„Heimische Tierarten und Grausamkeiten“. Von Philip Krömer
Philip Krömer, geboren 1988 in Amberg, ist Schriftsteller und Kurator von literarischen Veranstaltungen und lebt in Erlangen. 2020 wurde ihm der Kulturpreis der Stadt Nürnberg zugesprochen, 2023 erhielt er das Aufenthaltsstipendium des Adalbert-Stifter-Vereins in Oberplan/Horní Planá.
Mit dem folgenden Text beteiligt sich Philip Krömer an „Neustart Freie Szene – Literatur“, einem Projekt des Literaturportals Bayern zur Unterstützung der Freien Szene in Bayern. Alle bisherigen Beiträge finden Sie HIER.
*
Siehe! das raue Tier des Feldes, gerne
Dient und trauet es dir …
F. HÖLDERLIN
I – Schaukasten. 2020 und 14. Jahrhundert
Im Lockdown sind die Tage lang. Am Dorf sind dazu die Wiesen weit, da wirken die Ausgangsbeschränkungen auf viele unnötig. Und wer will die Bürger hier für einen Quarantänebruch rügen? Der Polizist mag sich nachher zum Kartenspielen wieder mit an den Tisch setzen, sobald der Gasthof öffnen darf. Ist er heute zu streng, wird man ihn später meiden. Und die Kinder müssen doch an die frische Luft! Wozu sonst blieb man der Großstadt fern? Und wer bestimmt überhaupt, wo der Garten endet und die freie Natur beginnt, wenn keine Zäune eingezogen sind?
Bei Schneiders schellt die Klingel. Darf er zum Spielen rauskommen? Die Verordnung verbietets, aber Frau Schneider meint, ihr Bub solle den Kontakt zu seinen Freunden nicht verlieren. Das Netz ist ohnehin überlastet, im Fernunterricht geht seit Stunden nichts mehr. Zieh die Stiefel an und iss mir keine Beeren, die du nicht kennst.
Nun sind sie vollzählig. Der Starke und der Feige, die Vorlaute und allen voran natürlich ihre Anführerin.
Meister Hans ist der königlich bestellte Scharfrichter. Sein Handwerk hat er vom Vater gelernt. Wie der von seinem Vater. Er versteht sich aufs Töten und aufs Foltern. Bei polizeilichen Ermittlungen wird er hinzugezogen, um dem Delinquenten das Geständnis abzupressen. Damit ihm dabei keiner stirbt, hat er auch eine medizinische Ausbildung genossen. Ein Protokollant notiert Ablauf und genaue Zeitpunkte. Verurteilte Straftäter bringt er im Richthof oder auf einem Podest am Marktplatz zu Tode. Vorher spricht der Pfarrer ein Gebet.
Heute spielen sie Entdecker und Naturforscher, die Wiese am Teich und der Ufermorast sollen ihr unverzeichnetes Territorium sein. Sie folgen einer Ameisenstraße bis zum unterirdischen Bau. Ein Tritt mit dem Gummistiefel, dann wimmelts. Zwischen den Erdklumpen liegen die bleichen Insekteneier. Irgendwo muss auch die Königin sein. Die Kinder drücken Gräser beiseite, damit ein Sonnenstrahl bis auf den Boden fällt. Der Feige hat sich vom Großvater eine Leselupe geliehen. Doch der durchs Brennglas verstärkte Sonnenstrahl ist zu schwach und versengt die Tierchen nicht, es riecht lediglich streng. Sie ziehen weiter.
Die Art der Hinrichtung liegt nicht im Ermessen des Scharfrichters, sondern wird vom Gericht verhängt. Delinquenten hohen Standes trennt Meister Hans mit dem Richtschwert den Kopf vom Rumpf. Dies dient der Bestrafung. Verurteilte aus dem einfachen Volk jedoch werden vor Zuschauern zu deren Abschreckung in einer längeren Prozedur gerichtet, etwa durch das Verbrennen an einer aufgestellten Leiter. Die meisten hierzu Verurteilten verlieren im Qualm das Bewusstsein, noch bevor die Flammen sie erreichen. Meister Hans nimmt auch Blendungen vor. Er hält dem Gefolterten einen glühenden Stahlstift direkt vor das aufgesperrte Auge. So bleibt der Augapfel unbeschädigt, während die Sehfähigkeit erlischt.
Ein Frosch springt nicht schnell genug zurück in den Teich. Wäre statt der Kinder ein Storch herangestakst, wäre er bereits verschlungen. Die Vorlaute hat im Fernsehen einen alten Spielfilm gesehen, sie schildert, was zu tun ist. Der Starke hält das Tier fest. Vorsichtig drückt die Anführerin der fixierten Amphibie einen Strohhalm in die Kloake und der Starke pustet hinein. Der Bauch des Froschs bläht sich auf, platzt jedoch nicht unter dem Druck, wie es im Film zu sehen war. Er bleibt weiß und weich. Enttäuscht lassen die Kinder den Frosch frei. Er klatscht ins Wasser und rudert in die Teichmitte. Vielleicht, dass der Starke fester hätte blasen müssen? Sie beobachten, wie das Tier sich mit kräftigen Tritten durchs Wasser schiebt.
Sieht das Gericht eine besondere Schwere der Schuld, ist auch das Rädern eine häufig verhängte Strafe. Hierbei zertrümmert Meister Hans dem Straftäter mit einem Knüppel die Knochen in Armen und Beinen, um den Körper mit seinen biegsam gewordenen Extremitäten in die Speichen eines Wagenrads zu flechten. Auf ein Zeichen des Königs hin schlägt Meister Hans dem Hinzurichtenden den Knüppel auf Hals oder Schädel, um sein Leiden abzukürzen. Von einem fahrenden Händler wurde Meister Hans zugetragen, dass Kollegen in anderen Königreichen pfählten. Der Verurteilte würde entkleidet auf einen angespitzten und eingefetteten Holzpflock gerammt, bis die Schwerkraft die Spitze vom Rektum hinauf in den Brustkorb gedrückt habe oder diese sogar in Halsnähe wieder durch die Haut austrete. Meister Hans bezweifelt, dass dies physikalisch möglich ist. Von derart unchristlichen Sitten hält er sich fern.
Ihr Weg führt die jungen Forscher in die Nähe eines Geflügelhofs. Eine zutrauliche Katze schleicht ihnen um die Hosenbeine. Dem Versuch der Anführerin, das Tier auf den Arm zu nehmen, entzieht es sich durch eine plötzliche Ausweichbewegung. Danach bleibt es auf Abstand.
Meister Hans wird von seinen Mitmenschen gemieden. Er hat ein geregeltes Einkommen, der König stellt sein Salär. Persönlich sind sie sich noch nie begegnet.
Das Forscherinteresse der Kinder ist beinahe erschöpft. Von außen sieht der Geflügelhof aus wie ein langgestreckter Lagerkomplex. Man hört keinen Hahnenschrei, kein Gegacker dringt heraus. Als die Gruppe sich dem Gebäude bis auf wenige Meter genähert hat, schwingt eine Seitentür auf. Nun hört man es doch, ein Scharren und Krächzen. Aus der Tür tritt ein Mann in kniehohen Stiefeln und Arbeitshandschuhen, er entdeckt sie sofort. Die Kinder halten sich auf einem fremden Grundstück auf. Die Warnschilder haben sie ignoriert. Der Mann schiebt eine Sackkarre vor sich her, auf der sich mehrere Kartons stapeln.
Der Feige versucht sich hinter dem Starken zu verbergen, die Vorlaute verstummt, die Anführerin schaut zu Boden. Der Mann baut sich vor ihnen auf. Er lächelt. Na, Schule schon aus? – Fernunterricht, antwortet die Anführerin leise, wir sind Forscher. – Soso. Der Mann winkt die Kinder heran. Seid’s neugierig?, fragt er. – Schon, sagen die Kinder. – In den Stall dürft’s nicht rein. Aber er öffnet den obersten Karton und lässt sie hineinblicken. Hunderte gelber Hühnerküken fallen darin übereinander. Viele haben noch feuchtes Gefieder und nackte Hälse, sie sind eben erst geschlüpft. – Legehühner, erklärt der Mann, aber die sind über. Für die reicht der Platz nicht. Und essen kann man sie auch nicht. Die frisst nicht mal der Fuchs, die schmecken nur dem Schredder.
II – Das lustige Fuchsprellen. Um 1700
Der Hofstaat ist sämtlich auf den Beinen, die Gäste werden gleich speisen. Das Herzogspaar hat geladen, man feiert die Vermählung der Tochter mit einem fernen Cousin, der jedoch nicht anreisen wird, da in seinen Besitztümern die Pest wütet. Brieflich hat man sich darauf verständigt, die Hochzeit an zwei Standorten getrennt zu vollziehen, bis der Aufenthalt im Schloss des Bräutigams wieder sicher sei.
Man will sich vergnügen. Dazu hat der Oberjägermeister schon vor Wochen alle Förster und Wildmeister des Herzogtums angewiesen, in dessen Wäldern die Füchse nicht mehr totzuschießen, sondern zusammenzutreiben und in Netzen zu fangen, um sie lebendig bei Hof abzuliefern. Dort sperrt man sie in einen Zwinger und hält sie in Futter. Auch ein paar Dachse und Hasen stehen bereit und dazu, das aber geschieht heimlich, mehrere Bachen. Die bringt man in einem Gatter im Ziegenstall unter, wo die Damen des Hofes sie nicht zu sehen bekommen.
Am Festtag werden die Tiere einzeln in grobe Holzkisten gesteckt, welche mit einem Handgriff entriegelt werden können.
Sobald der Traugottesdienst beendet und das Festmahl eingenommen ist, erhebt sich der Brautvater von der Tafel. Während man getafelt habe, so verkündet er, habe die Dienerschaft auf dem Vorplatz etwas vorbereitet. Man möge ihn dorthin begleiten, den Zeremonienmeister gibt er heute selbst. Man sieht ihm die Vorfreude an. Er nimmt seine Tochter, die Braut, am Arm und geleitet sie vors Portal. Die Gäste folgen in einem langen Zug hinterdrein. Die Tafel ist aufgehoben.
Der Vorplatz des herzoglichen Anwesens wird beidseitig vom Gesindehaus und den Stallungen gesäumt. In den Aussparungen zwischen den Gebäuden und an der offenen Seite des Platzes wurden Pfosten in den Boden getrieben, über die man eine Stoffbahn gespannt hat wie zu einem flatternden Zaun, um das Gelände bis auf Hüfthöhe vollständig abzuriegeln. Der gepflasterte Boden ist mit einer hohen Sandschicht bedeckt worden. Über dem Sand hat man weitere Stoffbahnen entrollt. Einige Gäste stolpern bereits in ihren Schnallenschuhen über den Sandplatz. Der Herzog kann sich das Lachen kaum verkneifen. Der Herzogin ist unwohl, sie leidet am Magen und hat sich zur besseren Commodité in ein Gemach im ersten Stock des Anwesens zurückgezogen. Am Fenster beobachtet sie die Vorgänge unten.
Ist der Vorplatz des Herzogssitzes nicht wie eben genannt angelegt, sondern zu mehreren Seiten hin offen, bietet sich stattdessen der Jägerhof an, der mit den Zwingern für die Jagdhunde und dem Zeughaus meist einen durch eine Mauer befestigten Hof ergibt, welcher darum nicht mehr künstlich verschlossen werden muss.
Sobald die Cavaliers und Dames nun in ihren farbenfrohen Kleidern und ihrem teuren Putz am Rand des Platzes Aufstellung genommen haben, und zwar wechselweise ein Cavalier und eine Dame, sodass jede Dame ihren Cavalier sich gegenüber habe, kann das lustige Fuchsprellen beginnen. Paarweise eilen die Gäste zu den Säumen der liegenden Stoffbahnen, der sogenannten Prelltücher, und ergreifen sie. Der Stoff bleibt weiterhin glatt am Boden liegen, damit die listigen Füchse nicht darunter kriechen können. Die übrigen Gäste warten, bis sie an der Reihe sind.
Auf den Befehl der hohen Herrschaft werden sodann von den Gesellen des Oberjägermeisters einige Kästen geöffnet, die mit den Füchsen und Hasen zuerst, woraufhin die verängstigten Tiere zwischen den Gästen hin und her über den Platz schießen, auf der Suche nach einem Ausweg, den es nicht gibt. Und passiert also ein Tier eine Stoffbahn, versuchen der Cavalier und seine Dame zugleich, an ihrem jeweiligen Saum des Tuchs zu ziehen und es zu straffen, um mit vielfältigem Prellen die Füchse und Hasen nach mancherlei wunderlichen Figuren in die Luft zu schicken. Die Zuschauer delektieren sich an den vielfältigen Luftsprüngen und Kapriolen der Füchse und Hasen sowie dem Umfallen und Stolpern der Cavaliers und Dames, denen die wilden Tiere zwischen die Beine fahren. Ein Geschrei und Gelächter, dazu das Pfeifen der Hasen und das Keifen der Füchse.
Der auf dem Platz ausgebrachte Sand nun dient dazu, die Kurzweil zu verlängern und die Voltigiersprünge der Füchse und Hasen desto vigoröser, lebhafter und vor allem öfter zu ermöglichen. Denn ohne die abfedernde Wirkung der Unterlage würden die armen Tierchen sich beim Herunterfallen den Kopf auf den Steinen zerschlagen oder ihr Rückgrat oder sich die Läufe zerbrechen.
Letztlich muss sich ein jedes Tier doch so arg verletzen, dass an weitere Sprünge nicht zu denken ist. Bleibt es liegen, eilt ein bereitstehender Gehilfe hinzu und erlöst es mit seinem Knüppel von seinem Leiden.
Soll das Prellen zu Ende gehen, so lässt man auch die Bachen aus den versteckten Kästen. Bei Ebern wäre mit Angriffen auf die Zuschauer zu rechnen, sie sind darum nicht für das Spiel geeignet. Die Cavaliers und Dames, welche die Lustbarkeit für beendet hielten, werden nun von der grunzenden Schar aufgescheucht. Bei den Dames machen die Wildschweine unter den Reifröcken einen solchen Rumor, es lässt sich kaum beschreiben. Unter den Gästen verursachen sie eine ziemliche Konfusion und großes Gelächter. Am lautesten lacht der Herzog. Er hat es sich nicht nehmen lassen, die letzten Kästen selbst zu öffnen.
Die Herzogin beobachtet ihn von ihrer erhöhten Position aus, wie er die Sauen losschickt. Oft ist ihr sein Verhalten zuwider, aber an Tagen wie diesen ist sie froh, mit ihm verheiratet worden zu sein. Sie hofft, die Pest sei bald ausgestanden und ihre Tochter erlebe mit ihrem Bräutigam ähnliche Glücksmomente. Mit Netzen fangen die Jäger die Schweine wieder ein oder scheuchen sie unter der angehobenen Absperrung hinaus, wo sie im nahen Wald verschwinden.
Auch ein Tanzbär gehört zum Festprogramm, obwohl der Oberförster anmerkte, dass der über den Lauten der geprellten Tiere die Beherrschung verlieren könnte. Doch der fahrende Schausteller beruhigt, dem Raubtier seien längst die Reißzähne gezogen und die Klauen abgezwickt worden. Außerdem trage es einen Maulkorb, es stelle keine Gefahr für die Hofgesellschaft dar.
Der Bär sitzt stoisch neben dem Fuhrwerk des Schaustellers vor den Toren des Anwesens. Damit er nicht entläuft, trägt er eine eiserne Kette um den Hals. Die Cavaliers beweisen ihren Dames, dass sie sich ihm zu nähern wagen. Der Bär zeigt keine Regung. Später wird man ihn an dem durch seine Nasenscheidewand getriebenen Ring auf die Wiese ziehen, wo er zur Musik seines Halters tanzen soll. Der spielt die Flöte, doch das genügt dem Herzog nicht. Er lässt das Spinett aus dem Musikzimmer holen, damit ein junger Graf das Flötenspiel darauf begleiten könne. Nur solle er nicht zu laut spielen und ihn übertönen, bittet der Schausteller, denn der Bär tanze nur zur Flötenmelodie.
Und tatsächlich, der Bär erhebt sich auf die Hinterläufe, schwankt vom einen auf das andere Bein. Er wiederholt die früher einstudierten Bewegungen. Immer wenn die Flöte spielte, zog man ihn auf eine glutheiße Eisenplatte, wo er, sobald er die Hitze an den Tatzen nicht länger ertrug, abwechselnd die Beine hob. Nun kann er nicht anders. Er spürt die Hitze auch ohne die Platte. Um sich nicht zu versengen, tanzt er. Die Zuschauer denken, er tanze zur Musik, im Takt, den er nicht halten könne.
Der Schausteller dirigiert den Bären auch mittels einer Schnur, die an seinem Nasenring befestigt ist, im Kreis. Jede Gegenwehr bedeutet für das Tier unerträgliche Schmerzen, welche die Wut verdrängen. Der König des Waldes wird zum Vortänzer. Einige Cavaliers fordern ihre Dames auf. Der unebene Grund der Wiese bereitet ihnen, die ans Parkett gewöhnt sind, Schwierigkeiten. Viele von ihnen haben nie einen lebenden Bären gesehen. Sie sind begeistert. Sie achten darauf, nicht über Grasbüschel zu stolpern. Langsam senkt sich der Abend über die Festgesellschaft. Der Herzog schickt die Dienerschaft, den Wein und die Kelche zu den Gästen nach draußen zu bringen. Der Bär wird noch eine Weile tanzen.
III – Schredder. Wie zuvor
Der Mann greift in die geöffnete Kiste hinein und hebt ein Küken heraus. Dessen Kopf ruckt umher, ohne dass seine Augen die anwesenden Menschen fixierten. Er reicht der Anführerin das Tier. – Da schauts, wenns euch um es kümmerts, wirds groß und stark. Das Mädchen blickt mit großen Augen auf den winzigen Vogel. Sie hält ihn in den zur Schale geformten Händen. Als er sich ihr entgegenreckt, lässt sie ihn beinahe fallen. Der Mann muss lachen. – Wollts lieber noch ein zweites? Der Starke, der Feige und die Vorlaute sehen auf ihre Anführerin. Die trägt das Tier wie das rohe Ei, aus dem es vor Kurzem geschlüpft sein muss. Die Federn sind so weich. Der Mann ist zufrieden. Wenn das nicht besser ist als jeder Schulunterricht. So lernen sie Behutsamkeit und Verantwortung. – Aber sagts es nicht dem Bauern, die gehören ja nicht mir. Das Mädchen nickt.
Du sollst nicht töten, predigt der Priester. Beim Gottesdienst haben Meister Hans und seine Maria eine ganze Bank für sich. Niemand will neben ihnen knien. Kinder werfen ihnen scheue Blicke zu. Seine Frau ist als junge Witwe bereits zum zweiten Mal verheiratet. Aus ihrer ersten Ehe brachte sie keinen Nachwuchs mit, und auch die Kinder von Meister Hans kommen alle tot zur Welt. Vielleicht, so denkt der Meister, ist es nicht mein Verlust, keinen Sohn in meinem Handwerk unterweisen zu müssen und ohne Erbe die Welt zu verlassen. Vielleicht findet sich keiner mehr wie ich.
* Einige Passagen zum Fuchsprellen werden zitiert nach Hans Friedrich von Flemings Der Vollkommene Teutsche Jäger. Zweiter Band, erschienen 1724 in Leipzig.
„Heimische Tierarten und Grausamkeiten“. Von Philip Krömer>
Philip Krömer, geboren 1988 in Amberg, ist Schriftsteller und Kurator von literarischen Veranstaltungen und lebt in Erlangen. 2020 wurde ihm der Kulturpreis der Stadt Nürnberg zugesprochen, 2023 erhielt er das Aufenthaltsstipendium des Adalbert-Stifter-Vereins in Oberplan/Horní Planá.
Mit dem folgenden Text beteiligt sich Philip Krömer an „Neustart Freie Szene – Literatur“, einem Projekt des Literaturportals Bayern zur Unterstützung der Freien Szene in Bayern. Alle bisherigen Beiträge finden Sie HIER.
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Siehe! das raue Tier des Feldes, gerne
Dient und trauet es dir …
F. HÖLDERLIN
I – Schaukasten. 2020 und 14. Jahrhundert
Im Lockdown sind die Tage lang. Am Dorf sind dazu die Wiesen weit, da wirken die Ausgangsbeschränkungen auf viele unnötig. Und wer will die Bürger hier für einen Quarantänebruch rügen? Der Polizist mag sich nachher zum Kartenspielen wieder mit an den Tisch setzen, sobald der Gasthof öffnen darf. Ist er heute zu streng, wird man ihn später meiden. Und die Kinder müssen doch an die frische Luft! Wozu sonst blieb man der Großstadt fern? Und wer bestimmt überhaupt, wo der Garten endet und die freie Natur beginnt, wenn keine Zäune eingezogen sind?
Bei Schneiders schellt die Klingel. Darf er zum Spielen rauskommen? Die Verordnung verbietets, aber Frau Schneider meint, ihr Bub solle den Kontakt zu seinen Freunden nicht verlieren. Das Netz ist ohnehin überlastet, im Fernunterricht geht seit Stunden nichts mehr. Zieh die Stiefel an und iss mir keine Beeren, die du nicht kennst.
Nun sind sie vollzählig. Der Starke und der Feige, die Vorlaute und allen voran natürlich ihre Anführerin.
Meister Hans ist der königlich bestellte Scharfrichter. Sein Handwerk hat er vom Vater gelernt. Wie der von seinem Vater. Er versteht sich aufs Töten und aufs Foltern. Bei polizeilichen Ermittlungen wird er hinzugezogen, um dem Delinquenten das Geständnis abzupressen. Damit ihm dabei keiner stirbt, hat er auch eine medizinische Ausbildung genossen. Ein Protokollant notiert Ablauf und genaue Zeitpunkte. Verurteilte Straftäter bringt er im Richthof oder auf einem Podest am Marktplatz zu Tode. Vorher spricht der Pfarrer ein Gebet.
Heute spielen sie Entdecker und Naturforscher, die Wiese am Teich und der Ufermorast sollen ihr unverzeichnetes Territorium sein. Sie folgen einer Ameisenstraße bis zum unterirdischen Bau. Ein Tritt mit dem Gummistiefel, dann wimmelts. Zwischen den Erdklumpen liegen die bleichen Insekteneier. Irgendwo muss auch die Königin sein. Die Kinder drücken Gräser beiseite, damit ein Sonnenstrahl bis auf den Boden fällt. Der Feige hat sich vom Großvater eine Leselupe geliehen. Doch der durchs Brennglas verstärkte Sonnenstrahl ist zu schwach und versengt die Tierchen nicht, es riecht lediglich streng. Sie ziehen weiter.
Die Art der Hinrichtung liegt nicht im Ermessen des Scharfrichters, sondern wird vom Gericht verhängt. Delinquenten hohen Standes trennt Meister Hans mit dem Richtschwert den Kopf vom Rumpf. Dies dient der Bestrafung. Verurteilte aus dem einfachen Volk jedoch werden vor Zuschauern zu deren Abschreckung in einer längeren Prozedur gerichtet, etwa durch das Verbrennen an einer aufgestellten Leiter. Die meisten hierzu Verurteilten verlieren im Qualm das Bewusstsein, noch bevor die Flammen sie erreichen. Meister Hans nimmt auch Blendungen vor. Er hält dem Gefolterten einen glühenden Stahlstift direkt vor das aufgesperrte Auge. So bleibt der Augapfel unbeschädigt, während die Sehfähigkeit erlischt.
Ein Frosch springt nicht schnell genug zurück in den Teich. Wäre statt der Kinder ein Storch herangestakst, wäre er bereits verschlungen. Die Vorlaute hat im Fernsehen einen alten Spielfilm gesehen, sie schildert, was zu tun ist. Der Starke hält das Tier fest. Vorsichtig drückt die Anführerin der fixierten Amphibie einen Strohhalm in die Kloake und der Starke pustet hinein. Der Bauch des Froschs bläht sich auf, platzt jedoch nicht unter dem Druck, wie es im Film zu sehen war. Er bleibt weiß und weich. Enttäuscht lassen die Kinder den Frosch frei. Er klatscht ins Wasser und rudert in die Teichmitte. Vielleicht, dass der Starke fester hätte blasen müssen? Sie beobachten, wie das Tier sich mit kräftigen Tritten durchs Wasser schiebt.
Sieht das Gericht eine besondere Schwere der Schuld, ist auch das Rädern eine häufig verhängte Strafe. Hierbei zertrümmert Meister Hans dem Straftäter mit einem Knüppel die Knochen in Armen und Beinen, um den Körper mit seinen biegsam gewordenen Extremitäten in die Speichen eines Wagenrads zu flechten. Auf ein Zeichen des Königs hin schlägt Meister Hans dem Hinzurichtenden den Knüppel auf Hals oder Schädel, um sein Leiden abzukürzen. Von einem fahrenden Händler wurde Meister Hans zugetragen, dass Kollegen in anderen Königreichen pfählten. Der Verurteilte würde entkleidet auf einen angespitzten und eingefetteten Holzpflock gerammt, bis die Schwerkraft die Spitze vom Rektum hinauf in den Brustkorb gedrückt habe oder diese sogar in Halsnähe wieder durch die Haut austrete. Meister Hans bezweifelt, dass dies physikalisch möglich ist. Von derart unchristlichen Sitten hält er sich fern.
Ihr Weg führt die jungen Forscher in die Nähe eines Geflügelhofs. Eine zutrauliche Katze schleicht ihnen um die Hosenbeine. Dem Versuch der Anführerin, das Tier auf den Arm zu nehmen, entzieht es sich durch eine plötzliche Ausweichbewegung. Danach bleibt es auf Abstand.
Meister Hans wird von seinen Mitmenschen gemieden. Er hat ein geregeltes Einkommen, der König stellt sein Salär. Persönlich sind sie sich noch nie begegnet.
Das Forscherinteresse der Kinder ist beinahe erschöpft. Von außen sieht der Geflügelhof aus wie ein langgestreckter Lagerkomplex. Man hört keinen Hahnenschrei, kein Gegacker dringt heraus. Als die Gruppe sich dem Gebäude bis auf wenige Meter genähert hat, schwingt eine Seitentür auf. Nun hört man es doch, ein Scharren und Krächzen. Aus der Tür tritt ein Mann in kniehohen Stiefeln und Arbeitshandschuhen, er entdeckt sie sofort. Die Kinder halten sich auf einem fremden Grundstück auf. Die Warnschilder haben sie ignoriert. Der Mann schiebt eine Sackkarre vor sich her, auf der sich mehrere Kartons stapeln.
Der Feige versucht sich hinter dem Starken zu verbergen, die Vorlaute verstummt, die Anführerin schaut zu Boden. Der Mann baut sich vor ihnen auf. Er lächelt. Na, Schule schon aus? – Fernunterricht, antwortet die Anführerin leise, wir sind Forscher. – Soso. Der Mann winkt die Kinder heran. Seid’s neugierig?, fragt er. – Schon, sagen die Kinder. – In den Stall dürft’s nicht rein. Aber er öffnet den obersten Karton und lässt sie hineinblicken. Hunderte gelber Hühnerküken fallen darin übereinander. Viele haben noch feuchtes Gefieder und nackte Hälse, sie sind eben erst geschlüpft. – Legehühner, erklärt der Mann, aber die sind über. Für die reicht der Platz nicht. Und essen kann man sie auch nicht. Die frisst nicht mal der Fuchs, die schmecken nur dem Schredder.
II – Das lustige Fuchsprellen. Um 1700
Der Hofstaat ist sämtlich auf den Beinen, die Gäste werden gleich speisen. Das Herzogspaar hat geladen, man feiert die Vermählung der Tochter mit einem fernen Cousin, der jedoch nicht anreisen wird, da in seinen Besitztümern die Pest wütet. Brieflich hat man sich darauf verständigt, die Hochzeit an zwei Standorten getrennt zu vollziehen, bis der Aufenthalt im Schloss des Bräutigams wieder sicher sei.
Man will sich vergnügen. Dazu hat der Oberjägermeister schon vor Wochen alle Förster und Wildmeister des Herzogtums angewiesen, in dessen Wäldern die Füchse nicht mehr totzuschießen, sondern zusammenzutreiben und in Netzen zu fangen, um sie lebendig bei Hof abzuliefern. Dort sperrt man sie in einen Zwinger und hält sie in Futter. Auch ein paar Dachse und Hasen stehen bereit und dazu, das aber geschieht heimlich, mehrere Bachen. Die bringt man in einem Gatter im Ziegenstall unter, wo die Damen des Hofes sie nicht zu sehen bekommen.
Am Festtag werden die Tiere einzeln in grobe Holzkisten gesteckt, welche mit einem Handgriff entriegelt werden können.
Sobald der Traugottesdienst beendet und das Festmahl eingenommen ist, erhebt sich der Brautvater von der Tafel. Während man getafelt habe, so verkündet er, habe die Dienerschaft auf dem Vorplatz etwas vorbereitet. Man möge ihn dorthin begleiten, den Zeremonienmeister gibt er heute selbst. Man sieht ihm die Vorfreude an. Er nimmt seine Tochter, die Braut, am Arm und geleitet sie vors Portal. Die Gäste folgen in einem langen Zug hinterdrein. Die Tafel ist aufgehoben.
Der Vorplatz des herzoglichen Anwesens wird beidseitig vom Gesindehaus und den Stallungen gesäumt. In den Aussparungen zwischen den Gebäuden und an der offenen Seite des Platzes wurden Pfosten in den Boden getrieben, über die man eine Stoffbahn gespannt hat wie zu einem flatternden Zaun, um das Gelände bis auf Hüfthöhe vollständig abzuriegeln. Der gepflasterte Boden ist mit einer hohen Sandschicht bedeckt worden. Über dem Sand hat man weitere Stoffbahnen entrollt. Einige Gäste stolpern bereits in ihren Schnallenschuhen über den Sandplatz. Der Herzog kann sich das Lachen kaum verkneifen. Der Herzogin ist unwohl, sie leidet am Magen und hat sich zur besseren Commodité in ein Gemach im ersten Stock des Anwesens zurückgezogen. Am Fenster beobachtet sie die Vorgänge unten.
Ist der Vorplatz des Herzogssitzes nicht wie eben genannt angelegt, sondern zu mehreren Seiten hin offen, bietet sich stattdessen der Jägerhof an, der mit den Zwingern für die Jagdhunde und dem Zeughaus meist einen durch eine Mauer befestigten Hof ergibt, welcher darum nicht mehr künstlich verschlossen werden muss.
Sobald die Cavaliers und Dames nun in ihren farbenfrohen Kleidern und ihrem teuren Putz am Rand des Platzes Aufstellung genommen haben, und zwar wechselweise ein Cavalier und eine Dame, sodass jede Dame ihren Cavalier sich gegenüber habe, kann das lustige Fuchsprellen beginnen. Paarweise eilen die Gäste zu den Säumen der liegenden Stoffbahnen, der sogenannten Prelltücher, und ergreifen sie. Der Stoff bleibt weiterhin glatt am Boden liegen, damit die listigen Füchse nicht darunter kriechen können. Die übrigen Gäste warten, bis sie an der Reihe sind.
Auf den Befehl der hohen Herrschaft werden sodann von den Gesellen des Oberjägermeisters einige Kästen geöffnet, die mit den Füchsen und Hasen zuerst, woraufhin die verängstigten Tiere zwischen den Gästen hin und her über den Platz schießen, auf der Suche nach einem Ausweg, den es nicht gibt. Und passiert also ein Tier eine Stoffbahn, versuchen der Cavalier und seine Dame zugleich, an ihrem jeweiligen Saum des Tuchs zu ziehen und es zu straffen, um mit vielfältigem Prellen die Füchse und Hasen nach mancherlei wunderlichen Figuren in die Luft zu schicken. Die Zuschauer delektieren sich an den vielfältigen Luftsprüngen und Kapriolen der Füchse und Hasen sowie dem Umfallen und Stolpern der Cavaliers und Dames, denen die wilden Tiere zwischen die Beine fahren. Ein Geschrei und Gelächter, dazu das Pfeifen der Hasen und das Keifen der Füchse.
Der auf dem Platz ausgebrachte Sand nun dient dazu, die Kurzweil zu verlängern und die Voltigiersprünge der Füchse und Hasen desto vigoröser, lebhafter und vor allem öfter zu ermöglichen. Denn ohne die abfedernde Wirkung der Unterlage würden die armen Tierchen sich beim Herunterfallen den Kopf auf den Steinen zerschlagen oder ihr Rückgrat oder sich die Läufe zerbrechen.
Letztlich muss sich ein jedes Tier doch so arg verletzen, dass an weitere Sprünge nicht zu denken ist. Bleibt es liegen, eilt ein bereitstehender Gehilfe hinzu und erlöst es mit seinem Knüppel von seinem Leiden.
Soll das Prellen zu Ende gehen, so lässt man auch die Bachen aus den versteckten Kästen. Bei Ebern wäre mit Angriffen auf die Zuschauer zu rechnen, sie sind darum nicht für das Spiel geeignet. Die Cavaliers und Dames, welche die Lustbarkeit für beendet hielten, werden nun von der grunzenden Schar aufgescheucht. Bei den Dames machen die Wildschweine unter den Reifröcken einen solchen Rumor, es lässt sich kaum beschreiben. Unter den Gästen verursachen sie eine ziemliche Konfusion und großes Gelächter. Am lautesten lacht der Herzog. Er hat es sich nicht nehmen lassen, die letzten Kästen selbst zu öffnen.
Die Herzogin beobachtet ihn von ihrer erhöhten Position aus, wie er die Sauen losschickt. Oft ist ihr sein Verhalten zuwider, aber an Tagen wie diesen ist sie froh, mit ihm verheiratet worden zu sein. Sie hofft, die Pest sei bald ausgestanden und ihre Tochter erlebe mit ihrem Bräutigam ähnliche Glücksmomente. Mit Netzen fangen die Jäger die Schweine wieder ein oder scheuchen sie unter der angehobenen Absperrung hinaus, wo sie im nahen Wald verschwinden.
Auch ein Tanzbär gehört zum Festprogramm, obwohl der Oberförster anmerkte, dass der über den Lauten der geprellten Tiere die Beherrschung verlieren könnte. Doch der fahrende Schausteller beruhigt, dem Raubtier seien längst die Reißzähne gezogen und die Klauen abgezwickt worden. Außerdem trage es einen Maulkorb, es stelle keine Gefahr für die Hofgesellschaft dar.
Der Bär sitzt stoisch neben dem Fuhrwerk des Schaustellers vor den Toren des Anwesens. Damit er nicht entläuft, trägt er eine eiserne Kette um den Hals. Die Cavaliers beweisen ihren Dames, dass sie sich ihm zu nähern wagen. Der Bär zeigt keine Regung. Später wird man ihn an dem durch seine Nasenscheidewand getriebenen Ring auf die Wiese ziehen, wo er zur Musik seines Halters tanzen soll. Der spielt die Flöte, doch das genügt dem Herzog nicht. Er lässt das Spinett aus dem Musikzimmer holen, damit ein junger Graf das Flötenspiel darauf begleiten könne. Nur solle er nicht zu laut spielen und ihn übertönen, bittet der Schausteller, denn der Bär tanze nur zur Flötenmelodie.
Und tatsächlich, der Bär erhebt sich auf die Hinterläufe, schwankt vom einen auf das andere Bein. Er wiederholt die früher einstudierten Bewegungen. Immer wenn die Flöte spielte, zog man ihn auf eine glutheiße Eisenplatte, wo er, sobald er die Hitze an den Tatzen nicht länger ertrug, abwechselnd die Beine hob. Nun kann er nicht anders. Er spürt die Hitze auch ohne die Platte. Um sich nicht zu versengen, tanzt er. Die Zuschauer denken, er tanze zur Musik, im Takt, den er nicht halten könne.
Der Schausteller dirigiert den Bären auch mittels einer Schnur, die an seinem Nasenring befestigt ist, im Kreis. Jede Gegenwehr bedeutet für das Tier unerträgliche Schmerzen, welche die Wut verdrängen. Der König des Waldes wird zum Vortänzer. Einige Cavaliers fordern ihre Dames auf. Der unebene Grund der Wiese bereitet ihnen, die ans Parkett gewöhnt sind, Schwierigkeiten. Viele von ihnen haben nie einen lebenden Bären gesehen. Sie sind begeistert. Sie achten darauf, nicht über Grasbüschel zu stolpern. Langsam senkt sich der Abend über die Festgesellschaft. Der Herzog schickt die Dienerschaft, den Wein und die Kelche zu den Gästen nach draußen zu bringen. Der Bär wird noch eine Weile tanzen.
III – Schredder. Wie zuvor
Der Mann greift in die geöffnete Kiste hinein und hebt ein Küken heraus. Dessen Kopf ruckt umher, ohne dass seine Augen die anwesenden Menschen fixierten. Er reicht der Anführerin das Tier. – Da schauts, wenns euch um es kümmerts, wirds groß und stark. Das Mädchen blickt mit großen Augen auf den winzigen Vogel. Sie hält ihn in den zur Schale geformten Händen. Als er sich ihr entgegenreckt, lässt sie ihn beinahe fallen. Der Mann muss lachen. – Wollts lieber noch ein zweites? Der Starke, der Feige und die Vorlaute sehen auf ihre Anführerin. Die trägt das Tier wie das rohe Ei, aus dem es vor Kurzem geschlüpft sein muss. Die Federn sind so weich. Der Mann ist zufrieden. Wenn das nicht besser ist als jeder Schulunterricht. So lernen sie Behutsamkeit und Verantwortung. – Aber sagts es nicht dem Bauern, die gehören ja nicht mir. Das Mädchen nickt.
Du sollst nicht töten, predigt der Priester. Beim Gottesdienst haben Meister Hans und seine Maria eine ganze Bank für sich. Niemand will neben ihnen knien. Kinder werfen ihnen scheue Blicke zu. Seine Frau ist als junge Witwe bereits zum zweiten Mal verheiratet. Aus ihrer ersten Ehe brachte sie keinen Nachwuchs mit, und auch die Kinder von Meister Hans kommen alle tot zur Welt. Vielleicht, so denkt der Meister, ist es nicht mein Verlust, keinen Sohn in meinem Handwerk unterweisen zu müssen und ohne Erbe die Welt zu verlassen. Vielleicht findet sich keiner mehr wie ich.
* Einige Passagen zum Fuchsprellen werden zitiert nach Hans Friedrich von Flemings Der Vollkommene Teutsche Jäger. Zweiter Band, erschienen 1724 in Leipzig.