Singer-Songwriting (8): Lebensweisheiten in schrägem Gewand: Georg Ringsgwandl
Sommer 1993. Ich war noch keine zwanzig, meine damalige Freundin noch nicht einmal volljährig. Ihre musikalische Erziehung beschränkte sich hauptsächlich auf die Beatles und die großen Komponisten, die ihr Vater in die Familie brachte: Mahler, Bruckner, Mozart. Meine musikalische Erziehung fand zuhause gar nicht statt, ich musste raus – sei es in die Gemeindebücherei oder nach München, in „die große Stadt“, auf Konzerte.
So geschah es, dass ich meine Freundin damals – wir waren noch nicht lange zusammen – auf ein Konzert des Musikbarden Georg Ringsgwandl einlud. Ringsgwandl hatte gerade mal zwei Platten veröffentlicht und ich hatte ihn im Fernsehen gesehen. Klar, ich wusste, was auf mich zukam, meine Freundin jedoch war sich nicht sicher, ob sie ihrem der E-Musik verfallenen Vater erzählen durfte, wohin sie ihr erster fester Freund da entführte:
Wild geschminkt in Neonfarben, 80er-Leggings, Hotpants, Leopardenleiberl, Taucherbrille oder einfach nur ‘ne Mülltüte als Klamotten – so sprang er in schrägen Bewegungen über die Bühne, der vogelwuide... „Liedermacher“; dies hatte ich ihr versprochen, da wir selber die jugendlich-hoffnungsvolle Vorstellung hatten, solche zu werden.
Allein, die Vorstellung, wie ein „Liedermacher“ auszusehen hatte, unterschied sich stark von dem, was dort auf der Bühne zu sehen war. Auch die Musik war nicht wirklich das, was man von Reinhard Mey oder Hannes Wader kannte.
Klar, der erste große Einfluss war auch bei Georg Ringsgwandl die Volksmusik: Seine ersten Auftritte als Kind bestreitet er mit der Zither, die er um das Publikum zu schockieren heute immer noch gerne rausholt. Die hatte er mit acht Jahren von einer Tante geschenkt bekommen. Fünf Jahre später spielt er dann auch noch Posaune und mit achtzehn Jahren bringt sich Georg Ringsgwandl während eines halbjährigen Sanatoriumsaufenthalts – eine diagnostizierte Lungentuberkulose hat ihn dorthin gebracht – selber das Gitarrenspiel bei. Ab nun tritt die Volksmusik in den Hintergrund und neue Musikstile – welche mit denen man eher die Frauen beeindrucken kann – werden wichtig für den Sohn eines kriegsversehrten Postboten aus Bad Reichenhall.
Und so bedient er sich eigentlich aller musikalischen Genres. Da werden Blues-Geschichten erzählt, denen Jahre verrauchter Kaschemmenluft anhängen („Krattla von Minga“. Aus: Woanders, 2016), dann geht es jazzig-elegant in ein „duftes Szenecafe“ („Café“. Aus: Trulla! Trulla!, 1989), mit dem komfortablen, voll ausgerüsteten Großstadtwohnmobil geht es raus in die Natur, kontradiktorisch dargestellt durch Kombination von Landler und Heavy Metal („Heavy Metal Landler“. Aus: Trulla! Trulla!, 1989), funky im Stil von Prince wird über das „Digitale Proletariat“ (aus: Andacht & Radau. 2019) sinniert, mit Ringsgwandls berüchtigten opernhaftem Falsettgesang geht es in die Oper („Placido Domingo“. Aus: Trulla! Trulla!, 1989) oder – zumindest musikalisch – zu den Salzburger Festspielen („Jedermann“. Aus: Das Letzte, 1986).
Oder es geht einfach, frei nach Rod-„Do-you-think-I´m-sexy“-Stewart in die Disco:
Ja, heit is wos los, do drüben sitzt de Schulze Lola
De geh i heit frontal o, de lod i ei zum Whisky Cola
Mogst Du meinen Körper, glaabst Du, i bin sexy Kimm, und gib mir doch Bescheid!
(Georg Ringsgwandl: „Disco“. Aus: Trulla! Trulla!, 1989)
Anfangs, als Georg Ringswandl noch in schrägstem, die Liedermacherszene aufmischenden, Gewand auf die Bühne kommt, tauscht er die Neon-Leggings und goldfarbenen Hotpants tagsüber gegen den Arztkittel ein. Nach abgeschlossenem Medizinstudium zieht er 1976 nach München und übernimmt zuerst Praxisvertretungen. 1978 bekommt er eine Stelle als Assistenzarzt am Klinikum München-Großhadern. Sein erstes Programm entsteht zu dieser Zeit. Richtig ernst wird es dann zur Zeit seiner Position als Oberarzt der Kardiologie am Klinikum Garmisch-Partenkirchen, die er 1984 bekommt: Die Tage werden immer länger, dehnen sie sich doch auf den Tag im Kittel und die Nacht im Rampenlicht aus. 1986 erscheint sein erster Tonträger Das Letzte – gleich hoch gelobt und mit Preisen wie dem Salzburger Stier oder dem Deutschen Kleinkunstpreis überhäuft.
Thematisch ist bei Ringsgwandl alles zu finden, allerdings stets stark ironisch gefärbt und mit einem hintergründigen, sprach-verspielten Humor versetzt. Hinter scheinbar wertfreien Blödeleien steckt bei ihm immer ein tieferer Sinn – gewollt oder ungewollt. „Die gesamte Lebensphilosophie in 3 Wörter zusammengefasst“, beschrieb einmal sein Lied „Hühnerarsch, sei wachsam!“
Weißt du schon, wer nach dir schielt,
weißt du, wie das Leben spielt?
Hühnerarsch, sei wachsam!
Denn paßt du nicht richtig auf,
springt dir hint‘ ein Gickerl drauf, drum:
Legehuhn, paß Obacht!
Du kannst schlau sein oder promoviert,
hip oder habilitiert,
das nützt nichts, wenn man doch nicht kapiert
daß hinten schon wer rumhantiert.
Vogeltier, schau Vorsicht!
(Georg Ringsgwandl: „Hühnerarsch sei wachsam“. Aus: Vogelwild, 1992)
Einzig die Platte Staffabruck von 1993 fällt aus diesem ironisch-lakonischen Funk-Reggae-Metal-Gemisch heraus. Hier finden sich fast ausschließlich nachdenkliche Lieder, lediglich mit einer akustischen Gitarre eingespielt. Da sinniert Ringsgwandl über den letzten Tag des Räubers Kneißl, über das Altwerden oder über seine Kindheit in Bad Reichenhall und die Armut seiner Eltern. Aber auch über die schönen Kindheitserinnerungen wie das Schlittenfahren während noch großartig schneereicher Winter und das Warten auf den Weihnachtsmann.
Auch Antworten auf die großen Fragen gibt er:
Ja, des Glück, des is a läufige Hundsmatz,
es bleibt nie lang beim selben Mann,
denn Sicherheit im Tausch für Langeweile,
des ist ein Handel, den es nicht leiden kann.
Ja, des Glück, des braucht keinen Propheten,
keinen Bhagwan und keinen lieben Gott,
und es braucht auch keine Raketen,
weil's überhaupt nix zum verlieren hot.
(Georg Ringsgwandl: „Glück im Mercedes“. Aus: Staffabruck, 1993)
Just in dem Jahr seiner nachdenklichsten Veröffentlichung gibt der Kardiologe Ringsgwandl den Beruf am Krankenhaus endgültig auf und widmet sich nur noch der Kunst. So entstehen regelmäßig neben neuen Alben von nun an etliche Bühnenstücke und Bücher. 2023 veröffentlicht Ringsgwandl seinen ersten, ein wenig autobiografisch gefärbten Roman Die unvollständigen Aufzeichnungen der Tourschlampe Doris – um zu verhindern, dass er eine Autobiografie schreibe.
Apropos Autobiografie:
Der Autor dieses Artikels hatte viele Jahre nach dem denkwürdigen Konzert von 1993 das Glück als Zugabe bei einem Konzert des „Valentin des Rock n Roll“ – wie er einmal genannt wurde – einer modernen Minioper über Rentner-Kaffeefahrten zu lauschen, solo von Ringsgwandl selbst auf dem Keyboard begleitet. Und er war – diesmal allein in der Mitarbeiterloge einer Münchner Kabarettbühne und nicht von der Freundin abgelenkt – genauso beeindruckt wie damals 1993 von dem etliche Minuten dauernden, absurd-komischen Zwölf-Ton-Gewitter, das da unisono aus den Fingern und dem Mund eines ehemaligen Oberarztes kam.
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Sommer 1993. Ich war noch keine zwanzig, meine damalige Freundin noch nicht einmal volljährig. Ihre musikalische Erziehung beschränkte sich hauptsächlich auf die Beatles und die großen Komponisten, die ihr Vater in die Familie brachte: Mahler, Bruckner, Mozart. Meine musikalische Erziehung fand zuhause gar nicht statt, ich musste raus – sei es in die Gemeindebücherei oder nach München, in „die große Stadt“, auf Konzerte.
So geschah es, dass ich meine Freundin damals – wir waren noch nicht lange zusammen – auf ein Konzert des Musikbarden Georg Ringsgwandl einlud. Ringsgwandl hatte gerade mal zwei Platten veröffentlicht und ich hatte ihn im Fernsehen gesehen. Klar, ich wusste, was auf mich zukam, meine Freundin jedoch war sich nicht sicher, ob sie ihrem der E-Musik verfallenen Vater erzählen durfte, wohin sie ihr erster fester Freund da entführte:
Wild geschminkt in Neonfarben, 80er-Leggings, Hotpants, Leopardenleiberl, Taucherbrille oder einfach nur ‘ne Mülltüte als Klamotten – so sprang er in schrägen Bewegungen über die Bühne, der vogelwuide... „Liedermacher“; dies hatte ich ihr versprochen, da wir selber die jugendlich-hoffnungsvolle Vorstellung hatten, solche zu werden.
Allein, die Vorstellung, wie ein „Liedermacher“ auszusehen hatte, unterschied sich stark von dem, was dort auf der Bühne zu sehen war. Auch die Musik war nicht wirklich das, was man von Reinhard Mey oder Hannes Wader kannte.
Klar, der erste große Einfluss war auch bei Georg Ringsgwandl die Volksmusik: Seine ersten Auftritte als Kind bestreitet er mit der Zither, die er um das Publikum zu schockieren heute immer noch gerne rausholt. Die hatte er mit acht Jahren von einer Tante geschenkt bekommen. Fünf Jahre später spielt er dann auch noch Posaune und mit achtzehn Jahren bringt sich Georg Ringsgwandl während eines halbjährigen Sanatoriumsaufenthalts – eine diagnostizierte Lungentuberkulose hat ihn dorthin gebracht – selber das Gitarrenspiel bei. Ab nun tritt die Volksmusik in den Hintergrund und neue Musikstile – welche mit denen man eher die Frauen beeindrucken kann – werden wichtig für den Sohn eines kriegsversehrten Postboten aus Bad Reichenhall.
Und so bedient er sich eigentlich aller musikalischen Genres. Da werden Blues-Geschichten erzählt, denen Jahre verrauchter Kaschemmenluft anhängen („Krattla von Minga“. Aus: Woanders, 2016), dann geht es jazzig-elegant in ein „duftes Szenecafe“ („Café“. Aus: Trulla! Trulla!, 1989), mit dem komfortablen, voll ausgerüsteten Großstadtwohnmobil geht es raus in die Natur, kontradiktorisch dargestellt durch Kombination von Landler und Heavy Metal („Heavy Metal Landler“. Aus: Trulla! Trulla!, 1989), funky im Stil von Prince wird über das „Digitale Proletariat“ (aus: Andacht & Radau. 2019) sinniert, mit Ringsgwandls berüchtigten opernhaftem Falsettgesang geht es in die Oper („Placido Domingo“. Aus: Trulla! Trulla!, 1989) oder – zumindest musikalisch – zu den Salzburger Festspielen („Jedermann“. Aus: Das Letzte, 1986).
Oder es geht einfach, frei nach Rod-„Do-you-think-I´m-sexy“-Stewart in die Disco:
Ja, heit is wos los, do drüben sitzt de Schulze Lola
De geh i heit frontal o, de lod i ei zum Whisky Cola
Mogst Du meinen Körper, glaabst Du, i bin sexy Kimm, und gib mir doch Bescheid!
(Georg Ringsgwandl: „Disco“. Aus: Trulla! Trulla!, 1989)
Anfangs, als Georg Ringswandl noch in schrägstem, die Liedermacherszene aufmischenden, Gewand auf die Bühne kommt, tauscht er die Neon-Leggings und goldfarbenen Hotpants tagsüber gegen den Arztkittel ein. Nach abgeschlossenem Medizinstudium zieht er 1976 nach München und übernimmt zuerst Praxisvertretungen. 1978 bekommt er eine Stelle als Assistenzarzt am Klinikum München-Großhadern. Sein erstes Programm entsteht zu dieser Zeit. Richtig ernst wird es dann zur Zeit seiner Position als Oberarzt der Kardiologie am Klinikum Garmisch-Partenkirchen, die er 1984 bekommt: Die Tage werden immer länger, dehnen sie sich doch auf den Tag im Kittel und die Nacht im Rampenlicht aus. 1986 erscheint sein erster Tonträger Das Letzte – gleich hoch gelobt und mit Preisen wie dem Salzburger Stier oder dem Deutschen Kleinkunstpreis überhäuft.
Thematisch ist bei Ringsgwandl alles zu finden, allerdings stets stark ironisch gefärbt und mit einem hintergründigen, sprach-verspielten Humor versetzt. Hinter scheinbar wertfreien Blödeleien steckt bei ihm immer ein tieferer Sinn – gewollt oder ungewollt. „Die gesamte Lebensphilosophie in 3 Wörter zusammengefasst“, beschrieb einmal sein Lied „Hühnerarsch, sei wachsam!“
Weißt du schon, wer nach dir schielt,
weißt du, wie das Leben spielt?
Hühnerarsch, sei wachsam!
Denn paßt du nicht richtig auf,
springt dir hint‘ ein Gickerl drauf, drum:
Legehuhn, paß Obacht!
Du kannst schlau sein oder promoviert,
hip oder habilitiert,
das nützt nichts, wenn man doch nicht kapiert
daß hinten schon wer rumhantiert.
Vogeltier, schau Vorsicht!
(Georg Ringsgwandl: „Hühnerarsch sei wachsam“. Aus: Vogelwild, 1992)
Einzig die Platte Staffabruck von 1993 fällt aus diesem ironisch-lakonischen Funk-Reggae-Metal-Gemisch heraus. Hier finden sich fast ausschließlich nachdenkliche Lieder, lediglich mit einer akustischen Gitarre eingespielt. Da sinniert Ringsgwandl über den letzten Tag des Räubers Kneißl, über das Altwerden oder über seine Kindheit in Bad Reichenhall und die Armut seiner Eltern. Aber auch über die schönen Kindheitserinnerungen wie das Schlittenfahren während noch großartig schneereicher Winter und das Warten auf den Weihnachtsmann.
Auch Antworten auf die großen Fragen gibt er:
Ja, des Glück, des is a läufige Hundsmatz,
es bleibt nie lang beim selben Mann,
denn Sicherheit im Tausch für Langeweile,
des ist ein Handel, den es nicht leiden kann.
Ja, des Glück, des braucht keinen Propheten,
keinen Bhagwan und keinen lieben Gott,
und es braucht auch keine Raketen,
weil's überhaupt nix zum verlieren hot.
(Georg Ringsgwandl: „Glück im Mercedes“. Aus: Staffabruck, 1993)
Just in dem Jahr seiner nachdenklichsten Veröffentlichung gibt der Kardiologe Ringsgwandl den Beruf am Krankenhaus endgültig auf und widmet sich nur noch der Kunst. So entstehen regelmäßig neben neuen Alben von nun an etliche Bühnenstücke und Bücher. 2023 veröffentlicht Ringsgwandl seinen ersten, ein wenig autobiografisch gefärbten Roman Die unvollständigen Aufzeichnungen der Tourschlampe Doris – um zu verhindern, dass er eine Autobiografie schreibe.
Apropos Autobiografie:
Der Autor dieses Artikels hatte viele Jahre nach dem denkwürdigen Konzert von 1993 das Glück als Zugabe bei einem Konzert des „Valentin des Rock n Roll“ – wie er einmal genannt wurde – einer modernen Minioper über Rentner-Kaffeefahrten zu lauschen, solo von Ringsgwandl selbst auf dem Keyboard begleitet. Und er war – diesmal allein in der Mitarbeiterloge einer Münchner Kabarettbühne und nicht von der Freundin abgelenkt – genauso beeindruckt wie damals 1993 von dem etliche Minuten dauernden, absurd-komischen Zwölf-Ton-Gewitter, das da unisono aus den Fingern und dem Mund eines ehemaligen Oberarztes kam.