Gedichte von Tania Rupel Tera
Mit ihrem Gedichtzyklus Das Zuhause wächst mir im Bauch schafft die in Bulgarien geborene und heute in München lebende Schriftstellerin und Künstlerin Tania Rupel Tera poetische Miniaturen von sinnlicher und emotionaler Leuchtkraft. Ihre originellen, berührenden Sprachbilder, die sich aus der vielschichtig verwobenen Textur eines modernen Alltags, archaischer Urmuster und der Natur schöpfen, regen dazu an, dem ebenso fragilen wie fruchtbaren Wachsen von Identität, Heimat und Zugehörigkeit nachzusinnen.
1. ****
es riecht
kriecht in die Nase
diese brennende Ahnung
von Flamme
sie fliegen zum Himmel
ihnen ist egal, dass sie stinken
sie haben die süßdunkle Freiheit entdeckt
ich kann nur staunen
meine letzten Trostbrotscheiben
nicht zu beschreiben!
jetzt knabbere ich an einer Kohle
und mache kurze Skizzen der Sättigung
des ewigen Hungers
am Rand des Sagbaren
2. ****
durchgerostet das Licht
bald erblinden die Felder
der Maulwurf gräbt schon darin
erzählt uns Geschichten
zum Davonlaufen
der Gipfel verliert allmählich
seinen Sinn; allein der Rabe
bleibt unerschrocken
im Nest zupft die Geduld
ihre Federn aus; lässt sie wie Räuber
durch die Gegend ziehen
als Kinder wussten wir all das
und wieso es passiert
aus den leisen Gesprächen der Alten
nun sind wir alt
und niemand hört sich an
was wir schon vergessen haben
3. ****
im Hof zwei Silhouetten
der schwarze Hund kaum zu sehen
nur die Lämpchen an seinem Halsband
so fliegt ein kleiner Stern
hin und her zwischen zwei Menschen
ein Blick voller Licht
4. ****
in den Abend hinein
durch den Streifen
Züge mit Asche beladen
Umrisse an der Tür zur
Schädelhalle
die Vorhänge hechelnde
Zungen; ein vergessenes
Motiv platzt rein
Splitter im Fleisch
müde Hunde die Hände
liegen daneben; lecken
das unruhige Ding
bis es rund wird
5. ****
unverwundbar die Zeit
liegt in der Sonne / dehnt sich / leckt sich
einmal Katze sein / denkt der Straßenhund / verbissen in seine Flöhe
ich kratze mir das Gedächtnis wund / war es früher wirklich besser?
карамфило фило / карамфило ¹
getarnt als Hundejahre / gehen die Minuten vorbei / eine Motte im Spinnennetz
zerfrisst das Strickmuster / die Opas zwinkern der Sonne zu / aus dem Kontext gerissen
fange ich an, zu gleiten / gleich falle ich / breche den Absatz / endlich spüre ich
was mit hier und jetzt gemeint ist / angezogen vom Licht / springt die Zukunft
über ihren Schatten
карамфило фило / карамфило / die Katzen bauen ihre Buckelbrücken / kein Pfarrer
kein Paar traut sich jetzt / wieder und wieder markiert mich die Stelle / wo der Zufall
entsteht / aufgewacht / raufen sich zwei Gefühle in mir / während die Großväter zirpen
und mit den Stöcken vor sich zeichnen / allein der Kosmos sieht alles
das Zuhause wächst mir im Bauch / индрише u джоджен / Oma erzählt von vorne
wie jemand die zerrissenen Stellen flickt / genau wie sie / sticht sich und lacht / saugt
schnell das Blut / dann verfolgt unablässig / die archaische Notpläne fürs leichtes Sterben
diesmal wird die Ernte gut / jene Zwei kämpfen nicht mehr / der Staub legt sich
träumt von Wolken
1. Kарамфилo, филo – ist ein Motiv aus einem Volkslied aus dem Süden Bulgariens. Es ist ein weibliche Name: ins Deutsche würde man es mit Nelke übersetzen. Transkription: ( karamfilo, filo)
2. джоджен и индрише – Namen von Kräutern; Sommer oder Berg-Bohnenkraut; und eine Blume, deren Blätter in Einweggläsern mit Marmelade oder Kompott dazugelegt werden, um die Frische zu erhalten – es heißt vermutlich Pelargonium mit Zitronen oder auch Pfefferminzduft. Transkription: ( jojen, J wie beim Jumbo/ Jeni und co; indrische)
6. ****
wie vergessen steht die Sonne da
Gott hing seinen goldenen Hut
an einen Himmelsnagel
und ging durch seine Wolkentür hinein
manchmal schaust du nach oben
von deinem langen Wartezimmer
so viele Hüte hängen hier rum
verloren tropfen
Kummerschirme, Regenbögen
warum kommt niemand etwas abzuholen?
totschweigt die Zeit
7. ****
Tag des Herrn
diktiert die digitale Stimme
und baut einen dunklen Berg
in der Küche
Tag der singenden Sohlen / sagst du
und suchst dich in den Trümmern
zwischen Fronten, ausgelaufenen
Mineralölen und einem vermissten Löwen
aus einer Nische des Schlafs
kriechen Schnürsenkel / du riechst Fichten
nasse Erde / auf der alten Platte kocht
die Zeit über
wie alte Nutztiere stapfen wir auf der Stelle
und wissen nicht mehr wieso / von gegenüber
knipst uns die Ewigkeit / ein Lichtbild zerrinnt
vor unseren Füßen
8. ****
unverhofft
in der Mitte des Sommers
leuchten unsere Körper
wir schwitzen Zärtlichkeit aus
werden himmelblau
die Furcht von den Furchen
tief ins Gewebe
Laken lernen Fliegen
auf dem Balkon nippt Stille
an unseren Lippen
das Scheppern um uns
wie Walzer von Chopin
ich sehe zu, wie sich Dinge
hinter den Dingen zeigen
in der Mitte des Himmels
am Ende des Sommers
unverhofft
sind wir aus Wind geschnitzt
unsere Schatten kerben sich
ins Licht
Gedichte von Tania Rupel Tera>
Mit ihrem Gedichtzyklus Das Zuhause wächst mir im Bauch schafft die in Bulgarien geborene und heute in München lebende Schriftstellerin und Künstlerin Tania Rupel Tera poetische Miniaturen von sinnlicher und emotionaler Leuchtkraft. Ihre originellen, berührenden Sprachbilder, die sich aus der vielschichtig verwobenen Textur eines modernen Alltags, archaischer Urmuster und der Natur schöpfen, regen dazu an, dem ebenso fragilen wie fruchtbaren Wachsen von Identität, Heimat und Zugehörigkeit nachzusinnen.
1. ****
es riecht
kriecht in die Nase
diese brennende Ahnung
von Flamme
sie fliegen zum Himmel
ihnen ist egal, dass sie stinken
sie haben die süßdunkle Freiheit entdeckt
ich kann nur staunen
meine letzten Trostbrotscheiben
nicht zu beschreiben!
jetzt knabbere ich an einer Kohle
und mache kurze Skizzen der Sättigung
des ewigen Hungers
am Rand des Sagbaren
2. ****
durchgerostet das Licht
bald erblinden die Felder
der Maulwurf gräbt schon darin
erzählt uns Geschichten
zum Davonlaufen
der Gipfel verliert allmählich
seinen Sinn; allein der Rabe
bleibt unerschrocken
im Nest zupft die Geduld
ihre Federn aus; lässt sie wie Räuber
durch die Gegend ziehen
als Kinder wussten wir all das
und wieso es passiert
aus den leisen Gesprächen der Alten
nun sind wir alt
und niemand hört sich an
was wir schon vergessen haben
3. ****
im Hof zwei Silhouetten
der schwarze Hund kaum zu sehen
nur die Lämpchen an seinem Halsband
so fliegt ein kleiner Stern
hin und her zwischen zwei Menschen
ein Blick voller Licht
4. ****
in den Abend hinein
durch den Streifen
Züge mit Asche beladen
Umrisse an der Tür zur
Schädelhalle
die Vorhänge hechelnde
Zungen; ein vergessenes
Motiv platzt rein
Splitter im Fleisch
müde Hunde die Hände
liegen daneben; lecken
das unruhige Ding
bis es rund wird
5. ****
unverwundbar die Zeit
liegt in der Sonne / dehnt sich / leckt sich
einmal Katze sein / denkt der Straßenhund / verbissen in seine Flöhe
ich kratze mir das Gedächtnis wund / war es früher wirklich besser?
карамфило фило / карамфило ¹
getarnt als Hundejahre / gehen die Minuten vorbei / eine Motte im Spinnennetz
zerfrisst das Strickmuster / die Opas zwinkern der Sonne zu / aus dem Kontext gerissen
fange ich an, zu gleiten / gleich falle ich / breche den Absatz / endlich spüre ich
was mit hier und jetzt gemeint ist / angezogen vom Licht / springt die Zukunft
über ihren Schatten
карамфило фило / карамфило / die Katzen bauen ihre Buckelbrücken / kein Pfarrer
kein Paar traut sich jetzt / wieder und wieder markiert mich die Stelle / wo der Zufall
entsteht / aufgewacht / raufen sich zwei Gefühle in mir / während die Großväter zirpen
und mit den Stöcken vor sich zeichnen / allein der Kosmos sieht alles
das Zuhause wächst mir im Bauch / индрише u джоджен / Oma erzählt von vorne
wie jemand die zerrissenen Stellen flickt / genau wie sie / sticht sich und lacht / saugt
schnell das Blut / dann verfolgt unablässig / die archaische Notpläne fürs leichtes Sterben
diesmal wird die Ernte gut / jene Zwei kämpfen nicht mehr / der Staub legt sich
träumt von Wolken
1. Kарамфилo, филo – ist ein Motiv aus einem Volkslied aus dem Süden Bulgariens. Es ist ein weibliche Name: ins Deutsche würde man es mit Nelke übersetzen. Transkription: ( karamfilo, filo)
2. джоджен и индрише – Namen von Kräutern; Sommer oder Berg-Bohnenkraut; und eine Blume, deren Blätter in Einweggläsern mit Marmelade oder Kompott dazugelegt werden, um die Frische zu erhalten – es heißt vermutlich Pelargonium mit Zitronen oder auch Pfefferminzduft. Transkription: ( jojen, J wie beim Jumbo/ Jeni und co; indrische)
6. ****
wie vergessen steht die Sonne da
Gott hing seinen goldenen Hut
an einen Himmelsnagel
und ging durch seine Wolkentür hinein
manchmal schaust du nach oben
von deinem langen Wartezimmer
so viele Hüte hängen hier rum
verloren tropfen
Kummerschirme, Regenbögen
warum kommt niemand etwas abzuholen?
totschweigt die Zeit
7. ****
Tag des Herrn
diktiert die digitale Stimme
und baut einen dunklen Berg
in der Küche
Tag der singenden Sohlen / sagst du
und suchst dich in den Trümmern
zwischen Fronten, ausgelaufenen
Mineralölen und einem vermissten Löwen
aus einer Nische des Schlafs
kriechen Schnürsenkel / du riechst Fichten
nasse Erde / auf der alten Platte kocht
die Zeit über
wie alte Nutztiere stapfen wir auf der Stelle
und wissen nicht mehr wieso / von gegenüber
knipst uns die Ewigkeit / ein Lichtbild zerrinnt
vor unseren Füßen
8. ****
unverhofft
in der Mitte des Sommers
leuchten unsere Körper
wir schwitzen Zärtlichkeit aus
werden himmelblau
die Furcht von den Furchen
tief ins Gewebe
Laken lernen Fliegen
auf dem Balkon nippt Stille
an unseren Lippen
das Scheppern um uns
wie Walzer von Chopin
ich sehe zu, wie sich Dinge
hinter den Dingen zeigen
in der Mitte des Himmels
am Ende des Sommers
unverhofft
sind wir aus Wind geschnitzt
unsere Schatten kerben sich
ins Licht