Sandra Hoffmann ist: DRINNEN (43). Und erringt einen wichtigen Sieg
Sandra Hoffmann arbeitet seit einem Studium der Literaturwissenschaft, Mediävistik und Italianistik (M.A.) als freie Schriftstellerin und lebt seit Ende 2012 in München. Bisher hat sie sieben Romane veröffentlicht. Sie schreibt Radiofeatures und Radioessays u.a. für den Bayerischen Rundfunk und v.a. Reisereportagen für DIE ZEIT. Auf dem Literaturportal Bayern veröffentlichte sie von 2021 bis 2022 die Kolumne DRAUSSEN. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. an der Universität Karlsruhe, dem Literaturhaus München und der Bayerischen Akademie des Schreibens sowie für Goethe-Institute im Ausland. Für ihren Roman Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist (Hanser, 2012) erhielt sie den Thaddäus-Troll-Preis, für ihren letzten Roman Paula (Hanser, 2019), der durch ein Arbeitsstipendium des Freistaats Bayern gefördert wurde, den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für den eben erst erschienenen Roman Jetzt bist du da (Berlin Verlag, 2023) bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium. 2022 erhielt sie vom Freistaat Bayern das Arbeitsstipendium Neustart-Paket Freie Kunst.
In den kommenden 52 Wochen schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern wieder eine Kolumne: DRINNEN. Momentaufnahmen aus dem (halb)privaten Leben. Anders als Natur-Räume ermöglichen uns Innenräume, wenn es nicht gerade öffentliche Räume sind, nur einen privaten Blick. Wir sehen dort hinein, wo wir Einlass bekommen, oder wir uns den Einlass erkaufen, wie etwa in Museen, Zügen, Hotels. Es geht um Wahrnehmung. Diesmal aber von Orten, von Menschen, Begegnungen, Situationen. Immer mit der für Literatur relevanten Frage: Wie spiegelt sich im Kleinen oder im Privaten auch das große Ganze, die Welt. Wer sind wir im (anscheinend so) Geborgenen?
*
43
Als ich ein Kind war, konnte ich viele Jahre lang nicht auf die Ritzen zwischen Pflastersteinen treten, weil sonst etwas Schlimmes passierte. Ich hatte eine massive Angststörung und war deshalb sehr zwanghaft. Vor dem Einschlafen musste ich wenigstens drei Vaterunser beten, damit ich am Morgen wieder aufwachte; bis die Zahl 3 gefährlich wurde, ab dann wurden es wenigstens vier Vaterunser, denn manchmal war ich nicht sicher, ob ich nicht erst drei gebetet habe, und betete noch eins. Und noch eins. Und so weiter. Wenn ich eine schwarze Katze sah, drehte ich mich um, damit sie nicht vor mir über die Straße gehen konnte. All so etwas, ich will jetzt nicht alles aufzählen. Besser wurde das erst, als ich Therapien hinter mich gebracht habe, aber manchmal zeigt sich die Angst wieder.
Nun kam ich vorhin in ein Motel One und während ich eincheckte, kapierte ich, dass ich gleich das Zimmer mit der Nummer 333 bekommen würde. Die 3 aber ist noch immer eine gefährliche Zahl. Und wenn sie in Reihung auftritt noch viel gefährlicher. Unheil droht. Und klar wollen Sie nun wissen, welches Unheil denn drohen könnte, aber das nun kann ich nicht aufschreiben; weil das Unheil es nicht hören darf.
Als ich beim Check-in bemerkte, dass ich gleich das Zimmer mit dieser Nummer bekommen werde, fiel mir einfach nicht ein, welchen triftigen Grund ich nennen könnte, um es noch abzuwenden. Ich sagte: wäre es möglich, ein Zimmer nach hinten raus zu bekommen?
Ja, sagte die Rezeptionistin freundlich, das habe ich schon für sie arrangiert.
Kurz überlegte ich, ob ich mir alles anders überlegen soll und sagen: Ach nee, doch nicht, eigentlich wollte ich schon immer mal in Stuttgarter dem Nachtverkehr zuhören. Hab ich dann aber nicht gesagt. Und auch sonst nichts.
Fatalistisch habe ich die Schlüsselkarte genommen und bin mit ihr zu meinem Zimmer gegangen, an dem außen natürlich die Nummer steht. Ich habe nur kurz hingeschaut, dann sofort wieder weg. Im Zimmer steht sie ja nirgends geschrieben und auf der Karte steht sie auch nicht. Ich kann also einfach versuchen, nicht an die Nummer zu denken.
Und das Zimmer ist eigentlich ganz gemütlich.
Kurz habe ich überlegt, ob ich das Unheil anlocke, wenn ich Zahlen, die es anlocken könnten, hier aufschreibe. Und vielleicht noch mehr anlocke, wenn ich die Zahlen beim Überarbeiten noch einmal lese. Ob sich die Gefahr des Unheils dadurch vervielfacht. Oder ganz knapp gesagt, ob das Unheil sieht, dass ich mich mit ihm beschäftige und das anziehend findet.
Aber dann kam mir die überzeugende Idee, dass das Unheil, das an der Zahl 3 hängt, (das schreibe ich nun auch extra noch einmal hier hin), sehr verstört sein wird, weil ich es enttarnt habe, bevor es sich zeigen kann. Wer wagt es schon, als enttarnter Täter zu Tat zu schreiten. Ich weiß schon, da kann man sich irren. Aber ich möchte das nun gerne glauben und wenn mir das gelingt, ist das ein echter Sieg.
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Alle Folgen der Kolumne finden Sie HIER.
Sandra Hoffmann ist: DRINNEN (43). Und erringt einen wichtigen Sieg>
Sandra Hoffmann arbeitet seit einem Studium der Literaturwissenschaft, Mediävistik und Italianistik (M.A.) als freie Schriftstellerin und lebt seit Ende 2012 in München. Bisher hat sie sieben Romane veröffentlicht. Sie schreibt Radiofeatures und Radioessays u.a. für den Bayerischen Rundfunk und v.a. Reisereportagen für DIE ZEIT. Auf dem Literaturportal Bayern veröffentlichte sie von 2021 bis 2022 die Kolumne DRAUSSEN. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. an der Universität Karlsruhe, dem Literaturhaus München und der Bayerischen Akademie des Schreibens sowie für Goethe-Institute im Ausland. Für ihren Roman Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist (Hanser, 2012) erhielt sie den Thaddäus-Troll-Preis, für ihren letzten Roman Paula (Hanser, 2019), der durch ein Arbeitsstipendium des Freistaats Bayern gefördert wurde, den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für den eben erst erschienenen Roman Jetzt bist du da (Berlin Verlag, 2023) bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium. 2022 erhielt sie vom Freistaat Bayern das Arbeitsstipendium Neustart-Paket Freie Kunst.
In den kommenden 52 Wochen schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern wieder eine Kolumne: DRINNEN. Momentaufnahmen aus dem (halb)privaten Leben. Anders als Natur-Räume ermöglichen uns Innenräume, wenn es nicht gerade öffentliche Räume sind, nur einen privaten Blick. Wir sehen dort hinein, wo wir Einlass bekommen, oder wir uns den Einlass erkaufen, wie etwa in Museen, Zügen, Hotels. Es geht um Wahrnehmung. Diesmal aber von Orten, von Menschen, Begegnungen, Situationen. Immer mit der für Literatur relevanten Frage: Wie spiegelt sich im Kleinen oder im Privaten auch das große Ganze, die Welt. Wer sind wir im (anscheinend so) Geborgenen?
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Als ich ein Kind war, konnte ich viele Jahre lang nicht auf die Ritzen zwischen Pflastersteinen treten, weil sonst etwas Schlimmes passierte. Ich hatte eine massive Angststörung und war deshalb sehr zwanghaft. Vor dem Einschlafen musste ich wenigstens drei Vaterunser beten, damit ich am Morgen wieder aufwachte; bis die Zahl 3 gefährlich wurde, ab dann wurden es wenigstens vier Vaterunser, denn manchmal war ich nicht sicher, ob ich nicht erst drei gebetet habe, und betete noch eins. Und noch eins. Und so weiter. Wenn ich eine schwarze Katze sah, drehte ich mich um, damit sie nicht vor mir über die Straße gehen konnte. All so etwas, ich will jetzt nicht alles aufzählen. Besser wurde das erst, als ich Therapien hinter mich gebracht habe, aber manchmal zeigt sich die Angst wieder.
Nun kam ich vorhin in ein Motel One und während ich eincheckte, kapierte ich, dass ich gleich das Zimmer mit der Nummer 333 bekommen würde. Die 3 aber ist noch immer eine gefährliche Zahl. Und wenn sie in Reihung auftritt noch viel gefährlicher. Unheil droht. Und klar wollen Sie nun wissen, welches Unheil denn drohen könnte, aber das nun kann ich nicht aufschreiben; weil das Unheil es nicht hören darf.
Als ich beim Check-in bemerkte, dass ich gleich das Zimmer mit dieser Nummer bekommen werde, fiel mir einfach nicht ein, welchen triftigen Grund ich nennen könnte, um es noch abzuwenden. Ich sagte: wäre es möglich, ein Zimmer nach hinten raus zu bekommen?
Ja, sagte die Rezeptionistin freundlich, das habe ich schon für sie arrangiert.
Kurz überlegte ich, ob ich mir alles anders überlegen soll und sagen: Ach nee, doch nicht, eigentlich wollte ich schon immer mal in Stuttgarter dem Nachtverkehr zuhören. Hab ich dann aber nicht gesagt. Und auch sonst nichts.
Fatalistisch habe ich die Schlüsselkarte genommen und bin mit ihr zu meinem Zimmer gegangen, an dem außen natürlich die Nummer steht. Ich habe nur kurz hingeschaut, dann sofort wieder weg. Im Zimmer steht sie ja nirgends geschrieben und auf der Karte steht sie auch nicht. Ich kann also einfach versuchen, nicht an die Nummer zu denken.
Und das Zimmer ist eigentlich ganz gemütlich.
Kurz habe ich überlegt, ob ich das Unheil anlocke, wenn ich Zahlen, die es anlocken könnten, hier aufschreibe. Und vielleicht noch mehr anlocke, wenn ich die Zahlen beim Überarbeiten noch einmal lese. Ob sich die Gefahr des Unheils dadurch vervielfacht. Oder ganz knapp gesagt, ob das Unheil sieht, dass ich mich mit ihm beschäftige und das anziehend findet.
Aber dann kam mir die überzeugende Idee, dass das Unheil, das an der Zahl 3 hängt, (das schreibe ich nun auch extra noch einmal hier hin), sehr verstört sein wird, weil ich es enttarnt habe, bevor es sich zeigen kann. Wer wagt es schon, als enttarnter Täter zu Tat zu schreiten. Ich weiß schon, da kann man sich irren. Aber ich möchte das nun gerne glauben und wenn mir das gelingt, ist das ein echter Sieg.
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