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04.12.2023, 09:20 Uhr
Cornelia Zetzsche
Text & Debatte
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(c) Daniela Weiland

Zur Kritik an den Umbauplänen des Bayerischen Rundfunks

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(c) Daniela Weiland

Der Bayerische Rundfunk will seine Info- und Kulturwelle Bayern 2 reformieren. Die geplante „Kulturoffensive“ auf Bayern 2 bedeutet, dass ab April 2024 alle bisherigen Kultursendungen entfallen und durch neue Formate ersetzt werden. Kritiker befürchten, der Kultur wird ihre eigene Stimme zur Primetime genommen, sie wird auf die hinteren Plätze verwiesen, die Vielfalt an Meinungen, Diskurs und Vertiefung wird deutlich reduziert. Cornelia Zetzsche, lange Literaturredakteurin im BR, gibt einen Überblick über die geplanten, grundlegenden Veränderungen im öffentlich-rechtlichen Sender Bayerns.

Cornelia Zetzsche war bis Mai 2022 als Redakteurin im BR zuständig für Literatur, bis Mai 2023 Vizepräsidentin des deutschen PEN-Zentrums und dessen Beauftragte für Writers in Prison/ Writers at Risk. Heute lebt sie als freie Autorin, Journalistin, Literaturkritikerin, Kuratorin und Moderatorin in München.

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Wann immer der Schriftsteller Uwe Timm vom Radio spricht und schreibt, wie im neuen Buch Alle meine Geister, erzählt er von Helmut Heißenbüttel, dem Schriftsteller, Hörspieler und legendären Redakteur, der ihm, dem damals jungen, unbekannten Autor, im Süddeutschen Rundfunk Anfang der 70er-Jahre eine Lesung aus dem Romandebut Heißer Sommer anbot und mit Aufträgen für die Monatsmiete des jungen Kollegen sorgte. „Ein Ernährer“, sagt Uwe Timm heute. Und einer jener Literaten, die, wie Alfred Andersch oder Hans-Magnus Enzensberger, als Rundfunk-Redakteure (ja, es waren zumeist Männer) noch Zeit fürs Gespräch über Literatur fanden und die bundesdeutsche Literaturlandschaft prägten. Ingeborg Bachmann, Peter Rühmkorf, Martin Walser, Arnold Stadler, Sibylle Lewitscharoff, Felicitas Hoppe, Ulrike Draesner schrieben, wie so viele, fürs Radio, auch für den Bayerischen Rundfunk – bis in jüngste Zeit. Schon längst zum Bestsellerautor avanciert, meinte Uwe Timm im letzten Jahr, der Frage nach exklusiven Geschichten für die Lesung „radioTexte. Das offene Buch“ am Sonntag „konnte ich mich nicht entziehen, da es doch immer um Dinge ging, die mich zwar aus einer Arbeit herausrissen, aber in eine andere, interessante hineinstießen, so etwa die Bitte um ein Märchen“ im Jubiläumsjahr der Brüder Grimm. Der BR als Impulsgeber. Tempi passati.

Heute nennt sich eine leitende Kulturredakteurin wie Sonja Meyer-Golling „Changemaker“. Der Begriff ist Programm, aber Meyer-Golling nur ein Rädchen im Getriebe der Reform, die nun den BR und die ARD erfasst. "Wir krempeln derzeit die ARD um, arbeiten an der größten Reform ihrer Geschichte“, verkündet Kai Gniffke, SWR-Intendant und ARD-Vorsitzender, und er übertreibt keineswegs. Geplant ist eine radikale Zentralisierung von Verwaltung, Technik und Programm. Künftige „Kompetenzcenter“ bedeuten etwa: Eine Literaturredaktion eines Senders plant eine Rezension eines Buchtitels für die gesamte ARD.

Vor Monaten schon erklärte BR-Intendantin Katja Wildermuth, jeder macht künftig, was er am besten kann, „Literaturkritik können andere besser“. Und Bayern2- Programmbereichsleiter Stefan Maier fand, „dass wir nicht mehr alles selber machen müssen. Warum muss ein Film oder ein Buch von neun Landesrundfunkanstalten besprochen werden?“ Dem Wellenchef war entgangen, dass die Literaturredaktionen der Sender längst kooperieren; dass jede Kritik, jede zweite und dritte Meinung den Diskurs anregt; dass allenfalls Spitzentitel, nicht jedes Buch von vielen besprochen werden, bei über 70.000 Neuerscheinungen im Jahr ist das bisher ein breites Spektrum besprochener Bücher. Ein „Kompetenzcenter“ für Literatur hieße: Schluss mit der Vielfalt von Titeln und Meinungen, Schluss mit dem Diskurs. Leichtsinn oder politisches Kalkül?

Dabei geht es nicht, wie BR-Rundfunkrat und „Zahlenmensch“ Peter Driessen von der IHK bei der Rundfunkratssitzung am 21. Juli 2023 wähnte, um den Irrglauben „Wir können alles besser“, es geht um eine Vielfalt an Perspektiven, Stimmen und Darstellungsformen und einen klar erweiterten Begriff von Regionalität. Regionale Verankerung meint eben nicht nur die Premiere oder Ausstellung vor Ort, sie beinhaltet Stimmfarben, Dialekte, die Themen-Auswahl: Bayern und seine Landschaften „ticken“ anders als etwa das Industrieland NRW, was im NDR die Nähe zu Großbritannien sein mag, ist in Bayern Italien.

Ist doch egal, woher die Kulturinhalte kommen, sagt BR-Intendantin Wildermuth mit Blick auf „Kompetenzcenter“, ARD-„Mantelprogramme“, „Kulturregale“ und andere Euphemismen.

Aber unsere Verfassung und der Medienstaatsvertrag legen fest: Deutschland ist – mit guten historischen Gründen – föderal gestrickt, und das garantiert Vielfalt. Das Positionspapier der ARD-Kultur-Rundfunkräte vom Juni 2023 ist deshalb eindeutig in seiner Kritik:

„Jeder macht künftig, was er am besten kann, führt zu deutlicher Einschränkung der Vielfalt. … Es geht nicht darum, dass jeder für alle das macht, was er am besten kann. Es geht darum, dass jeder Sender immer wieder versucht, das Beste zu machen.“

Die Intendantin möchte Fakten. Also kehren wir zurück zur BR-Reform: Fakt ist: Der Sender hat Rückenwind durch die ARD, verspricht eine „Kulturoffensive“ und nichts weniger als „zehn Stunden neue, exklusive Programmfläche“. Fakt ist aber auch, erst einmal werden rund zehn Stunden Kulturprogramm weggewischt, und von den zehn neuen Stunden geht ein Gutteil an den Bereich Bildung, an „radioWissen“ und andere. Man muss kein Mathe-Genie sein, um zu sehen, am Ende bleibt ein Minus an Sendezeit.

Fakt ist: Der BR streicht ALLE eigenständigen Kultursendungen seiner Info- und Kulturwelle Bayern 2, also die aktuelle „kulturWelt“ zur Primetime 8.30 Uhr, das Büchermagazin „Diwan“, das legendäre „Kulturjournal“, Filmkultur, „Nachtstudio“, „Sozusagen“ und das bisherige „kulturLeben“. Gestrichen wird auch „radioTexte“, die Lesung mit Autorengespräch am Sonntag, die einzige Lesung vor 20 Uhr, wenn die Hörerzahlen auf dem Tiefststand sind.

Geplant war: Künftig gibt es im BR keine fachkundige Büchersendung wie „Diwan“ mehr. Literaturkritik wird durch Hörermeinung wie „Bayerns Lieblingsbücher“ ersetzt. Die „kulturWelt“ wird in Häppchen, sprich Einzelbeiträgen, an das Morgenmagazin verfüttert, an „Bayern 2. Die Welt am Morgen“, die bisherige „radioWelt“. Aber, nebenbei bemerkt, eine solche Sendung mit Dramaturgie, Kontexten, Vertiefung, ist weit mehr ist als die Summe ihrer Einzelbeiträge. Und das neue „kulturLeben“ sendet werktags von 14-16 Uhr, einer Zeit mit rapide abnehmender Radionutzung. Fakt ist: Die Kultur hat dann zur Primetime keine eigene Stimme mehr und ist auf die letzten Plätze verschoben.

Mit den Sendungen verschwinden die Podcasts, der „radioTexte“ etwa, bisher unter den zwölf Besten von 90 BR-Podcasts, Lesung und Gespräch, die das Zuhören pflegen, eine uralte Kulturtechnik, essentiell für jede demokratische Gesellschaft.

Kann das gutgehen? Vertiefung, Diskurs abzuschaffen in einer Zeit, in der unsere polarisierte Gesellschaft nicht nur Information, sondern gerade das Nachdenken braucht? In der bei Magazinsendungen ein Aktualitätsbegriff gilt, der ein Buch wenige Tage nach Erscheinen als nicht mehr „aktuell“ sieht? Das ist eine Crux der Reform: Die „Changemaker“ kommen meist nicht aus der Kultur. Auf ihrer Agenda steht die aktuelle Berichterstattung, nicht der Kosmos der Kultur und der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk als Kulturproduzent mit den weltbesten Orchestern, als Hörspiel- und Hörbuchmacher, zum Beispiel mit einem „Studio“-Aufbau bei Martin Walser zu Hause in Nußdorf; als Auftraggeber, vernetzt mit Autoren, Schauspielerinnen, Musikern, Theaterleuten und Kulturschaffenden einer ganzen Region.

„Marginale Kultur sei der Jugend nicht mehr vermittelbar“, weiß B2-Wellenchef Stefan Maier, auch ein Gewächs der Polit- und Info-Sparte und ein großer Kämpfer für die dreistündigen Magazine unter seiner Obhut. Fakt ist aber, marginal ist Kultur nur da, wo sie marginalisiert wurde, mit Sendezeiten nach 20 Uhr. Zur Primetime steht die „kulturWelt“ bestens da, mitunter besser als das Polit-Magazin davor. Müßig eigentlich, solche Zahlenspielerei, ist der BR als gebührenfinanzierter öffentlich-rechtlicher Sender nicht ohnehin auch für „Marginales“ zuständig? Für Anspruchsvolles, Forderndes, statt eines „niederschwelligen“ Angebots? „Ja, Kultur kann nerven“, kommentierte der Schriftsteller Joseph von Westfalen in der Online-Petition gegen die Reform, „aber ein Leben ohne Kultur wäre die Hölle.“

Viel wäre noch zu sagen zur Zahlenmystik des Kulturdirektors; zum Slogan von der „Generationengerechtigkeit“, der vor allem die Jugend und die 30-50-Jährigen im Auge hat, die Jugend mit „niederschwellig“ gleichsetzt“ und älteres Stammpublikum missachtet; zur postulierten „Partizipation“, die keine ist, wenn Mitglieder der Reform-Arbeitsgruppe gar nicht wissen, was der Kulturdirektor gerade öffentlich aus dem Hut zaubert; oder zum engen Verständnis von Regionalisierung. Von „kultureller Verzwergung“ sprach der sonst so maßvolle Uwe Timm und fragte am 11. September beim Autorenprotest am BR-Gebäude: „Ist dem Kulturdirektor bewusst, dass er damit direkt den Forderungen der Freien Wähler, ja auch der AfD, entgegenkommt? Die verlangen doch, was, ihrer Meinung nach, das Volk will, das Bunte, Muntere, Volkstümliche. Diversität, Kritik, Internationalität sollen zurückgedrängt werden.“ Ein Zitat, das in der BR24-Berichterstattung fehlte.

Dass der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk Reformen braucht und neue Formen suchen muss, ist unbedingt zu bejahen. Dass die BR-Spitze erfolgreiche Programme streicht, ohne zuvor digitale Äquivalente zu testen, ist sträflich, das Geplauder im Podcast „Iconic“ ersetzt keinen Essay. Dass die Bibliothek schließt, ist schmerzlich. Dass mit dem Studiobau soll ein Meisterwerk abgerissen werden soll, das der Elbphilharmonie technisch Modell stand und längst unter Denkmalschutz stehen müsste, ist ein Akt beispielloser Geschichtsvergessenheit, abgesegnet von der Intendantin, einer promovierten Historikerin. Von „Vandalismus“ sprach Schriftsteller Gert Heidenreich auf einer Kundgebung, mit Blick auf den Abriss und die Programm-Reform, das Ausradieren der BR-Geschichte.

Die Art und Weise, wie ein öffentlich-rechtlicher Sender von oben herab regiert, ließ Sanne Kurz, Filmemacherin, Landtagsabgeordnete der Grünen und BR-Rundfunkrätin, bei der zweiten Kundgebung am 19.9. fragen: Wo eigentlich gebe es Kontrollmechanismen? Der Rundfunkrat könne nur beraten und werde viel zu spät informiert.

Kritik kommt von allen Seiten: von Autorinnen und Schriftstellern wie Elke Heidenreich und Ilija Trojanow, Verlagen wie C.H. Beck und Hanser, von Schauspieler*innen wie Senta Berger, und Ulrike Kriener, Regisseuren wie Dominik Graf und Caroline Link, von Politikern, Rundfunkräten, dem Deutschen Kulturrat und der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, vom deutschen PEN und VS, von Bayerns Staatsminister Markus Blume und Hörern, die zu tausenden in zwei Petitionen protestieren. Bislang ungehört. Kein Wunder, dass Krimi-Preisträger und Schriftsteller Friedrich Ani fragte:

„Sollten wir mit Ihnen in dem hohen Haus nicht auf Augen- und Ohrenhöhe sein? Wie sich das halt gehört? Hallo? Ground Control to Major Katja? Menschen mit Kultur zahlen Ihnen doch jegliche Treue, jegliches Vertrauen in den Zauber der Musik, des Theaters, der Bildenden Künste, des literarischen Treibens tausendfach zurück, ja hunderttausendfach in Form gespitzter Ohren und weit geöffneter Herzen. Hören ist nämlich der Königssinn solcher Menschen, vor allem Zuhören“.

„Kultur macht Menschen zu denkenden Wesen“, schrieb einer der Unterzeichner der Petition „Mehr Kultur im BR – gegen die Kürzung“. Und Schriftsteller Gert Heidenreich erinnerte: „Kultur ist kein Zustand, sondern ein Prozess, der die Essenz, das Wesen der Demokratie bildet, und ein Medium wie der Hörfunk ist Teil eines Diskurses, der, was unser aller Freiheit angeht, heute wichtiger wird denn je. Diskurse aber laufen nicht in Häppchen von drei Minuten. Sorgfalt und Differenzierung brauchen Zeit. Das heißt: Sendezeit.

Noch hoffen Kritiker wie der Schriftsteller Tilman Spengler auf ein Echo, auf ein öffentliches Nachdenken über die Essenz von Kultur, ein Überdenken der Reform, den Erhalt eigenständiger Kulturprogramme: „Verehrte Frau Intendantin“, schrieb Spengler, „brechen Sie doch einmal ihr Schweigen zu dieser leidigen Causa. Sie werden erleben, dass jedem Anfang ein Zauber innewohnt. Und überlassen Sie die journalistische Bearbeitung unserer Mahnrufe nicht der Propagandaabteilung Ihres Hauses“.

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Zuerst veröffentlicht im Münchner Feuilleton Nr. 133: Okt 2023 / 30.9 – 3.11; überarbeitete Fassung vom 29.11.2023 im Literaturportal Bayern.