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26.09.2024, 12:24 Uhr
Anna Job
Aufs Jahr geschaut

Herbstgemütlichkeit

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Alle Bilder (c) Anna Job

Zur Reihe: In Aufs Jahr geschaut widmet sich jeweils eine Autorin oder ein Autor des Literaturportals Bayern auf literarisch-künstlerische Weise einer Jahreszeit und gewinnt dieser im Format eines monatlichen Beitrags poetische, politische, alltagssensibel-lyrische oder bildhafte Reflektionen ab, welche die Leserschaft einmal ganz anders „aufs Jahr schauen“ lässt. In den Monaten Juli, August und September „blickt“ für uns auf den Sommer, so wie sie ihn sieht, die Autorin Anna Job

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Auf meinem Bauchnabel brennt ein Feuer. Im flachen Wasser des Mittelmeers liege ich, während aufgeschichtet wird. Meine kleinere Tochter sammelt Stöckchen und drapiert sie auf mir. „Feuerholz‟, sagt sie und sofort denke ich wohlig: „Herbstgemütlichkeit‟. Am ersten Tag des Sommerurlaubs, von wannenwarmen Wellen umspült, freue ich mich also auf Herbstgemütlichkeit. Wolldecke, Tee und Kaminfeuer. Der Termin, an dem mein Mann wirklich Feuerholz holt, steht schon fest: der 14.9. Aber noch warten Taucherbrille, Espresso und Zelt.

Urlaub. Es ist eigentlich lustig, oder falsch, dass man Familienurlaub noch Urlaub nennt. Familienerfahrung wäre treffender, denn mit Urlaub, also mit Erholung, hat Familienurlaub nichts zu tun. Oder ich mache alles falsch. Es ist durchaus schön, aber eben eine schöne Erfahrung. Kein Urlaub.

Es gibt einen Mikro-Haushalt, der Streitpotenzial birgt. Es gibt Bedürfnisse von vier verschiedenen Menschen die in unbekannter Umgebung befriedigt werden w/sollen.

Wann geht man zum Strand? Die Kinder wollen sofort. Spontan teilen wir uns auf. Wir drei Frühaufsteher gehen direkt los und Papa kann ausschlafen. Wir verzichten auf den gemeinsamen ausgiebigen Kaffee vorm Zelt, jeder wird unterwegs einen Espresso an der Bar trinken, so wie man es hier eh macht. Aber mit Handtuch und Wasserpulle gewappnet fällt auf: Papa war als Eincremer der Kinder eingeteilt. Einer der nervigsten Aufgaben, weil beide Kinder eincremen hassen.

Diesmal fühlten wir uns eigentlich cool, weil wir gleich Aufgaben festgelegt haben: Er Kochen, ich Abspülen, bevor man erst drüber redet, wenn einer schon sauer ist. Wie bei: Ich dann doch Müllwegbringen, weil er viel mehr aufräumt. Ich nehme die Kinder öfter, weil ich mich nicht an der Reise-Vorbereitung beteiligt habe, ich frage mich, ob Fahren mehr zählt als Beifahren, denn zwei Kinder wollen auf einer Fahrt viel. Wer darf am Strand länger die Augen zumachen, wer im Tiefen länger schnorcheln? Fragen, die man nicht stellen möchte wegen der Liebe, aber die sich selbst aufdrängen, wenn bei jedem die me-time chronisch zu kurz ist. Und dann Aufgaben, die neu dazu kommen. Wo ist das hin, dieses: Wir gehen mal kurz aufs Klo mit der Kleinen. Seit wann dauert es Ewigkeiten? Dieses Verweigern des Händewaschens, des Abputzens, des Abputzenlassens, das Erkunden von Allem in jeglichen Waschhäusern, Tankstellen- oder Restauranttoiletten, bis das warme Essen kalt ist, wenn man zurückkommt.

„Egal‟, sage ich voller Liebe und Urlaubsbeginn-Naivität „Dann creme ich euch halt schnell ein‟. „Dann bring ich heute ins Bett. Mit Zähneputzen‟, murmelt es aus dem Zelt. „Cool‟, sage ich, und denke: Stimmt. Zähneputzen. Und nehme die Sonnencreme. „Nö, der Papa soll‟, beginnen die Kinder sich ins Konfliktpotenzial reinzuspüren. „Lasst den Papa schlafen, ich mach das schnell‟. Lasst den Papa schlafen, hat noch nie Mitgefühl hervorgerufen. Ich lerne es nicht. „Ich will keine Creme‟, sagt die Große „Lasst uns keine große Sache draus machen‟, sage ich „dann sind wir schnell am Wasser‟, und beginne zu cremen. Aber natürlich ist „schnell‟ ein Tabu-Wort und schon wird geweint. „Ich wollte die Creme selber auf meine Beine machen‟, sagt die Kleine „Das wusste ich ja nicht‟, sage ich und wende mich der Großen zu, weil die Kleine nun selber verstreicht. „Willst du auch selber eincremen?‟, frage ich sie „Nein, du sollst‟, aber es klingt knatschig. Die Kleine sagt: „Ich will nicht eincremen, ich will nur die Creme drauf sprühen.‟ „Achso‟, sage ich.

„Mama, die Creme juckt‟, sagt die Große sich windend und beginnt sich reinzusteigern.

„Mamaaaaa!‟ Die Kleine zeigt mir ihre Hände voller Creme und Dreck vom Boden.

Ich sage: „Pssst, andere Leute schlafen noch‟.

„Ja, andere Leute‟, sagt der Papa und cremt doch mit ein.

Ich liebe das Meer, aber auf dem Weg kommen wir am Pool vorbei. Chlor vs Salz auf der Haut ist ne klare Sache. Und am Pool ist es windig und so hell, dass es blendet, und stressig, weil viel voller. „Mama dürfen wir in den Pool?‟

„Aber wir wollten doch zum Meer.‟

Same discussion as last year, James.

Eine Freundin schickt Fotos von sich im Yoga-Retreat. Ohne Kinder. „Ohne Kinder‟, möchte ich fremden Leuten ins Gesicht schreien, wenn ich sie an den Schultern packe und schüttele. Ich schicke es einer anderen Freundin und wir wollen auch, schließlich müssen wir einem Eltern-Burn-out vorbeugen. Die Anreise soll kurz sein, also schauen wir in Bayern. Die Fotos zeigen Gruppen, die draußen in den Bergen Yoga machen. Schlafen tut man in Hütten. Bei Hütten sind wir bei Herbstgemütlichkeit und eigentlich sogar Wintergemütlichkeit und sagen: wir schauen dann nochmal.  

Der Sandstrand ist ewig flach. So ewig, dass man nachlässig wird und tatsächlich manchmal den Blick schweifen lassen muss, um die Kinder zu suchen. Der Steinstrand ist schnell tief, da weiß ich immer wo die Kinder sind. Doch selbst da sehe ich Eltern die lesen. Auf die Idee, ein Buch mitzunehmen, wäre ich nie gekommen.

Wenn sich die Kinder am Handtuchlager niederlassen, kommt meine Zeit. Ich mache die gleichen Schrauben und Purzelbäume unter Wasser wie mit den Kindern, aber ich mache sie für mich und in Ruhe. Ein schamanisches Ritual habe ich noch nicht gemacht und kenne weder mein Krafttier noch meinen Kraftort, aber ich bin sicher, es ist dieser Steinstrand und ein Tier, das hier lebt. Meine immer überschlagenen Schreibtischbeine genießen das Wasser, und jedes Mal sage ich mir, man kann ja zu Hause öfter ins Schwimmbad gehen, aber das wäre nur ein Tropfen auf mehrmals täglich Salzwasser.

Kinder überschreiten Grenzen. Von Isomatten. Ich schiebe und rolle ihre Glieder aus ihren Ls und Xs zurück in ein I und krieche dazwischen. Er nimmt es meist hin und schläft einfach auf der Decke vorm Zelt. Unter freiem Himmel hat eh was. Nur ein dünnes wehendes Strandtuch auf der Wäscheleine trennt ihn von anderen Campern, auf ihrem Weg zum Waschhaus. Die Wahrnehmung von Nähe und Privatsphäre verschiebt sich. Bereits am ersten Tag. Der Weg zum Klo ist weit. So weit, dass die Kleine am Zeltplatz pieseln darf. Aber ich geh ihn gern und ich liebe die Geckos im Waschhaus.

Die unerwarteten Dinge erwischen mich oft heftig. Wenn ich denke, es ist Feierabend, weil es vermeintlich still ist, weil die Kinder ihr Mittwochs-Kino auch im Urlaub am Handy schauen dürfen, aber sie danach wieder komplett zu toben beginnen, setzt meine, wohl psychisch bedingte Atemnot ein, und ich kann nur noch liegen, und er übernimmt alles. Am nächsten Abend erzähle ich in der Kinderdisco unserer Freundin davon, während die Kleinen zu bunt flackerndem Partylicht den Animateuren nachtanzen und die Papas den Großen ein Eis kaufen. Sie hört kaum zu und sagt: „Vielleicht müssen wir es halt auch mal erfahren‟, und seitdem wir bei der Kinderdisco immer volle Kanne mittanzen, ist alles besser.

Heute ist der 11. September. Zurück in Deutschland, ist es kühl und es regnet und ich schaue nochmal in der Email nach und sehe, dass diese Kolumne morgen abgegeben werden soll. Hmm, ganz schön knapp. Also putze ich erstmal das Bad. Es hat sich nichts verändert. In der Uni war ich sicher, dass sich Prokrastinationsputzen einstellen würde, wenn man den Abschluss hat, wenn man dann ja kann, was man soll, und deshalb nahtlos in der Berufswelt ankommt. Der erste Realitäts-Flash kam, als ich mit 27 noch nicht mit der Uni fertig war, als mir einfiel, wie ich in der Schule dachte, dass man mit 27 richtig erwachsen und voll im Beruf ist. Im Beruf, bei dem man ein Kostüm trägt, in einem Büro mit großer Fensterfront. Ich klappe Deckel und Klobrille hoch. Der Zweite Realitäts-Flash kam auf Linked.in: wie wenig so ein Studiengang mit einem Beruf zu tun hat.

Im Keller suche ich eine neue WC-Ente und finde ein Igeljunges. Bist du durch die Katzenklappe reingekommen? Ich bin froh, dass es keine Ratte ist. Ein Tier fangen zu müssen, würde mich jetzt so stressen. Aber einen Igel muss man nicht fangen. Er kugelt sich ein und ich nehme ihn mit zwei Waschlappen-Handschuhen und er ist süß, wie er aus dem Schuhkarton zurück in den Garten tapst. Hoffentlich findest du deine Mama.

Ich drücke den Bauch der Ente, sie spuckt unter den Rand und ich beginne zu schrubben. Ist es eine Frage von Alter oder von Skill? Dieses Ankommen, dieses erwachsene „Dinge tun‟, weil sie zu tun sind und weil man sie kann. Und wann ist man als Schreibende überhaupt in der Berufswelt angekommen? Wenn ich veröffentliche? Wenn ich Geld bekomme? Wenn ich gute Verse auch an einem schlechten Tag schreiben kann?

Ich wische die Klobrille von unten und denke an Rilke. An seinen Malte. Einmal lag ich, bereits „erwachsen‟, in meinem Kinderzimmer und las, wie Malte aufzählte, was man um eines guten Verses Willen alles gemacht haben sollte, und ungefragt erstellte sich die Checkliste in meinem Kopf.

„Man muss viele Städte gesehen haben.‟ – Check.

„Menschen, Dinge, man muss die Tiere kennen.‟ Der rote Kater springt in die Badewanne und ich lasse ihm etwas Wasser ein, weil ich weiß, dass er trinken will.

„Man muss zurückdenken können an unerwartete Begegnungen und an Abschiede‟. Ob der Igel seine Mama gefunden hat?

„An Kindheitstage, die noch unaufgeklärt sind, an die Eltern, die man kränken musste, wenn sie einem eine Freude brachten und man begriff sie nicht‟. Diese Porzellanpuppe zu Weihnachten 89.

„An Morgen am Meer, an das Meer überhaupt, an Meere, an Reisenächte, die hoch dahinrauschten‟. Oder durch Zeltwände schrien.

„An Schreie von Kreißenden und an leichte, weiße, schlafende Wöchnerinnen, die sich schließen.‟ Ich finde Wöchnerinnen sind zwar um das Baby leichter, aber wie sie mit den riesigen Einlagen durch die Krankenhausflure watscheln, und nicht schlafen können vor Liebe zu jedem Härchen ihres Riesenbrüste suchenden Babys, wirken sie eher schwer.

„Aber auch bei Sterbenden muss man gewesen sein, muss bei Toten gesessen haben in der Stube mit dem offenen Fenster und den stoßweisen Geräuschen.‟ Und dem Geräusch der Beatmungsmaschine. Und der Angst davor, wenn es dann meine Eltern sind.

Ich wische die herablaufenden Rinnsale unterm Klo auf. Der schwarze Kater springt auf den sauberen Klodeckel. Sein Fell ist nass und seine Pfotenabdrücke braun. Braun von Matsch, von Kompost und von Lehm und ich erkenne Hühnermist und eine tote Kellerassel an seiner Ferse und sein Schwanz ist voller Samen einer Pflanze. Ich spüre die Streben des Hamsterrads, sie sind aus Plastik sind aus Anfang und Ende aus Leben und Sterben aus Sex und Scheiße sind aus Kitsch. Der schwarze Kater kotzt und frisst so viel, dass ich mich frage, ob er bulimisch ist. Die Tierärztin sagt: chronische Gastritis.

Als die größere Tochter, bevor sie sprechen konnte, eine Dose Sauerkraut auf den Klodeckel stellte. Ich nannte diese Installation: Die Abkürzung.

DHL klingelt zweimal und bringt erst eine neue Schnittschutzhose und am Tag drauf eine neue Motorsäge. Morgen ist der Feuerholztag. Herbstgemütlichkeit. Er schreibt „Meine Erkältung wird schlimmer, muss Wald morgen absagen.‟ Ich setze Teewasser auf und richte den Kindern Kuchen an.

 

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Anna Job schreibt gerne über Mütter. Wasser. Kompost. Und an Bäume. Bisschen lyrisch. Als freie Autorin. Germanistin. Halbe Informatikerin. Und bisschen Texterin. Sie lebt in München, liebt einen Mann, zwei Kinder und zwei Kater. Und vier Hühner …