Armin Kratzerts Beckenbauer-Roman, neu gelesen
Am 7. Januar 2024 ist Franz Beckenbauer im Alter von 78 Jahren in Salzburg gestorben. Der Kaiser ist tot. Bei der großen Trauerfeier am kommenden Freitag in der Münchner Arena – einem imposanten Fußballstadion, das es ohne Beckenbauer so nicht gäbe – wird der Bundespräsident eine Rede halten, und der Kanzler wird ihm zuhören. Freundinnen und Freunde der Literatur, die natürlich genauso trauern wie alle anderen, greifen dagegen ins Bücherregal, ziehen einen Roman aus dem Jahr 2012 heraus und beginnen zu lesen. Obwohl der Roman Beckenbauer taucht nicht auf heißt. Geschrieben hat ihn der durch seine Arbeit beim Bayerischen Rundfunk bekannte Journalist und Autor Armin Kratzert. Und natürlich taucht Beckenbauer in seinem Roman auf. Klaus Hübner hat ihn für uns gelesen.
*
Dass der Kaiser, also der Franz, auch den Galaktischen schon recht früh aufgefallen ist, verwundert nicht. Nein, nicht den Managern von Real Madrid. Denen sowieso. Aber es gibt eben auch ferne, sehr ferne Galaxien, die ein ganz spezielles Interesse an dem Ausnahmetalent aus Giesing hatten. So wichtig war ihnen Franz Beckenbauer, dass sie einen ihrer Kundschafter nach München schickten, in geheimer Mission, natürlich. Einen, dem der Planet Erde kaum bekannt war und die Stadt München erst recht nicht. „Wo ich herkomme, gibt es keine Menschen, nur meinesgleichen.“ Vom Fußball versteht dieser Anatol Hinueber, wie er sich dem Nachbarsjungen Tschorsch gegenüber nennt, rein gar nichts. Er weiß nur, dass der Kaiser dieses Spiel „vor langer Zeit“ erfunden und in die Welt getragen hat. „Wir besitzen genaueste Informationen über Beckenbauer, oder Franz, wie es richtig heißt, es gibt Scans seiner DNA im Speicher des Instituts, eine Niederschrift des ersten Spiels, die Reste eines 1978er-Auswärtstrikots von Cosmos New York sowie die leider schlecht erhaltene analoge Aufzeichnung einer Hymne, die er komponiert hat: „Gute Freunde kann niemand trennen.“ Anatol kennt seinen Auftrag: Er soll den Kaiser in seine Gewalt und dann zu seinem Heimatplaneten bringen. Und was allen Kennerinnen und Kennern von Science-Fiction selbstverständlich von vornherein klar ist: Kundschafter ferner Galaxien sind den Erdlingen technisch haushoch überlegen, und sie lernen schnell. So nimmt das Schicksal oder vielmehr das Romangeschehen seinen Lauf.
Anatol kennt alle Fakten zu Franz, und „nur sie definieren die Lage“. Eine „Karriere ohne Beispiel“ hat dieser Beckenbauer gemacht, „die perfekte Kombination von Talent, Körper, Plan. Genetisches Material also, das Zukunft hat“. Ja, der Kaiser hat einige Kinder, und für Anatol ist klar: „Beckenbauer, das ist ein Modell, nicht nur ein Name“. Doch als er von seiner Wohnung oder besser seiner „Operationsbasis“ aus ein bisschen verwundert seiner nicht oder kaum bekleideten Nachbarin zugeschaut und im Treppenhaus mit dem fußballbegeisterten Tschorsch gesprochen hat, wird ihm schnell bewusst, „dass meine Vorbereitung nicht ausreicht, selbst ein Kind spürt, dass etwas Fremdes an mir ist“. Der Autor stellt das dadurch heraus, dass er zur rechten Zeit auch die Gegenperspektiven in seine Erzählung einfügt, also die Sicht seiner menschlichen Kontaktpersonen auf diesen Anatol zu Wort kommen lässt. „Überhaupt hat er etwas eigenartige Ansichten, keine Ahnung, wo er herkommt“, stellt Tschorsch fest, „und dann kam der Helikopter vorbei, er flog drüben am Fluss, ganz normal, knatterte kurz und weg war er, aber Anatol ist furchtbar erschrocken, ein Blick, ein Zittern, und er ist in der Tür verschwunden, wie der Blitz“.
(c) Bayerische Staatsbibliothek München/Fotoarchiv Fruhstorfer
Anatol beobachtet, analysiert und passt sich an – sein Gang wird weniger eckig und seine Sprache täglich münchnerischer, er zaubert ein köstliches Menu für Tschorsch und dessen Mutter, und er merkt schnell, dass er, um nicht noch mehr aufzufallen und ein noch größeres Verkehrschaos auszulösen, seine Gehgeschwindigkeit von 60 Stundenkilometern unbedingt herunterbremsen muss. Einschlägige Örtlichkeiten wie der auch jetzt wieder viel besuchte Hinterhof in der Giesinger Zugspitzstraße 6, das Nachtlokal P1 oder das FCB-Gelände an der Säbener Straße werden charmant und hintergründig geschildert – als Anatol von einem Parkplatz aus den Fußballern beim Training zuschaut, taucht ein Security-Mann auf und will ihn von dort vertreiben: „Er bedeutete mir barsch, zu verschwinden, will mich wegscheuchen, und ich nicke, sehe kurz nach links und nach rechts und verdampfe ihn.“ In einem bekannten Friseursalon am Odeonsplatz übrigens sieht er den Kaiser zum ersten Mal leibhaftig, und tatsächlich gelingt es dem Außerirdischen, einige seiner Haare einzusaugen und damit seine Kenntnisse von Beckenbauers Genmaterial zu erweitern. Nebenbei gibt es immer wieder lustige Bemerkungen zum Fortpflanzungsverhalten der Erdlinge und zu Anatols ungläubigem Staunen darüber, dass die Menschen daran so viel Freude zu haben scheinen. Kurzum, es gibt eine ganze Menge witziger und amüsanter Passagen in diesem Roman. Leider sind es nur Passagen, denn Armin Kratzert bemüht sich etwas willkürlich darum, die gängigen Konventionen der Science-Fiction nicht außer Acht zu lassen. Das führt zu ernüchternd drögen, pseudo-naturwissenschaftlichen Sprachhülsen, die den Lesefluss hemmen und immer wieder gehörig nerven können. Warum er das macht und damit seiner unterhaltsamen Geschichte nachhaltig schadet, ist ebenso wenig einzusehen wie die Reihenfolge der Kapitel von „zehn“ bis „zero“ – irgendeine tiefere Erkenntnis oder gar ein einleuchtender ästhetischer Mehrwert ergeben sich daraus nicht. Aber wo ist Franz? Wie kommt man an ihn ran? Anatol denkt sich eine plausibel klingende Geschichte aus und bittet um einen Interviewtermin mit dem Kaiser. Das jedoch klappt nicht – was nun? Tja, es passiert noch allerhand, und schließlich ... Selbstverständlich wird das erstaunliche Finale dieses Romans hier nicht ausgeplaudert. Da müssen Leserin und Leser schon selber durch, und so sei dazu nur gesagt, dass sich das durchaus lohnt und dass die Lektüre von Beckenbauer taucht nicht auf bestimmt nicht die schlechteste Möglichkeit ist, seine Trauer um den Tod des Kaisers angemessen zu verarbeiten.
Fußball und Literatur, das war und ist schon immer ein heikles Thema, und herausragende Texte wie Fever pitch – Ballfieber (1992), der vielgerühmte Roman von Nick Hornby, oder die wunderbaren Fußballgedichte des immer noch unglaublich unterschätzten Ror Wolf (1932–2020) können darüber nur vorübergehend hinwegtäuschen. Armin Kratzerts Beckenbauer-Roman spielt in einer anderen Liga. Aber man kann und sollte ihn lesen, gerade in den wehmütig gestimmten Zeiten nach dem 7. Januar 2024. Denn eines macht Beckenbauer taucht nicht auf ganz klar: Der Kaiser lebt, und er wird immer leben.
Armin Kratzert: Beckenbauer taucht nicht auf. Roman. P. Kirchheim Verlag, München 2012. 174 S., € 11,99
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Am 7. Januar 2024 ist Franz Beckenbauer im Alter von 78 Jahren in Salzburg gestorben. Der Kaiser ist tot. Bei der großen Trauerfeier am kommenden Freitag in der Münchner Arena – einem imposanten Fußballstadion, das es ohne Beckenbauer so nicht gäbe – wird der Bundespräsident eine Rede halten, und der Kanzler wird ihm zuhören. Freundinnen und Freunde der Literatur, die natürlich genauso trauern wie alle anderen, greifen dagegen ins Bücherregal, ziehen einen Roman aus dem Jahr 2012 heraus und beginnen zu lesen. Obwohl der Roman Beckenbauer taucht nicht auf heißt. Geschrieben hat ihn der durch seine Arbeit beim Bayerischen Rundfunk bekannte Journalist und Autor Armin Kratzert. Und natürlich taucht Beckenbauer in seinem Roman auf. Klaus Hübner hat ihn für uns gelesen.
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Dass der Kaiser, also der Franz, auch den Galaktischen schon recht früh aufgefallen ist, verwundert nicht. Nein, nicht den Managern von Real Madrid. Denen sowieso. Aber es gibt eben auch ferne, sehr ferne Galaxien, die ein ganz spezielles Interesse an dem Ausnahmetalent aus Giesing hatten. So wichtig war ihnen Franz Beckenbauer, dass sie einen ihrer Kundschafter nach München schickten, in geheimer Mission, natürlich. Einen, dem der Planet Erde kaum bekannt war und die Stadt München erst recht nicht. „Wo ich herkomme, gibt es keine Menschen, nur meinesgleichen.“ Vom Fußball versteht dieser Anatol Hinueber, wie er sich dem Nachbarsjungen Tschorsch gegenüber nennt, rein gar nichts. Er weiß nur, dass der Kaiser dieses Spiel „vor langer Zeit“ erfunden und in die Welt getragen hat. „Wir besitzen genaueste Informationen über Beckenbauer, oder Franz, wie es richtig heißt, es gibt Scans seiner DNA im Speicher des Instituts, eine Niederschrift des ersten Spiels, die Reste eines 1978er-Auswärtstrikots von Cosmos New York sowie die leider schlecht erhaltene analoge Aufzeichnung einer Hymne, die er komponiert hat: „Gute Freunde kann niemand trennen.“ Anatol kennt seinen Auftrag: Er soll den Kaiser in seine Gewalt und dann zu seinem Heimatplaneten bringen. Und was allen Kennerinnen und Kennern von Science-Fiction selbstverständlich von vornherein klar ist: Kundschafter ferner Galaxien sind den Erdlingen technisch haushoch überlegen, und sie lernen schnell. So nimmt das Schicksal oder vielmehr das Romangeschehen seinen Lauf.
Anatol kennt alle Fakten zu Franz, und „nur sie definieren die Lage“. Eine „Karriere ohne Beispiel“ hat dieser Beckenbauer gemacht, „die perfekte Kombination von Talent, Körper, Plan. Genetisches Material also, das Zukunft hat“. Ja, der Kaiser hat einige Kinder, und für Anatol ist klar: „Beckenbauer, das ist ein Modell, nicht nur ein Name“. Doch als er von seiner Wohnung oder besser seiner „Operationsbasis“ aus ein bisschen verwundert seiner nicht oder kaum bekleideten Nachbarin zugeschaut und im Treppenhaus mit dem fußballbegeisterten Tschorsch gesprochen hat, wird ihm schnell bewusst, „dass meine Vorbereitung nicht ausreicht, selbst ein Kind spürt, dass etwas Fremdes an mir ist“. Der Autor stellt das dadurch heraus, dass er zur rechten Zeit auch die Gegenperspektiven in seine Erzählung einfügt, also die Sicht seiner menschlichen Kontaktpersonen auf diesen Anatol zu Wort kommen lässt. „Überhaupt hat er etwas eigenartige Ansichten, keine Ahnung, wo er herkommt“, stellt Tschorsch fest, „und dann kam der Helikopter vorbei, er flog drüben am Fluss, ganz normal, knatterte kurz und weg war er, aber Anatol ist furchtbar erschrocken, ein Blick, ein Zittern, und er ist in der Tür verschwunden, wie der Blitz“.
(c) Bayerische Staatsbibliothek München/Fotoarchiv Fruhstorfer
Anatol beobachtet, analysiert und passt sich an – sein Gang wird weniger eckig und seine Sprache täglich münchnerischer, er zaubert ein köstliches Menu für Tschorsch und dessen Mutter, und er merkt schnell, dass er, um nicht noch mehr aufzufallen und ein noch größeres Verkehrschaos auszulösen, seine Gehgeschwindigkeit von 60 Stundenkilometern unbedingt herunterbremsen muss. Einschlägige Örtlichkeiten wie der auch jetzt wieder viel besuchte Hinterhof in der Giesinger Zugspitzstraße 6, das Nachtlokal P1 oder das FCB-Gelände an der Säbener Straße werden charmant und hintergründig geschildert – als Anatol von einem Parkplatz aus den Fußballern beim Training zuschaut, taucht ein Security-Mann auf und will ihn von dort vertreiben: „Er bedeutete mir barsch, zu verschwinden, will mich wegscheuchen, und ich nicke, sehe kurz nach links und nach rechts und verdampfe ihn.“ In einem bekannten Friseursalon am Odeonsplatz übrigens sieht er den Kaiser zum ersten Mal leibhaftig, und tatsächlich gelingt es dem Außerirdischen, einige seiner Haare einzusaugen und damit seine Kenntnisse von Beckenbauers Genmaterial zu erweitern. Nebenbei gibt es immer wieder lustige Bemerkungen zum Fortpflanzungsverhalten der Erdlinge und zu Anatols ungläubigem Staunen darüber, dass die Menschen daran so viel Freude zu haben scheinen. Kurzum, es gibt eine ganze Menge witziger und amüsanter Passagen in diesem Roman. Leider sind es nur Passagen, denn Armin Kratzert bemüht sich etwas willkürlich darum, die gängigen Konventionen der Science-Fiction nicht außer Acht zu lassen. Das führt zu ernüchternd drögen, pseudo-naturwissenschaftlichen Sprachhülsen, die den Lesefluss hemmen und immer wieder gehörig nerven können. Warum er das macht und damit seiner unterhaltsamen Geschichte nachhaltig schadet, ist ebenso wenig einzusehen wie die Reihenfolge der Kapitel von „zehn“ bis „zero“ – irgendeine tiefere Erkenntnis oder gar ein einleuchtender ästhetischer Mehrwert ergeben sich daraus nicht. Aber wo ist Franz? Wie kommt man an ihn ran? Anatol denkt sich eine plausibel klingende Geschichte aus und bittet um einen Interviewtermin mit dem Kaiser. Das jedoch klappt nicht – was nun? Tja, es passiert noch allerhand, und schließlich ... Selbstverständlich wird das erstaunliche Finale dieses Romans hier nicht ausgeplaudert. Da müssen Leserin und Leser schon selber durch, und so sei dazu nur gesagt, dass sich das durchaus lohnt und dass die Lektüre von Beckenbauer taucht nicht auf bestimmt nicht die schlechteste Möglichkeit ist, seine Trauer um den Tod des Kaisers angemessen zu verarbeiten.
Fußball und Literatur, das war und ist schon immer ein heikles Thema, und herausragende Texte wie Fever pitch – Ballfieber (1992), der vielgerühmte Roman von Nick Hornby, oder die wunderbaren Fußballgedichte des immer noch unglaublich unterschätzten Ror Wolf (1932–2020) können darüber nur vorübergehend hinwegtäuschen. Armin Kratzerts Beckenbauer-Roman spielt in einer anderen Liga. Aber man kann und sollte ihn lesen, gerade in den wehmütig gestimmten Zeiten nach dem 7. Januar 2024. Denn eines macht Beckenbauer taucht nicht auf ganz klar: Der Kaiser lebt, und er wird immer leben.
Armin Kratzert: Beckenbauer taucht nicht auf. Roman. P. Kirchheim Verlag, München 2012. 174 S., € 11,99