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25.07.2024, 13:00 Uhr
Anna Job
Aufs Jahr geschaut

Wedafest (Wetterfest)

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Alle Bilder (c) Anna Job

Zur Reihe: In Aufs Jahr geschaut widmet sich jeweils eine Autorin oder ein Autor des Literaturportals Bayern auf literarisch-künstlerische Weise einer Jahreszeit und gewinnt dieser im Format eines monatlichen Beitrags poetische, politische, alltagssensibel-lyrische oder bildhafte Reflektionen ab, welche die Leserschaft einmal ganz anders „aufs Jahr schauen“ lässt. In den Monaten Juli, August und September „blickt“ für uns auf den Sommer, so wie sie ihn sieht, die Autorin Anna Job. 

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Der erste Juli ist ein Montag, unsommerlich diesig, und ich habe Elterndienst im Kindergarten. Im Morgenkreis fragt die Erzieherin die Kinder, welcher Wochentag ist. Die Finger schnellen in die Höhe und die Erzieherin erlaubt Karl zu antworten: Sein Finger geht langsam runter und er sagt nichts. Dann darf Valentin, er sagt: „Meine Mama hat schwarze Haare und es sind auch ein paar silberne drin.“ Den Montag will wohl keiner wahrhaben. Entlang der Spielzeugregale schweift mein Blick aus dem Fenster zu Woom-Bikes und Scootern. Theo und Konstantin stoßen beim Raufen mit ihren Ellbogen gegen mich und werden ermahnt still zu sein. Sie erinnern mich an große Jungs, die mich mit Nerf-Guns abschießen, durch Büroflure scootern und in Meetings heimlich Pong spielen. Auf die Frage, welcher Monat denn sei, springt Lea vor Eifer sogar auf, aber die Erzieherin hebt gleich den Finger und sagt: „Es ist nicht der Monat, in dem du Geburtstag hast.“ Langsam sinkt Lea in den Schneidersitz zurück.

Aber es ist der Monat, in dem ich Geburtstag habe. Der Monat der Sommerferien, in die alle fahren, die ich einladen möchte, sodass nur wenige kommen, die sich nicht kennen. Mein Party-Trauma, das ich mit den um Weihnachten rum Geborenen teile, das mich jedes Jahr zögern lässt, überhaupt zu feiern und weshalb ich dann alle immer zu spät einlade. Dieses Jahr wollte ich einmal früher dran sein, damit nur die absagen, die richtig im Urlaub sind, und nicht bei kurz vorher eingetragenen Freizeitstress-Aktivitäten. Zu spät. Nun reden die Kinder über den Sommer, und dass eins der schönsten Dinge daran das Barfußlaufen ist. Dann ziehen alle ihre Schuhe an und gehen raus, um nach zu kurzer Zeit wieder reinzukommen, weil der zu dreißig Prozent wahrscheinliche Sommerregen tatsächlich kommt und doch ein bisschen zu herbstlich ist dafür, dass sie keine Regenkleidung anhaben.

In Zeiten von Hitzewellen und Hochwasser habe ich aufgehört mich über leichten Regen zu beschweren. Und seit unsere Tomaten endlich im überdachten Beet wachsen. Die morgendliche Sonnencremepflicht im Kindergarten bei gutem Wetter nervt mich mehr. Die Erzieherin sagt: „Das wird Unruhe in der Mittagspause geben‟. In meinem Kopf poppen Schlagzeilen auf mit „Medienkonsum‟, „Zucker‟ und „Überforderung‟ als Ursache für Unruhe, aber da ergänzt sie schon: „Grad die Jungs müssen länger rennen‟. Naja, ich werde eh gleich abgelöst und mein Kind schläft gut auf der Nachhausefahrt.

Auf dem Heimweg baumelt es überall, vorbei an Laimer Vorgärten voll Himbeeren, Johannisbeeren und Mirabellen. Wehende Weintriebe winken mir über hohe Zäune zu, auf der Suche nach Halt. Unsere prallen Sauerkirschen ziehen die peitschenartigen Äste richtig runter. Bis zu den vorgestrigen Marmeladengläsern hatte ich lange Angst, dass Hagel, Frost oder Sturm sie wieder zerstören, bevor sie richtig reif sind. Meine Hand streift über die Ähren des Roggenfeldchens, das unsere drei Hühner sich angelegt haben, indem sie einige Futterkörner nicht aufgegessen haben. Samstagvormittag. Nach der ersten grauwettrigen Woche ballern heute 31 Grad. Meine Kinder freuen sich, dass der Flohmarkt nicht wegen Regen ausfällt, aber bereits als wir ankommen, können wir es vor Hitze kaum aushalten. Die Verkaufstische stehen in der prallen Sonne und mir fällt ein, dass ich die Kinder hätte eincremen sollen. 

Damit es schneller geht, empfehle ich ihnen den kleinen Spielplatz hinterm Verkaufsbereich, aber auch der ist in der Sonne und somit unattraktiv. Der Jugendliche am Bratwurstgrill schwitzt oben ohne, und nach fünf Ständen will die Kleine vor Schwäche nur noch auf meinem Arm sein. Die Große ist still, aber tapfer, denn für sie sind wir ja auf Klamottenjagd. Beide wollen sie nicht auf dem schmalen aber schattigen Grünstreifenrand warten. Also schaffe ich es mit einem Arm, schweißtriefend, fünf Shirts, zwei Shorts, drei Leggins und drei Kleidchen – so viel gibt’s fast nie in ihrer Schulkindergröße – zu begutachten, nach ihrem zaghaften Nicken runterzuhandeln und zu bezahlen. Zu Hause möchte ich ins Planschbecken springen, aber darin vegetiert seit den warmen Junitagen eine algige Pfütze voller Insektenleichen. Und weil es abends eh wieder regnen, sogar gewittern soll, lohnt es sich nicht, das Becken frisch zu befüllen. Also dusche ich kalt. Beharrlich haben wir das Planschbecken geschrubbt, als die ersten heißen Junitage den Sommer eröffneten. Denn ja, auch diesen Winter hatte ich das Planschbecken nicht gut verstaut, und es wäre leicht es wegzuschmeißen und in den Baumarkt zu fahren, aber ich wollte endlich mal eins, dass länger als eine Saison hält, nachdem die letzte Saison schon zwei verbraucht hat, weil das erste von trinkenden Krähenkrallen gepierct worden war.

Die Kinder preisen ihre Hilfe an, die dann doch nur halbherzig ausfällt, aber ich schrubbe unbeirrt. Denn schließlich hatte ich dieses größere, stabilere Becken vor allem für mich ausgesucht. Aber ich bin dankbar, dass sie allerlei Würmer, Schnecken, Asseln und Käfer aus den Ritzen sammeln. Als Essigessenz den letzten Algenschleim entfernt hat, der Rand aufgepumpt ist, und die zwei sich beim abwechselnden Gartenschlauchhalten laut über gerechte Haltezeiten streiten, spüre ich, dass er noch da ist. Er hat den Winter über in mir geruht und erwacht nun. Der Planschbeckenstreber. Oh ja, er ist ein Teil von mir. Er wehrt herbeigetragene Sandförmchen ab, befiehlt nicht auf den Rand zu treten, keine spitzen oder dreckigen Spielsachen, Stöcke und Steine mit ins Becken zu nehmen. Nur den harmlosen Kescher dürfen die Kinder benutzen, um das schwimmende Gras aus dem Wasser zu fischen – „aber kein neues reinwerfen!‟

Der Planschbeckenstreber in mir hat einen harschen Ton voll Konsequenz und Disziplin. Wasser darf dem Becken, zur Verschwendung, nicht entnommen werden, es sei denn, jemand hat ins Gras gepieselt – nicht ins Becken! – und will sich die Beine abspülen. Ja, man darf sich nass im Sandkasten panieren, aber sich danach nicht im Becken abwaschen. Ich überlege, wieder die Routine vom letzten Jahr zu übernehmen und jeden Morgen noch vorm Kaffee ins Becken zu springen, aber das war vor der Schulzeit. Ein Schulmorgen beginnt früher und verlangt uns ab 6.30 so viel Routine, Disziplin und vor allem Wut-Management ab, dass eine Abkühlung zwar geil wäre, aber überfordernd.

Nachmittags ziehen erste Wolken über die Schwüle. Eine Henne rast gestresst durchs Gehege, und man könnte denken, dass sie wetterfühlig ist, aber ich weiß, dass sie seit gestern wieder gluckt und wohl nur kurz ihr Legenest zum Fressen und Bewegen verlässt. Ich fühle mich ihr verbunden, weil auch ich über ein drittes Küken nachdenke, und klingle bei den Nachbarn mit Hahn, ob es befruchtete Eier gibt. Doch sie sagen, dass es da so einen Nachbarn mit Anwalt gegeben hat und dass Gonzo jetzt leider in der Tiefkühltruhe liegt. Weil ich – wahrscheinlich wegen meiner eigenen Gluckigkeit – den Kids sehr wohlgesonnen bin, und damit nachher bloß niemand zu wenig gerannt ist, schlage ich vor, noch einen schnellen Spielplatzausflug zu riskieren, bevor der Regen tatsächlich kommt. Sie überlegen. „Ein bisschen baumeln‟, sage ich und dann sind sie überzeugt.

Wir nehmen die rote Ikea-Polyesterdecke mit ins Lastenrad, womit sie sich zudecken können, falls der Regen tatsächlich kommt. Denn das Regenverdeck wurde im Winter von den Schneemassen erdrückt und nie nachgekauft. Kichernd sausen wir vor der einen dunklen Wolke davon, aber während Luftfeuchtigkeit und Handschweiß so arg sind, dass wir an allen Stangen, an denen wir hängen und klettern möchten, abrutschen, kippt erst die Laune und dann das Wetter. Wir retten uns ins kleine Spielhäuschen und während die Kleine uns noch Stein-Sand-Stöckchenkuchen backt, bleibt die Große knatschig und will heim. Einen Wutanfall kann sie mit ihrer Fantasie verhindern, in der unsere Decke ihre Kutschplane ist, unter der sich beide einkuscheln und beschützt fühlen. Ich bin das Kutschpferd. „Mama, im Spiel warst du halt vor uns eingespannt.‟ Sie kichern und ich galoppiere in die Pedale. Schnaufend erzähle ich irgendwas von: wie geil es doch eigentlich ist, das Wetter so richtig zu spüren, wie es sich nach dem langen Anbahnen endlich entlädt, aber ich glaub das ist eins von den Dingen, die sie jetzt zwar erleben, aber erst später verstehen werden, und als wir, sie einigermaßen trocken, ich klitschnass, in unsere Straße einbiegen, lachen wir alle doll.

In der Einfahrt erwartet uns der Papa mit nassem T-Shirt, voller Regen, Schweiß und Flecken von Lichtschutzfaktor 30 und Sägemehl, nachdem er die neue Holzleg fürs winterliche Brennholz fertig gebaut hat. Er hebt die Kinder aus dem Lastenrad und ja, sie dürfen einen Schluck von seiner Feierabendlimo. Ein Zeit-Artikel berichtet über Nacktschnecken und wie sie unsere Liebe zur Natur zerraspeln. Ich muss den Artikel nicht lesen, denn ich weiß, wie sie raspeln. Wie sie mit der Dämmerung erwachen und über die Mauer kriechen. Die Mauer, auf der wir, hinter uns, unsere Biere und Chipsschüsselchen abstellen, nach denen wir dann ohne zu schauen greifen, wenn wir mit Freunden auf der Terrasse EM-Spiele schauen. EM-Spiele, die mich nicht interessieren, aber deren gesellige Gemütlichkeit ich trotzdem mag. Und deren Wildheit, wenn die Kinder jegliche Bildschirmzeit- und Süßkram-Grenzen überschritten haben, auf ihren Sitzen zappeln und kreischen und in der Halbzeit durch den Garten toben. Im Halbdunkel zur Verlängerung voll aufpassen und dann doch eine ins Planschbecken stolpert. Wie sie kleine Zweige in die Feuerschale halten und wir immer wieder „Nicht mit der Glut rumfuchteln‟ rufen müssen.

Auf dieser Mauer erklimmen die Nacktschnecken unsere Flaschenhälse und Schüsselränder, um zu raspeln und drücken so ihren Schleim in unsere Handflächen, dann in die Poren unserer Spülschwämme, und für immer in unser Ekelgedächtnis. Der eine getigerte Schnegel im Sommer 2018 war so groß und fies, dass ich würgen musste. An den fettigen Aluschalen neben dem Grill sind so viele, dass es sich lohnen würde, mal wieder zu schneiden. Heute ist wieder ein grauer Montag, aber knallig schmiegt sich die Kirschmarmelade an den Toast, unerreichbar baumeln im Wipfel die Schönsten für die Krähen, und ich beginne die Einladung mit „Kirschkuchen für Kurzentschlossene‟.

 

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Anna Job schreibt gerne über Mütter. Wasser. Kompost. Und an Bäume. Bisschen lyrisch. Als freie Autorin. Germanistin. Halbe Informatikerin. Und bisschen Texterin. Sie lebt in München, liebt einen Mann, zwei Kinder und zwei Kater. Und vier Hühner …