Sandra Hoffmann ist: DRINNEN (44). Und kommt dem Urgrund des Schreibens und des Textes näher

https://www.literaturportal-bayern.de/images/lpbblogs/autorblog/2023/klein/hoff44_500.jpg#joomlaImage://local-images/lpbblogs/autorblog/2023/klein/hoff44_500.jpg?width=500&height=325
Rebecca Faber (r.) zusammen mit Alexander Graeff auf der Bühne. Alle Bilder (c) Sandra Hoffmann

Sandra Hoffmann arbeitet seit einem Studium der Literaturwissenschaft, Mediävistik und Italianistik (M.A.) als freie Schriftstellerin und lebt seit Ende 2012 in München. Bisher hat sie sieben Romane veröffentlicht. Sie schreibt Radiofeatures und Radioessays u.a. für den Bayerischen Rundfunk und v.a. Reisereportagen für DIE ZEIT. Auf dem Literaturportal Bayern veröffentlichte sie von 2021 bis 2022 die Kolumne DRAUSSEN. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. an der Universität Karlsruhe, dem Literaturhaus München und der Bayerischen Akademie des Schreibens sowie für Goethe-Institute im Ausland. Für ihren Roman Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist (Hanser, 2012) erhielt sie den Thaddäus-Troll-Preis, für ihren letzten Roman Paula (Hanser, 2019), der durch ein Arbeitsstipendium des Freistaats Bayern gefördert wurde, den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für den eben erst erschienenen Roman Jetzt bist du da (Berlin Verlag, 2023) bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium. 2022 erhielt sie vom Freistaat Bayern das Arbeitsstipendium Neustart-Paket Freie Kunst.

In den kommenden 52 Wochen schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern wieder eine Kolumne: DRINNEN. Momentaufnahmen aus dem (halb)privaten Leben. Anders als Natur-Räume ermöglichen uns Innenräume, wenn es nicht gerade öffentliche Räume sind, nur einen privaten Blick. Wir sehen dort hinein, wo wir Einlass bekommen, oder wir uns den Einlass erkaufen, wie etwa in Museen, Zügen, Hotels. Es geht um Wahrnehmung. Diesmal aber von Orten, von Menschen, Begegnungen, Situationen. Immer mit der für Literatur relevanten Frage: Wie spiegelt sich im Kleinen oder im Privaten auch das große Ganze, die Welt. Wer sind wir im (anscheinend so) Geborgenen?

*

44

Früher einmal, sage ich – aber so unendlich lange ist es noch gar nicht her, sondern tatsächlich erst gut zehn Jahre – erfand, kuratierte und moderierte ich zehn Jahre lang eine Literaturreihe am Landestheater Tübingen. Sie hieß buch&bühne und ich habe sie zusammen mit meinem Kollegen Björn Kern gegründet, weil wir dachten, es muss auch noch was anderes geben als diese klassischen Wasserglas-Lesungen. Und also zogen wir auf die damals rumpeligste Bühne des Theaters, im Grunde den Malersaal, und luden unsere Kolleginnen mit den ersten, zweiten, dritten Büchern ein. Vor allem jene, deren Texte uns gefielen, und die mussten nicht die ganz großen Publikums-Renner sein. Was uns sehr gefiel an der Theaterbühne war, dass wir einen Beleuchter hatten, der Licht machte, dass wir eine echte Bühne hatten, auf die luden wir dann immer auch einen jungen Filmemacher ein, der hieß Konrad Bohley und zeigte immer wieder, quasi als Vorfilm, irgendeinen sehr poetischen, sehr skurrilen und wahnsinnigen komischen Film, in dem er selbst mitspielte. Und wir luden als Vorgruppe immer sehr junge Autoren-Kolleginnen aus der Stadt ein, die noch nicht veröffentlicht hatten, damals Leute wie zum Beispiel Tom Müller, den Tropen-Verleger, manchmal lasen auch wir selbst was Neues Kleineres vor. Nach drei Jahren zog Björn nach Leipzig und ich machte alleine weiter und war eine Zeit lang sogar eine Art kleines Fuhr-Unternehmen, da hatte ich auch noch eine Bühne in Heidelberg am Theater und konnte Autor*innen gleich für Doppeltermine einladen, was natürlich lukrativ und schön war für alle. Und weil ich eben das Mädchen für alles war, fuhr ich mit den Autor*innen auch immer in meinem kleinen schrubbigen Auto von Tübingen nach Heidelberg oder von Heidelberg nach Tübingen, und das war dann so ein schöner Miniklassenausflug, auf dem immer wieder auch sehr schöne Dinge passierten, die besonders verbanden.

Über all das habe ich gar nicht mehr so richtig nachgedacht, bis ich neulich bei LIX im HochX eingeladen war von Raphaela Bardutzky, die diese Veranstaltung zusammen mit Christina Madenach und Rebecca Faber (die hier zusammen mit Alexander Graeff auf der Bühne zu sehen ist) kuratiert und moderiert. Und ich muss sagen, ich habe wieder sehr genau verstanden, dass und warum es genau solche Veranstaltungen auf diesen kleinen freien Bühnen braucht: Wenn Autor*innen nämlich Autor*innen einladen, dann herrscht da eine sehr andere Stimmung als in Buchhandlungen, in Literaturhäusern oder an anderen Orten, an denen die Auswahl der Eingeladenen immer auch unter kommerziellen Gesichtspunkten geschieht.

Ich glaube, das hat damit zu tun, dass die Einladenden, wie die Schreibenden aus den Texten heraus denken, aus dem Schreiben heraus denken, aus diesem empfindlichen Erfahrungsraum heraus denken, den man eben nur kennt, wenn man all die Höhen und Tiefen, Ängste, Nöte, aber auch Höhenflüge, die mit dieser Arbeit einhergehen, selbst schon erlebt hat. Das spürt man dann in der Moderation, das spürt man dann in den Gesprächen. Da gibt es dann eben kein Gefälle mehr, sondern eine Ebenbürtigkeit, mit der man vielleicht dem Urgrund des Schreibens und des Texts näherkommt. Und das ist schon ziemlich schön (und wichtig).

**

Alle Folgen der Kolumne finden Sie HIER.

Verwandte Inhalte
Städteporträts
Städteporträts
Mehr