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11.07.2024, 12:48 Uhr
Andrea Heuser
Gespräche
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Helmut Krausser, 2006. Foto: Isolde Ohlbaum/Bayerische Staatsbibliothek/Bildarchiv

Gespräch mit dem Schriftsteller Helmut Krausser anlässlich seines 60. Geburtstags

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(c) Literaturportal Bayern Helmut Krausser und Elisabeth Braune

Der in München aufgewachsene Schriftsteller Helmut Krausser zählt nicht nur aufgrund seiner künstlerischen Vielseitigkeit, sondern auch wegen der Qualität seines umfangreichen erzählerischen und lyrischen Werkes zu den bedeutsamen Stimmen und Persönlichkeiten der deutschsprachigen Literatur. Soeben ist sein jüngster Roman Freundschaft und Vergeltung im Berlin Verlag erschienen, aus dem der Autor an diesem Montag in der Seidlvilla seinem sichtlich begeisterten Publikum vorlas. Anlässlich seines 60. Geburtstags hat Andrea Heuser für das Literaturportal Bayern vor der Lesung zudem ein kurzes Gespräch mit Helmut Krausser geführt.   

*

ANDREA HEUSER: Lieber Helmut, zunächst einmal: wie geht es dir?

HELMUT KRAUSSER: Alles bestens, danke.

HEUSER: Und, etwas weiter gefasst, wie geht es dir dieser Tage mit Blick auf die Welt?

KRAUSSER: Ich teile die Sorge vieler vor einer rechtspopulistischen Welle in Europa, mache dafür zum Teil aber auch die Hybris des Wokismus verantwortlich, dessen pseudolinke Schnapsideen in den Wahnsinn und zu den Wahnsinnigen treiben.

HEUSER: Von den Schnapsideen zum „Hoch, das Glas!“: Dein Geburtstag steht an. Da darf man sich ja etwas wünschen. Was wünschst du dir denn gerade am Allermeisten?

KRAUSSER: Von weiten Teilen des Feuilletons werde ich inzwischen ignoriert, vielleicht nicht als Romancier, aber als Lyriker. Dass sich das einmal ändert wäre mein größter Wunsch. Danach Gesundheit und Weltfrieden.

HEUSER: Als jemand, der gerade dein lyrisches Werk sehr schätzt, wünsche ich mir das gleich mit! Nun hast aber nicht nur du Geburtstag. Sondern, wenn man so will, dein neues Buch ebenfalls, das soeben das Licht der Welt erblickt hat. Du liest hier in München jetzt daraus vor: Freundschaft und Vergeltung heißt der Roman, erschienen im Berlin Verlag. Der Roman verspricht Spannung und überraschende Twists – was war dir bei diesem Buch besonders wichtig?

KRAUSSER: Etwas Besonderes zu schaffen, etwas in meinem Oeuvre ganz Neues, Originelles. Lange Spannungsbögen durchzuhalten, das ist normalerweise nicht so mein Ding, aber man sagt mir, hier habe es geklappt. Es ist aber kein Kriminalroman, sondern eher ein „Versuch über die Zeit“, was sie aus uns macht, wie sie sich in unserer Reflexion verändert und wann wir beginnen, ihr hinterherzulaufen. Das Geschehen umfasst beinahe sechzig Jahre. Das war schon eine Herausforderung.

HEUSER: Die Veröffentlichung eines Buches ist ja auch immer eine Entäußerung. Es gehört einem dann nicht mehr, es geht seinen eigenen Weg in der Welt. Was wünscht du dir für diesen Roman speziell, neben guten Verkaufszahlen natürlich?

KRAUSSER: Na, ich bin ja kein Maler, der ein Bild aus der Hand gibt. Ich stehe im Ruf, ein „Männerautor“ zu sein, weil ich beim Thema Sex niemanden schone und selten ein Blatt vor den Mund nehme. Ich verstehe mich selbst allerdings als durchaus feministischen Autor. Ich wünschte mir, dieses Missverständnis würde einmal aufgeklärt.

HEUSER: Also, den Feministen Krausser aus deinem Werk herauszulesen, das wäre wirklich eine challenge, wie es heute so schön heißt. Dann mal ran, werte Leserschaft ...  

Nun bist du ja eben nicht nur Romancier, sondern auch ein hervorragender Lyriker. Wenn ich jetzt auf deinen Schreibtisch oder in dein inneres Bücherregal schauen könnte: welche Dichter fänden sich da, die dich besonders inspirieren?

KRAUSSER: Ich muss gestehen, dass ich zeitgenössische Lyrik recht wenig auf dem Schirm habe. Zu vieles ist hochgejubeltes Mittelmaß. Es gibt in Deutschland hervorragende Kollegen wie Hellmuth Opitz und Ludwig Steinherr, als zwei Beispiele, die mir gerade einfallen. Auffälligerweise Kollegen, die selten Preise bekommen. Immer wieder gerne lese ich meine Vorväter: Catull, Rilke, Brecht, Bukowski, Jandl, Gernhardt, Mascha Kaleko, über die ich ein Buch schreiben wollte, was mir, weil ich ein Mann bin, glaube ich nur Ärger einbringen würde in diesen verrückten Zeiten.

HEUSER: Nun ja, wenn du dich erst einmal als feministischer Autor etabliert hast ... Aber ja, wer weiß, was uns alles noch blüht in den "paar leuchtenden Jahren", wie Mascha Kaleko es so schön genannt hat. Von Daniel Kehlmann stammt ja der Ausspruch: Helmut Krausser gehört besprochen und mit Preisen bedacht, aber vor allem gelesen.“ Was, oder: welche Autoren gehören deiner Meinung nach denn gerade noch gelesen?

KRAUSSER: Wie eben schon gesagt, ich lese recht wenig Zeitgenössisches, hab dafür einfach zu viel zu tun und fülle grade Bildungslücken, die andere gar nicht erst zugeben würden. Im Moment lese ich Anna Karenina. Ich möchte die Gelegenheit nutzen und an Ismael Kadare erinnern, der soeben verstorben ist. Sein Roman Die Festung war für mich eines der größten Lektüre-Erlebnisse überhaupt. Und genau dieses, sein bestes Buch ist in Deutschland nurmehr antiquarisch zu erwerben. Einerseits ein furchtbarer Zustand, andererseits tröstlich für jeden Kollegen, dessen Bücher dasselbe Schicksal trifft.

HEUSER: Apropos Kollegen: Nun veröffentlichen bei uns im Literaturportal Bayern auch viele Nachwuchsautorinnen und Autoren. Hast du einen Tipp für sie? Was würdest du ihnen raten?

KRAUSSER: Jeder muss seinen Weg finden, aber eines möchte ich mal sagen: Lest niemals umsonst vor, nur weil ihr glaubt, eine Plattform haben zu müssen. Da gebt ihr euch unter Wert her und verhaltet euch nicht sehr solidarisch zu älteren Kollegen.

HEUSER: Da wir gerade EM haben – Wenn nach dem Spiel vor dem Spiel ist: Wie geht es jetzt nach Freundschaft und Vergeltung weiter? Schreibst du innerlich schon am nächsten Werk?

KRAUSSER: Nicht nur innerlich. Üblicherweise habe ich immer mehrere Pfannen auf dem Herd. Für den Fall, dass ein Projekt stockt, ziehe ich dann das andere heran. Im Moment habe ich aber tatsächlich nur ein neues Buch im Visier, und das fällt mir ungeheuer schwer, da es gilt, den richtigen Tonfall einzufangen. Ich kann noch nicht sagen, ob es glücken wird. Vielleicht muss ich es in die Tonne treten, wie so vieles zuvor.

HEUSER: Es gibt die Behauptung, ein Künstler schreibe im Grunde sein ganzes Leben lang an ein und demselben Text – die Bücher seien nur jeweils Zwischenprodukte. Wie stehst du dazu?

KRAUSSER: Ich denke, das ist einfach Quatsch. Das gilt vielleicht für Künstler, die irgendein schweres Trauma selbst-therapeutisch verarbeiten müssen. Wirklich gute Künstler haben fast immer eine große innere Bandbreite. Vielleicht bin ich auch nur multipel schizophren. Ich habe irgendwo ja mal gesagt, dass in mir zwölf Schriftsteller und zwei Komponisten hausen.

HEUSER: Du bist in der Tat ja ein Mensch mit vielen Talenten. Du schreibst nicht nur, sondern komponierst auch und warst zudem einmal oberbayerischer Schachmeister. Spielst du eigentlich noch Schach?

KRAUSSER: Nicht mehr als Wettkampfsport. Ich gehe regelmäßig zum SC Kreuzberg und spiele viel online, aber nicht mehr auf sehr hohem Niveau.

HEUSER: Was kann sich der Autor Krausser vom Schachspieler Krausser abgucken? Oder anders: gibt es da irgendwelche Synergieeffekte?

KRAUSSER: Meine größte Untugend ist mangelnde Geduld. In meiner Jugend war ich deshalb ein furioser Angriffsspieler, der die Partie möglichst schnell entscheiden wollte, durch spektakuläre Opfer. Durch mein Vorbild Anatoli Karpow habe ich gelernt, Partien ganz anders anzulegen – und ähnlich schreibe ich heute Romane, mit sehr vielen Vorstudien und Skizzen und Versionen.

(c) Helmut Krausser

HEUSER: Ein Wörtchen zum öffentlichen literarischen Leben. Wie würdest du diesen Satz fortführen: Der herrschende Literaturbetrieb ist …

KRAUSSER: ... irgendwas zwischen Haifischbecken und Irrenhaus, voller Selbstdarsteller und Adabeis [Anm. d. Redaktion: von Chiavacci erfundene Type des Kleinbürgers, der sich selbst zu wichtig nimmt], die sogar einen Shakespeare vergiften würden, nur um ihr Pöstchen zu sichern.

HEUSER: Zum Abschluss, quasi als Zugabe, drei Assoziativ-Fragen aus dem Crescendo-Fragebogen für Künstler:

Erstens: Was inspiriert dich?

KRAUSSER: Sehr oft kuriose Begebnisse im Alltag. Auch historische Dokumente. Keinesfalls Wein oder Whisky, das ist nur ein dummes Klischee. Die brauche ich nur, um hin und wieder einmal einschlafen zu können.

HEUSER: Was ist deine charakteristischste Eigenschaft?

KRAUSSER: Im Negativen ist es, wie schon erwähnt, die Ungeduld, die übertriebene melancholische Grübelei. Im Positiven vielleicht Großzügigkeit. Ich verschenke sehr viel.

HEUSER: Was würde niemand von dir vermuten?

KRAUSSER: Das muss nicht jeder wissen. Na gut, es gibt ein paar Shakespeare-Sonette, die ich auch nach jahrelangem Training nicht laut vorlesen kann, ohne zu weinen. Weil meine Übersetzung so toll ist. Spaß. Nein, stimmt.

HEUSER: Vielen Dank, lieber Helmut, für das Gespräch. 

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