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28.08.2024, 09:48 Uhr
Bernhard M. Baron
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Foto: Reinhold Willfurth

Goethe besichtigt die Fikentscher-Glashütte zwischen Brand und Marktredwitz im südlichen Fichtelgebirge

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Mehrmals war der bedeutendste deutsche Dichter Goethe im Stiftland und vermerkte es positiv in seinen Tagebüchern und Reisenotizen (Ölgemälde von Joseph Karl Stieler, 1828).

Heute am 28. August 2024 jährt sich zum 275. Mal der Geburtstag von Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832). Bernhard M. Baron mit einer bayerischen Hommage an Deutschlands wohl berühmtesten Dichter. 

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Die Oberpfalz, wegen ihrer Eisenerzvorkommen einst das „Ruhrgebiet des Mittelalters“ und „Waffenschmiede des Reiches“ genannt, wird weniger der Glasindustrie zugerechnet. Doch Glaserzeugung und Veredelung waren genauso wichtig. 1987 erinnerte das Jubiläum „500 Jahre Flachglas“ an die Entstehung eines Konzerns – hervorgegangen aus der Waldglashütte in Frankenreuth bei Waidhaus. Seit dem 10. März 1487 markiert sie, so der Wiesauer Volkskundler Adalbert Busl, „den Beginn der Geschichte der Oberpfälzer Glashütten“. 1614 schlug dann die Geburtsstunde der Altglashütte bei Flossenbürg.

Am 13. August 1822, um 3 Uhr, fährt Seine Exzellenz, der 73-jährige Herr Geheimrat, Staatsrat etc. Johann Wolfgang von Goethe in einer Reisekutsche, von Eger aus kommend, durch Hundsbach („Hundsdorf“) nach Waldsassen. Dieses hatte er bereits am Dreifaltigkeitssonntag, den 3. September 1786, auf seiner „Italienischen Reise“ entscheidend wahrgenommen. Kurz zuvor besuchte er mit seinem Mineralienfreund Joseph Sebastian Grüner am 11. August 1822 auch die Stiftsbibliothek des barocken Zisterzienserklosters. Öfter als jeden anderen bayerischen Ort hat Goethe mindestens sechsmal die Klosterstadt Waldsassen bereist.

Auf dem Weg nach Markt Redwitz zur Unternehmersfamilie Fikentscher am 13. August 1822 hielt Goethe mit seinem Mineralienfreund Grüner bei Groschlattengrün und begutachtete Granitgestein (Bildnachweis: Postkarte Erich Schraml, Fuchsmühl).

Über Kondrau und Mitterteich – „durch Wald und Gebirge, immer auf sehr guter Chaussée. Hier findet man eine weit ausgebreitete Basaltformation“ – ging die Fahrt zu einem längeren Aufenthalt nach Groschlattengrün („Groß-Schlottenbach“), „wo uns [...] ein Granit merkwürdig [vorkam]“. Goethes präziser Naturbetrachtung entging kaum etwas auf seinen Reisen. Weiter ging es dann rasch zum Besuch der Unternehmerfamilie Fikentscher nach Markt Redwitz, das bis 1816 zum Kronland Böhmen gehörte. Wolfgang Caspar Fikentscher (1770-1837), Apotheker, Chemiefabrikant und Abgeordneter der bayerischen Ständevertretung, darf für sich in Anspruch nehmen, der Begründer der ersten und jahrzehntelang einzigen Chemischen Fabriken nicht nur Deutschlands, sondern auch Europas, wenn nicht gar der ganzen Welt, gewesen zu sein.

Ziel der Fichtelgebirgstour von Goethe war der Chemiefabrikant, Apotheker und Abgeordnete Wolfgang Caspar Fikentscher in Marktredwitz (Bildnachweis: Bayerische Staatsbibliothek München).

In Begleitung des 22-jährigen Marktredwitzer Fabrikantensohns Friedrich Christian Fikentscher gelangt Goethe am Donnerstag, 15. August 1822, „um 8 Uhr [...]; zuerst den Bach Cossein zur Rechten, dann bey Brand über genanntes Wasser, den Berg hinauf einen schrecklichen Basaltweg auf die [Fikentscher-]Glashütte...“

Hier waren 17 Menschen beschäftigt. Goethe versprach sich von dem Besuch sehr viel, da er hoffen durfte, brauchbare Gläser für die Versuche zu seiner Farbenlehre zu bekommen. So sollte dieser Tag von entscheidender Bedeutung werden. Er besichtigt die vom Unternehmer Fikentscher seit 1814 betriebenen Anlagen und verfolgt die Produktionsabläufe zur Herstellung chemischer Produkte.

In den Reise-Notizen notiert Goethe:

Es werden große Fenstertafeln gefertiget; wir sahen die ganze Manipulation mit an, die wirklich furchtbar ist. Sie bliesen Walzen von drei Fuß Höhe in verhältnißmäßigem Durchmesser: Diese ungeheuren Körper aufschwellen, glühend schwingen und wieder in den Ofen zu schieben zu sehen, je drey und drey Mann ganz nah neben einander, macht einen ängstlichen Eindruck. Dann weiß man die Walze, die erst unten rundlich geschlossen ist, mit immer fortgesetzter Erhitzung zu öffnen, daß Glocken daraus entstehen, diesen wird die Mütze genommen, die Walze selbst durch ein glühend Eisen getrennt, damit sie sich auseinander gebe, welches im Kühlofen geschieht. Das alles geschieht mit der zerbrechlichsten, glühend biegsamsten Masse, so takt- und schrittgemäß, daß man sich bald wieder beruhigt. Das Gefährliche mit Sicherheit ausgeübt, erregt eine bängliche Bewunderung [...] Wir ließen sodann einen Glasstab schnell verkühlen und fanden ihn seiner Gestalt gemäß höchst schön entoptisch.

Nachdem Goethe und sein junger Begleiter „den Schrecklichen Weg“ wieder zurückgefahren waren („ich wäre, der Mittagshitze ungeachtet, den Berg hinabgegangen“), schließt er seine Eintragung mit den Worten: „Bedeutendes Gewitter, von Westen nach Osten ziehend. Ich las in Kunckels’ Glasmacherkunst und bewunderte den Gehalt dieses Werkes auf’s neue.“

Wohnsitz der Unternehmersfamilie Fikentscher war (die heutige Große Kreisstadt) Marktredwitz. Goethes Aufmerksamkeit erregten die vier Fikentscher-Töchter (Bildnachweis: Marktplatz um 1907, Stadtarchiv Marktredwitz).

In den Tagen seines Aufenthalts im Hause Fikentscher in Marktredwitz widmete sich der schon in die Jahre gekommene Erotomane Goethe nicht nur der wissenschaftlichen Literatur, sondern beäugte auch sehr aufmerksam die Fikentscher-Töchter Henriette (21), Rosalie (17), Christiane (15) und Auguste (10). Besonders die Schönheit und Eleganz der zwei älteren Töchter des Gastgebers hatten es ihm angetan. Als die Mädchen Goethe um ein Gedicht baten, schrieb er sinnig-poetisch:

Sie gefallen mir doch gar zu gut,
die Mädchen auf dem Land;
sie tragen einen großen Hut
mit einem blauen Band.

Goethe änderte damit leicht die erste Strophe des 1804 entstandenen Gedichts „Kriegserklärung“, weil ihn die großen Hüte und blauen Bänder zu dieser Variation verleiteten:

Wenn ich doch so schön wär 
Wie die Mädchen auf dem Land! 
Sie tragen gelbe Hüte 
Mit rosenrotem Band.

Glauben, daß man schön sei,
Dächt ich, ist erlaubt. [...]

Diese in der Literatur unbekannte Variante ist eine der wertvollsten Marktredwitzer Gaben Goethes. Ein Jahr später, im Sommer 1823, sollte er sich in Marienbad in die 19-jährige Ulrike von Levetzow verlieben. Mit der daraus hervorgegangenen „Marienbader Elegie“ (18232/24) entstand eines seiner leidenschaftlichsten und persönlichsten Liebesgedichte.

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Der Aufenthalt Goethes in Marktredwitz ging zu Ende. Er selbst hatte dort fünf glückliche, heiter-gesellige Tage verlebt, die ihn u.a. neue wertvolle Erkenntnisse, besonders auf chemietechnischem Gebiet, gewinnen ließen.

Skizze der Reiseroute Goethes 1822. In: Hermann Braun: Goethe im Fichtelgebirge, Schriftenreihe der VHS Marktredwitz Nr. 44, S. 17 (Bildnachweis: Stadtarchiv Marktredwitz).

Goethes Tagebucheintrag endet am Sonntag, den 18. August 1822, als sein Freund, der Mineraliensammler und Polizeirat Johann Sebastian Grüner, mit seiner Frau eigens von Eger kommt, um den hohen Gast persönlich abzuholen. Unter heiteren Gesprächen („mancherley dialektische Scherze mit Grüner“) verlaufen die letzten Stunden: „Glastäfelchen eingepackt und sonstiges [...] Chemische Bemerkungen hiebey.“

Kurz, aber markant notiert Goethe: „Fuhren ab um vier Uhr; nahmen in Waldsassen der köstlichsten Bratwürstchen mit; vor Nacht in Eger. Meist die beste Chaussée.“

Als Fazit seiner kleinen Reise durchs Stiftland schreibt Goethe am 23. August 1822 aus Eger an seinen „Ur-Freund“, den Lyriker und früheren Reisebegleiter Karl Ludwig von Knebel (1744-1834):

Eigentlich muß man reisen, um sein Erworbenes anzubringen und neu zu erwerben; was ich hier in einem Tag [Besuch der Fikentscher-Glashütte bei Brand, Anm. des Autors] fand, daran laboriere ich in Jena zwei Jahre, ohne zum Zweck zu gelangen.

Links: Goethe bereiste Waldsassen mindestens sechsmal – mehr als alle anderen Städte Altbayerns (Bildnachweis: Tourismus Oberpfälzer Wald). Rechts: Westlich der Straße, die von Brand zur ehemaligen Fikentscher-Glashütte führt, erinnert der Goethe-Gedenkstein aus Redwitzit-Granit den Wanderfreund an Goethes Reisetour vom 15.  August 1822 (Bildnachweis: Fichtelgebirgszeitung).

Und noch einmal sollte Goethe ins Stiftland kommen. Am 23. August 1823 machte sich der geologisch Interessierte, wieder begleitet von seinem Mineralienfreund Grüner, bei einer geologischen Exkursion bei Neualbenreuth Notizen über die „vulkanischen Produkte bei dem Dorf Booden [Boden] und Altalbenreuth“ im Fraischlande und lobte die „Albenreuther Säuerlinge“. Am 7. September 1823 ordnete Goethe „die Altalbenreuther Feuerproducte“. In seinem Aufsatz Uralte neuentdeckte Naturfeuer und Glutspuren für seine Zeitschrift Zur Naturwissenschaft (II/2, März, 1824) beschäftigte er sich dann mit dem (fälschlich) als ‚pseudovulkanisch‘ gedeuteten Bodenvorkommen in den genannten Orten.

Goethe variiert in dem Satz „die beste Bildung findet ein gescheiter Mensch auf Reisen“ seines Bildungsromans Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795/96, Fünftes Buch, 2. Kap., 12. Abs.) das volkstümlich gebräuchliche Kant-Zitat „Reisen bildet“. So hat der reisefreudige und unternehmungslustige Goethe viele interessante Orte in Ostbayern, besonders im Stiftland, für kürzere oder längere Aufenthalte, Arbeitsplätze oder Quartiere genutzt. Durch ihn gingen sie allesamt in die deutsche Literaturgeschichte ein.

Sekundärliteratur:

Baron, Bernhard M. (1991): Goethe reist durch die Oberpfalz. In: Oberpfälzer Heimat 35, S. 70ff.

Braun, Hermann (1982): Goethe im Fichtelgebirge. Zur Erinnerung an seinen 150. Todestag (Schriftenreihe der VHS der Stadt Marktredwitz Nr. 44). Marktredwitz, S. 47.

Busl, Adalbert (1983): Altglashütte. Eine Glashütte aus dem 17. Jahrhundert. In: Oberpfälzer Heimat 27, S. 137 ff. – Vgl. ergänzend auch Busl, Adalbert (1999): Waldglashütten in der Oberpfalz. In: Oberpfälzer Heimat 43, S. 143ff.

Ders. (2023): Oberpfalz. Land der Glasschleifen. Ein Beitrag zu den Glasschleifen in der Oberpfalz (Weidner Heimatkundliche Arbeiten 26).

Chemiegeschichte. Die älteste deutsche Chemiefabrik (2022). In: Nachrichten aus der Chemie. Zeitschrift der Gesellschaft Deutscher Chemiker. 70. Jg., Weinheim, S. 31-33. 

Chemische Fabrik Marktredwitz (1938): Goethe im chemischen Laboratorium zu Marktredwitz. FS anlässlich des 150jährigen Bestehens. Berlin. 

Friedenthal, Richard (1963): Goethe. Sein Leben und seine Zeit. München.

Goethe‘s Werke (1827): Vollständige Ausgabe letzter Hand. Erster Band. Stuttgart und Tübingen, S. 32.

Grüner, Joseph Sebastian (1853): Briefwechsel und mündlicher Verkehr zwischen Goethe und dem Rathe Grüner. Leipzig, S. 107.

Kunkel, Johann (1679): Ars vitraria experimentalis od. Vollkommene Glasmacher-Kunst […]. Frankfurt und Leipzig.

Michel, Christoph (Hg.) (1982): GOETHE. Sein Leben in Bildern und Texten mit einem Vorwort von Adolf Muschg (Insel-TB 1000). Frankfurt am Main.

Müller, Erwin (1981): Goethe in Marktredwitz. Zur Erinnerung an seinen 200. Geburtstag (Schriftenreihe der VHS der Stadt Marktredwitz, Nr. 1). Marktredwitz, 2. Aufl., S. 8.

Nicolai, Heinz (Hg.) (1992): Goethes Gedichte. Sämtlicher Gedichte in zeitlicher Folge (Insel TB 1400). Frankfurt am Main und Leipzig, S. 518.

Schäfer-Weiss, Dorothea (Hg.) (1999): Johann Wolfgang von Goethe: Zwischen Weimar und Jena. Einsam-Tätigs Alter II/Briefe, Tagebücher und Gespräche vom 6. Juni 1816 bis zum 26. Dezember 1822/ Teil II vom 27. Oktober 1819 bis zum 26. Dezember 1822 (Johann Wolfgang von Goethe: Sämtliche Werke. Briefe. Tagebücher und Gespräche. Vierzig Bände, Bd. 9 [36], S. 279, Nr. 599). Frankfurt am Main.

Steinfeld, Thomas (2024): Goethe. Porträt eines Lebens. Bild einer Zeit. Berlin.

Tagebücher und Briefe Goethes aus Italien an Frau von Stein und Herder, Schriften der Goethe-Gesellschaft (1886), 2 Bde, hg. von Erich Schmidt, Weimar, S. 13. Vgl. dazu die Vermerke in Goethes Tagebuch: Goethes Werke, Weimarer Ausgabe, III. Abteilung, Bd. 8, S. 221-235, 290, 294,21-296,22. Siehe auch Goethes Reise-Notizen: Notirtes und Gesammeltes auf der Reise vom 16. Juni bis 29. August 1822. Sowie Weimarer Ausgabe, III. Abteilung, Bd. 9, S. 86-106.

Unterberger, Rose (2002): Die Goethe-Chronik. Frankfurt am Main und Leipzig, S. 399f., 408-410.

Vollrath, Heinrich (1982): Goethes Reisen in das Fichtelgebirge. Hof, S. 34.

Walser, Martin (2008): Ein liebender Mann. Roman. Reinbeck.

Weiß, Lorenz (1997): Ein fast vergessenes Dorf an der Grenze: Boden, der Eisenbühl und Goethe. In: Heimat-Landkreis Tirschenreuth, Bd. 9, S. 29ff.

Zedinek, Hans (1932): Goethe und die Fikentscher-Töchter. In: Der Siebenstern. Vereinszeitschrift des Fichtelgebirgsvereins e.V., Bayreuth Nr. 9/September 1932, S. 125-127.

Externe Links:

Homepage zum Goethezeitportal

Goethes Tagebücher bei zeno.org

Artikel Johann Wolfgang von Goethe im Fichtelgebirge

Wolfgang Caspar Fikentscher im Haus der Bayerischen Geschichte

Wolfgang Caspar Fikentscher in der Deutschen Biographie

Joseph Sebastian Grüner in der Wikipedia

Karl Ludwig von Knebel in der Wikipedia

Marktredwitz in der Wikipedia

Brand (Oberpfalz) in der Wikipedia

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