Gespräch mit der Schriftstellerin Slata Roschal
„Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten” – so lautet der Titel von Slata Roschals neuem Buch. Mit Philtrat hat die Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin zwar keinen Wein getrunken, dafür aber über Roger Willemsen, Frauen im Literaturbetrieb und Ohrfeigen für das eigene Ego gesprochen.
*
Sie sind selbst Mutter und schreiben über Mutterschaft. Wenn man sich mit Ihnen beschäftigt hat, weiß man allerdings: Begriffe wie Autofiktion und Autobiographie lehnen Sie entschieden ab. Was fasziniert Sie also unabhängig von der eigenen „Betroffenheit” am Thema Mutterschaft?
Was mich daran interessiert, ist dieses sehr Existenzielle. Mutterschaft betrifft alle, ähnlich wie der Tod, wir alle wurden von einer Frau geboren. In den letzten Jahren sind viele Bücher zu diesem Thema in Deutschland erschienen, das liegt natürlich auch daran, dass es in den Jahrhunderten davor selten Thema gewesen ist, vor allem aus weiblicher Perspektive. Trotz der Masse an Neuerscheinungen ist Mutterschaft allerdings noch mit vielen Tabus verbunden.
An welche Tabus denken Sie da?
Jeder hat Angst vor dem Gedanken, dass die eigene Mutter es bereut, Kinder bekommen zu haben. Gar nicht im Sinne eines Regretting Motherhood, nicht im Sinne eines Hashtags oder einer großen Lebenseinstellung, sondern einfach in dem Sinne, dass die eigene Mutter nicht immer vollkommen glücklich damit war, Mutter zu sein. Was völlig normal, aber trotzdem eine Ohrfeige für das eigene Ego ist.
Sie sprechen von einer Angst vor der Erkenntnis, dass die eigene Mutter nicht immer glücklich mit ihrer Rolle gewesen sein könnte. Dass diese Angst überhaupt existiert, zeigt, dass man sich bewusst ist, wie schwierig die Situation für viele Mütter ist. Und doch scheint in Deutschland die Erzählung von der bedingungslos liebenden, aufopferungsvollen Mutter noch immer vorherrschend.
Auch dieser Aspekt fasziniert mich: Mutterschaft stellt einerseits ein riesiges soziales Risiko dar – sei es, wenn man an die hohe Zahl armutsgefährdeter Alleinerziehender denkt oder an die vielen von Altersarmut betroffenen Frauen. Und andererseits existiert dieses Kitschige, Rosane, Glitzernde und Blumige, was etwa am Muttertag hochkommt. Als ob man versuchen würde, das eine mit dem anderen zu überdecken oder schönzureden.
In Ihren Büchern werden diese Diskrepanzen spürbar. Mutterschaft wird als komplexes Phänomen erzählt und keineswegs nur mit positiven Empfindungen verbunden.
Oft sollen weibliche Figuren in der Literatur Heldinnen oder Anti-Heldinnen sein, auf jeden Fall eindeutig zuzuordnen sein. Auch kulturgeschichtlich scheint diese Tendenz angelegt: Eva und Madonna, Heilige und Hure und so weiter. Das in der Mitte, so mein Eindruck, ist vielen zu kompliziert. Mich interessieren uneindeutige Figuren am meisten. Mit meiner Erzählerin im neuen Ullstein-Buch kann man nicht wirklich eine Revolution anfangen. Man kann sich nicht wirklich mit ihr solidarisieren. Sie hat ein Problem mit anderen Frauen, sie versteht sich nicht mit anderen Müttern, mit ihrer eigenen Mutter noch weniger. Sie hat ein Problem mit ihrer Tochter, mit ihrem Sohn aber nicht. Sie sagt: Es gibt keine Hashtags für das, was ich sagen will. Und das ist wahrscheinlich auch der Sinn von einem literarischen Text, dass er eben kein Ersatz ist für ein Manifest oder eine ideologische Schrift ist, sondern, dass er Ambivalenzen greifbar macht.
Sie haben vorhin schon angeschnitten, dass in den vergangenen Jahren immer mehr Bücher von Frauen über Mutterschaft erschienen sind. Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki meinte noch 1977 „Wen interessiert, was die Frau denkt, was sie fühlt, während sie menstruiert? Das ist keine Literatur – das ist ein Verbrechen.” Das ist ein sehr drastisches Beispiel, mit seiner Abwertung weiblichen Schaffens ist Reich-Ranicki allerdings keineswegs allein. Haben Sie das Gefühl, dass der Literaturbetrieb mittlerweile weiter ist?
Hier muss man vielleicht unterscheiden zwischen Mutterschaft als literarischem Thema und den Produktionsbedingungen von Literatur. Es gibt immer mehr Frauen, die schreiben und immer mehr Frauen, deren Literatur nicht als ,Frauenliteratur’ markiert wird, also als Literatur speziell von Frauen für Frauen. Sie erreichen die Spitzen im Betrieb und werden ernsthaft als Autoren angesehen. Das hat mit verschiedenen historischen Errungenschaften zu tun.
Von welchen Errungenschaften sprechen Sie?
Vor ein paar Jahrzehnten mussten Frauen in Westdeutschland noch ihren Mann um Erlaubnis bitten, um überhaupt arbeiten gehen zu dürfen. Auch der Zugang für Frauen zu Verhütungsmitteln ist ein recht neues Phänomen. Wenn alle Frauen wie früher zehn Kinder bekommen würden, hätten sie gar nicht die Möglichkeit und Zeit, Bücher zu schreiben und Kunst zu machen.
Ist also in Sachen Geschlechtergerechtigkeit im Literaturbetrieb alles erreicht?
Dass auch heute noch in Kategorien wie ,Frauenliteratur’ gedacht wird, habe ich zum Beispiel bei der grafischen Gestaltung meines letzten Buchs gemerkt. Da sollte sich unter dem Schutzumschlag dann doch ein rosafarbener Karton verbergen, irgendwie sollte farblich markiert werden: Das ist ein Buch von Frauen für Frauen.
Vor einiger Zeit habe ich mich für ein Residenzstipendium beworben, für das Mare-Künstlerhaus bei Hamburg. Normalerweise residieren Autoren dort vier Wochen am Stück, ich wollte das gerne auf zwei Mal zwei Wochen aufteilen, weil das besser mit meinem Leben zusammenpasst. Das war nicht möglich, weil sich angeblich der originale Besitzer Roger Willemsen gewünscht hat, dass sich an den geschaffenen Strukturen nichts ändert. Warum bestimmt dieser tote Autor, der kein Kind hatte, darüber, wie ich als Frau mit Kind meinen Schreibprozess gestalte? Es ist paradox: Ich habe mich mit einem Text über Mutterschaft für das Stipendium beworben und konnte es erstmal nicht antreten, weil ich Mutter war. Dann klappte es doch, nach einer Diskussion, die wiederum Zeit und Nerven gekostet hat.
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Heute beginnt der Verkauf der neuen Ausgabe der Zeitschrift. Zu beziehen unter Philtrat – Das Münchner Studentenmagazin
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„Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten” – so lautet der Titel von Slata Roschals neuem Buch. Mit Philtrat hat die Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin zwar keinen Wein getrunken, dafür aber über Roger Willemsen, Frauen im Literaturbetrieb und Ohrfeigen für das eigene Ego gesprochen.
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Sie sind selbst Mutter und schreiben über Mutterschaft. Wenn man sich mit Ihnen beschäftigt hat, weiß man allerdings: Begriffe wie Autofiktion und Autobiographie lehnen Sie entschieden ab. Was fasziniert Sie also unabhängig von der eigenen „Betroffenheit” am Thema Mutterschaft?
Was mich daran interessiert, ist dieses sehr Existenzielle. Mutterschaft betrifft alle, ähnlich wie der Tod, wir alle wurden von einer Frau geboren. In den letzten Jahren sind viele Bücher zu diesem Thema in Deutschland erschienen, das liegt natürlich auch daran, dass es in den Jahrhunderten davor selten Thema gewesen ist, vor allem aus weiblicher Perspektive. Trotz der Masse an Neuerscheinungen ist Mutterschaft allerdings noch mit vielen Tabus verbunden.
An welche Tabus denken Sie da?
Jeder hat Angst vor dem Gedanken, dass die eigene Mutter es bereut, Kinder bekommen zu haben. Gar nicht im Sinne eines Regretting Motherhood, nicht im Sinne eines Hashtags oder einer großen Lebenseinstellung, sondern einfach in dem Sinne, dass die eigene Mutter nicht immer vollkommen glücklich damit war, Mutter zu sein. Was völlig normal, aber trotzdem eine Ohrfeige für das eigene Ego ist.
Sie sprechen von einer Angst vor der Erkenntnis, dass die eigene Mutter nicht immer glücklich mit ihrer Rolle gewesen sein könnte. Dass diese Angst überhaupt existiert, zeigt, dass man sich bewusst ist, wie schwierig die Situation für viele Mütter ist. Und doch scheint in Deutschland die Erzählung von der bedingungslos liebenden, aufopferungsvollen Mutter noch immer vorherrschend.
Auch dieser Aspekt fasziniert mich: Mutterschaft stellt einerseits ein riesiges soziales Risiko dar – sei es, wenn man an die hohe Zahl armutsgefährdeter Alleinerziehender denkt oder an die vielen von Altersarmut betroffenen Frauen. Und andererseits existiert dieses Kitschige, Rosane, Glitzernde und Blumige, was etwa am Muttertag hochkommt. Als ob man versuchen würde, das eine mit dem anderen zu überdecken oder schönzureden.
In Ihren Büchern werden diese Diskrepanzen spürbar. Mutterschaft wird als komplexes Phänomen erzählt und keineswegs nur mit positiven Empfindungen verbunden.
Oft sollen weibliche Figuren in der Literatur Heldinnen oder Anti-Heldinnen sein, auf jeden Fall eindeutig zuzuordnen sein. Auch kulturgeschichtlich scheint diese Tendenz angelegt: Eva und Madonna, Heilige und Hure und so weiter. Das in der Mitte, so mein Eindruck, ist vielen zu kompliziert. Mich interessieren uneindeutige Figuren am meisten. Mit meiner Erzählerin im neuen Ullstein-Buch kann man nicht wirklich eine Revolution anfangen. Man kann sich nicht wirklich mit ihr solidarisieren. Sie hat ein Problem mit anderen Frauen, sie versteht sich nicht mit anderen Müttern, mit ihrer eigenen Mutter noch weniger. Sie hat ein Problem mit ihrer Tochter, mit ihrem Sohn aber nicht. Sie sagt: Es gibt keine Hashtags für das, was ich sagen will. Und das ist wahrscheinlich auch der Sinn von einem literarischen Text, dass er eben kein Ersatz ist für ein Manifest oder eine ideologische Schrift ist, sondern, dass er Ambivalenzen greifbar macht.
Sie haben vorhin schon angeschnitten, dass in den vergangenen Jahren immer mehr Bücher von Frauen über Mutterschaft erschienen sind. Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki meinte noch 1977 „Wen interessiert, was die Frau denkt, was sie fühlt, während sie menstruiert? Das ist keine Literatur – das ist ein Verbrechen.” Das ist ein sehr drastisches Beispiel, mit seiner Abwertung weiblichen Schaffens ist Reich-Ranicki allerdings keineswegs allein. Haben Sie das Gefühl, dass der Literaturbetrieb mittlerweile weiter ist?
Hier muss man vielleicht unterscheiden zwischen Mutterschaft als literarischem Thema und den Produktionsbedingungen von Literatur. Es gibt immer mehr Frauen, die schreiben und immer mehr Frauen, deren Literatur nicht als ,Frauenliteratur’ markiert wird, also als Literatur speziell von Frauen für Frauen. Sie erreichen die Spitzen im Betrieb und werden ernsthaft als Autoren angesehen. Das hat mit verschiedenen historischen Errungenschaften zu tun.
Von welchen Errungenschaften sprechen Sie?
Vor ein paar Jahrzehnten mussten Frauen in Westdeutschland noch ihren Mann um Erlaubnis bitten, um überhaupt arbeiten gehen zu dürfen. Auch der Zugang für Frauen zu Verhütungsmitteln ist ein recht neues Phänomen. Wenn alle Frauen wie früher zehn Kinder bekommen würden, hätten sie gar nicht die Möglichkeit und Zeit, Bücher zu schreiben und Kunst zu machen.
Ist also in Sachen Geschlechtergerechtigkeit im Literaturbetrieb alles erreicht?
Dass auch heute noch in Kategorien wie ,Frauenliteratur’ gedacht wird, habe ich zum Beispiel bei der grafischen Gestaltung meines letzten Buchs gemerkt. Da sollte sich unter dem Schutzumschlag dann doch ein rosafarbener Karton verbergen, irgendwie sollte farblich markiert werden: Das ist ein Buch von Frauen für Frauen.
Vor einiger Zeit habe ich mich für ein Residenzstipendium beworben, für das Mare-Künstlerhaus bei Hamburg. Normalerweise residieren Autoren dort vier Wochen am Stück, ich wollte das gerne auf zwei Mal zwei Wochen aufteilen, weil das besser mit meinem Leben zusammenpasst. Das war nicht möglich, weil sich angeblich der originale Besitzer Roger Willemsen gewünscht hat, dass sich an den geschaffenen Strukturen nichts ändert. Warum bestimmt dieser tote Autor, der kein Kind hatte, darüber, wie ich als Frau mit Kind meinen Schreibprozess gestalte? Es ist paradox: Ich habe mich mit einem Text über Mutterschaft für das Stipendium beworben und konnte es erstmal nicht antreten, weil ich Mutter war. Dann klappte es doch, nach einer Diskussion, die wiederum Zeit und Nerven gekostet hat.
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Heute beginnt der Verkauf der neuen Ausgabe der Zeitschrift. Zu beziehen unter Philtrat – Das Münchner Studentenmagazin