Valentina. Ein Blog von Sara Gómez (3)
In dem 9-teiligen Blog nimmt die Autorin Sara Gómez die Leser mit auf eine Entstehungsreise dieses Textes, der zwischen Deutschland und Chile angesiedelt ist. Es handelt sich dabei um den zweiten Teil ihrer Erzählung Valentina. Er ist autobiographisch grundiert, inspiriert von Sara Gómez' chilenischer Familie, und fokussiert sich auf die Ich-Erzählerin Magdalena, die als Tochter eines chilenischen Exilanten in Deutschland ein Zwitter-Dasein zwischen beiden Ländern führt. Ihre Nichte Valentina, die unter chaotischen familiären Bedingungen aufwächst, stellt ihren Gegenpart dar und ist zugleich Magdalenas Kompass, an dem diese sich orientiert. Seit dem ersten Teil der Erzählung, der zur Zeit von Valentinas Pubertät spielt, sind inzwischen zehn Jahre vergangen. Valentina ist in ihren Zwanzigern und studiert. Magdalena, die Ich-Erzählerin, reist zum Weihnachtsfest der Familie nach Chile.
Dies ist der dritte Teil des Blogs in Form eines Werkstattberichts. Mit ihrem Blog beteiligt sich Sara Gómez an „Neustart Freie Szene – Literatur“, einem Projekt des Literaturportals Bayern zur Unterstützung der Freien Szene in Bayern. Alle bisherigen Beiträge des Projekts finden Sie HIER.
*
„Was esst ihr in Deutschland“, werde ich immer wieder gefragt.
Meistens scherze ich damit, dass sich München als nördlichste Stadt Italiens rühmt und wir, also meine Familie, Freundinnen und Freunde, Italiens Küche kopieren. Niemand, mit dem ich viel zu tun habe, ernährt sich in erster Linie von Knödeln und Schweinshaxe und wer eine Gemüsekiste abonniert hat, macht aus dem Wirsing mittlerweile vegetarisches Schnitzel.
Was also essen wir und warum ist das so wichtig? Es ist so, als würde man die Mentalität eines Landes anhand der Speisekarte ablesen können. Umso schmerzlicher vermisse ich bei meinem letzten Aufenthalt in Chile Aji Pebre, das bis vor der Pandemie noch selbstverständlich beim Essengehen auf den Tisch gestellt wurde: fein gehäckselte Tomaten, die mit viel Zwiebeln, etwas Knoblauch und viel frischem Koriander, Salz, Merquen – ein chilenisches Chili – und Öl vermengt werden, dann ziehen lassen und servieren. Kann quasi zu allen Hauptspeisen und salzigen Snacks gegessen werden.
Im Teil I von Valentina spielt eine der wichtigsten Szenen beim Zubereiten eines Essens in der Küche, wo Gespräche nebenbei stattfinden können und nicht so steif wie beim Sitzen an der gedeckten Kaffeetafel, wo einige von uns schon Klaustrophobie und Blähbauch beim bloßen Anblick bekommen.
Dafür, bemerke ich, gibt es selbstverständlich Netflix in jedem Haushalt und jedem neueren Hotel. 2020, bei meinem vorletzten Aufenthalt und just zu Beginn der Pandemie, war keiner der Streamingdienste hier sonderlich vertreten. Aber jetzt gibt es bei meiner Familie auf dem Land plötzlich einen Router, der schnelleres Internet durch die Holzwände pumpt als in meinen vier Wänden in München und meine Tante schaltet ihren Enkelkindern selbstverständlich Trickfilme auf amazon prime ein.
Aji Pebre wäre mir lieber. Die Nostalgie derjenigen, die nicht dauerhaft hier lebt.
Mein Interesse gilt weniger den konkreten Pandemie-Erlebnissen in Chile und welche Unterschiede es im Handling gab (wobei ich natürlich gerne erwähne, dass Chile Impf-Rekordweltmeister kurz nach Israel war und Impfen an praktisch allen öffentlichen Orten ermöglicht wurde, während hier Bürokratie und Schwurblertum voll zum Zuge kamen), als vielmehr den Folgen von Isolation, Digitalisierung und dem Wieder-Einreißen all der während der Pandemie verhängten Regeln.
Valentina steht dabei für die Generation junger Menschen, die, im Gegensatz zu Magdalena, nicht in einer stabilen Zeit aufwächst, sondern mit einer Krise nach der anderen klarkommen muss – Ihre Gegenspielerin hat dafür anfangs nur wenig Verständnis und sieht es als Backlash und Erstarken konservativer Kräfte wie sich die Jüngeren verhalten und in ihren Augen „spießig nach Sicherheit lechzen“. Hierüber werden die beiden Protagonistinnen spannende Streitgespräche führen.
Im Kopf hat die Autorin dabei Oscar Wildes sinngemäßen Spruch: Die Welt hat den Jüngeren ihr letztes Geheimnis verraten. Deshalb lohnt es sich, auf sie zu hören.
Valentina. Ein Blog von Sara Gómez (3)>
In dem 9-teiligen Blog nimmt die Autorin Sara Gómez die Leser mit auf eine Entstehungsreise dieses Textes, der zwischen Deutschland und Chile angesiedelt ist. Es handelt sich dabei um den zweiten Teil ihrer Erzählung Valentina. Er ist autobiographisch grundiert, inspiriert von Sara Gómez' chilenischer Familie, und fokussiert sich auf die Ich-Erzählerin Magdalena, die als Tochter eines chilenischen Exilanten in Deutschland ein Zwitter-Dasein zwischen beiden Ländern führt. Ihre Nichte Valentina, die unter chaotischen familiären Bedingungen aufwächst, stellt ihren Gegenpart dar und ist zugleich Magdalenas Kompass, an dem diese sich orientiert. Seit dem ersten Teil der Erzählung, der zur Zeit von Valentinas Pubertät spielt, sind inzwischen zehn Jahre vergangen. Valentina ist in ihren Zwanzigern und studiert. Magdalena, die Ich-Erzählerin, reist zum Weihnachtsfest der Familie nach Chile.
Dies ist der dritte Teil des Blogs in Form eines Werkstattberichts. Mit ihrem Blog beteiligt sich Sara Gómez an „Neustart Freie Szene – Literatur“, einem Projekt des Literaturportals Bayern zur Unterstützung der Freien Szene in Bayern. Alle bisherigen Beiträge des Projekts finden Sie HIER.
*
„Was esst ihr in Deutschland“, werde ich immer wieder gefragt.
Meistens scherze ich damit, dass sich München als nördlichste Stadt Italiens rühmt und wir, also meine Familie, Freundinnen und Freunde, Italiens Küche kopieren. Niemand, mit dem ich viel zu tun habe, ernährt sich in erster Linie von Knödeln und Schweinshaxe und wer eine Gemüsekiste abonniert hat, macht aus dem Wirsing mittlerweile vegetarisches Schnitzel.
Was also essen wir und warum ist das so wichtig? Es ist so, als würde man die Mentalität eines Landes anhand der Speisekarte ablesen können. Umso schmerzlicher vermisse ich bei meinem letzten Aufenthalt in Chile Aji Pebre, das bis vor der Pandemie noch selbstverständlich beim Essengehen auf den Tisch gestellt wurde: fein gehäckselte Tomaten, die mit viel Zwiebeln, etwas Knoblauch und viel frischem Koriander, Salz, Merquen – ein chilenisches Chili – und Öl vermengt werden, dann ziehen lassen und servieren. Kann quasi zu allen Hauptspeisen und salzigen Snacks gegessen werden.
Im Teil I von Valentina spielt eine der wichtigsten Szenen beim Zubereiten eines Essens in der Küche, wo Gespräche nebenbei stattfinden können und nicht so steif wie beim Sitzen an der gedeckten Kaffeetafel, wo einige von uns schon Klaustrophobie und Blähbauch beim bloßen Anblick bekommen.
Dafür, bemerke ich, gibt es selbstverständlich Netflix in jedem Haushalt und jedem neueren Hotel. 2020, bei meinem vorletzten Aufenthalt und just zu Beginn der Pandemie, war keiner der Streamingdienste hier sonderlich vertreten. Aber jetzt gibt es bei meiner Familie auf dem Land plötzlich einen Router, der schnelleres Internet durch die Holzwände pumpt als in meinen vier Wänden in München und meine Tante schaltet ihren Enkelkindern selbstverständlich Trickfilme auf amazon prime ein.
Aji Pebre wäre mir lieber. Die Nostalgie derjenigen, die nicht dauerhaft hier lebt.
Mein Interesse gilt weniger den konkreten Pandemie-Erlebnissen in Chile und welche Unterschiede es im Handling gab (wobei ich natürlich gerne erwähne, dass Chile Impf-Rekordweltmeister kurz nach Israel war und Impfen an praktisch allen öffentlichen Orten ermöglicht wurde, während hier Bürokratie und Schwurblertum voll zum Zuge kamen), als vielmehr den Folgen von Isolation, Digitalisierung und dem Wieder-Einreißen all der während der Pandemie verhängten Regeln.
Valentina steht dabei für die Generation junger Menschen, die, im Gegensatz zu Magdalena, nicht in einer stabilen Zeit aufwächst, sondern mit einer Krise nach der anderen klarkommen muss – Ihre Gegenspielerin hat dafür anfangs nur wenig Verständnis und sieht es als Backlash und Erstarken konservativer Kräfte wie sich die Jüngeren verhalten und in ihren Augen „spießig nach Sicherheit lechzen“. Hierüber werden die beiden Protagonistinnen spannende Streitgespräche führen.
Im Kopf hat die Autorin dabei Oscar Wildes sinngemäßen Spruch: Die Welt hat den Jüngeren ihr letztes Geheimnis verraten. Deshalb lohnt es sich, auf sie zu hören.