Da capo für Liesl Karlstadt und ein Hoch auf die Fünfzigerjahre! – Literarische Erkundungen (13)
Fabienne Imlinger begibt sich neuerlich auf die Spuren von Liesl Karlstadt, die sie dieses Mal in den Ausstellungsräumen der Monacensia entdeckt, und zwar in Form des Obergefreiten Gustav bei einer Gruppe Gebirgsjäger in Ehrenwald. Von dort ist es ein ziemlich weiter Weg bis zu Liesl Karlstadts später Paraderolle als Mutter Brandl in der BR-Radiosendung Familie Brandl. Darin lässt sich manches übers Putzen lernen – und auch eine erstaunliche Seite der Fünfzigerjahre entdecken – ein Beitrag zu #LiterarischeErkundungen.
*
Im Hause der tüchtigen Frauen. Von Prequels, Sequels, Fortsetzungen und verwirrenden Zählweisen
Mein Sohn ist neun Jahre alt und gerade in seiner Star Wars-Phase. Davor hatte er eine Ninjago-Phase, davor eine sehr kurze Anna-und-Elsa-Phase, parallel dazu verlief eine Dino-Phase, die ungefähr von drei bis sieben dauerte, ich meine Jahre, also Alter, also insgesamt etwa vier. Sie merken schon: Ich bin, was das Zählen betrifft, ein wenig traumatisiert, und zwar wegen der Star Wars-Phase meines Sohnes.
Wissen Sie, wir waren nach neun Jahren Elternschaft wirklich einiges gewohnt: grottige Dialoge, vorhersehbare Plots, Klischees auf zwei Beinen und die nahezu vollständige Abwesenheit eines diversen Casts – mit Ausnahme der Quotenfrau, die zwangsläufig zum love interest zweier rivalisierender Männer wird.
Das alles nehmen wir mittlerweile mit der Gelassenheit eines japanischen Sensei hin. Wenn uns jemand mit dem Bechdel-Test kommt, winken wir müde ab.[1] Sicher, irgendwann einmal hatten auch wir die Absicht, unseren Sohn feministisch zu erziehen. Doch wie wir feststellen mussten, hatten wir die Rechnung ohne Lego, Lucasfilm und die ganze verdammte Unterhaltungs- und Spielzeugindustrie gemacht.
Der Bechdel-Test geht auf den Comic-Strip Dykes To Watch Out For von Alison Bechdel zurück. Die Comic-Zeichnerin selbst besteht darauf, dass der Test eigentlich nach ihrer Freundin Liz Wallace benannt werden müsste, da die Idee ursprünglich von ihr stammt. Bechdel nennt Wallace auch in dem ursprünglichen Comic-Strip von 1985.
Schuld an meiner Zählstörung ist jedoch vor allem George Lucas. Seine Filme wurden nämlich als Trilogien in auf- oder absteigender, umgekehrter oder gegenteiliger Reihenfolge im Abstand von ein paar Jahrzehnten gedreht und/oder benannt und/oder veröffentlicht. Um mit Meister Yoda zu sprechen: Genau wie zählen du sollst, herausfinden du wirst es nicht.
Gerne würde ich meinem Sohn in bester sokratischer Frage-Manier („Wer ist noch mal Padmé?“) auf den Pfad der feministischen Erleuchtung leiten („Und warum ist sie im ersten Film Widerstandskämpferin und einflussreiche Politikerin, wird dann aber zur Frau eines cholerischen, gewalttätigen Mannes, von dem sie zwei Kinder bekommt, um schließlich an gebrochenem Herzen zu sterben?“). Tatsächlich aber drehen wir uns meist schon im Kreis, wenn wir uns nur darüber zu verständigen versuchen, von welchem Film und/oder welcher Episode wir gerade sprechen. Das mag sich ein wenig nach Karlstadt-Valentin-Sketch anhören, ist aber definitiv nicht lustig.
Womit wir endlich beim Thema wären, handelt es sich doch bei meiner heutigen literarischen Erkundung um ein Sequel zu meiner letzten Erkundung, also um eine Fortsetzung – oder, wenn Sie so wollen, um den zweiten Teil in Form einer dritten Erkundung, also gewissermaßen 2A.
Oder müsste es 2B heißen …?
Ach egal.
Warum es wichtig ist, Karl Valentin zu zitieren
Auch zum heutigen Thema passt, wie im Grunde zu jeder Lebenssituation, ein Karl-Valentin-Zitat:
Es ist schon alles gesagt, nur nicht von jedem.
Wenn Sie mich auf meiner vorherigen Erkundung begleitet haben, wissen Sie bereits, was ich von Karl-Valentin-Zitaten halte. Trotzdem muss ich den Namen Karl Valentin möglichst oft erwähnen, das ist so ein Suchmaschinen-Ding, wie ich im BR-Podcast Karl Valentin – Der Podcast mit der Komiker-Legende erfahren habe, und zwar in der Solo für Liesl betitelten Folge aus der zweiten Staffel.[2] Wenn ich Karl Valentin schreibe, ist das SEO-technisch viel günstiger, als Liesl Karlstadt zu schreiben. Liesl Karlstadts Name wurde ja auch häufig falsch geschrieben, nämlich Lisl Karlstadt oder sogar Karstadt, während man Karl Valentin noch nicht einmal falsch aussprechen durfte. Auch dazu gibt es ein passendes Zitat, und es ist natürlich von Karl Valentin:
Sagen Sie nicht Walentin zu mir, Sie nennen ja Ihren Vater auch nicht Water!
So, nachdem ich nun alles für die Suchmaschinen-Optimierung getan habe, komme ich zurück zu Liesl Karlstadt – The Sequel und/oder Episode II und/oder Teil 2 (A–B).
Am Anfang der besagten Podcast-Folge über Liesl Karlstadt liest der Moderator einen Zeitungsausschnitt aus dem Jahr 1928 vor. Schon damals war der Tenor, dass Liesl Karlstadt ungerechterweise in den Kritiken zu kurz kommt und es endlich an der Zeit ist, sie als eigenständige Künstlerin und wandlungsreiche Schauspielerin zu würdigen und zu feiern. Sie sehen, das Patriarchat ist ziemlich hartnäckig, weshalb zwar schon alles gesagt sein mag, nur heißt das eben noch lange nicht, dass sich die Dinge auch tatsächlich ändern.
Aber kein Grund zur Panik. Denn wissen Sie, was noch hartnäckiger ist als das Patriarchat?
Feminist*innen.
Liesl Karlstadt – vom Drag King zur Mutter Beimer
Hier nun also die Nachrichten von vorgestern:
1. Liesl Karlstadt zeichnet sich vor allen Dingen durch ihre Wandelbarkeit aus. Während Karl Valentin (Sie wissen schon: SEO) hinter seinen Masken immer Karl Valentin bleibt, kann sie alles spielen: jung, alt, Mann, Frau, jeden Beruf und sogar sich selbst.
2. Liesl Karlstadt brilliert an Karl Valentins Seite vor allen Dingen in Hosenrollen. Das war ihre Stärke und das ist auch das Pikante an der Sache. (Angeblich erhält sie als Kapellmeister in der Orchesterprobe sogar einen Liebesbrief.)
3. Die Hosenrolle ist ihr so vertraut, dass sie mitten im Zweiten Weltkrieg einige Zeit als Obergefreiter Gustav bei einer Gruppe von Gebirgsjägern in Ehrenwald lebt und sich dort um die Maultiere kümmert.
Liesl Karlstadt als eine Art Drag King bei der deutschen Wehrmacht in Bayern?!
Ja, Sie haben richtig gelesen, und ansehen können Sie sich das auch, und zwar im Ausstellungsraum der Monacensia, in einer Vitrine, unweit des Schreibtischs von Oskar Maria Graf (ich weiß, ich weiß – die Bürste!):
Die Maskerade, die sie mit den Gebirgsjägern aufführt – darunter auch Vater-Mutter-Kind-Spiele, aber hey: Who am I to judge?! –, zeichnet sich wie ihre Hosenrollen dadurch aus, dass nie ganz klar ist, wo der Spaß aufhört und Liesl Karlstadt anfängt. Der Witz ist nämlich keineswegs, dass Liesl Karlstadt als Frau einen Mann spielt – anders als Karl Valentin, der, wenn er in Frauenkleider schlüpft, immer als Mann und Karl Valentin erkennbar bleibt und eben dafür Lacher erntet. Umgekehrt verschwindet sie in ihren Hosenrollen auch nicht völlig als Frau, sondern filtert, wie Thomas Brandlmeier argumentiert, Formen von Männlichkeit durch weibliche Körperkomik.[3]
Was Liesl Karlstadts Attraktivität für die Gebirgsjäger und ihr Publikum gleichermaßen ausmacht, ist also ihre female masculinity: eine Form von Männlichkeit, wie sie FLINTA Personen inszenieren und leben. Und wenn Sie jetzt denken: Puh, was hat denn Liesl Karlstadt bitte mit so neumodischem Gender-Gedöns zu tun, dann kann ich Ihnen die Lektüre von Jack Halberstams Female Masculinity ans Herz legen. Weibliche Männlichkeit gibt’s tatsächlich schon ziemlich lange, nur wurde sie oft pathologisiert, mit Hässlichkeit assoziiert, ins Lächerliche gezogen, an den Rand gedrängt, als schlechte Imitation von ‚richtiger‘ Männlichkeit herabgewürdigt, und so weiter.
Aber zurück zu den Nachrichten von vorgestern, vor allem aber: zurück zum Putzen!
Wie ich im Zuge meiner Beschäftigung mit Liesl Karlstadt erfuhr, hat sie in den Fünfzigerjahren – also nach Valentins Tod 1948 – noch eine steile Karriere beim Hörfunk hingelegt. Ja, sie avancierte sogar zum ersten weiblichen bayrischen Medienstar!
Yas, Queen!
Endlich mal eine Geschichte über ein (Künstler*innen-)Paar, in der die Frau den Mann überlebt und dann unabhängig von ihm die berufliche Anerkennung erhält, die ihr zusteht!
So jedenfalls dachte ich, bis ich erfuhr, dass diese späte „Rolle ihres Lebens“ die der Hausfrau und Mutter Walburga Brandl war.
Hier ein Foto von Liesl Karlstadt alias Wally Brandl alias die Mutter Beimer der Fünfzigerjahre:
Foto aus dem Buch „Liesl Karlstadt. Frau Brandl. Die Rolle ihres Lebens“ von Ernestine Koch
Ich sag’s mal so: Liesl Karlstadt hat definitiv bis zum Schluss ihre Wandelbarkeit unter Beweis gestellt.
Auch als Mutter Brandl verschwamm die Grenze zwischen Rolle und Person. Sie wurde auf der Straße als Frau Brandl angesprochen, erhielt Briefe, in denen sie um Haushaltstipps gebeten wurde. Allerdings hatte Liesl Karlstadt in Wirklichkeit keine Ahnung von Haushaltsführung, da ihre Schwester Amalie – Sie erinnern sich? –, sich um den Haushalt der beiden kümmerte.
Aber das ist noch nicht alles, was es hier in Sachen Putzen zu holen gibt!
Der Frauenfunk – eine Geschichte aus dem BR der Fünfzigerjahre (mit einem Twist)
Begonnen hat nämlich alles am 3. Januar 1952 mit einer Reihe, die allen Ernstes den Titel Meisterhausfrau – Haushaltslehrling trug. Die Meisterhausfrau Walburga Brandl sollte ihrem Haushaltslehrling Gisela, einem schlesischen Flüchtlingsmädchen, praktischen Unterricht in Dingen des Haushalts erteilen: wie man das Haushaltsgeld einteilt, richtig abspült und Schuhe putzt und feine Wäsche behandelt und so weiter.
Wissen Sie, ich habe mir Ausschnitte der Familie Brandl (wie Meisterhausfrau – Haushaltslehrling später hieß), angehört, und diese Sendung ist eines nicht, nämlich lustig. Das sollte sie aber auch gar nicht sein. Hintergrund war vielmehr, dass Ilse Weitsch, die Leiterin des damals noch Frauenfunk genannten Familienfunks, einen „kriegsbedingten Nachholbedarf in Haushaltsführung bei den Hörerinnen“ konstatiert hatte. Die praktischen Tipps waren also durchaus nicht nur für den fiktiven Haushaltslehrling Gisela von Interesse.
Und wenn Sie jetzt wie ich denken: Puh, Haushaltsnachhilfe, Meisterhausfrau, Frauenfunk – geht’s noch biederer, Bayern der Fünfzigerjahre?
Dann irren Sie sich, und ich mich auch!
Yay!
Denn das Programm des Frauenfunks behandelte nicht nur Themen wie Haushalt oder Mode, es hatte sich auch die politische Bildung der Frau, Gleichberechtigung und Emanzipation auf die Fahnen geschrieben. In den Sendungen ging es beispielsweise um Fragen wie: „Ist Hausfrauenarbeit Berufsarbeit?“ oder „Probleme der berufstätigen Hausfrau“. Später beteiligte sich der Frauenfunk unter anderem an der juristischen Debatte um notwendige Änderungen im Bürgerlichen Gesetzbuch.
Last but not least arbeiteten neben Ilse Weitsch, die den Frauenfunk 1945 aufbaute und bis 1959 leitete, nur Frauen in der Redaktion. Hier sind sie in einem „Im Hause der tüchtigen Frauen“ betitelten Artikel der Zeitschrift Regenbogen:
Der Artikel porträtiert die Mitarbeiterinnen des Frauenfunks und erklärt zudem, warum Frauen für den Beruf der Technikerin besonders geeignet sind. Ja, Sie haben richtig gelesen: Technikerin.
Das ist doch ein ziemlich guter Plot-Twist am Ende, finden Sie nicht?
Die „Literarische Erkundungen in und um die Monacensia“ erscheinen jeden Monat neu (jeden ersten Dienstag) und setzen sich mit der Frage „Wer putzt?“ auseinander. Mein Name ist Fabienne Imlinger, ich bin Feministin und Autorin und hätte gern ein Autorinnenfoto, auf dem ich ähnlich independent women-mäßig aussehe wie die Redakteurinnen vom Frauenfunk des BR. Immerhin habe ich mit Martina Kübler zusammen meinen eigenen kleinen Frauenfunk in Form unseres Buchpodcasts auf die Beine gestellt. Hörnse doch mal rein!
[1] Um den Bechdel-Test, oder besser gesagt den Wallace-Test zu bestehen, müssen Filme drei Kriterien erfüllen: 1. Es müssen mindestens zwei Frauen darin vorkommen, 2. die beiden Frauen müssen sich miteinander unterhalten, und zwar 3. über etwas anderes als einen Mann. Probieren Sie’s mal aus, Sie werden sich wundern.
[2] Der Podcast ist auf der Webseite des BR und auf allen gängigen Plattformen nachzuhören.
[3] Vgl. Brandlmeiers, Thomas (2006): „Liesl Karlstadt. Souffleuse, Hebamme und Tigerbändigerin“. In: Komödiantinnen, hg. von Thomas Koebner und Fabienne Liptay. edition text + kritik, S. 82-87.
Da capo für Liesl Karlstadt und ein Hoch auf die Fünfzigerjahre! – Literarische Erkundungen (13)>
Fabienne Imlinger begibt sich neuerlich auf die Spuren von Liesl Karlstadt, die sie dieses Mal in den Ausstellungsräumen der Monacensia entdeckt, und zwar in Form des Obergefreiten Gustav bei einer Gruppe Gebirgsjäger in Ehrenwald. Von dort ist es ein ziemlich weiter Weg bis zu Liesl Karlstadts später Paraderolle als Mutter Brandl in der BR-Radiosendung Familie Brandl. Darin lässt sich manches übers Putzen lernen – und auch eine erstaunliche Seite der Fünfzigerjahre entdecken – ein Beitrag zu #LiterarischeErkundungen.
*
Im Hause der tüchtigen Frauen. Von Prequels, Sequels, Fortsetzungen und verwirrenden Zählweisen
Mein Sohn ist neun Jahre alt und gerade in seiner Star Wars-Phase. Davor hatte er eine Ninjago-Phase, davor eine sehr kurze Anna-und-Elsa-Phase, parallel dazu verlief eine Dino-Phase, die ungefähr von drei bis sieben dauerte, ich meine Jahre, also Alter, also insgesamt etwa vier. Sie merken schon: Ich bin, was das Zählen betrifft, ein wenig traumatisiert, und zwar wegen der Star Wars-Phase meines Sohnes.
Wissen Sie, wir waren nach neun Jahren Elternschaft wirklich einiges gewohnt: grottige Dialoge, vorhersehbare Plots, Klischees auf zwei Beinen und die nahezu vollständige Abwesenheit eines diversen Casts – mit Ausnahme der Quotenfrau, die zwangsläufig zum love interest zweier rivalisierender Männer wird.
Das alles nehmen wir mittlerweile mit der Gelassenheit eines japanischen Sensei hin. Wenn uns jemand mit dem Bechdel-Test kommt, winken wir müde ab.[1] Sicher, irgendwann einmal hatten auch wir die Absicht, unseren Sohn feministisch zu erziehen. Doch wie wir feststellen mussten, hatten wir die Rechnung ohne Lego, Lucasfilm und die ganze verdammte Unterhaltungs- und Spielzeugindustrie gemacht.
Der Bechdel-Test geht auf den Comic-Strip Dykes To Watch Out For von Alison Bechdel zurück. Die Comic-Zeichnerin selbst besteht darauf, dass der Test eigentlich nach ihrer Freundin Liz Wallace benannt werden müsste, da die Idee ursprünglich von ihr stammt. Bechdel nennt Wallace auch in dem ursprünglichen Comic-Strip von 1985.
Schuld an meiner Zählstörung ist jedoch vor allem George Lucas. Seine Filme wurden nämlich als Trilogien in auf- oder absteigender, umgekehrter oder gegenteiliger Reihenfolge im Abstand von ein paar Jahrzehnten gedreht und/oder benannt und/oder veröffentlicht. Um mit Meister Yoda zu sprechen: Genau wie zählen du sollst, herausfinden du wirst es nicht.
Gerne würde ich meinem Sohn in bester sokratischer Frage-Manier („Wer ist noch mal Padmé?“) auf den Pfad der feministischen Erleuchtung leiten („Und warum ist sie im ersten Film Widerstandskämpferin und einflussreiche Politikerin, wird dann aber zur Frau eines cholerischen, gewalttätigen Mannes, von dem sie zwei Kinder bekommt, um schließlich an gebrochenem Herzen zu sterben?“). Tatsächlich aber drehen wir uns meist schon im Kreis, wenn wir uns nur darüber zu verständigen versuchen, von welchem Film und/oder welcher Episode wir gerade sprechen. Das mag sich ein wenig nach Karlstadt-Valentin-Sketch anhören, ist aber definitiv nicht lustig.
Womit wir endlich beim Thema wären, handelt es sich doch bei meiner heutigen literarischen Erkundung um ein Sequel zu meiner letzten Erkundung, also um eine Fortsetzung – oder, wenn Sie so wollen, um den zweiten Teil in Form einer dritten Erkundung, also gewissermaßen 2A.
Oder müsste es 2B heißen …?
Ach egal.
Warum es wichtig ist, Karl Valentin zu zitieren
Auch zum heutigen Thema passt, wie im Grunde zu jeder Lebenssituation, ein Karl-Valentin-Zitat:
Es ist schon alles gesagt, nur nicht von jedem.
Wenn Sie mich auf meiner vorherigen Erkundung begleitet haben, wissen Sie bereits, was ich von Karl-Valentin-Zitaten halte. Trotzdem muss ich den Namen Karl Valentin möglichst oft erwähnen, das ist so ein Suchmaschinen-Ding, wie ich im BR-Podcast Karl Valentin – Der Podcast mit der Komiker-Legende erfahren habe, und zwar in der Solo für Liesl betitelten Folge aus der zweiten Staffel.[2] Wenn ich Karl Valentin schreibe, ist das SEO-technisch viel günstiger, als Liesl Karlstadt zu schreiben. Liesl Karlstadts Name wurde ja auch häufig falsch geschrieben, nämlich Lisl Karlstadt oder sogar Karstadt, während man Karl Valentin noch nicht einmal falsch aussprechen durfte. Auch dazu gibt es ein passendes Zitat, und es ist natürlich von Karl Valentin:
Sagen Sie nicht Walentin zu mir, Sie nennen ja Ihren Vater auch nicht Water!
So, nachdem ich nun alles für die Suchmaschinen-Optimierung getan habe, komme ich zurück zu Liesl Karlstadt – The Sequel und/oder Episode II und/oder Teil 2 (A–B).
Am Anfang der besagten Podcast-Folge über Liesl Karlstadt liest der Moderator einen Zeitungsausschnitt aus dem Jahr 1928 vor. Schon damals war der Tenor, dass Liesl Karlstadt ungerechterweise in den Kritiken zu kurz kommt und es endlich an der Zeit ist, sie als eigenständige Künstlerin und wandlungsreiche Schauspielerin zu würdigen und zu feiern. Sie sehen, das Patriarchat ist ziemlich hartnäckig, weshalb zwar schon alles gesagt sein mag, nur heißt das eben noch lange nicht, dass sich die Dinge auch tatsächlich ändern.
Aber kein Grund zur Panik. Denn wissen Sie, was noch hartnäckiger ist als das Patriarchat?
Feminist*innen.
Liesl Karlstadt – vom Drag King zur Mutter Beimer
Hier nun also die Nachrichten von vorgestern:
1. Liesl Karlstadt zeichnet sich vor allen Dingen durch ihre Wandelbarkeit aus. Während Karl Valentin (Sie wissen schon: SEO) hinter seinen Masken immer Karl Valentin bleibt, kann sie alles spielen: jung, alt, Mann, Frau, jeden Beruf und sogar sich selbst.
2. Liesl Karlstadt brilliert an Karl Valentins Seite vor allen Dingen in Hosenrollen. Das war ihre Stärke und das ist auch das Pikante an der Sache. (Angeblich erhält sie als Kapellmeister in der Orchesterprobe sogar einen Liebesbrief.)
3. Die Hosenrolle ist ihr so vertraut, dass sie mitten im Zweiten Weltkrieg einige Zeit als Obergefreiter Gustav bei einer Gruppe von Gebirgsjägern in Ehrenwald lebt und sich dort um die Maultiere kümmert.
Liesl Karlstadt als eine Art Drag King bei der deutschen Wehrmacht in Bayern?!
Ja, Sie haben richtig gelesen, und ansehen können Sie sich das auch, und zwar im Ausstellungsraum der Monacensia, in einer Vitrine, unweit des Schreibtischs von Oskar Maria Graf (ich weiß, ich weiß – die Bürste!):
Die Maskerade, die sie mit den Gebirgsjägern aufführt – darunter auch Vater-Mutter-Kind-Spiele, aber hey: Who am I to judge?! –, zeichnet sich wie ihre Hosenrollen dadurch aus, dass nie ganz klar ist, wo der Spaß aufhört und Liesl Karlstadt anfängt. Der Witz ist nämlich keineswegs, dass Liesl Karlstadt als Frau einen Mann spielt – anders als Karl Valentin, der, wenn er in Frauenkleider schlüpft, immer als Mann und Karl Valentin erkennbar bleibt und eben dafür Lacher erntet. Umgekehrt verschwindet sie in ihren Hosenrollen auch nicht völlig als Frau, sondern filtert, wie Thomas Brandlmeier argumentiert, Formen von Männlichkeit durch weibliche Körperkomik.[3]
Was Liesl Karlstadts Attraktivität für die Gebirgsjäger und ihr Publikum gleichermaßen ausmacht, ist also ihre female masculinity: eine Form von Männlichkeit, wie sie FLINTA Personen inszenieren und leben. Und wenn Sie jetzt denken: Puh, was hat denn Liesl Karlstadt bitte mit so neumodischem Gender-Gedöns zu tun, dann kann ich Ihnen die Lektüre von Jack Halberstams Female Masculinity ans Herz legen. Weibliche Männlichkeit gibt’s tatsächlich schon ziemlich lange, nur wurde sie oft pathologisiert, mit Hässlichkeit assoziiert, ins Lächerliche gezogen, an den Rand gedrängt, als schlechte Imitation von ‚richtiger‘ Männlichkeit herabgewürdigt, und so weiter.
Aber zurück zu den Nachrichten von vorgestern, vor allem aber: zurück zum Putzen!
Wie ich im Zuge meiner Beschäftigung mit Liesl Karlstadt erfuhr, hat sie in den Fünfzigerjahren – also nach Valentins Tod 1948 – noch eine steile Karriere beim Hörfunk hingelegt. Ja, sie avancierte sogar zum ersten weiblichen bayrischen Medienstar!
Yas, Queen!
Endlich mal eine Geschichte über ein (Künstler*innen-)Paar, in der die Frau den Mann überlebt und dann unabhängig von ihm die berufliche Anerkennung erhält, die ihr zusteht!
So jedenfalls dachte ich, bis ich erfuhr, dass diese späte „Rolle ihres Lebens“ die der Hausfrau und Mutter Walburga Brandl war.
Hier ein Foto von Liesl Karlstadt alias Wally Brandl alias die Mutter Beimer der Fünfzigerjahre:
Foto aus dem Buch „Liesl Karlstadt. Frau Brandl. Die Rolle ihres Lebens“ von Ernestine Koch
Ich sag’s mal so: Liesl Karlstadt hat definitiv bis zum Schluss ihre Wandelbarkeit unter Beweis gestellt.
Auch als Mutter Brandl verschwamm die Grenze zwischen Rolle und Person. Sie wurde auf der Straße als Frau Brandl angesprochen, erhielt Briefe, in denen sie um Haushaltstipps gebeten wurde. Allerdings hatte Liesl Karlstadt in Wirklichkeit keine Ahnung von Haushaltsführung, da ihre Schwester Amalie – Sie erinnern sich? –, sich um den Haushalt der beiden kümmerte.
Aber das ist noch nicht alles, was es hier in Sachen Putzen zu holen gibt!
Der Frauenfunk – eine Geschichte aus dem BR der Fünfzigerjahre (mit einem Twist)
Begonnen hat nämlich alles am 3. Januar 1952 mit einer Reihe, die allen Ernstes den Titel Meisterhausfrau – Haushaltslehrling trug. Die Meisterhausfrau Walburga Brandl sollte ihrem Haushaltslehrling Gisela, einem schlesischen Flüchtlingsmädchen, praktischen Unterricht in Dingen des Haushalts erteilen: wie man das Haushaltsgeld einteilt, richtig abspült und Schuhe putzt und feine Wäsche behandelt und so weiter.
Wissen Sie, ich habe mir Ausschnitte der Familie Brandl (wie Meisterhausfrau – Haushaltslehrling später hieß), angehört, und diese Sendung ist eines nicht, nämlich lustig. Das sollte sie aber auch gar nicht sein. Hintergrund war vielmehr, dass Ilse Weitsch, die Leiterin des damals noch Frauenfunk genannten Familienfunks, einen „kriegsbedingten Nachholbedarf in Haushaltsführung bei den Hörerinnen“ konstatiert hatte. Die praktischen Tipps waren also durchaus nicht nur für den fiktiven Haushaltslehrling Gisela von Interesse.
Und wenn Sie jetzt wie ich denken: Puh, Haushaltsnachhilfe, Meisterhausfrau, Frauenfunk – geht’s noch biederer, Bayern der Fünfzigerjahre?
Dann irren Sie sich, und ich mich auch!
Yay!
Denn das Programm des Frauenfunks behandelte nicht nur Themen wie Haushalt oder Mode, es hatte sich auch die politische Bildung der Frau, Gleichberechtigung und Emanzipation auf die Fahnen geschrieben. In den Sendungen ging es beispielsweise um Fragen wie: „Ist Hausfrauenarbeit Berufsarbeit?“ oder „Probleme der berufstätigen Hausfrau“. Später beteiligte sich der Frauenfunk unter anderem an der juristischen Debatte um notwendige Änderungen im Bürgerlichen Gesetzbuch.
Last but not least arbeiteten neben Ilse Weitsch, die den Frauenfunk 1945 aufbaute und bis 1959 leitete, nur Frauen in der Redaktion. Hier sind sie in einem „Im Hause der tüchtigen Frauen“ betitelten Artikel der Zeitschrift Regenbogen:
Der Artikel porträtiert die Mitarbeiterinnen des Frauenfunks und erklärt zudem, warum Frauen für den Beruf der Technikerin besonders geeignet sind. Ja, Sie haben richtig gelesen: Technikerin.
Das ist doch ein ziemlich guter Plot-Twist am Ende, finden Sie nicht?
Die „Literarische Erkundungen in und um die Monacensia“ erscheinen jeden Monat neu (jeden ersten Dienstag) und setzen sich mit der Frage „Wer putzt?“ auseinander. Mein Name ist Fabienne Imlinger, ich bin Feministin und Autorin und hätte gern ein Autorinnenfoto, auf dem ich ähnlich independent women-mäßig aussehe wie die Redakteurinnen vom Frauenfunk des BR. Immerhin habe ich mit Martina Kübler zusammen meinen eigenen kleinen Frauenfunk in Form unseres Buchpodcasts auf die Beine gestellt. Hörnse doch mal rein!
[1] Um den Bechdel-Test, oder besser gesagt den Wallace-Test zu bestehen, müssen Filme drei Kriterien erfüllen: 1. Es müssen mindestens zwei Frauen darin vorkommen, 2. die beiden Frauen müssen sich miteinander unterhalten, und zwar 3. über etwas anderes als einen Mann. Probieren Sie’s mal aus, Sie werden sich wundern.
[2] Der Podcast ist auf der Webseite des BR und auf allen gängigen Plattformen nachzuhören.
[3] Vgl. Brandlmeiers, Thomas (2006): „Liesl Karlstadt. Souffleuse, Hebamme und Tigerbändigerin“. In: Komödiantinnen, hg. von Thomas Koebner und Fabienne Liptay. edition text + kritik, S. 82-87.