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„Der Bunte Würfel“ ist das erste Nachkriegskabarett der bayerischen Hauptstadt

Das Münchner Haidhausen-Museum zeigt im Herbst 2024 eine Ausstellung über einen Club, der nach dem Zweiten Weltkrieg eröffnet und nur etwa drei Jahre lang existiert – dabei jedoch den Münchner Neubeginn im Kabarett prägt: Der „Bunte Würfel“. Schriftsteller Benedikt Feiten berichtet über das erste Nachkriegskabarett der Landeshauptstadt.

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Wer melancholisch veranlagt ist, wer sich über Spuren von früher Dagewesenem in der Stadt freut, über ehemalige Stehausschänke oder Wohnungen mit einer Speis auf dem Balkon, wer sich fragt, wie viele Verwandlungen ein altes Ladengeschäft wohl durchgemacht haben mag, bis es zum Architekturbüro wurde, kurzum, wer in dieser Hinsicht ein bisschen so ist wie ich, ist normalerweise auf Begegnungen mit Menschen angewiesen, die davon berichten können: Eine Nachbarin, die weiß, dass das verrostete Schild an der Hauswand einen Luftschutzraum markiert, ein dienstalter Taxifahrer, der abenteuerliche Anekdoten aus einem längst geschlossenen Jazzclub kennt, und so weiter. Man hört zu, versucht es sich vorzustellen und die frühere Gestalt der Stadt in der mündlichen Beschreibung bleibt so lebendig wie flüchtig.

Zum Glück für alle Sehnsüchtigen gibt es Menschen, die nicht nur erzählen, sondern auch archivieren und kuratieren, so wie das Hermann Wilhelm mit seinem Haidhausen-Museum in München schon seit 1977 unternimmt. Oft führen ihn ehemalige Kinos zu Orten, die das kulturelle Leben in der Vorstadt prägten. Heute sieht man dem Pennymarkt an der Preysingstraße 42 nicht mehr an, dass seine Räumlichkeiten einst das Lichtspielhaus „Preysing-Palast“ und in einem kurzen Zeitabschnitt der Nachkriegszeit das erfolgreiche Kabarett. „Der Bunte Würfel“ beherbergten.

Die Schwerpunkte seiner Ausstellungen setzt Wilhelm nicht, bevor er beginnt zu recherchieren. Sie kristallisieren sich eher mit der Zeit aus seinem wachsenden Privatarchiv heraus: „Ich bin eigentlich immer in verschiedenen Themen drin und irgendwann zeigt sich, wenn eines genug Substanz für ein Buch oder eine Ausstellung hat.“

So gewährt das Stadtteilmuseum nun Einblicke in das kurze, aber einflussreiche Bestehen des „Bunten Würfels“. Gründer und Chefs der neuen Bühne waren Robert „Bobby“ John und Dr. Viktor Hahn, zwei jüdische KZ-Überlebende, die vom Konzentrationslager Theresienstadt über das zum KZ Dachau gehörende Außenlager „Kaufering VI-Türkheim" nach München und dort nach Haidhausen kamen. Im Januar 1946 eröffnete das Kabarett unter dem Motto „München lernt wieder lachen“, ein Jahr später schrieb die Süddeutsche Zeitung über das Programm „Es wird schon wieder“, Haidhausen habe aufgeschluchzt, „dabei heißt es, die Menschen haben kein Gemüt mehr.“ Dem Zurückfühlen in einen Neubeginn oder Aufbruch stehen Bilder einer kargeren Lebensrealität entgegen. Die Darstellenden investierten ihre Gagen im Schwarzhandel, erwarben Zigaretten oder Alkohol. Wie man in der Ausstellung nachlesen kann, wurde da auch mal ein halbes Kalb in der Garderobe zersägt. Das sind Szenen einer vergangenen Zeit, doch manches ändert sich in unserem Freistaat nicht wirklich. In einem Schrieb heißt es in kuriosem Kanzleideutsch: „Am Karfreitag sind nur Darbietungen erlaubt, die dem Ernst des Tages entsprechen. Allenfallsige Lustbarkeitsbeschränkungen an anderen Tagen sind genau zu beachten.“

Lustbarkeitsbeschränkungen hin oder her, die Programmzettel des „Bunten Würfels“ führen Namen auf, die lange in der Münchner Kulturszene (und oft weit darüber hinaus) wirken. „Ich war überrascht, was für eine große Ansammlung einflussreicher Künstlerinnen und Künstler man in Haidhausen vorfand“, sagt Wilhelm, „man bringt mit dem Kabarett ja doch eher Schwabing und die Maxvorstadt in Verbindung. Gert Fröbe hat sogar in der Trogerstraße gleich um die Ecke gewohnt. So nah ist hier die Geschichte.“ 

Gert Fröbe, dessen Name kurzfristig auf die Plakate zur Eröffnung nachgestempelt werden muss, wird nicht nur Bond-Widersacher Goldfinger, sondern auch vielseitiger Charakterdarsteller. Volksschauspielerin Elfie Pertramer ist später in etlichen Heimatfilmen zu sehen sein, Paul Bös spielt im Residenztheater und am Bayerischen Staatsschauspiel. Claire Waldoff, die Chansonniere im Berliner Dialekt und Komponisten wie Peter Igelhoff oder Barnabás von Géczy, der später das Hausorchester im Luitpoldcafé leitet, haben Engagements im „Bunten Würfel“. Auch Liesl Karlstadt und Karl Valentin treten hier auf und eventuell verschlechtert sich der Zustand des gesundheitlich schon angeschlagenen Münchner Komikers wegen einer unfreiwilligen Nacht in der unbeheizten Garderobe des Kabaretts entscheidend. Die Ausstellung nennt noch etliche weitere Namen, die den Bunten Würfel bespielen, jeder davon ein eigenes Rabbit Hole, dem man in Wikipedia und Co. nachsteigen kann, um bewegten Künstlerinnen- und Künstler-Biografien zu folgen.

Vom Innenraum der „Bunten Würfels“ sind keine Fotos bekannt, man muss sich auf Beschreibungen verlassen – wie jene von Hellmut Kirst, der den Club als „übergebliebene Resthöhle“ und „schönschäbigen Musenschuppen“ bezeichnete. Ein Faltblatt in Würfelform listet das Programm einer Matinee auf, die das Bayerische Hilfswerk zu Gunsten der durch die Nürnberger Gesetze Geschädigten veranstaltet. Unweit davon liegt im Schaukasten ein LP-Cover zu „Herr Fröhlich“ und „Herr Schön“, den in Lied und Sketch erfolgreichen Kunstfiguren. Dass deren Erfinder Bobby John und die jüdischen Conferenciers Franz Engel und Fritz Wiesenthal sind, wird auf den Tonträgern ebenso wenig gewürdigt wie bei Veröffentlichungen in Rundfunk und Fernsehen. Leerstellen, die Wilhelms Recherchen oft in die Abgründe der deutschen Geschichte führen, wenn er fehlenden Angaben zu Komponisten oder Textern nachgeht und sich herausstellt, dass es jüdische Künstlerinnen und Künstler sind, ermordet in Konzentrationslagern.

Nach drei oder vier Jahren, genau weiß man nicht wann und warum, ist wieder Schluss mit dem „Bunten Würfel“. Wohin Dr. Viktor Hahns und Bobby Johns Wege danach führen, darüber wisse man fast nichts, bedauert Wilhelm: „Leider habe ich nicht herausgefunden, wie es mit den Begründern weiterging, was aus ihnen geworden ist. Sie zogen beide aus München weg, aber ihre Lebenswege verschwinden.“

So kann die Ausstellung natürlich nicht alles in großen Bögen abbilden, aber sie vermag trotzdem von diesem relativ kurzen Zeitraum in alle möglichen Richtungen zu führen: Wie viele standen auf den Bühnen und sind jetzt vergessen? Hat Sprache früher schöner geperlt? Wie etwa im Antrag zur Silvesterparty an die „Theatre Section“, der „mit vorzüglicher Hochachtung“ unterzeichnet ist. Oder im Brief der Zeichnerin Franziska Bilek, die von Karl Valentin Karten erbittet und verspricht: „Ich werde klatschen, hell auflachen, in tosenden Beifall ausbrechen, lang und anhaltend jubeln, nicht enden wollend schmunzeln... Sie werden mit mir zufrieden sein. Der Tag ist mir wurscht, blos (sic) diesen Freitag, Samstag, Sonntag, und kommenden Mittwoch geht nichts.“

Wann im Haidhausen-Museum hingegen etwas geht:

Vom 15. September bis 3. November 2024, So 14-17 Uhr sowie Mo, Di, Mi 17-19 Uhr ist die Ausstellung noch einmal in der Kirchenstr. 24, München-Haidhausen zu sehen.

Externe Links:

 Haidhausen-Museum