Gespräch mit Laura Lichtblau anlässlich des Literatursommerfests in Sulzbach-Rosenberg
Die in München geborene Schriftstellerin Laura Lichtblau hat in diesem Sommer ihren neuen Roman SUND (Verlag C.H. Beck) vorgelegt und daraus jüngst auf dem Literatur-Sommerfest im Literaturhaus Oberpfalz/Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg gelesen. Andrea Heuser hat für das Literaturportal ein kurzes Gespräch mit der Autorin geführt.
*
ANDREA HEUSER: Liebe Laura, du kommst ja gerade vom Sommerfest in Sulzbach-Rosenberg zurück. Wie war es denn?
LAURA LICHTBLAU: Das Sommerfest im Literaturhaus Oberpfalz war sehr schön. Ich habe eine kleine Führung durchs Archiv bekommen und durfte wunderbare Menschen kennenlernen, von den Mitarbeiter*innen des Literaturhauses über Uwe Timm bis hin zu der Fotografin Heike Bogenberger.
HEUSER: Das ist schön zu hören! Nun ist nicht jede Autorin und nicht jeder Autor auch zugleich ein begeisterter Performer oder Vorträger seiner Texte. Wie geht es dir damit: aus einem „frischen Roman“ vorzulesen, die Reaktionen auf dein Werk direkt mitzubekommen? Was passiert dabei für dich mit dem Text?
LICHTBLAU: Ich bin mittlerweile gern auf der Bühne, trotz der leichten Aufregung kurz vorher. Laut gelesen klingt ein Text noch einmal völlig anders, gerade weil mir auch Rhythmus und Klang der Sprache sehr wichtig sind. Manchmal gibt es diesen Moment, in dem ich merke, dass eine Verbindung zum Publikum entsteht, das kann ein Lachen oder auch ein leises Seufzen in einer traurigen Szene sein. In diesem Augenblick habe ich das Gefühl, der Text springt von der Seite und verwandelt sich in einen anderen, lebendigeren Stoff.
HEUSER: Apropos Lebendigkeit: In deinem Roman SUND, auf dessen Lektüre ich mich nun schon sehr freue, wird die Erzählerin von den Geistern der Vergangenheit, der unbewältigten Familiengeschichte recht lebhaft heimgesucht. Wie ging es dir mit dem Schreiben dieses Werkes?
LICHTBLAU: Das Schreiben von SUND war teilweise sehr beglückend, teilweise sehr hart. Mit dem Thema Medizin im Nationalsozialismus habe ich mich einem Teil der deutschen Geschichte gewidmet, der meiner Meinung nach zu dem Schlimmsten und Grausamsten zählt und der viel weniger aufgearbeitet worden ist, als ich vor meiner Recherche gedacht habe.
HEUSER: Ist SUND denn autobiographisch grundiert- und falls ja, wie war für dich der Transformationsprozess vom Privaten ins Literarische? Gab es Stolperfallen, Krisen, Überraschungen?
LICHTBLAU: Auch wenn es sich um einen Roman handelt, markiere ich den dritten Teil des Textes ganz bewusst als autobiografisch bzw. essayistisch – durch reale Namen, Orte und Quellenangaben. Dass Max Lange mein Urgroßvater ist, macht diesen Teil des Buchs zur Autofiktion, den restlichen Text allerdings nicht. Das mag in der Rezeption eine Stolperfalle sein – dass man dennoch einen Unterschied machen muss zwischen Erzählerin und Autorin. Überrascht haben mich die sehr unterschiedlichen Reaktionen der Familienmitglieder auf meinen Roman. Da war von großem Interesse im engsten Kreis bis hin zu Abwehr und sehr lautem Schweigen im größeren Kreis alles dabei. Ich hatte wahrscheinlich mit einem aufgeschlosseneren Umgang mit dem Thema gerechnet oder zumindest darauf gehofft.
HEUSER: Ja, diese Hoffnung teile ich und auch die Erfahrung, wie heikel zugleich diese Tatsache ist, dass die jüngere Geschichte eben immer auch Familiengeschichte ist. Und das Aufarbeiten der NS-Vergangenheit ist gerade für unsere Generation, die der Enkelinnen, Enkel und Urenkel, nun einmal ein zentrales Anliegen. Auch mein jüngster Roman Wenn wir heimkehren ist diesem Thema gewidmet sowie der Frage, inwieweit sich Traumata vererben. Warum ist das eigentlich so wichtig für uns, diese Auseinandersetzung? Was erhoffst du dir davon für dich und für deine Leserinnen und Leser?
LICHTBLAU: Ich bin kein großer Fan vom Schweigen oder Vermeidungsverhalten, wenn es um Probleme oder unangenehme Themen geht. Ich glaube, davon wird nichts besser, es gärt vor sich hin und bricht sich in einer anderen Form Bahn. Noch heute ist übrigens – auch unter Ärzt*innen – die Ansicht verbreitet, dass bis auf prominente Ausnahmen wie Mengele etc. Ärzt*innen den Menschen stets helfen wollten und sich dem Naziterror gezwungenermaßen unterwerfen mussten. Dabei hat sich ein Großteil der Ärzt*innen dem Regime jubelnd angedient und unethische, unmenschliche Forschungsmethoden waren zur NS-Zeit keine Ausnahme sondern Gang und Gäbe. Dieses Vorgehen wurde auch von bekannten Institutionen unterstützt oder gar initiiert.
HEUSER: Umso wichtiger, dass du mit deinem Roman auf diese umfassendere ideologische Verstrickung, dem Anteil der Medizinerinnen und Mediziner an den nationalsozialistischen Verbrechen aufmerksam machst. Darüber hinaus bist du ja eine Autorin, die thematisch breit und vielfältig aufgestellt ist. Magst du uns schon etwas über dein nächstes Projekt verraten oder ist das noch zu früh?
LICHTBLAU: Ich wage langsam die ersten Schritte hinein in den neuen Text. Aber noch habe ich das Gefühl, ganz behutsam mit ihm umgehen zu müssen und spreche noch nicht viel über ihn. Außerdem habe ich gerade zwei Ideen gleichzeitig im Kopf und weiß noch nicht, ob daraus zwei Bücher werden oder doch eines. Manchmal merkt man ja erst mit der Zeit, dass zwei Ideen zusammengehören.
HEUSER: Da können wir auf jeden Fall sehr gespannt sein, für was dein Kopf sich dann entscheidet. Nun bist du ja nicht nur Autorin, sondern sicherlich ja auch Leserin. Was liest du gerne und welche Lektüren haben dich besonders geprägt?
LICHTBLAU: Ich lese unglaublich gern, momentan viel aus dem angloamerikanischen Raum. Gern mag ich zum Beispiel Ann Carson, Selby Wynn Schwartz, Jenn Shapland oder Richard Brautigan.
Leseecke (c) Laura Lichtblau
HEUSER: Das ist ein schöner, literarischer Resonanzraum der angloamerikanischen Gegenwart. Wie schaut es denn mit der Vergangenheit aus? Welches Buch aus früheren Lebensjahren, das du vielleicht mal zu rasch weggelegt hast oder das unverstanden blieb, verdiente eine zweite Chance? Was würdest du gerne noch mal lesen?
LICHTBLAU: Es gibt ein Jugendbuch, das ich in meiner Kindheit zum ersten Mal gelesen habe und seitdem bestimmt noch viermal. Ich finde es faszinierend, wie viele neue Ebenen sich jedes Mal durch meinen wechselnden Blickwinkel erschlossen haben. Sympathie oder Verständnis für einzelne Figuren sind entstanden oder haben sich aufgelöst; was immer blieb war die Faszination für die Fantasie der Autorin und ihr Vermögen, der Geschichte ganz subtil Unheimliches einzuweben. Weil es mir ein bisschen heilig ist, behalte ich den Namen des Buches für mich.
HEUSER: Das macht natürlich neugierig; aber ich finde das schön, so kann sich unsere Leserschaft selbst überlegen, welches Buch denn gemeint sein könnte. Und zum Abschluss noch etwas Assoziatives. Wie würdest du, ganz spontan, die folgenden Sätze beenden: Wenn ich mir die Welt so anschaue, möchte ich am liebsten …
LICHTBLAU: Schreien. Oder sie umarmen. Wahrscheinlich beides.
HEUSER: Für die gegenwärtige Literatur wünsche ich mir …
LICHTBLAU: Vielfalt, Überraschungen und Wagemut.
HEUSER: Wenn ich ein Tier wäre, wäre ich am ehesten ein …
LICHTBLAU: Zugvogel.
HEUSER: Und damit, liebe Laura, lasse ich dich dann auch aus diesem Gespräch fort- und weiterziehen. Vielen herzlichen Dank für das Gespräch!
Gespräch mit Laura Lichtblau anlässlich des Literatursommerfests in Sulzbach-Rosenberg>
Die in München geborene Schriftstellerin Laura Lichtblau hat in diesem Sommer ihren neuen Roman SUND (Verlag C.H. Beck) vorgelegt und daraus jüngst auf dem Literatur-Sommerfest im Literaturhaus Oberpfalz/Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg gelesen. Andrea Heuser hat für das Literaturportal ein kurzes Gespräch mit der Autorin geführt.
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ANDREA HEUSER: Liebe Laura, du kommst ja gerade vom Sommerfest in Sulzbach-Rosenberg zurück. Wie war es denn?
LAURA LICHTBLAU: Das Sommerfest im Literaturhaus Oberpfalz war sehr schön. Ich habe eine kleine Führung durchs Archiv bekommen und durfte wunderbare Menschen kennenlernen, von den Mitarbeiter*innen des Literaturhauses über Uwe Timm bis hin zu der Fotografin Heike Bogenberger.
HEUSER: Das ist schön zu hören! Nun ist nicht jede Autorin und nicht jeder Autor auch zugleich ein begeisterter Performer oder Vorträger seiner Texte. Wie geht es dir damit: aus einem „frischen Roman“ vorzulesen, die Reaktionen auf dein Werk direkt mitzubekommen? Was passiert dabei für dich mit dem Text?
LICHTBLAU: Ich bin mittlerweile gern auf der Bühne, trotz der leichten Aufregung kurz vorher. Laut gelesen klingt ein Text noch einmal völlig anders, gerade weil mir auch Rhythmus und Klang der Sprache sehr wichtig sind. Manchmal gibt es diesen Moment, in dem ich merke, dass eine Verbindung zum Publikum entsteht, das kann ein Lachen oder auch ein leises Seufzen in einer traurigen Szene sein. In diesem Augenblick habe ich das Gefühl, der Text springt von der Seite und verwandelt sich in einen anderen, lebendigeren Stoff.
HEUSER: Apropos Lebendigkeit: In deinem Roman SUND, auf dessen Lektüre ich mich nun schon sehr freue, wird die Erzählerin von den Geistern der Vergangenheit, der unbewältigten Familiengeschichte recht lebhaft heimgesucht. Wie ging es dir mit dem Schreiben dieses Werkes?
LICHTBLAU: Das Schreiben von SUND war teilweise sehr beglückend, teilweise sehr hart. Mit dem Thema Medizin im Nationalsozialismus habe ich mich einem Teil der deutschen Geschichte gewidmet, der meiner Meinung nach zu dem Schlimmsten und Grausamsten zählt und der viel weniger aufgearbeitet worden ist, als ich vor meiner Recherche gedacht habe.
HEUSER: Ist SUND denn autobiographisch grundiert- und falls ja, wie war für dich der Transformationsprozess vom Privaten ins Literarische? Gab es Stolperfallen, Krisen, Überraschungen?
LICHTBLAU: Auch wenn es sich um einen Roman handelt, markiere ich den dritten Teil des Textes ganz bewusst als autobiografisch bzw. essayistisch – durch reale Namen, Orte und Quellenangaben. Dass Max Lange mein Urgroßvater ist, macht diesen Teil des Buchs zur Autofiktion, den restlichen Text allerdings nicht. Das mag in der Rezeption eine Stolperfalle sein – dass man dennoch einen Unterschied machen muss zwischen Erzählerin und Autorin. Überrascht haben mich die sehr unterschiedlichen Reaktionen der Familienmitglieder auf meinen Roman. Da war von großem Interesse im engsten Kreis bis hin zu Abwehr und sehr lautem Schweigen im größeren Kreis alles dabei. Ich hatte wahrscheinlich mit einem aufgeschlosseneren Umgang mit dem Thema gerechnet oder zumindest darauf gehofft.
HEUSER: Ja, diese Hoffnung teile ich und auch die Erfahrung, wie heikel zugleich diese Tatsache ist, dass die jüngere Geschichte eben immer auch Familiengeschichte ist. Und das Aufarbeiten der NS-Vergangenheit ist gerade für unsere Generation, die der Enkelinnen, Enkel und Urenkel, nun einmal ein zentrales Anliegen. Auch mein jüngster Roman Wenn wir heimkehren ist diesem Thema gewidmet sowie der Frage, inwieweit sich Traumata vererben. Warum ist das eigentlich so wichtig für uns, diese Auseinandersetzung? Was erhoffst du dir davon für dich und für deine Leserinnen und Leser?
LICHTBLAU: Ich bin kein großer Fan vom Schweigen oder Vermeidungsverhalten, wenn es um Probleme oder unangenehme Themen geht. Ich glaube, davon wird nichts besser, es gärt vor sich hin und bricht sich in einer anderen Form Bahn. Noch heute ist übrigens – auch unter Ärzt*innen – die Ansicht verbreitet, dass bis auf prominente Ausnahmen wie Mengele etc. Ärzt*innen den Menschen stets helfen wollten und sich dem Naziterror gezwungenermaßen unterwerfen mussten. Dabei hat sich ein Großteil der Ärzt*innen dem Regime jubelnd angedient und unethische, unmenschliche Forschungsmethoden waren zur NS-Zeit keine Ausnahme sondern Gang und Gäbe. Dieses Vorgehen wurde auch von bekannten Institutionen unterstützt oder gar initiiert.
HEUSER: Umso wichtiger, dass du mit deinem Roman auf diese umfassendere ideologische Verstrickung, dem Anteil der Medizinerinnen und Mediziner an den nationalsozialistischen Verbrechen aufmerksam machst. Darüber hinaus bist du ja eine Autorin, die thematisch breit und vielfältig aufgestellt ist. Magst du uns schon etwas über dein nächstes Projekt verraten oder ist das noch zu früh?
LICHTBLAU: Ich wage langsam die ersten Schritte hinein in den neuen Text. Aber noch habe ich das Gefühl, ganz behutsam mit ihm umgehen zu müssen und spreche noch nicht viel über ihn. Außerdem habe ich gerade zwei Ideen gleichzeitig im Kopf und weiß noch nicht, ob daraus zwei Bücher werden oder doch eines. Manchmal merkt man ja erst mit der Zeit, dass zwei Ideen zusammengehören.
HEUSER: Da können wir auf jeden Fall sehr gespannt sein, für was dein Kopf sich dann entscheidet. Nun bist du ja nicht nur Autorin, sondern sicherlich ja auch Leserin. Was liest du gerne und welche Lektüren haben dich besonders geprägt?
LICHTBLAU: Ich lese unglaublich gern, momentan viel aus dem angloamerikanischen Raum. Gern mag ich zum Beispiel Ann Carson, Selby Wynn Schwartz, Jenn Shapland oder Richard Brautigan.
Leseecke (c) Laura Lichtblau
HEUSER: Das ist ein schöner, literarischer Resonanzraum der angloamerikanischen Gegenwart. Wie schaut es denn mit der Vergangenheit aus? Welches Buch aus früheren Lebensjahren, das du vielleicht mal zu rasch weggelegt hast oder das unverstanden blieb, verdiente eine zweite Chance? Was würdest du gerne noch mal lesen?
LICHTBLAU: Es gibt ein Jugendbuch, das ich in meiner Kindheit zum ersten Mal gelesen habe und seitdem bestimmt noch viermal. Ich finde es faszinierend, wie viele neue Ebenen sich jedes Mal durch meinen wechselnden Blickwinkel erschlossen haben. Sympathie oder Verständnis für einzelne Figuren sind entstanden oder haben sich aufgelöst; was immer blieb war die Faszination für die Fantasie der Autorin und ihr Vermögen, der Geschichte ganz subtil Unheimliches einzuweben. Weil es mir ein bisschen heilig ist, behalte ich den Namen des Buches für mich.
HEUSER: Das macht natürlich neugierig; aber ich finde das schön, so kann sich unsere Leserschaft selbst überlegen, welches Buch denn gemeint sein könnte. Und zum Abschluss noch etwas Assoziatives. Wie würdest du, ganz spontan, die folgenden Sätze beenden: Wenn ich mir die Welt so anschaue, möchte ich am liebsten …
LICHTBLAU: Schreien. Oder sie umarmen. Wahrscheinlich beides.
HEUSER: Für die gegenwärtige Literatur wünsche ich mir …
LICHTBLAU: Vielfalt, Überraschungen und Wagemut.
HEUSER: Wenn ich ein Tier wäre, wäre ich am ehesten ein …
LICHTBLAU: Zugvogel.
HEUSER: Und damit, liebe Laura, lasse ich dich dann auch aus diesem Gespräch fort- und weiterziehen. Vielen herzlichen Dank für das Gespräch!