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18.07.2024, 16:05 Uhr
Katrin Hillgruber
Gespräche
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Birgit Leib © Noëmie Cassagnau

Birgit Leib über ihre Übersetzung von Léonie d’Aunets "Reise einer Frau in die Arktis" (1854)

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© mare verlag

Kiel erschien ihr hässlich und geschmacklos, das Bergwerk von Falun dagegen schlug sie in seinen Bann: In neun Briefen an ihren Bruder oder Halbbruder Léon de Boynest berichtete Léonie Thévenot d’Aunet (2. Juli 1820 - 21. März 1879) über ihre Reise nach Spitzbergen an Bord der Corvette La Recherche. Als erste Frau überhaupt und damit als selbsterklärtes „erstes Ansichtsexemplar“ hatte sich die 19-jährige Pariserin einer Forschungsexpedition ans Nordkap angeschlossen, in Begleitung ihres Verlobten François-Auguste Biard, den sie allerdings kaum erwähnt. Mit nur 58 Jahren starb die Schriftstellerin und Journalistin verarmt und vergessen in Paris. 170 Jahre nach der Erstveröffentlichung liegt Léonie d’Aunets Reise einer Frau in die Arktis nun in der Übersetzung von Birgit Leib auf Deutsch vor, mit einem Nachwort von Kristina Maidt-Zinke (mareverlag). Birgit Leib hat ihr deutsch-französisches Studium in Paris mit einer Arbeit über den Reisebericht im 19. Jahrhundert abgeschlossen. Sie ist Mitglied im Münchner Übersetzer-Forum und hat 2015 das Arbeitsstipendium für Literaturübersetzung des Freistaats Bayern erhalten. Mit ihr sprach Katrin Hillgruber.

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LITERATURPORTAL BAYERN: Frau Leib, wie kamen Sie dazu, Léonie d’Aunets „Voyage d’une femme au Spitzberg“ zu übersetzen, war das Ihr Vorschlag an den mareverlag?

BIRGIT LEIB: Das war eigentlich ganz lustig, denn ich hatte dem Verlag tatsächlich ein Buch vorgeschlagen, von Hélène Gaudy, einen zeitgenössischen Roman. Darin ging es auch um eine Arktis-Expedition im 19. Jahrhundert. In der Bibliografie des Buches gab es Empfehlungen zum Weiterlesen, und da war Léonie d’Aunets Voyage d’une femme au Spitzberg aufgeführt. Das fand ich interessant, und der Verlag hatte ohnehin schon sondiert, ob das etwas sein könnte. Und so sind wir zusammengekommen und waren alle begeistert davon.

LPB: Die Entstehungsgeschichte des Buches ist sehr ungewöhnlich. Warum wurde dieser Sensationserfolg des Jahres 1854 erst jetzt ins Deutsche übersetzt, geschlagene 170 Jahre später?

LEIB: Es gab noch nie etwas von Léonie d‘Aunet auf Deutsch. Die Frau ist abgesehen von ihrer kleinen Affäre mit Victor Hugo völlig unbekannt, aber da ist sie nicht unbedingt namentlich aufgeführt. Sie hat auch noch ein paar andere Sachen geschrieben, die aber weder in Deutschland noch woanders in Übersetzungen zugänglich sind. 

LPB: Léonie d’Aunet hat diese Reise 1839 mit 19 Jahren unternommen, ihren Bericht jedoch erst 1854 veröffentlicht. Warum kam es zu dieser Verzögerung?

LEIB: Die Reise dauerte einige Monate lang. Zurück in Paris, hatte Léonie d’Aunet eine Affäre mit Victor Hugo. Ihr Ehemann hat das mitbekommen, er wusste allerdings nicht, dass es sich um den berühmten Schriftsteller handelte. Er ist mit Polizisten in eine dunkle Gasse gegangen, wo das Paar in einem Hotel war, und hat die beiden in flagranti erwischt. Und daraufhin kam Léonie d’Aunet ins Gefängnis, wurde nach ein paar Monaten begnadigt und ins Kloster überstellt. Aber das war so ein Einschnitt in ihrem Leben, dass ihre Schreibprojekte nicht mehr an erster Stelle standen. Sie musste schauen, wie sie zurande kam. Sie durfte ihre Kinder nicht mehr sehen, sie musste dafür kämpfen. Und erst nach und nach hat sie sich um ihr Werk gekümmert. Teile dieses Buches wurden in Zeitschriften veröffentlicht, aber dann auch eher in den 1850er Jahren. Was ich noch hinzufügen möchte: Ich finde es toll, wie sie als Schriftstellerin diese ganzen Zettelchen und Notizen überarbeitet und fiktionalisiert hat.
Léonies Bruder oder Halbbruder Léon de Boynest, der zum Zeitpunkt der Expedition aber erst 12 Jahre alt war und in New York lebte. Handelt es sich um einen fiktiven Adressaten?

LEIB: Auf jeden Fall. In Reiseberichten dieser Zeit wurde das ja oft so gemacht, dass es fiktive Adressatinnen und Adressaten gab.

LPB: Sie schreibt sehr lebendig in der Ich-Form und erwähnt dabei nie ihren Lebensgefährten und späteren Ehemann François-Auguste Biard. Gibt es dafür eine Erklärung? Ging es vor allem darum, sie als erste weibliche Arktisreisende in den Mittelpunkt zu stellen? Der Titel der bei Hachette erschienenen Erstausgabe Voyage D’UNE FEMME au Spitzberg verrät ja durch die Versalien eine gewisse Sensationslust …

LEIB: Ich denke schon. Und im Nachhinein spielt eine Rolle, dass ihr Mann sie ja später der Polizei ausgeliefert hat. Da war auf jeden Fall ein bisschen Rache dabei, und sie wollte als Schriftstellerin selbst gesehen werden. Im Buch wird nie deutlich, ob sie verlobt oder verheiratet war, ihr Mann hat zu Anfang lediglich die zündende Funktion des umworbenen Malers für die Forschungsreise. Nur im zweiten Teil, wenn sie nach Spitzbergen zu dritt durch Lappland reisen, sie, ihr Verlobter und ein Bediensteter – da konnte sie ihn nicht ganz unterschlagen.

LPB: Ich finde den lebhaften, fluiden Ton besonders schön. Da wirken selbst Invektiven wie gegen die putzwütigen Holländer oder die „früh gealterten“ Norwegerinnen noch ausgesprochen charmant. War es denn schwierig für Sie, im Deutschen in diesen Ton hineinzufinden?

LEIB: Ich muss sagen, gerade der Ton hat mir am meisten Spaß gemacht, weil der auch so zeitlos ist. Man spottet da eben ein bisschen über den Reinheitskult der Holländer, und das war quasi zeitgenössisch. Da musste ich mich auch nicht anstrengen, mir zu sagen: „Hey, das ist 19. Jahrhundert, dieses oder jenes Wort kannst du jetzt nicht verwenden.“ Ich habe natürlich kein übertrieben modernes Vokabular verwendet, aber vom Stil her war das eigentlich ein Flow. Man soll nicht historisierend übersetzen, und das war für mich stilistisch sehr spannend. Ich lese dann parallel immer Bücher aus der gleichen Periode, und manchmal schwirren Wörter wie „alsbald“ herein, die einen leichten Touch von Vergangenem bringen, aber ohne, dass es zu plakativ wird. 

LPB: Welche Schwierigkeiten bereitete Ihnen der technisch-nautische Komplex bei der Übersetzung?

LEIB: Es gibt ja Reiseberichte mit ellenlangen Listen. Sie versuchte zwar zu vermeiden, über staubtrockene technische Dinge zu schreiben, aber zwei, drei Seiten in der Art gab es dann doch, und das fand ich schon schwieriger. 

LPB: Die Orte erscheinen bei ihr teilweise recht verfremdet.

LEIB: Das war das Schwierigste, aber eigentlich auch das Spannendste. Ich hatte beim Übersetzen ständig Atlanten und Karten vor mir, einerseits aus Papier, andererseits digital, und habe die Etappen und Orte dann immer recherchiert. Gerade in Lappland war das sehr heikel, da gibt es keine wirklich guten Karten, selbst heute nicht. Man kann dann nur nachrekonstruieren, wo das ungefähr gewesen sein muss und gucken, ob es da nicht irgendwo einen Ort in der Nähe gibt, der für die Reiseroute schlüssig ist. Sie konnte zwar Englisch, aber weder Schwedisch noch Norwegisch, und die Sprache der Samen schon gleich gar nicht. Auf ihren Notizen finden sich abenteuerliche Schreibweisen der Orte, „Mattaringuy“ zum Beispiel, damit ist das nordschwedische Matarenki gemeint.

LPB: Léonie d’Aunet besuchte leidenschaftlich gern Museen, etwa in Amsterdam, wo sie unter anderem Rembrandts Gemälde „Die Nachtwache“ oder „Die Anatomie des Dr. Tulp“ beschreibt und die holländischen Meister „Genies der Geduld“ nennt. Sicherlich war sie eine typische Pariser Bildungsbürgerin, aber zeigen diese Kunstinterpretationen nicht doch ganz besonders ihre Begabung, alles Gesehene schnell und sicher einordnen zu können?

LEIB: Ich glaube, dafür gibt es zwei Gründe. Einerseits war ihr Verlobter ja tatsächlich Maler, da gab es natürlich viele Berührungspunkte zur Kunst. Und andererseits ist das ein Klassiker im Reisebericht. Damals gab es noch keine Fotografie, und ein Gemälde zu beschreiben, eine halbe Seite lang oder länger, gehörte zum Genre. Ich denke, dass sie sehr früh an Salons teilgenommen hat, vielleicht sogar als Kind bei ihrer Mutter.

LPB: Sie haben den 18 Jahre älteren Victor Hugo und seinen unheilvollen Einfluss auf Léonie d’Aunet erwähnt, aber hat ihr die Beziehung zu ihm literarisch dann doch geholfen? Victor Hugos Frau hatte Léonie d’Aunet ja unterstützt, um der Dauergeliebten Juliette Drouet zu schaden.

LEIB: Das frage ich mich auch. Nach feministischer und auch biografischer Lesart findet man, dass sich Victor Hugo unmöglich verhalten hat, typisch Mann zu dieser Zeit natürlich. Ich denke aber schon, dass die beiden über Literatur geredet haben. Er hat auch ein paar schöne Gedichte für sie geschrieben. Was aber andererseits der Fall ist, ist, dass Victor Hugo sie auch ausgenützt hat. Er hat sie und auch die andere Geliebte sozusagen als Dokumentaristinnen benützt und ihre Gefängniserfahrungen in Les Misérables verarbeitet, so wie er die Erfahrungen von Leuten, die auf der Straße leben mussten, auch in diesem Roman verwendet hat, ohne natürlich die ursprünglichen Autorinnen zu nennen. Es gibt Fragmente, die zeigen, dass ein Text, den Léonie d’Aunet an Victor Hugo geliefert hat, quasi unverändert in Les Misérables auftaucht.

LPB: Wie kam es, dass sie völlig verarmt und vergessen mit 58 Jahren starb? Ihre Tochter Henriette Marie Biard war hingegen eine bekannte Salonnière.

LEIB: Für sie war es einfach schwer, nach dieser Zeit, in der sie so ausgegrenzt wurde, wieder Fuß zu fassen. Sie hatte kein Geld und musste alle möglichen Jobs annehmen, Jobs im Sinne von Journalismus – sie hat zum Beispiel als Modejournalistin gearbeitet. Und ich denke, dass sie da auch sehr gute Artikel geschrieben hat, denn auch in ihrem Reisebericht hatte sie immer ein Auge darauf, wie die Frauen angezogen sind, auch die Männer, welche Stoffe verwendet werden und so weiter. Also, sie hat das bestimmt sehr gut gemacht, aber ich denke, es war nicht gut bezahlt.

LPB: Können Sie abschließend sagen, was Léonie d’Aunets Reise einer Frau in die Arktis für Sie besonders macht?

LEIB: In dem Buch findet sich eine so große Bandbreite, etwa an tiefsinnigen Sprüchen – denn sie hat ja doch mit der Reise ihr Leben riskiert. Dann gibt es poetische Schilderungen, die ich sehr schön finde, und dann immer diese humoristischen Einsprengsel, manche in Dialogform gestaltet. Ihre Knappheit schätze ich überhaupt sehr, denn sie schreibt, dass sie schon viele langweilige Reiseberichte gelesen habe. Sie versucht es dann immer knapp und spritzig und vor allem subjektiv zu machen. Es ist ihre Idee, keiner hat den Bericht bei ihr bestellt, also kann sie auch so schreiben, wie sie will.

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