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18.09.2024, 09:45 Uhr
Tania Rupel Tera
Text & Debatte
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(c) privat

Gedichte von Tania Rupel Tera

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(c) Tania Rupel Tera

Mit ihrem Gedichtzyklus Das Zuhause wächst mir im Bauch schafft die in Bulgarien geborene und heute in München lebende Schriftstellerin und Künstlerin Tania Rupel Tera poetische Miniaturen von sinnlicher und emotionaler Leuchtkraft. Ihre originellen, berührenden Sprachbilder, die sich aus der vielschichtig verwobenen Textur eines modernen Alltags, archaischer Urmuster und der Natur schöpfen, regen dazu an, dem ebenso fragilen wie fruchtbaren Wachsen von Identität, Heimat und Zugehörigkeit nachzusinnen.     

 

1. **** 

es riecht

kriecht in die Nase

diese brennende Ahnung

von Flamme

 

sie fliegen zum Himmel

ihnen ist egal, dass sie stinken

sie haben die süßdunkle Freiheit entdeckt

 

ich kann nur staunen

meine letzten Trostbrotscheiben

nicht zu beschreiben!

 

jetzt knabbere ich an einer Kohle

und mache kurze Skizzen der Sättigung

des ewigen Hungers

am Rand des Sagbaren

 

2. ****   

durchgerostet das Licht

bald erblinden die Felder

 

der Maulwurf gräbt schon darin

erzählt uns Geschichten

zum Davonlaufen

 

der Gipfel verliert allmählich

seinen Sinn; allein der Rabe

bleibt unerschrocken

 

im Nest zupft die Geduld

ihre Federn aus; lässt sie wie Räuber

durch die Gegend ziehen

 

als Kinder wussten wir all das

und wieso es passiert

aus den leisen Gesprächen der Alten

 

nun sind wir alt

und niemand hört sich an

was wir schon vergessen haben

 

3. ****    

im Hof zwei Silhouetten

der schwarze Hund kaum zu sehen

nur die Lämpchen an seinem Halsband

 

so fliegt ein kleiner Stern

hin und her zwischen zwei Menschen

ein Blick voller Licht

 

4. ****  

in den Abend hinein

durch den Streifen

Züge mit Asche beladen

Umrisse an der Tür zur

Schädelhalle 

 

die Vorhänge hechelnde

Zungen; ein vergessenes

Motiv platzt rein

Splitter im Fleisch 

 

müde Hunde die Hände

liegen daneben; lecken

das unruhige Ding

bis es rund wird

 

5. ****

unverwundbar die Zeit

liegt in der Sonne / dehnt sich / leckt sich

einmal Katze sein / denkt der Straßenhund / verbissen in seine Flöhe

ich kratze mir das Gedächtnis wund / war es früher wirklich besser?

карамфило фило / карамфило ¹

 

getarnt als Hundejahre / gehen die Minuten vorbei / eine Motte im Spinnennetz

zerfrisst das Strickmuster / die Opas zwinkern der Sonne zu / aus dem Kontext gerissen

fange ich an, zu gleiten / gleich falle ich / breche den Absatz / endlich spüre ich

was mit hier und jetzt gemeint ist / angezogen vom Licht / springt die Zukunft

über ihren Schatten

 

карамфило фило / карамфило / die Katzen bauen ihre Buckelbrücken / kein Pfarrer

kein Paar traut sich jetzt / wieder und wieder markiert mich die Stelle / wo der Zufall

entsteht / aufgewacht / raufen sich zwei Gefühle in mir / während die Großväter zirpen

und mit den Stöcken vor sich zeichnen / allein der Kosmos sieht alles

 

das Zuhause wächst mir im Bauch / индрише u джоджен / Oma erzählt von vorne

wie jemand die zerrissenen Stellen flickt / genau wie sie / sticht sich und lacht / saugt

schnell das Blut / dann verfolgt unablässig / die archaische Notpläne fürs leichtes Sterben

diesmal wird die Ernte gut / jene Zwei kämpfen nicht mehr / der Staub legt sich

träumt von Wolken

 

1. Kарамфилo, филo – ist ein Motiv aus einem Volkslied aus dem Süden Bulgariens. Es ist ein weibliche Name: ins Deutsche würde man es mit Nelke übersetzen. Transkription: ( karamfilo, filo)

2. джоджен и индрише – Namen von Kräutern; Sommer oder Berg-Bohnenkraut; und eine Blume, deren Blätter in Einweggläsern mit Marmelade oder Kompott dazugelegt werden, um die Frische zu erhalten – es heißt vermutlich Pelargonium mit Zitronen oder auch Pfefferminzduft. Transkription: ( jojen, J wie beim Jumbo/ Jeni und co; indrische)

 

6. ****  

wie vergessen steht die Sonne da

Gott hing seinen goldenen Hut

an einen Himmelsnagel

und ging durch seine Wolkentür hinein

manchmal schaust du nach oben

von deinem langen Wartezimmer

so viele Hüte hängen hier rum

verloren tropfen

Kummerschirme, Regenbögen

warum kommt niemand etwas abzuholen?

totschweigt die Zeit

 

7. ****      

Tag des Herrn

diktiert die digitale Stimme

und baut einen dunklen Berg

in der Küche

 

Tag der singenden Sohlen / sagst du

und suchst dich in den Trümmern

zwischen Fronten, ausgelaufenen

Mineralölen und einem vermissten Löwen

 

aus einer Nische des Schlafs

kriechen Schnürsenkel / du riechst Fichten

nasse Erde / auf der alten Platte kocht

die Zeit über

 

wie alte Nutztiere stapfen wir auf der Stelle

und wissen nicht mehr wieso / von gegenüber

knipst uns die Ewigkeit / ein Lichtbild zerrinnt

vor unseren Füßen

 

8. ****      

unverhofft

in der Mitte des Sommers

leuchten unsere Körper

 

wir schwitzen Zärtlichkeit aus

werden himmelblau

die Furcht von den Furchen

tief ins Gewebe

 

Laken lernen Fliegen

auf dem Balkon nippt Stille

an unseren Lippen

 

das Scheppern um uns

wie Walzer von Chopin

ich sehe zu, wie sich Dinge

hinter den Dingen zeigen

 

in der Mitte des Himmels

am Ende des Sommers

unverhofft

 

sind wir aus Wind geschnitzt

unsere Schatten kerben sich

ins Licht