Ausstellung mit Bildern und Texten zum Leben und Werk von Jehuda Amichai
In diesem Jahr wäre der berühmte israelische Schriftsteller Jehuda Amichai hundert Jahre alt geworden. Zu diesem Anlass wurde dem in Würzburg geborenen Dichter weltweit in zahlreichen Lesungen und Gedenkfeiern gedacht. In Bayern ehrte, neben dem Lyrik-Kabinett München, insbesondere seine Geburtsstadt Würzburg den renommierten Dichter, der dort am 3. Mai 1924 in der Augustinerstraße 9 als Ludwig Otto Jehuda Pfeuffer zur Welt kam und dessen Familie 1935 nach Palästina auswanderte. Im Anschluss an die ihm gewidmete Aktion Würzburg liest ein Buch konnte das interessierte Publikum in der Stadtbücherei Würzburg bis Ende Juni auch eine Ausstellung mit Bildern und Texten zu Amichais Leben und Werk besuchen. Das Literaturportal war vor Ort.
*
„Als Hund wäre ich tot. Als Buch finge ich an, teuer zu werden, oder ich wäre längst weggeworfen worden. Als Wald wäre ich jung. […] Und als Mensch bin ich sehr müde.“
Jehuda Amichai – dieser Name, den Ludwig Otto Jehuda Pfeuffer nach seiner Emigration in Israel annahm, bedeutet im Hebräischen: mein Volk lebt. Gerade nach dem Genozid der Nationalsozialisten an den Juden, der Shoah, ist mein Volk lebt ein überaus symbolträchtiger Name. Was aber bedeutet zu leben eigentlich für den Dichter Amichai?
Mit der für ihn charakteristischen, pointierten Lakonie setzt Amichai mit den obigen Versen den eigenen Daseinszustand, den eines „müden Menschen“, mit denen von Weinen, Hunden, Büchern und Maschinen in einen ontologischen Bezug. Der Dichter reiht sich damit unsentimental und humoristisch ein in die Ordnung der Dinge; dabei die Dauer reflektierend, die jedem Dasein auf Erden für eine kurze Weile vergönnt ist. Um dieses Dasein ein wenig länger dem Vergessen zu entreißen, dafür sind neben Gedenkfeiern und Lesungen eben auch Ausstellungen da.
Die Ausstellung zum Leben und Werk des Dichters Amichai im Lesecafé der Stadtbücherei Würzburg war – um dies ebenfalls lakonisch-pointiert zu sagen – klein, aber fein.
Auf insgesamt neunzehn großformatigen Plakaten – die, da hinter Glas und zudem von der gegenüberliegenden breiten Fensterfront gespiegelt, ein memorierendes Fotografieren je nach technischer Ausstattung der Handykamera leider sehr erschwerten – auf diesen Plakaten jedenfalls präsentierte die von Rosa Grimm und Daniel Osthoff zusammengestellte Ausstellung neben den bekannten biographischen Daten vor allen Dingen einige kostbare Fotografien aus dem Familienbesitz.
Unter anderem, und dies war ganz besonders bewegend, ein innig-zugewandtes Bild, das Jehuda Amichai mit seiner Kinderfreundin Ruth Hanover zeigt, mit der er sich emotional tief verbunden fühlte. Ruth Hanover bekam trotz der intensiven Bemühungen von Amichais Vater keine Erlaubnis zur Einreise nach Palästina. Am 18. Mai 1943 wurde sie aus dem holländischen Durchgangslager Westerbork nach Sobibor deportiert und ermordet. Amichai kam nach eigenen Aussagen nie über ihre Ermordung hinweg.
Jehuda Amichai mit seiner Kinderfreundin Ruth Hanover (c) Archiv Hana Amichai, abfotografiert von Andrea Heuser
„Wie eine große Liebe kann man Rache nicht aufschieben.“
Bewegend zu lesen sind Amichais sehr viel später notierten Erinnerungen. Reminiszenzen, die, aufgefrischt durch die wiederholten Reisen des inzwischen längst erwachsenen Dichters, Soldaten, Ehemanns in seine Kinderstadt Würzburg schließlich ihren Ausdruck gefunden haben in Briefen und den hier versammelten persönlichen, überwiegend jedoch bereits literarisierten Auskünften, von denen stellvertretend diese beiden hier ausgewählt wurden. Sie stammen jeweils aus Amichais autobiographisch grundiertem Werk Nicht von jetzt, nicht von hier:
Ich ging durch den Hofgarten und von dort weiter in jenen Park, wo man mich und die kleine Ruth [damals] niedergeworfen hatte. Wo ich zwei, drei Hitlerjungen auf Ruth eintrete gehört hatte, während zwei andere mich fest auf die Erde drückten. Jemand, der Zeuge furchtbarer Dinge wird, während er selbst unter Schmerzen am Boden liegt, vergißt diesen Anblick nie. Unsere Schultaschen lagen rüde zur Seite geworfen. Meine war aufgeplatzt, und die Schulbücher quollen wie die Gedärme eines getöteten Soldaten daraus hervor. Ich sah damals die Eichenstämme und die weißbesockten Beine der Rowdies. Ruth konnte ich nicht sehen, aber die Tritte hörte ich.
Ich zog Urkunde Nummer eins hervor, eine Photographie unserer Familie, aufgenommen an dem Tag, an dem wir die Stadt auf dem Weg nach Palästina verlassen haben: Bündel und Koffer ringsum, mein Vater hält eine kleine Tasche mit verschiedenen Dokumenten. Bei Auswandererfamilien sind die Kinder immer mit Päckchen und Mänteln bepackt. […] Zum Schluß verschwindet das Kind fast unter all dem Kleingepäck. […] Bahnhöfe sind das exterritoriale Heimatland der Wanderer aus aller Welt. Sie sind das Botschaftsgebäude derer, die kein Haus besitzen oder ihr Haus freiwillig verlassen haben und im großen Vergessen leben, das einer großen Kirche gleicht.
(c) Archiv Roland Flade, abfotografiert von Andrea Heuser
Anhand von ausgewählten Texten, Auszügen aus Werken und Briefen Amichais wird also auf diesem schmalen Raum der neunzehn Plakate, die zusammen eine einzige Wand bestücken, versucht, die Kindheitsjahre, Auswanderung sowie die späteren Besuche des Dichters in Würzburg nachzuzeichnen. Dass es sich, stets in Bezug auf Würzburg, dabei um eine mühsame Vergegenwärtigung, um eine Spurensuche handeln muss, die recht schemenhaft bleibt, ist vor dem Hintergrund der frühen Auswanderung und der tiefen Zäsur der Shoah mehr als verständlich.
Plakatwand: Würzburg liest ein Buch. Abfotografiert von Andrea Heuser
„Ich sagte anfangs, dass uns das Schlimmste erspart blieb, aber das Schlimmste ist geschehen und niemand soll es vergessen.“
Diese Worte Amichais aus seiner hier zitierten Dankesrede bei der Kulturpreisverleihung der Stadt Würzburg betonen zum einen die schwierige Aufgabe, der sich die Überlebenden ausgesetzt sehen: für die Ermordeten ihrer Angehörigen, ihres Volkes mitzusprechen. Zum anderen blieb der Familie Pfeuffer das Schlimmste nicht nur deswegen erspart, weil sie bereits 1935 ins damalige Palästina auswanderten, sondern auch weil die Emigration ins Heilige Land der jüdisch-orthodoxen und zionistischen Überzeugung der Familie entsprach. Der junge Ludwig Otto Jehuda Pfeuffer besuchte in Würzburg die jüdische Volksschule und wuchs in der Geborgenheit, im Refugium der jüdischen Familientraditionen und Wurzeln auf, an die die Familie nach der Auswanderung anknüpfen konnte. Entsprechend wird in der Ausstellung Amichais Biograf Bruno Rottenbach wie folgt zitiert:
Wenngleich Jehuda Amichais Kindheit sicher eingebettet war in Familientradition und Gemeine, war für ihn schon als Kind aktives Judentum immer mit feindlicher Umwelt verbunden. Denn er wuchs keineswegs in einer verständnisvollen und toleranten Umgebung auf. […] Die Folge war, dass Jehuda und seine Spielgefährten nie mit christlichen Kindern spielten. Ihr Zentrum, selbst beim Indianerspiel, war der Hof der jüdischen Schule und Synagoge.
Plakatwand Würzburg liest ein Buch, abfotografiert von Andrea Heuser
So freundlich das gegenwärtige Würzburg für mögliche emigrierte Besucher inzwischen auch sein mag; die Grausamkeit der Vertreibung, das Abreißen gewohnter zwischenmenschlicher Bezüge und Verbindungen stand einem bei der Lektüre dieser Plakatwand schmerzhaft vor Augen. Anschließend trat man gern in den lichten Innenhof hinaus, um das Gelesene und auf den Fotografien Erblickte bei einer Tasse Kaffee oder auch in aller Stille noch eine Weile nachwirken zu lassen.
Was bleibt?
Die hier überbelichtete, aber auch vor Ort schwer lesbare Schrift Jehuda Amichais kann dabei durchaus symbolhaft stehen sowohl für die Sinnlichkeit, für die Einschreibung der Erinnerung in Zeugnissen – so sah also seine Schrift aus! – als auch für deren mühsame Lesbarkeit.
(c) Archiv Rosa Grimm, Plakatwand Würzburg liest ein Buch, abfotografiert von Andrea Heuser
Ausstellung mit Bildern und Texten zum Leben und Werk von Jehuda Amichai>
In diesem Jahr wäre der berühmte israelische Schriftsteller Jehuda Amichai hundert Jahre alt geworden. Zu diesem Anlass wurde dem in Würzburg geborenen Dichter weltweit in zahlreichen Lesungen und Gedenkfeiern gedacht. In Bayern ehrte, neben dem Lyrik-Kabinett München, insbesondere seine Geburtsstadt Würzburg den renommierten Dichter, der dort am 3. Mai 1924 in der Augustinerstraße 9 als Ludwig Otto Jehuda Pfeuffer zur Welt kam und dessen Familie 1935 nach Palästina auswanderte. Im Anschluss an die ihm gewidmete Aktion Würzburg liest ein Buch konnte das interessierte Publikum in der Stadtbücherei Würzburg bis Ende Juni auch eine Ausstellung mit Bildern und Texten zu Amichais Leben und Werk besuchen. Das Literaturportal war vor Ort.
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„Als Hund wäre ich tot. Als Buch finge ich an, teuer zu werden, oder ich wäre längst weggeworfen worden. Als Wald wäre ich jung. […] Und als Mensch bin ich sehr müde.“
Jehuda Amichai – dieser Name, den Ludwig Otto Jehuda Pfeuffer nach seiner Emigration in Israel annahm, bedeutet im Hebräischen: mein Volk lebt. Gerade nach dem Genozid der Nationalsozialisten an den Juden, der Shoah, ist mein Volk lebt ein überaus symbolträchtiger Name. Was aber bedeutet zu leben eigentlich für den Dichter Amichai?
Mit der für ihn charakteristischen, pointierten Lakonie setzt Amichai mit den obigen Versen den eigenen Daseinszustand, den eines „müden Menschen“, mit denen von Weinen, Hunden, Büchern und Maschinen in einen ontologischen Bezug. Der Dichter reiht sich damit unsentimental und humoristisch ein in die Ordnung der Dinge; dabei die Dauer reflektierend, die jedem Dasein auf Erden für eine kurze Weile vergönnt ist. Um dieses Dasein ein wenig länger dem Vergessen zu entreißen, dafür sind neben Gedenkfeiern und Lesungen eben auch Ausstellungen da.
Die Ausstellung zum Leben und Werk des Dichters Amichai im Lesecafé der Stadtbücherei Würzburg war – um dies ebenfalls lakonisch-pointiert zu sagen – klein, aber fein.
Auf insgesamt neunzehn großformatigen Plakaten – die, da hinter Glas und zudem von der gegenüberliegenden breiten Fensterfront gespiegelt, ein memorierendes Fotografieren je nach technischer Ausstattung der Handykamera leider sehr erschwerten – auf diesen Plakaten jedenfalls präsentierte die von Rosa Grimm und Daniel Osthoff zusammengestellte Ausstellung neben den bekannten biographischen Daten vor allen Dingen einige kostbare Fotografien aus dem Familienbesitz.
Unter anderem, und dies war ganz besonders bewegend, ein innig-zugewandtes Bild, das Jehuda Amichai mit seiner Kinderfreundin Ruth Hanover zeigt, mit der er sich emotional tief verbunden fühlte. Ruth Hanover bekam trotz der intensiven Bemühungen von Amichais Vater keine Erlaubnis zur Einreise nach Palästina. Am 18. Mai 1943 wurde sie aus dem holländischen Durchgangslager Westerbork nach Sobibor deportiert und ermordet. Amichai kam nach eigenen Aussagen nie über ihre Ermordung hinweg.
Jehuda Amichai mit seiner Kinderfreundin Ruth Hanover (c) Archiv Hana Amichai, abfotografiert von Andrea Heuser
„Wie eine große Liebe kann man Rache nicht aufschieben.“
Bewegend zu lesen sind Amichais sehr viel später notierten Erinnerungen. Reminiszenzen, die, aufgefrischt durch die wiederholten Reisen des inzwischen längst erwachsenen Dichters, Soldaten, Ehemanns in seine Kinderstadt Würzburg schließlich ihren Ausdruck gefunden haben in Briefen und den hier versammelten persönlichen, überwiegend jedoch bereits literarisierten Auskünften, von denen stellvertretend diese beiden hier ausgewählt wurden. Sie stammen jeweils aus Amichais autobiographisch grundiertem Werk Nicht von jetzt, nicht von hier:
Ich ging durch den Hofgarten und von dort weiter in jenen Park, wo man mich und die kleine Ruth [damals] niedergeworfen hatte. Wo ich zwei, drei Hitlerjungen auf Ruth eintrete gehört hatte, während zwei andere mich fest auf die Erde drückten. Jemand, der Zeuge furchtbarer Dinge wird, während er selbst unter Schmerzen am Boden liegt, vergißt diesen Anblick nie. Unsere Schultaschen lagen rüde zur Seite geworfen. Meine war aufgeplatzt, und die Schulbücher quollen wie die Gedärme eines getöteten Soldaten daraus hervor. Ich sah damals die Eichenstämme und die weißbesockten Beine der Rowdies. Ruth konnte ich nicht sehen, aber die Tritte hörte ich.
Ich zog Urkunde Nummer eins hervor, eine Photographie unserer Familie, aufgenommen an dem Tag, an dem wir die Stadt auf dem Weg nach Palästina verlassen haben: Bündel und Koffer ringsum, mein Vater hält eine kleine Tasche mit verschiedenen Dokumenten. Bei Auswandererfamilien sind die Kinder immer mit Päckchen und Mänteln bepackt. […] Zum Schluß verschwindet das Kind fast unter all dem Kleingepäck. […] Bahnhöfe sind das exterritoriale Heimatland der Wanderer aus aller Welt. Sie sind das Botschaftsgebäude derer, die kein Haus besitzen oder ihr Haus freiwillig verlassen haben und im großen Vergessen leben, das einer großen Kirche gleicht.
(c) Archiv Roland Flade, abfotografiert von Andrea Heuser
Anhand von ausgewählten Texten, Auszügen aus Werken und Briefen Amichais wird also auf diesem schmalen Raum der neunzehn Plakate, die zusammen eine einzige Wand bestücken, versucht, die Kindheitsjahre, Auswanderung sowie die späteren Besuche des Dichters in Würzburg nachzuzeichnen. Dass es sich, stets in Bezug auf Würzburg, dabei um eine mühsame Vergegenwärtigung, um eine Spurensuche handeln muss, die recht schemenhaft bleibt, ist vor dem Hintergrund der frühen Auswanderung und der tiefen Zäsur der Shoah mehr als verständlich.
Plakatwand: Würzburg liest ein Buch. Abfotografiert von Andrea Heuser
„Ich sagte anfangs, dass uns das Schlimmste erspart blieb, aber das Schlimmste ist geschehen und niemand soll es vergessen.“
Diese Worte Amichais aus seiner hier zitierten Dankesrede bei der Kulturpreisverleihung der Stadt Würzburg betonen zum einen die schwierige Aufgabe, der sich die Überlebenden ausgesetzt sehen: für die Ermordeten ihrer Angehörigen, ihres Volkes mitzusprechen. Zum anderen blieb der Familie Pfeuffer das Schlimmste nicht nur deswegen erspart, weil sie bereits 1935 ins damalige Palästina auswanderten, sondern auch weil die Emigration ins Heilige Land der jüdisch-orthodoxen und zionistischen Überzeugung der Familie entsprach. Der junge Ludwig Otto Jehuda Pfeuffer besuchte in Würzburg die jüdische Volksschule und wuchs in der Geborgenheit, im Refugium der jüdischen Familientraditionen und Wurzeln auf, an die die Familie nach der Auswanderung anknüpfen konnte. Entsprechend wird in der Ausstellung Amichais Biograf Bruno Rottenbach wie folgt zitiert:
Wenngleich Jehuda Amichais Kindheit sicher eingebettet war in Familientradition und Gemeine, war für ihn schon als Kind aktives Judentum immer mit feindlicher Umwelt verbunden. Denn er wuchs keineswegs in einer verständnisvollen und toleranten Umgebung auf. […] Die Folge war, dass Jehuda und seine Spielgefährten nie mit christlichen Kindern spielten. Ihr Zentrum, selbst beim Indianerspiel, war der Hof der jüdischen Schule und Synagoge.
Plakatwand Würzburg liest ein Buch, abfotografiert von Andrea Heuser
So freundlich das gegenwärtige Würzburg für mögliche emigrierte Besucher inzwischen auch sein mag; die Grausamkeit der Vertreibung, das Abreißen gewohnter zwischenmenschlicher Bezüge und Verbindungen stand einem bei der Lektüre dieser Plakatwand schmerzhaft vor Augen. Anschließend trat man gern in den lichten Innenhof hinaus, um das Gelesene und auf den Fotografien Erblickte bei einer Tasse Kaffee oder auch in aller Stille noch eine Weile nachwirken zu lassen.
Was bleibt?
Die hier überbelichtete, aber auch vor Ort schwer lesbare Schrift Jehuda Amichais kann dabei durchaus symbolhaft stehen sowohl für die Sinnlichkeit, für die Einschreibung der Erinnerung in Zeugnissen – so sah also seine Schrift aus! – als auch für deren mühsame Lesbarkeit.
(c) Archiv Rosa Grimm, Plakatwand Würzburg liest ein Buch, abfotografiert von Andrea Heuser