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30.08.2024, 10:15 Uhr
Abraham Katz
Rezensionen

Martina Hefter hat mit „Hey, guten Morgen wie geht es dir?” einen bereits preisgekrönten neuen Roman vorgelegt

Eine langjährige Beziehung, die Schwierigkeiten im Alltag mit einem körperlich eingeschränkten Partner, die Herausforderung eines Lebens als freie Autorin – all das verarbeitet die im Allgäu geborene Martina Hefter in ihrem neuen, 2024 erschienenen Roman Hey, guten Morgen wie geht es dir? Und setzt es in Kontrast mit der schillernden Welt der so genannten Love-Scammer: Männer, die Frauen die große Liebe bloß vortäuschen. Herausgekommen ist ein so schönes wie humorvolles Buch.

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Bereits im Kindergarten hörte Martina Hefter, sie sei „immer schon komisch gewesen.“ In der Schule hieß es, sie habe „komisch geschaut, komisch dagestanden, komische Sachen gesagt. In keinem Schultheaterstück dufte sie mitspielen.“ – So steht es in ihrem neuen, autofiktionalen Roman Hey Guten Morgen wie geht es dir?

Mit „komisch“ war nicht lustig gemeint oder witzig, sondern seltsam und schräg, also unangepasst, sehr wahrscheinlich sogar kauzig, alles keine Komplimente. Und ganz bestimmt keine Bewertungen, die ein Mädchen oder eine Jugendliche glücklich machen. Wirklich traurig war Martina Hefter über ihre frühe Rolle als Außenseiterin nicht. Zumindest klingt es nicht so. Manchmal spielte sie, „ein unkomplizierter Mensch zu sein, was man ihr meistens glaubte.“ Anstatt sich konsequenter anzupassen und so zu werden wie die anderen, blieb Martina Hefter wie sie ist. Als Kindergarten- und Schulkind unterschied sie sich von den Kindergarten- und Schulkindern. Als Lyrikerin, Performancekünstlerin und Schriftstellerin heben sich ihre Auftritte und Texte von vielen Auftritten und Texten ab, die wir sonst zu sehen und zu lesen bekommen. 

Dabei handelt ihr Roman durchaus von aktuellen Problemen und Themen, die wir alle kennen: Vertraulichkeit und Distanz zwischen Paaren, die schon sehr lange zusammen sind. Den Alltag mit einem unheilbar kranken, pflegebedürftigen Partner. (Martina Hefters Ehemann, der Schriftsteller Jan Kuhlbrodt, ist an Multipler Sklerose erkrankt.) Schlimme Zustände beim deutschen Gesundheitssystem, sowie bei der Deutschen Bahn. Notorische Geldknappheit als freiberufliche Künstlerin. Älterwerden. Schönheits- und Jugendwahn. Schlafstörungen. Einsamkeit. Armut und Perspektivlosigkeit in der dritten Welt. Ja, sogar Betrügereien im Internet. Um genau zu sein, Love Scammer. Männer, die Frauen unter Vorspiegelung falscher Identitäten die große Liebe vortäuschen, um sie finanziell auszunehmen. 

Jammern und Lamentieren über fiese Mitmenschen, Auswüchse des Turbo-Kapitalismus, Erderwärmung, Umweltverschmutzung, Kriege – kurzum den Zustand der Welt – liest und hört man genug in den Medien und von der Masse der gewöhnlichen Menschen. Zu der gehören die beiden Protagonisten nicht. 

Martina Hefter nennt sich im Roman Juno. Ihr Mann, Jan Kuhlbrodt, ist Jupiter. Die Namen stammen aus der Götterfamilie des antiken Roms. Wie ihre Vorbilder verfügen auch ihre menschlichen Nachfolger über eine gottgleiche Souveränität und innere Freiheit. Obwohl sie als freie Performance-Künstlerin arbeitet und ihre Projekte von irdischen Gremien abhängen, in denen fehlbare Menschen sitzen. Jupiters Gesundheitszustand verschlechtert sich stetig. Sein Bewegungsradius selbst in der Wohnung wird immer kleiner. Wenn Juno ihn zum Arzt bringt, müssen Nachbarn ihr helfen, seinen Rollstuhl das Treppenhaus runterzutragen. Einen Umzug können sie sich nicht leisten. Eine barrierefreie Wohnung sowieso nicht. Das Geld reicht gerade für Einkäufe beim Discounter. 

Was dem Paar an Gesundheit, Geld und beruflicher Anerkennung fehlt, macht Juno durch ihre Liebe zu Jupiter, Experimentierlust und Kreativität mehr als wett. Populisten gefährden Demokratien, Kriege brechen aus, die ganze Welt droht, den Bach runter zu gehen. Juno schafft sich eine eigene magische Welt aus Tanzen, Sprache, Alltagsbeobachtungen, Erinnerungen, Zufallsbegegnungen, der Schönheit der Allgäuer Berge oder des Sternenhimmels. 

Magischer Zauber

Dabei rührt Junos robuster, ansteckender Optimismus nicht daher, dass sie Schattenseiten schönredet oder ausblendet. Sonst wäre der Roman seichte Unterhaltung oder Edelkitsch. Doch wie geht sie mit den unvermeidlichen Zumutungen des Lebens oder ihren inneren Dämonen um? – Zum Beispiel Einsamkeit und Schlafstörungen: Wenn unbekannte, vermeintlich attraktive Männer sie via Insta anflirten, weiß sie natürlich, dass es sich um Betrüger handelt, die ihr Geld wollen. Doch anstatt sie zu ignorieren oder zu blockieren, flirtet sie charmant zurück. Juno schlüpft gerne in fremde Rollen. Erfindet auch für sich neue, schillernde Identitäten: wie wär’s mit „erfolgreiche Schauspielerin mit wechselnden Lovern“? Auf jeden Fall ein paar Jahre jünger und natürlich ohne Geldprobleme. Alltagsbeobachtungen und kleine Gedichte schickt sie auch. Plötzlich mausert sich ein vorhersehbarer, trivialer Chat zu einer authentischen Begegnung und zu einem kleinen Abenteuer.

Ausgerechnet im Austausch mit Internetbetrügern findet Juno, was ihrem Alltag fehlt: Nervenkitzel, Leichtigkeit, Glamour. Die überforderten Männer reagieren schwerfällig nach Schema F. – Mit Emojis, Smileys, Icons und vielen LoLs.

Germanisten und Literaturwissenschaftler sehen eine Verarmung der Sprache durch Anglizismen, Akronyme und andere Abkürzungen. Wenn Juno den verpönten Netzjargon neu sampelt, ihn ironisch zitiert oder parodiert, erweitert er ihre Ausdrucksmöglichkeiten. Er wird Bestandteil ihres Stils. Die formalen Grenzen zwischen Roman, Essay, Chat und Lyrik lösen sich auf. Ihre Geschichte und die persönliche Sicht auf die Welt finden eine eigene Sprache. Sie erinnert an leichtfüßige Lyrik und die sinnliche Verführungskraft von spontanen Tanz-Einlagen. 

Da Juno nicht nur gerne improvisiert und spielt, sondern auch eine zutiefst ehrliche Haut ist, gesteht sie den Betrügern ihre Schwindeleien. Außerdem konfrontiert sie sie mit der Wahrheit, dass sie kein Interesse an ihr, sondern nur an ihrem Geld hätten. Die meisten blockieren Juno. Einer von ihnen, Benu, gibt alles zu, bleibt jedoch dabei, dass er sie schätze. Ab da nimmt Juno den Austausch mit dem arbeitslosen jungen Nigerianer, der bei seiner Mutter in einer Hütte wohnt, ernst, vielleicht sogar zu ernst. Nach vielen nächtelangen Chats bittet er sie um einen Video-Call. Juno willigt ein. Dabei weiß sie, dass es zu den Tricks der Love Scammer gehört, bei Entlarvung Reue zu heucheln und anschließend weiter große Gefühle vorzutäuschen. Bis sie das Herz ihrer Opfer gebrochen und ihr Konto abgeräumt haben. Wie die Beziehung zwischen Juno und Benu endet, soll hier nicht verraten werden. 

Der magische Zauber des Romans entwickelt sich ohnehin nicht aus der plotgetriebenen Frage, ob Juno auf einen Love-Scammer reinfällt oder nicht. Sondern vielmehr daraus, wie Martina Hefter einer oft schnöden und manchmal erbärmlichen Welt poetische Momente abtrotzt, die gleichzeitig realistisch sind und überraschend. Voller Schönheit, Würde und Humor.

2024 hat Martina Hefter den Literaturpreis der Landeshauptstadt Wiesbaden sowie den Großen Preis des Deutschen Literaturfonds gewonnen.

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Martina Hefter wurde 1965 in Pfronten im Allgäu geboren und lebt in Leipzig. In ihren Werken verbindet die Performancekünstlerin, Lyrikerin und Romanautorin Elemente aus Sprache und Tanz. 

Martina Hefter: Hey, Guten Morgen wie geht es dir? Klett-Cotta, Stuttgart 2024, 224 Seiten. ISBN: 978-3-608-98826-0, € 22

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