Logen-Blog [204]: Wer ist dann die Eselin?
Merksatz:
Belletristen können nur solchen Leuten ihr Herz verschenken, die mit ihnen Ähnlichkeit des Herzens, Geistes und folglich des Geschmackes haben und die mithin die Schönheiten ihrer Dichtungen so lebhaft empfinden als sie selber.
Stimmt diese Sentenz, dieser Aphorismus, diese Theorie? Zumindest werden Belletristen diejenigen anziehen, die ihre Werke, ihre Schreib-Art mögen – ob die Liebe gegenseitig ist, und ob der Schriftsteller nicht auch die lieben kann, die eine andere Ästhetik schätzen, bleibt die Frage. Sie geht, scheint mir, weit über rein Literarisches hinaus – denn ist es nicht so, dass der alte Spruch Sag mir was Du liest, und ich sag Dir, wer Du bist von tiefer Wahrheit ist? Und dass sich in diesem Fall nicht Gegensätze anziehen, sondern Gleich und Gleich gern gesellen? Dass aber Ausnahmen die (gesellschaftlichen, literarischen, soziologischen, amourösen) Regeln bestimmen? Und dass die Sentenz so lange wahr ist, wie wir an die Gesetze der Soziologie glauben, die unabweisbar sind, wenn wir von statistischen Studien ausgehen, die nicht hundert oder tausend, sondern Zehntausende von Individuen über längere Zeiträume untersuchen?
Diese handwerkliche Grundregel verdankt man Menschen, mit denen einen so viel verbindet, während andererseits so viel von ihnen trennt. Es wäre interessant, auch hier eine statistische Studie anzusetzen – aber nicht alles, was vital ist, muss der Statistik zum Opfer gebracht werden. Ein bisschen Desillusion muss schließlich sein. Dies gilt für die Literatur wie für sogenannte „persönliche Beziehungen“, aber auch die Literatur ist eine persönliche, ja, eine intime Beziehung. Jean Pauls Sentenz beweist es ja.
Die Liebe und das Buch – das ist wirklich ein sehr weites Feld, wie ein Dichter mal geschrieben hat (den der Blogger einfach lieben muss). Jean Paul verdankt diese Weisheit übrigens wiederum dem geliebten Rousseau, also der Heloise. Der Blogger nimmt sich vor, irgendwann einmal diesen Roman zu lesen, aber wann soll er das tun? Wenn er im Schneckentempo über die Seiten schleimt? Auf denen er Perlen wie Folgende entdeckt:
Er wünschte meinen Gustav zum künftigen Erben des ottomanischen Throns auszubilden, ihm aber kein Wort davon zu sagen, dass er Großherr würde – weder im Roman noch im Leben; – er wollte alle Wirkungen seines pädagogischen Lenkseils niederschreiben und übertragen aus dem lebendigen Gustav in den abgedruckten. Aber da setzte sich dem Bileam und seiner Eselin ein verdammter Engel entgegen; Gustav nämlich.
1836 malte der Leipziger Maler Gustav Jäger, der auch an der Ausmalung der Fresken im Königsbau der Münchner Residenz beteiligt war und im Herderzimmer im Weimarer Schloss seine Spuren hinterließ, diese Ansicht von Bileam, seiner Eselin und dem Engel. Zu finden war sie einst beim Düsseldorfer Auktionshaus.
Bileam und die Eselin – die Geschichte ist nicht zu verwechseln mit jener von Buridans Esel. Günter de Bruyn, der große Jean-Paul-Biograph, hat 1963 seinen Roman Buridans Esel verfasst, dessen Geschichte hier nicht gemeint ist, sondern diese aus dem 4. Buch Mose: Die Eselin des Bileam stoppt da vor dem Engel, der den Bileam daran hindert, weiter zu reiten, nachdem dieser den Auftrag erhalten hat, die Israeliten zu verfluchen. Dann beginnt der HErr aus der Eselin zu sprechen. Wenn Gustav nun der Engel ist, müsste Bileam mit Oefel identisch sein, der den Gustav in seine Geschichte hineinschreiben will – aber wer ist dann die Eselin? Vermutlich der literarisch abgemalte Gustav, der erwähnte Großsultan. Wenn aber der Abgemalte und das Gemalte derart ähnlich sind, passt das Bild mit der Eselin und dem Engel nicht mehr – es sei denn, wir nähmen an, dass der Engel aus der Eselin spricht (was nicht der Fall ist).
Es ist dies eine jener verunglückten Stellen, deren Metaphorik sehr schief sitzt – aber trotzdem muss man dem Autor sein Herz schenken, wenn man schon einmal so weit gekommen ist mit seiner Eselin.
Logen-Blog [204]: Wer ist dann die Eselin?>
Merksatz:
Belletristen können nur solchen Leuten ihr Herz verschenken, die mit ihnen Ähnlichkeit des Herzens, Geistes und folglich des Geschmackes haben und die mithin die Schönheiten ihrer Dichtungen so lebhaft empfinden als sie selber.
Stimmt diese Sentenz, dieser Aphorismus, diese Theorie? Zumindest werden Belletristen diejenigen anziehen, die ihre Werke, ihre Schreib-Art mögen – ob die Liebe gegenseitig ist, und ob der Schriftsteller nicht auch die lieben kann, die eine andere Ästhetik schätzen, bleibt die Frage. Sie geht, scheint mir, weit über rein Literarisches hinaus – denn ist es nicht so, dass der alte Spruch Sag mir was Du liest, und ich sag Dir, wer Du bist von tiefer Wahrheit ist? Und dass sich in diesem Fall nicht Gegensätze anziehen, sondern Gleich und Gleich gern gesellen? Dass aber Ausnahmen die (gesellschaftlichen, literarischen, soziologischen, amourösen) Regeln bestimmen? Und dass die Sentenz so lange wahr ist, wie wir an die Gesetze der Soziologie glauben, die unabweisbar sind, wenn wir von statistischen Studien ausgehen, die nicht hundert oder tausend, sondern Zehntausende von Individuen über längere Zeiträume untersuchen?
Diese handwerkliche Grundregel verdankt man Menschen, mit denen einen so viel verbindet, während andererseits so viel von ihnen trennt. Es wäre interessant, auch hier eine statistische Studie anzusetzen – aber nicht alles, was vital ist, muss der Statistik zum Opfer gebracht werden. Ein bisschen Desillusion muss schließlich sein. Dies gilt für die Literatur wie für sogenannte „persönliche Beziehungen“, aber auch die Literatur ist eine persönliche, ja, eine intime Beziehung. Jean Pauls Sentenz beweist es ja.
Die Liebe und das Buch – das ist wirklich ein sehr weites Feld, wie ein Dichter mal geschrieben hat (den der Blogger einfach lieben muss). Jean Paul verdankt diese Weisheit übrigens wiederum dem geliebten Rousseau, also der Heloise. Der Blogger nimmt sich vor, irgendwann einmal diesen Roman zu lesen, aber wann soll er das tun? Wenn er im Schneckentempo über die Seiten schleimt? Auf denen er Perlen wie Folgende entdeckt:
Er wünschte meinen Gustav zum künftigen Erben des ottomanischen Throns auszubilden, ihm aber kein Wort davon zu sagen, dass er Großherr würde – weder im Roman noch im Leben; – er wollte alle Wirkungen seines pädagogischen Lenkseils niederschreiben und übertragen aus dem lebendigen Gustav in den abgedruckten. Aber da setzte sich dem Bileam und seiner Eselin ein verdammter Engel entgegen; Gustav nämlich.
1836 malte der Leipziger Maler Gustav Jäger, der auch an der Ausmalung der Fresken im Königsbau der Münchner Residenz beteiligt war und im Herderzimmer im Weimarer Schloss seine Spuren hinterließ, diese Ansicht von Bileam, seiner Eselin und dem Engel. Zu finden war sie einst beim Düsseldorfer Auktionshaus.
Bileam und die Eselin – die Geschichte ist nicht zu verwechseln mit jener von Buridans Esel. Günter de Bruyn, der große Jean-Paul-Biograph, hat 1963 seinen Roman Buridans Esel verfasst, dessen Geschichte hier nicht gemeint ist, sondern diese aus dem 4. Buch Mose: Die Eselin des Bileam stoppt da vor dem Engel, der den Bileam daran hindert, weiter zu reiten, nachdem dieser den Auftrag erhalten hat, die Israeliten zu verfluchen. Dann beginnt der HErr aus der Eselin zu sprechen. Wenn Gustav nun der Engel ist, müsste Bileam mit Oefel identisch sein, der den Gustav in seine Geschichte hineinschreiben will – aber wer ist dann die Eselin? Vermutlich der literarisch abgemalte Gustav, der erwähnte Großsultan. Wenn aber der Abgemalte und das Gemalte derart ähnlich sind, passt das Bild mit der Eselin und dem Engel nicht mehr – es sei denn, wir nähmen an, dass der Engel aus der Eselin spricht (was nicht der Fall ist).
Es ist dies eine jener verunglückten Stellen, deren Metaphorik sehr schief sitzt – aber trotzdem muss man dem Autor sein Herz schenken, wenn man schon einmal so weit gekommen ist mit seiner Eselin.