Rezension zu Thomas Willmanns „Der eiserne Marquis“
Thomas Willmann (*1969 in München) studierte Musikwissenschaften und arbeitete als Kulturjournalist beim Münchner Merkur und dem Tagesspiegel. Sein Erstling Das finstere Tal erschien 2010 und wurde 2014 verfilmt. Sein neuer Roman Der eiserne Marquis ist gerade beim Liebeskind Verlag, München, erschienen und wird 2023 mit dem Tukan-Preis der Landeshauptstadt München ausgezeichnet. Johanna Mayer hat ihn für das Literaturportal Bayern gelesen.
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„Ein kleiner Teil meines Verstandes sah (…) all seine hochmütigen Hoffnungen aufsteigen in die Luft – und zerschellen.“ (Der eiserne Marquis, S. 97)
Wir befinden uns im Jahre 1753. Die Aufklärung zieht immer größere Kreise in einem von Feudalismus und Absolutismus geprägten Europa, der berühmte deutsche Schriftsteller Johann Wolfgang von Goethe lernt gerade erst das Schreiben und es wird noch über 20 Jahre dauern bis die United States of America gegründet werden. Zwischen all diesen Wirren an Ereignissen nimmt ein überaus begabter junger Mann uns mit auf seine Reise, die ihn zuerst als Uhrmacherlehrling nach Wien, dann als Soldat auf das Schlachtfeld, und schließlich als Gehilfe eines geheimnisumwobenen Marquis nach Paris führt. Man könnte auch sagen: Er nimmt uns mit auf seine Reise in den Wahnsinn. Denn der junge Mann, der sich später Jacob Kainer nennen wird, ist nicht nur ein unermüdlich arbeitendes Genie, sondern geht auch über Leichen, um die Endlichkeit des menschlichen Lebens herauszufordern.
Der Roman, der sich in all seiner Fülle und Gesamtheit durchaus in die Erzähl-Tradition der großen Epen einreihen lässt, ist nicht nur eine gewaltige Sammlung aus den verschiedensten Tendenzen und Strömungen der Literatur- und Kulturgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts – so gründlich und sorgfältig recherchiert, miteinander verwoben und in den Text eingebettet, dass man beim Lesen schier in den Strom der damaligen Welt hineingezogen wird und sich nach der letzten Seite in der Gegenwart durchaus verloren vorkommt. Auch die Handlung bietet eine solche Vielzahl an Ereignissen, dass man sich mit jeder Seite auf ein neues Abenteuer begibt und die Seiten einen im Leserausch immer mehr in ihren Bann ziehen. Egal, ob es sich um die Kindheit des Protagonisten und seine ersten, bereits begnadeten Schritte in der Welt der Mechanik handelt, um die tragische Liebesgeschichte mit der Grafentochter Amalia, die in einem Blutbad endet, oder um das dekadente Leben im Paris des späten 18. Jahrhunderts, das auf direktem Weg das Tor zum Wahnsinn öffnet: Alles ist mit einer solchen Feinheit und Präzision und zugleich so meisterhaft erzählt, dass es jede der 920 Seiten wert ist, gelesen zu werden. Ein großes Lob muss hierbei auch dem abgründigen, aber doch brillanten Ich-Erzähler zukommen, der die Leserschaft in seine düstere Gedanken-Welt entführt, ihr seine dunkelsten Sehnsüchte offenbart und an dem deutlich wird, wie eng Genie und Wahnsinn doch verbunden sind.
Der eiserne Marquis ist ein Werk, das man nicht einfach nebenbei liest, um es dann wegzulegen und zu vergessen: Jede Seite, jeder Satz, jedes Wort ist von einer solchen Dringlich- und Lebendigkeit, dass es unmöglich ist, nicht Teil dieser dunklen und doch so überwältigenden Geschichte zu werden, die sich jenseits von Raum und Zeit in flimmernder Schwebe abspielt. Wie alles zum Ende hin in Flammen aufgeht und was sich zuträgt, dass Jacob Kainer den Ratten in der Salpêtrière sein Lebenswerk erzählen muss; das soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Doch so viel vornweg: Der Weg, auf den der Autor Thomas Willmann uns in Der eiserne Marquis mitnimmt, geht über die menschliche Vorstellungskraft hinaus – und endet jenseits von Gut und Böse.
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Thomas Willmann (*1969 in München) studierte Musikwissenschaften und arbeitete als Kulturjournalist beim Münchner Merkur und dem Tagesspiegel. Sein Erstling Das finstere Tal erschien 2010 und wurde 2014 verfilmt. Sein neuer Roman Der eiserne Marquis ist gerade beim Liebeskind Verlag, München, erschienen und wird 2023 mit dem Tukan-Preis der Landeshauptstadt München ausgezeichnet. Johanna Mayer hat ihn für das Literaturportal Bayern gelesen.
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„Ein kleiner Teil meines Verstandes sah (…) all seine hochmütigen Hoffnungen aufsteigen in die Luft – und zerschellen.“ (Der eiserne Marquis, S. 97)
Wir befinden uns im Jahre 1753. Die Aufklärung zieht immer größere Kreise in einem von Feudalismus und Absolutismus geprägten Europa, der berühmte deutsche Schriftsteller Johann Wolfgang von Goethe lernt gerade erst das Schreiben und es wird noch über 20 Jahre dauern bis die United States of America gegründet werden. Zwischen all diesen Wirren an Ereignissen nimmt ein überaus begabter junger Mann uns mit auf seine Reise, die ihn zuerst als Uhrmacherlehrling nach Wien, dann als Soldat auf das Schlachtfeld, und schließlich als Gehilfe eines geheimnisumwobenen Marquis nach Paris führt. Man könnte auch sagen: Er nimmt uns mit auf seine Reise in den Wahnsinn. Denn der junge Mann, der sich später Jacob Kainer nennen wird, ist nicht nur ein unermüdlich arbeitendes Genie, sondern geht auch über Leichen, um die Endlichkeit des menschlichen Lebens herauszufordern.
Der Roman, der sich in all seiner Fülle und Gesamtheit durchaus in die Erzähl-Tradition der großen Epen einreihen lässt, ist nicht nur eine gewaltige Sammlung aus den verschiedensten Tendenzen und Strömungen der Literatur- und Kulturgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts – so gründlich und sorgfältig recherchiert, miteinander verwoben und in den Text eingebettet, dass man beim Lesen schier in den Strom der damaligen Welt hineingezogen wird und sich nach der letzten Seite in der Gegenwart durchaus verloren vorkommt. Auch die Handlung bietet eine solche Vielzahl an Ereignissen, dass man sich mit jeder Seite auf ein neues Abenteuer begibt und die Seiten einen im Leserausch immer mehr in ihren Bann ziehen. Egal, ob es sich um die Kindheit des Protagonisten und seine ersten, bereits begnadeten Schritte in der Welt der Mechanik handelt, um die tragische Liebesgeschichte mit der Grafentochter Amalia, die in einem Blutbad endet, oder um das dekadente Leben im Paris des späten 18. Jahrhunderts, das auf direktem Weg das Tor zum Wahnsinn öffnet: Alles ist mit einer solchen Feinheit und Präzision und zugleich so meisterhaft erzählt, dass es jede der 920 Seiten wert ist, gelesen zu werden. Ein großes Lob muss hierbei auch dem abgründigen, aber doch brillanten Ich-Erzähler zukommen, der die Leserschaft in seine düstere Gedanken-Welt entführt, ihr seine dunkelsten Sehnsüchte offenbart und an dem deutlich wird, wie eng Genie und Wahnsinn doch verbunden sind.
Der eiserne Marquis ist ein Werk, das man nicht einfach nebenbei liest, um es dann wegzulegen und zu vergessen: Jede Seite, jeder Satz, jedes Wort ist von einer solchen Dringlich- und Lebendigkeit, dass es unmöglich ist, nicht Teil dieser dunklen und doch so überwältigenden Geschichte zu werden, die sich jenseits von Raum und Zeit in flimmernder Schwebe abspielt. Wie alles zum Ende hin in Flammen aufgeht und was sich zuträgt, dass Jacob Kainer den Ratten in der Salpêtrière sein Lebenswerk erzählen muss; das soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Doch so viel vornweg: Der Weg, auf den der Autor Thomas Willmann uns in Der eiserne Marquis mitnimmt, geht über die menschliche Vorstellungskraft hinaus – und endet jenseits von Gut und Böse.