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06.06.2013, 15:32 Uhr
Frank Piontek
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [167]: Auf Jean Pauls Spuren in München

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Kurfürst Karl Theodor regierte in Bayern, als Jean Paul im Markgrafentum Bayreuth die „Unsichtbare Loge“ schrieb: ein ungeliebter Herrscher – aber man erinnert auch an ihn in der herrlichen Ahnengalerie der Residenz, einem der allerschönsten Räume dieses Baukunstwerks. (Fotos: Frank Piontek, Ende Mai 2013)

Es gießt, als Jean Paul in München sitzt. Nein, die Stubendecke könne ihm nicht den blauen Himmel ersetzen, schreibt er, die Stadt frustriert ihn. Wäre er 23 Jahre später gekommen, hätte er einen Ausflug auf die Theresienwiese machen können, um sich selbst zu betrachten – in der Ruhmeshalle hinter der größten bayerischen Frau. Wenigstens dieses Attribut der äußeren Größe kann auf die schöne Dame angewendet werden – und in ihrem Schutz und Schirm, der an diesen Tagen dringend nötig ist, sonnt sich auch der Dichter aus Wunsiedel, da man ihn in erhöhter Position zwischen die Nachbarn gesetzt hat: Benjamin Thompson, Graf von Rumford, Staatsmann und Gelehrter, Anleger des Englischen Gartens, und Georg von Reichenbach, Mechaniker, Mitbegründer des Fraunhofer-Instituts. Nein, wie der Olympier des Kreul-Bildnisses von 1823 sieht er nicht aus, eher wie der Bierbrauer, den man auch in „seinem“ König Max I. Joseph entdecken könnte; wahre Schönheit kommt schließlich von innen.

Und so gehen sie vorbei an ihm, lockeren Schrittes: sein im Grunde schleichendes Volk, das sich fragt, wer denn das wohl sei – aber vielleicht fragt es sich auch nicht, wieso die Nummer 44, Jean Paul Friederich Richter, sich dort an der Wand befindet. Und Schwanthaler? Heißt nicht so eine Straße?

Ludwig Schwanthaler kann gar nicht überschätzt werden – auch die Bayreuther wissen das, denn er war es, der im Auftrag Ludwigs I. – des Königs von Bayern und Herzogs von Franken – das Denkmal entwarf, das sich heute auf dem Jean-Paul-Platz befindet. Leider ist es nicht auf dem Stich zu sehen, der das nicht mehr bestehende Schwanthalermuseum des nach dem Tode des zurecht berühmten Künstlers zeigt, aber ich stelle mir einen Entwurf des Bayreuther Denkmals in diesen Räumen vor. Schwanthaler blieb weltbekannt durch ein anderes Denkmal: eben jenes der größten bayerischen Frau, das er kurze Zeit vor dem Jean-Paul-Denkmal erdachte. Ausgeführt wurde der Guss dann von Ferdinand von Miller, der uns schon mal in Bamberg begegnet ist.

Mag auch die Umgebung, nur eine U-Bahn-Station hinter dem Hauptbahnhof, sich heute stark verstädtert haben und den einstigen Haincharakter verloren haben: es ist immer noch beeindruckend, sich der Dame von Osten zu nähern. So viel hat sich nicht verändert im Vergleich zur Situation, die im 19. Jahrhundert immer wieder gemalt wurde. Ich sehe eine dieser Ansichten im Burgmuseum Grünwald, wo man an Schwanthaler erinnert, und ich sehe dieses Bild im Lenbachhaus, wo es von der einstigen romantischen Situation im Weichbild der Residenzstadt kündet. Hier hat Ludwig I. die Idee realisieren lassen, ein Pantheon von gut 70 bedeutenden Leuten, unter denen sich auch einige bayerische Dichter befinden: Hans Sachs, Jakob Balde und der Graf von Platen sind die anderen. Dass zwei von diesen Herren Franken waren, muss einen nicht beirren, im Gegenteil: die Franken sollten froh sein, ihre Geistesgrößen in einer Ruhmeshalle gesichert zu sehen.

Innerhalb von wenigen Jahren von einer Hand entworfen: der Herr Jean Paul und die Frau Bavaria.

Man kann es sich nicht mehr vorstellen, wenn man an derselben Stelle steht: hier befand sich der Salon der Königin Karoline, in dem Jean Paul die Gipsbüste erblickte, die der Bayreuther Bildhauer Hildebrand im Auftrag von Königs modelliert hatte. Nein, der klassizistische Raum existiert nicht mehr, aber nach den totalen Kriegszerstörungen kann man seit den 1980er Jahren wieder den Ort betreten: man hat tatsächlich den Kaisersaal Kurfürst Maximilians I. rekonstruiert, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch den Neubau einer Raumflucht zerstört worden war. Der Salon der Königin befand sich etwa in der Mitte des neu-alten Saals, in dessen Mitte ich stehe und mir zu vergegenwärtigen suche, was nur noch in der Fantasie möglich ist. Links schaute man damals durch die Fenster in den Hofgarten, heute ist dies eine geschlossene, durch Tapisserien akzentuierte Front. Keine Dichterbüste nirgends.

Es hat sich an der Isar allzu viel verändert, als dass wir heute noch durch Jean Pauls München gehen könnten. Die Sicht auf zwei Gemälde im Stadtmuseum macht die Situation deutlich, die bald schon durch Ludwigs I. Bauwurm verändert wurde. Aus weiten Teilen der Hauptstadt wurde ein bayerisches Athen, das von vielen Zeitgenossen gehasst wurde. Zuviel glatte Flächen, zuviel Marmor, zuviel Griechentum. Domenico Quaglio hatte den Auftrag, für Ludwig I. das alte München zu malen, weil der König die Baufortschritte und Veränderungen gegenüber dem Vorzustand dokumentiert sehen wollte – glücklicherweise, denn so können wir immer noch in ein München schauen, das zerstört wurde: das Alte Rathaus, das Heiliggeistspital (wo im Hof der Viktualienmarkt stattfand). Jean Paul hat das alles noch gesehen, dieses Kleinteilige, Altbairische, die Renaissance und das Mittelalter.

Jean Paul – nein, der König grüßt sein Volk, das ihm schleichend nachkommt, wie Ludwig Börne in seiner Denkrede auf den Dichter so schön sagte. Der König steht auch an der Fassade des Neuen Münchner Rathauses; der Blick der Fußgänger aber dürfte eher auf den benachbarten Ludwig II. fallen, auch wenn der partout nichts mit Jean Paul zu tun hatte – im Gegensatz zum ersten bayerischen König.

Übrigens: Der Ehre, einen König aus- und ankleiden zu dürfen, gleicht nichts als das Vergnügen, eben dieses bei einer Königin zu dürfen.

Wer mit offenen Augen durch München, durch seine Stadtmuseen und Residenzen (es gibt mehr als eine) läuft, wird ihm immer wieder begegnen: dem Monarchen, der Jean Paul in München und in Nymphenburg empfing. In der eigentlichen Residenz begegnen wir ihm im Duo mit seinem Vorgänger Karl Theodor von der Pfalz – einem ungeliebten Kurfürsten, der lieber in Mannheim geblieben wäre, 1778 sein Quartier in München nahm und von den Münchnern verachtet wurde. Allein mit ihm bewegen wir uns wieder zielstrebig auf die Zeit zu, in der die Unsichtbare Loge entstand. Im Netz lese ich in einem Text von Jörg Albrecht Folgendes über Karl Theodors Verhältnis zu einer besonderen Loge:

Die letzten Lebensjahre Karl Theodors waren überschattet von den Auswirkungen der Französischen Revolution und der damit verbundenen Koalitionskriege, die auch die Länder des Kurfürsten nicht verschonten. Bereits im Vorfeld der Französischen Revolution war 1785 in München der Geheimorden der „Illuminaten“ enttarnt worden. Dieser Vereinigung, der unter anderem eine ganze Anzahl leitender bayerischer Beamter angehörte, unterstellte man – sehr zu Unrecht – Pläne zu einem gewaltsamen Umsturz der politischen Verhältnisse in Bayern, was wiederum eine Welle staatlicher Repression auslöste. Davon betroffen waren nicht nur die Illuminaten, sondern auch andere aufklärerische Gesellschaften, die sich zuvor der intensiven Förderung durch Karl Theodor hatten erfreuen dürfen.

Und genau in dieser höchst unruhigen, vorrevolutionären Zeit siedelt Jean Paul seinen Roman über eine Loge an.