkaufen desto mehr“ kennen lernen, bis er nach manchen Brotarbeiten seine zeichnerischen Fähigkeiten in den Dienst des lachenden Gottes stellte.
Zufällig tauchte sein Blick einmal in Poccis humor- und gemüthreiche Schöpfungen für die Kinderwelt. Alles, was er von diesem unvergeßlichen Meister des süddeutschen Humors, speziell des münchnerischen, sah und las, zog ihn an, schien ihm verwandt und eine ganze Welt von Ideen stieg in ihm auf. Diesen „Kasperl“ mit seinen lustigen Streichen, seinen drolligen Wortverdrehungen, seinem sieghaften Gleichmuthe in den grauenhaftesten Gefahren, den kannte er ja schon längst; das war ja der Interpret seines heiteren Sinnes auf der „Eichthalwiese“. Hatte der denn geschlafen? Das war’s ja, was er brauchte, was ihm so ganz zusagte, seinem Wesen und Können vertraut war. Pocci wurde sein Vorbild.
Meggendorfers begehrenswerthestes Ziel richtete sich nun nach der Mitarbeiterschaft an den „Fliegenden Blättern“, und als in dem Erstling seiner Bilderbögen: „Der Longinus“, der alte Kaspar Braun, das bedeutende humoristische Talent des jungen Künstlers „entdeckt“ hatte, da war Meggendorfers Glück gemacht und sein Ruf rasch begründet. Zahllos sind die Beiträge, die der fleißige, unerschöpfliche Meister von da an dem „Braun und Schneider’schen Verlag“ überlieferte.
Aber immer und immer wieder wandten sich Meggendorfers Ideen jener Welt zu, in der er später seinen Ruhm besonders befestigte: der Kinderwelt. Eines Tages nun – er hatte schon seit einigen Jahren sein eigenes Heim gegründet – trat er zum ersten Male mit einem merkwürdigen Blatte vor das kritische Forum – seiner Kinder. Das Blatt zeigte nur das Bruststück der damals vielbeliebten und allbekannten, von Nestroy eingeführten Figur des „Staberl“,
ein glatter Kopf mit schwarzer Zopfperücke, tief in großen Vatermördern steckend, der Oberkörper eingehüllt in einen grellrothen Frack mit breitausgelegten Reversen, unter einem Arm der schwarze Schiffhut, unterm anderen das Paraplui, „Staberl“ genannt; das Schwänzchen des Zopfes schwang sich lustig in die Höhe. Erregte das drollige Bild schon an und für sich die Freude der Kinder, so steigerte die sich bis zum Jubel, als plötzlich die bebrillten Augen, der Mund und der Zopf sich durch Drehen und Schieben an einem unten aus dem Bilde stehenden Streifen sich zu bewegen anfingen. Nicht satt konnten sich die Kinder an dem urdrolligen Bilde sehen, das durch einen vom Vater fein erdachten Mechanismus gleichsam lebendig gemacht wurde. Das lebende Bild war erfunden, hatte die Kritik der Kinder glänzend bestanden und die Herren Braun und Scheider nahmen den Erstling der Meggendorfer’schen Kinderbilderbücher, der aus acht Blättern bestand unter dem Titel „Lebende Bilder“ mit den ebenso kindlich-naiven als vortrefflichen Versen von Franz Bonn gern in ihren Verlag. Und nun erschienen jährlich zwei und selbst mehrere solcher humorvoller Bücher von Meggendorfers Hand, mit und ohne Text, beweglich und unbeweglich, auf dem Weihnachtsmarkt.
Jedesmal von Klein und Groß freudigst begrüßt. So erreicht die Zahl dieser Werke, theils im obengenannten, theils im Verlage von J.F. Schreiber in Eßlingen erschienen, heute fast das volle Hundert, von denen die meisten ganz schöne Auflagen aufweisen können, was gewiß für die Erfolge der Bücher spricht.
Freilich wie und unter welchen Augen entstanden dieselben aber auch – unter den maßgebendsten: den eigenen Kindern! Da saßen oder standen sie um ihn herum oder sahen dem Vater über die Schultern, wenn er seine Bilder schuf, und was ihnen gefiel oder mißfiel, das war für den Künstler maßgebend. Kein Buch kam je in die Hände des Verlegers, bevor es nicht die Prüfung der eigenen Kinderstube bestanden.
Mit den Schöpfungen für die Kinderwelt konnte sich die Fülle seiner Ideen nicht begnügen. Für den Überschuß an Humor mußte der Künstler noch einen größeren Tummelplatz haben, wo er seiner Laune die Zügel schießen lassen konnte. Deshalb gründete er die bekannte Zeitschrift „Lothar Meggendorfers Humoristische Blätter“. Zugleich erfand er die sogenannten „Drehbilder“ welche eine ganze Welt erheiterten; und endlich sprang seine Frohnatur auch zu den Kinderspielen über, von denen wohl an dreißig Stück bei Gustav Weise in Stuttgart erschienen, von denen auch wieder die meisten einen durchschlagenden Erfolg errangen. Das neueste Gebiet des Humors, auf das sich Meggendorfer geworfen hat, ist die Musik. Natürlich das ganze Meggendorfer’sche Haus ist ja musikalisch und er selbst spielt neben der schon früher erwähnten Zither mit besonderer Virtuosität – Guitarre und bläst Trompete, am liebsten möchte er beide Instrumente zusammen spielen, wenn es nur ginge. Lothar Meggendorfer dichtet und komponiert – Couplets.
Immer wieder findet er neue Wege für seine liebenswürdigen Launen und sicher überrascht er uns auch ferner noch mit manchen Äußerungen seiner humorvollen Vielseitigkeit. Nur Eines wird er wohl nie pflegen, so viele Register sein süddeutscher Humor auch zu ziehen versteht: die politische Satire; sie ist ihm nicht sympathisch und hierin zeigt er sich ganz als der echte Sohn Münchens, dessen Witz mehr in den fröhlichen Herzen als in dem beißenden Verstande seinen Ursprung hat.
Nach all dem Gesagten müßte man glauben, daß Meggendorfer die Malkunst ganz beiseite gelegt hat. Dem ist aber nicht so; ja gerade für diese erfüllen ihn seit einiger Zeit ganz besondere Ideen, die wohl gelegentlich einmal in irgendeiner überraschenden Form das Tageslicht erblicken werden.
Aber noch etwas ist Meggendorfer mit großer Neigung: Landwirth. Ein Theil seiner Zeit ist seiner nicht gerade kleinen Landwirthschaft gewidmet, und er arbeitet in Feld, Wald und Wiese wie ein echter und rechter Ökonom. Seine bewegliche Natur findet neben der Musik in dieser Beschäftigung die befriedigendste Erholung.
Braucht man nach all‘ dem Geschilderten wohl zu erwähnen, daß Meggendorfer eine kerngesunde Natur ist, die keinen Müßiggang kennt und die Zeit nicht an Dinge verschwendet, die ihr nutzlos erscheinen? O, der Mann mit dem Kinderherzen kann sehr ernst sein und tief, wenn er um seine Ansicht über das öffentliche Leben gefragt wird, so wie er wiederum seinen vielen Besuchern, denen er die ausgedehnteste Gastfreundschaft zutheil werden läßt, diejenige Seite seines Wesens zeigt, welche in der übermüthigen Art seiner unverletzbaren Scherze und Witze den ganzen gemüthreichen Menschen offenbart. Ein offenes, frohmüthiges Herz und ein kluger, feiner Sinn sind die Elemente seiner Natur, die sowohl in seinen Werken als auch in seiner Persönlichkeit frei zu Tage tritt, damit verbunden eine riesige Arbeitskraft und Arbeitslust, ein energischer Wille und jenes göttliche Geschenk, das er stets zum Besten der Allgemeinheit verwendete, halfen ihm über alle Widrigkeiten des Daseins hinweg und verschafften ihm jenen Namen, der ihn mit vollem Rechte in die erste Reihe der deutschen Humoristen stellt. Möge er uns und unsere Kinder noch mit vielen, vielen Werken seiner lachenden Kunst erfreuen!
Münchner Neueste Nachrichten: Wirtschaftsblatt, alpine und Sport-Zeitung, Theater- und Kunst-Chronik vom 6. November 1897