Über die österreichische Dichterin und eine Ausstellung zu ihren Ehren 2024 in Wien
2021 verstarb die weltbedeutende österreichische Lyrikerin Friederike Mayröcker. Mit Wien bzw. München war Mayröcker sehr verbunden: 2012 eröffnete ihre filmische „Gruszbotschaft“ das 1. Schamrock-Festival der Dichterinnen in München; auf Anregung von ihr gibt es seit 2014 auch regelmäßig einen Schamrock Festival-Tag in Wien. Friederike Mayröckers Wiener Wohnung ist nun ein Aufenthaltsort für Schreibende geworden und ihre Heimatstadt ehrt sie im Winter 2024/25 mit einer Ausstellung im Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek. Darüber und wie er Friederike Mayröcker bei einem ihrer Aufenthalte in München erlebte, schreibt der Autor und Journalist Armin Kratzert.
*
Flecken und Risse sind da an der Wand, feuchte Stellen womöglich, Rußspuren, gelbe Schatten hinter gestapelten Körben und Kartons, und Friederike Mayröcker dazwischen, sie grinst, in einem sehr schönen Dokumentarfilm aus 1990 von Carmen Tartarotti und Bodo Hell, und behauptet, dass sie jedes Jahr wieder beschließe, endlich diese Wohnung zu renovieren, bis ihr aber einfällt, dass sie dann ja hier alles komplett ausräumen müsste. Also wird die Sache verschoben. Es gibt schließlich wichtigeres zu tun. Und zu notieren.
Die Frage etwa, ob da draußen wirklich eine Welt ist, jetzt, in diesem Moment, ob sie morgen noch existiert, wenn es sie denn gibt, oder ob es sie wenigstens irgendwann einmal gegeben hat, ist längst nicht gültig beantwortet, könnte Friederike Mayröcker voller Empörung auf einen abgerissenen kleinen Zettel schreiben, der vor ihr liegt, auf dem Tisch, zwischen Büchern und Zeitungen und Stiften und seltsamen Artefakten.
Und genau so war es vielleicht auch einmal, stelle ich mir vor, vor langer Zeit, in dieser berühmten Mayröckerschen Wohnung, dieser mit Zeug bis zur Decke vollgestopften Höhle, in dem hellblauen Haus in der Zentagasse 16, und es war natürlich nicht mehr als ein flüchtiger Anfang.
Ein bisschen später denkt Mayröcker aber vielleicht, dass ihr das eigentlich ziemlich egal sein kann, was dort draußen, in der berühmten Stadt Wien, eventuell zu finden wäre. Es ist für die Gestaltung dessen, was wir unser Leben nennen, gar nicht wesentlich: „da ich morgens und moosgrün. Ans Fenster trete“.
Vor vielen Jahren einmal war ich mit Friederike Mayröcker verabredet, an einem Sommerabend, in einem Münchner Hotel, zum Interview, und als sie auftauchte, erklärte sie mir, dass sie zuerst dringend etwas essen gehen müsse. Sie verschwand, um die Ecke, zum berühmten Platzl, und während ich auf sie wartete, eine Stunde oder zwei, dachte ich, wie es wäre, wenn sie jetzt tatsächlich allein im Hofbräuhaus sitzen würde, in Lärm und Wildheit und Bierdunst, im großen Taumel, und welche dramatischen Folgen das möglicherweise für ihr Schreiben haben könnte: Einen prall-rustikalen Gesellschaftsroman statt überwirklicher Gedichte?
Das Interview gab es dann eben ein bisschen später, ich hockte ihr gegenüber in dem plüschigen Hotelzimmer, und fragte sie, wie sie es schaffe, jederzeit die banalsten Dinge des Alltags zum Leuchten zu bringen, ein Treppenhaus, Badezimmersachen oder Staubflusen in Poesie zu verwandeln, und sie antwortete, ganz langsam, suchend, zögernd, dass sie eben keine Geschichten erzählen wolle, dass es in ihren Gedichten immer nur und erst einmal um die Sprache gehe, dass aber auch die Erotik in ihren Büchern eine große Rolle spiele, sagte sie, die Liebe zu Menschen, zu den Vorübergehenden, und dass sie nachts in Wörtern träume, dass sie ihnen, den Wörtern, den Sätzen, schließlich die Freiheit gebe, eine Figur zu werden, sich zu erheben.
Und sie fuhr fort, all das sei nur möglich, weil sie so viel allein sei. Und gern allein. Ohne zu sprechen. Nur zum Schauen. Und dann eben sofort schreiben müsse, um nicht zu ersticken am Gesehenen.
„sei du bei mir in meiner Sprache Tollheit du hast / die Blumenkränzchen mir ins Haar gedrückt da ich 1 / Kind“
Denn wir können nur jedes Mal ganz bei uns selbst anfangen, weiß Mayröcker. Mit dem Leben, mit dem Schreiben. Umkreis: Ein Meter, fürs erste. Der abgegriffene Messingknopf an der Schublade, die tote Fliege, der Herz-König aus dem Schafkopf-Spiel, der eingerissene Fingernagel, die Müdigkeit hinter den Augen, die Angst vor dem Tod.
Das ist alles. Mehr haben wir nicht. Damit müssen wir arbeiten. Es ist immer da. Ein Universum. Nichts als das ist unsere so genannte Zukunft.
Und Zukunft hieß für Friederike Mayröcker bekanntlich immer nur und ausschließlich: Sprache.
„was brauchst du einen Baum ein Haus zu / ermessen wie grosz wie klein das Leben als Mensch“
Die Welt beginnt ja erst zu existieren, wenn wir Wörter für sie haben, und wenn wir etwas verändern wollen, wenn wir uns selbst verändern wollen, dann brauchen wir natürlich neue Wörter. Schönere Wörter. Ganz fremde Wörter. Wilde, erfundene, unerhörte Wörter. Wörter, die es noch gar nicht gibt Die müssen notiert, falsch aufgeschrieben, durchgestrichen, verbessert, gelernt, gesagt werden. Laut und leise. Und wiederholt. Immer wieder. Bis sie stimmen.
An der Klingel in der Wiener Zentagasse steht jetzt immer noch ihr Name. Die Wohnung ist nach Mayröckers Tod im Juni 2021 von der Österreichischen Nationalbibliothek übernommen, ihr einzigartiger Inhalt ausgeräumt, eingelagert, archiviert worden, und die Behausung selbst renoviert, fein hergerichtet, um ab dem nächsten Jahr temporär Stipendiaten zu beherbergen, junge Dichterinnen, die schreibend dort die Inspiration von Mayröckers Domizil einsaugen wollen.
Und vieles von den Büchern, Zetteln, Fundstücken, Briefen (darunter ein überraschend selbstbewusst-sachliches Schreiben an ihren Verleger Siegfried Unseld), Zeichnungen, Seltsamkeiten aus der Wohnung wird gerade, zum 100. Geburtstag, im Wiener Literaturhaus ausgestellt, schafft dort tatsächlich einen magischen Raum, eine Wunderkammer, die Mayröckers chaotisch oszillierenden Geist beschwört. Der Dokumentarfilm von Tartarotti 1 Häufchen Blume 1 Häufchen Schuh läuft auch und zeigt, dass manchmal Poesie sogar im Fernsehen passierte. Es riecht nach altem, geölten Holz dort, im Museum, die Dielen knarren, die präsentierten Fotos und Manuskripte sind größtenteils uralt, verknittert und vergilbt, und doch erzählen sie von heute, in toller, unmittelbarer Schönheit. Denn Mayröckers Dichtung ist natürlich ewig. Die wilde Energie ihrer Sprache trifft Hirn und Herz. Schmerzt. Und lässt uns jubeln.
„die Gestirne das Gras die Blume den Himmel“
Friederike Mayröcker jedenfalls steht jetzt auf und geht langsam in die Küche. Ihre Füße tun weh. Sie würde gern einen Kaffee mit etwas Sahne trinken. Aber die Maschine ist kaputt.
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„ich denke in langsamen Blitzen“. Friederike Mayröcker. Jahrhundertdichterin
Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek Wien, Johannesgasse 6, bis 16. Februar 2025
Über die österreichische Dichterin und eine Ausstellung zu ihren Ehren 2024 in Wien>
2021 verstarb die weltbedeutende österreichische Lyrikerin Friederike Mayröcker. Mit Wien bzw. München war Mayröcker sehr verbunden: 2012 eröffnete ihre filmische „Gruszbotschaft“ das 1. Schamrock-Festival der Dichterinnen in München; auf Anregung von ihr gibt es seit 2014 auch regelmäßig einen Schamrock Festival-Tag in Wien. Friederike Mayröckers Wiener Wohnung ist nun ein Aufenthaltsort für Schreibende geworden und ihre Heimatstadt ehrt sie im Winter 2024/25 mit einer Ausstellung im Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek. Darüber und wie er Friederike Mayröcker bei einem ihrer Aufenthalte in München erlebte, schreibt der Autor und Journalist Armin Kratzert.
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Flecken und Risse sind da an der Wand, feuchte Stellen womöglich, Rußspuren, gelbe Schatten hinter gestapelten Körben und Kartons, und Friederike Mayröcker dazwischen, sie grinst, in einem sehr schönen Dokumentarfilm aus 1990 von Carmen Tartarotti und Bodo Hell, und behauptet, dass sie jedes Jahr wieder beschließe, endlich diese Wohnung zu renovieren, bis ihr aber einfällt, dass sie dann ja hier alles komplett ausräumen müsste. Also wird die Sache verschoben. Es gibt schließlich wichtigeres zu tun. Und zu notieren.
Die Frage etwa, ob da draußen wirklich eine Welt ist, jetzt, in diesem Moment, ob sie morgen noch existiert, wenn es sie denn gibt, oder ob es sie wenigstens irgendwann einmal gegeben hat, ist längst nicht gültig beantwortet, könnte Friederike Mayröcker voller Empörung auf einen abgerissenen kleinen Zettel schreiben, der vor ihr liegt, auf dem Tisch, zwischen Büchern und Zeitungen und Stiften und seltsamen Artefakten.
Und genau so war es vielleicht auch einmal, stelle ich mir vor, vor langer Zeit, in dieser berühmten Mayröckerschen Wohnung, dieser mit Zeug bis zur Decke vollgestopften Höhle, in dem hellblauen Haus in der Zentagasse 16, und es war natürlich nicht mehr als ein flüchtiger Anfang.
Ein bisschen später denkt Mayröcker aber vielleicht, dass ihr das eigentlich ziemlich egal sein kann, was dort draußen, in der berühmten Stadt Wien, eventuell zu finden wäre. Es ist für die Gestaltung dessen, was wir unser Leben nennen, gar nicht wesentlich: „da ich morgens und moosgrün. Ans Fenster trete“.
Vor vielen Jahren einmal war ich mit Friederike Mayröcker verabredet, an einem Sommerabend, in einem Münchner Hotel, zum Interview, und als sie auftauchte, erklärte sie mir, dass sie zuerst dringend etwas essen gehen müsse. Sie verschwand, um die Ecke, zum berühmten Platzl, und während ich auf sie wartete, eine Stunde oder zwei, dachte ich, wie es wäre, wenn sie jetzt tatsächlich allein im Hofbräuhaus sitzen würde, in Lärm und Wildheit und Bierdunst, im großen Taumel, und welche dramatischen Folgen das möglicherweise für ihr Schreiben haben könnte: Einen prall-rustikalen Gesellschaftsroman statt überwirklicher Gedichte?
Das Interview gab es dann eben ein bisschen später, ich hockte ihr gegenüber in dem plüschigen Hotelzimmer, und fragte sie, wie sie es schaffe, jederzeit die banalsten Dinge des Alltags zum Leuchten zu bringen, ein Treppenhaus, Badezimmersachen oder Staubflusen in Poesie zu verwandeln, und sie antwortete, ganz langsam, suchend, zögernd, dass sie eben keine Geschichten erzählen wolle, dass es in ihren Gedichten immer nur und erst einmal um die Sprache gehe, dass aber auch die Erotik in ihren Büchern eine große Rolle spiele, sagte sie, die Liebe zu Menschen, zu den Vorübergehenden, und dass sie nachts in Wörtern träume, dass sie ihnen, den Wörtern, den Sätzen, schließlich die Freiheit gebe, eine Figur zu werden, sich zu erheben.
Und sie fuhr fort, all das sei nur möglich, weil sie so viel allein sei. Und gern allein. Ohne zu sprechen. Nur zum Schauen. Und dann eben sofort schreiben müsse, um nicht zu ersticken am Gesehenen.
„sei du bei mir in meiner Sprache Tollheit du hast / die Blumenkränzchen mir ins Haar gedrückt da ich 1 / Kind“
Denn wir können nur jedes Mal ganz bei uns selbst anfangen, weiß Mayröcker. Mit dem Leben, mit dem Schreiben. Umkreis: Ein Meter, fürs erste. Der abgegriffene Messingknopf an der Schublade, die tote Fliege, der Herz-König aus dem Schafkopf-Spiel, der eingerissene Fingernagel, die Müdigkeit hinter den Augen, die Angst vor dem Tod.
Das ist alles. Mehr haben wir nicht. Damit müssen wir arbeiten. Es ist immer da. Ein Universum. Nichts als das ist unsere so genannte Zukunft.
Und Zukunft hieß für Friederike Mayröcker bekanntlich immer nur und ausschließlich: Sprache.
„was brauchst du einen Baum ein Haus zu / ermessen wie grosz wie klein das Leben als Mensch“
Die Welt beginnt ja erst zu existieren, wenn wir Wörter für sie haben, und wenn wir etwas verändern wollen, wenn wir uns selbst verändern wollen, dann brauchen wir natürlich neue Wörter. Schönere Wörter. Ganz fremde Wörter. Wilde, erfundene, unerhörte Wörter. Wörter, die es noch gar nicht gibt Die müssen notiert, falsch aufgeschrieben, durchgestrichen, verbessert, gelernt, gesagt werden. Laut und leise. Und wiederholt. Immer wieder. Bis sie stimmen.
An der Klingel in der Wiener Zentagasse steht jetzt immer noch ihr Name. Die Wohnung ist nach Mayröckers Tod im Juni 2021 von der Österreichischen Nationalbibliothek übernommen, ihr einzigartiger Inhalt ausgeräumt, eingelagert, archiviert worden, und die Behausung selbst renoviert, fein hergerichtet, um ab dem nächsten Jahr temporär Stipendiaten zu beherbergen, junge Dichterinnen, die schreibend dort die Inspiration von Mayröckers Domizil einsaugen wollen.
Und vieles von den Büchern, Zetteln, Fundstücken, Briefen (darunter ein überraschend selbstbewusst-sachliches Schreiben an ihren Verleger Siegfried Unseld), Zeichnungen, Seltsamkeiten aus der Wohnung wird gerade, zum 100. Geburtstag, im Wiener Literaturhaus ausgestellt, schafft dort tatsächlich einen magischen Raum, eine Wunderkammer, die Mayröckers chaotisch oszillierenden Geist beschwört. Der Dokumentarfilm von Tartarotti 1 Häufchen Blume 1 Häufchen Schuh läuft auch und zeigt, dass manchmal Poesie sogar im Fernsehen passierte. Es riecht nach altem, geölten Holz dort, im Museum, die Dielen knarren, die präsentierten Fotos und Manuskripte sind größtenteils uralt, verknittert und vergilbt, und doch erzählen sie von heute, in toller, unmittelbarer Schönheit. Denn Mayröckers Dichtung ist natürlich ewig. Die wilde Energie ihrer Sprache trifft Hirn und Herz. Schmerzt. Und lässt uns jubeln.
„die Gestirne das Gras die Blume den Himmel“
Friederike Mayröcker jedenfalls steht jetzt auf und geht langsam in die Küche. Ihre Füße tun weh. Sie würde gern einen Kaffee mit etwas Sahne trinken. Aber die Maschine ist kaputt.
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„ich denke in langsamen Blitzen“. Friederike Mayröcker. Jahrhundertdichterin
Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek Wien, Johannesgasse 6, bis 16. Februar 2025