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23.10.2024, 08:00 Uhr
Redaktion
Die KI und wir

Kreatives Schreiben mit ChatGPT. Ein Gespräch mit dem Autor Lucas Fassnacht

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(c) echtEMF Verlag

Zur Reihe: Über kaum eine technologische Errungenschaft wird so viel geredet und gestritten wie über KI, die Künstliche Intelligenz in Form von ChatGPT und anderen, sich immer rasanter entwickelnden Tools. Ihre einschneidenden Auswirkungen auf unsere Gesellschaft werden sowohl als innovativ und arbeitsentlastend begrüßt als auch in ihren sozialen und arbeitsmarktgefährdenden Aspekten kritisch hinterfragt. Welche Konsequenzen haben diese Entwicklungen für die Kunst- und Literaturschaffenden in Bayern? Inwiefern wirkt sich KI auf ihre Arbeits- und Lebensbedingungen aus? Welche Erkenntnisse lassen sich gewinnen? In der Reihe „Die KI und wir“ widmet sich das Literaturportal diesem brisanten, aktuellen Thema in Form von Gesprächen, Berichten und Rezensionen.   

Das folgende Gespräch, in Form eines schriftlichen Interviews, führte Andrea Heuser mit Lucas Fassnacht. Der Nürnberger Autor hat jüngst einen Ratgeber für kreatives, KI-gestütztes Schreiben publiziert: Die träumende KI. Kreatives Schreiben mit ChatGPT. Erschienen ist der Ratgeber im echtEMF Verlag (Igling 2024). 

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LITERATURPORTAL BAYERN: Lieber Lucas, in deinem Ratgeber widmest Du Dich den innovativ-produktiven Aspekten der KI und betrachtest ChatGPT als ein sinnvolles arbeitsentlastendes Tool, als ein Werkzeug des kreativen Schreibens. Welche Funktion kommt der KI hierbei Deiner Ansicht nach sinnvollerweise zu: ist sie Ghostwriter, Ideenlieferant, Sparring Partner bei der Themenfindung? Und, umgekehrt, was leistet sie nicht? Was sollte sie uns nicht abnehmen? 

LUCAS FASSNACHT: Eigentlich trifft alles Genannte zu, finde ich. Was sie nicht kann, ist uns die Entscheidung abzunehmen, welche Geschichte es wert ist, erzählt zu werden. Deswegen kann KI ein famoser Ghostwriter sein, aber nie mehr als das. Autorschaft heißt, etwas verursacht, etwas verantwortet zu haben. Um Verantwortung übernehmen zu können, braucht es Willen und Selbstbewusstsein, und das ist beides auf absehbare Zeit dem Menschen vorbehalten.

LPB: Das klingt hoffnungsvoll... Inzwischen bist du neben deinem Autorendasein auch ein versierter Leiter von kreativen Schreibwerkstätten. Wie aber sahen deine Anfänge aus? Hast du selbst damals von Schreibkursen profitiert oder wie hast du dein Schreiben und deinen Stil ausgebildet? Und inwiefern hat dabei die KI eine Rolle gespielt?

FASSNACHT: Schreibkurse habe ich selbst keine besucht, aber viele Ratgeber gelesen. Ehrlicherweise bin ich ganz froh, dass ich meine ersten Schreiberfahrungen machen durfte, bevor die KI so präsent geworden ist. Inzwischen habe ich eine recht genaue Vorstellung davon, wie meine Texte klingen sollen, weswegen ich die Vorschläge der KI als hilfreich erachte – da ich mir zutraue, diese Vorschläge danach bewerten zu können, inwieweit sie meiner eigenen Sprache entsprechen. Aber vermutlich wäre es mir deutlich schwerer gefallen, meinen Stil zu entwickeln, wenn die fehlerfreien, glatten, grauenvoll unanstößigen Formulierungen der KI von Anfang an nur einen Klick von meinen eigenen Gedanken entfernt gewesen wären.

LPB: Zur Einzigartigkeit oder vielmehr, zur Menschlichkeit der Perspektive: Nicht das gewählte Thema an sich ist originell, sondern der jeweilige Blick des Schreibenden auf das Thema, das stellst du klar heraus. Wer aber schaut hier eigentlich? Durch meine Eingaben, meine „prompts“ lasse ich nicht die KI am Ende mir als Farbblinden zeigen wie die Farbe „rot“ aussieht? Werden wir von Sprachkünstlern zu Prompt-Künstlern?

FASSNACHT: Sicherlich verschiebt sich die Art, wie wir künstlerisch tätig sind. Aber ich sehe das mehr als Bereicherung denn als Bedrohung. KI nimmt uns die Fleißarbeit ab, nicht die künstlerische Entscheidung. KI gibt nur wieder, wie andere Leute die Farbe rot erlebt haben. Welche Schlüsse ich daraus ziehe, ist das, was schlussendlich die Kraft erhalten kann, ein Publikum zu inspirieren. 

LPB: Du sagst, die menschliche Grundkonstante sei, dass sich Menschen immer anderen Menschen mitteilen wollen. Wie aber unterscheide ich, jenseits von Live-Lesungen, als Lesender, ob sich da ein Mensch mir mitteilt oder eine KI?

FASSNACHT: Wenn es nur um Berieselung geht, ist es mir vielleicht gar nicht wichtig, dass ein Mensch den Content entworfen hat. Aber Kunst trägt für mich immer auch den Aspekt eines Austauschs in sich, der über Grundbedürfnisse des Lebens hinaus reicht. Wenn ich mich mit Kunst auseinandersetze, vertraue ich darauf, dass sie absichtlich geschaffen wurde, dass die Entscheidungen eines Menschen hinter ihr stehen. Und wenn mein Vertrauen enttäuscht wird, werde ich mich einem anderen Kunstwerk zuwenden – und ich werde genauer hinterfragen, wer es geschaffen hat.

LPB: Beim Einsatz und bei der Funktion von KI in kreativen Prozessen muss ich manchmal an den Menschen als den ursprüngliche Ideen- und Impulsgeber denken, der die Arbeit dann seiner Schöpfung überlässt – Klingt das nicht letztlich wie der „ferne Schöpfer“, der sich immer mehr aus der Welt zurückzieht und dadurch immer irrelevanter wird? Mit anderen Worten: warum überlassen wir das Feld gerade in den Dingen, die wir, anders als Arbeit und die Steuererklärung, gerne tun, einer künstlichen Intelligenz? Schaffen wir uns nicht nach und nach selbst ab? Vor allem, wenn die KI uns auch schon das Träumen abnehmen kann?

FASSNACHT: Ich bin kein großer Fan von KI, überhaupt nicht. Aber die großen Gefahren sehe ich in ihrer Fähigkeit, manipulative Alltagstexte zu erzeugen. Genauso, wie ich Kunst erleben will, die von Menschen gemacht wurde, will ich selbst als Mensch künstlerisch tätig sein. Wir wollen selbst schreiben, musizieren, malen etc., obwohl uns klar ist, dass alles schon mal da war – und vermutlich handwerklich besser. Wie eine Soundkünstlerin, die Beats im Synthesizer erzeugt und dann ihre eigenen Töne darüber legt, werden wir computergenerierte Texte als Basis für unsere eigenen Geschichten nutzen.

LPB: Walter Benjamin schrieb vor über hundert Jahren einen bahnbrechenden Aufsatz: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Gerade in Hinblick auf die jüngste Entwicklung, in Bezug auf KI erscheint er mir wieder hoch aktuell und relevant. Insbesondere seine Unterscheidung von der „Kopie“ und der „Aura“ des Kunstwerks. Was geschieht mit der Aura heutzutage?

Du kommst in Deinem Ratgeber auf die Zeichnung des vierjährigen Neffen zu sprechen, die uns immer stärker berühren wird als jede von der KI generierte Kinderzeichnung es könnte. Dies setzt aber die Unterscheidbarkeit und ein gewisses Kontext-Wissen voraus: ich bin gerührt, weil ich eine Authentizität-Garantie habe, wenn mir mein Neffe ein selbstgemachtes Bild überreicht. Wenn dieser Eins-zu-Eins-Prozess aber wegfällt, könnte ich auch einer KI-Kopie eines Kinderbildes aufsitzen und die Aura ist weg? 

FASSNACHT: Es muss ja eben mein Neffe sein, der das Bild gemalt hat. Wer würde jemals das Bild eines beliebigen Vierjährigen aufhängen? Die Aura entsteht erst durch den persönlichen Kontakt.

LPB: Das würde also bedeuten, dass wir in Bezug auf die KI tatsächlich in einem post-auratischen Zeitalter leben... 

Nun arbeitest Du die gewinnbringenden und zeitsparenden Aspekte im Umgang mit ChatGPT in Deinem Ratgeber sehr schön heraus, so dass man im Grunde sofort Lust bekommt, selbst auch einmal spielerisch loszulegen und sich bei Struktur und Themenfindung helfen und anregen zu lassen. Kannst Du unserer Leserschaft ein konkretes, kurzes Beispiel nennen, wo Dir ChatGPT bei einem konkreten Punkt in deinem Schreibprojekt weitergeholfen hat? 

FASSNACHT: Tatsächlich nutze ich ChatGPT primär zur Erstellung von Alltagstexten. Die Ideen zu meinen literarischen Projekten kommen glücklicherweise von selbst – und ich kann mir auch gar nicht vorstellen, dass ich einmal das Bedürfnis verspüre, eine Geschichte zu schreiben, zu der mir die Idee noch fehlt. Strukturelle und stilistische Fragen löse ich am liebsten mit meiner Agentin oder Lektorin. Mein Ratgeber wendet sich vor allem an Menschen, die noch am Anfang ihres Schreibens stehen und nicht den Luxus einer professionellen Beratung haben.

LPB: Ja, das ist auf jeden Fall ein ganz wichtiger Punkt in Sinne der eigenen Fortbildung. Jetzt ist Die träumende KI ja ein Ratgeber für die Verwendung der KI als Tool. Dennoch verschweigst du auch nicht die negativen Aspekte, vor allem sozioökologischer Art. Was würdest du unter dem Strich, jenseits deiner Eigenschaft als Schreibcoach-Ratgeber, für eine Bilanz ziehen: überwiegen die positiven oder die negativen Aspekte von KI? 

FASSNACHT: Ich glaube, dass der technologische Fortschritt die Welt an den Rand eines Abgrunds gedrängt hat, über den keine Brücke führt – es sei denn, der technologische Fortschritt baut sie. Aber wer entscheidet, ob eine Bücke gebaut wird oder nicht? Wir Menschen.

Auch wenn ich keine Sorge habe, dass Menschen je aufhören werden, künstlerisch tätig zu sein, sehe ich ein gegenteiliges Problem: Es wird mehr Content produziert als jemals zuvor – allerdings ohne die Ambition nachhaltiger Bedeutung- Je schneller und schriller alles wird, desto schwerer haben es Inhalte, die zum Innehalten einladen; die mehrdeutig sind, die neue Pfade betreten. Die Fragen stellen, statt Antworten zu liefern. Und dass einfache Antworten in einer komplexen Welt gleichermaßen verführerisch sind wie fatal, ist kaum von der Hand zu weisen. 

LPB: Zum Schluss: wie lautet deine wichtigste Botschaft an all die Autorinnen und Autoren, die jetzt gerade ihr erstes Buch anfangen oder für ein neues um einen Zugang ringen?

FASSNACHT: Es gibt eine berühmte These von Simon Sinek, dass das Warum wichtiger ist als das Wie und dass das Wie wichtiger ist als das Was. Mach es anders herum. Du musst dich nicht rechtfertigen, warum du schreibst, und auch nicht dafür, welche Form du wählst. Stell dir nur eine Frage: Was will ich sagen? Und dann sag es.