Schullektüre und Junges Lesen (14). Von Leander Steinkopf
Die Corona-Krise hat das Sozialleben gerade junger Menschen stark beeinträchtigt. Darüber hinaus wurde ihre Schulbildung ins Digitale verlagert, wo manches auf der Strecke blieb. Gerade in sozialer Isolation kann Literatur eine Stütze sein, die einem hilft mit den Problemen des Lebens klarzukommen. Somit ist es ein guter Zeitpunkt, um sich mit der Frage zu befassen, welche Literatur in der Jugend gebraucht wird – und was Schullektüre leisten könnte. Dazu soll diese Interviewreihe einen Beitrag leisten.
Im Interview: Jan Wilm (*1983) ist Schriftsteller, Übersetzer und Kritiker. Er studierte Anglistik und Amerikanistik in Frankfurt am Main und wurde ebendort promoviert. Übersetzungen etwa von Maggie Nelson und Arundhati Roy bei Hanser Berlin und S. Fischer. Seine Bücher erscheinen im Schöffling Verlag, zuletzt der Roman Winterjahrbuch (2019) und Ror.Wolf.Lesen. (2022).
Interviewer: Leander Steinkopf (*1985) lebt nach Stationen in Mannheim, Berlin, Sarajevo und Plovdiv seit einigen Jahren in München. Von ihm erschienen verschiedene Bücher, u.a. der Roman Stadt der Feen und Wünsche bei Hanser Berlin. Er ist Herausgeber der gerade bei Claassen erschienenen Anthologie Neue Schule: Prosa für die nächste Generation.
Mit der folgenden neunteiligen Interviewreihe beteiligt sich Leander Steinkopf an „Neustart Freie Szene – Literatur“, einem Projekt des Literaturportals Bayern zur Unterstützung der Freien Szene in Bayern. Alle bisherigen Beiträge des Projekts finden Sie HIER.
*
Hast Du als Schüler gern gelesen?
Ich habe immer gern gelesen, doch ich denke nicht gern von mir als Schüler, da ich nicht wüsste, was ich lesend jemals anderes gewesen wäre. Dabei hat Schülersein für mich nicht annähernd etwas mit Schreibstift und Schwamm, mit Stationenlernen und Smartboard zu tun, da ich die Institution Schule für etwas zutiefst Fragwürdiges halte: eine Vorbereitung auf ein Leben, das aus Arbeit besteht. So ist es nicht.
Ich war, bin und bleibe jedoch ein Schüler in der (pardon für die abgeschmackte Wendung!) „Schule des Lebens“. Aber nein, so abgegriffen lasse ich mich nicht davonkommen, denn es lässt sich spezifizieren: So wie der alte Sokrates meinte, nur ein untersuchtes Leben sei wertvoll und nur das Nichtwissen der Impuls für Wissen, so meine ich, dass ich ein Leben lang nicht ein Schüler des Lebens, sondern ein Schüler des Lesens bleiben möchte, der das Lesen nutzt, um immer etwas Neues zu lernen über das Leben und die Wesen darin.
Welches Buch würdest Du heute deinem jugendlichen Ich empfehlen?
Weil ich keine bessere Zeitmaschine kenne als die Literatur, würde ich meinem jugendlichen Ich raten, noch mehr zu lesen, um literarisch noch mehr Weitsicht und noch mehr Rücksicht zu erlangen. Wenn ich einen Moment aber allein zu meinem jugendlichen Ich sprechen darf, dann sage ich folgendes: Lass dich nicht entmutigen, Du tust, was Du tust, und Du tust es nicht falsch. Du tust, was Du kannst, und Du bist, wer Du sein kannst. Erinnere dich an Rilke: „Laß dir alles geschehn: Schönheit und Schrecken. / Man muß nur gehn: Kein Gefühl ist das fernste. / Laß dich von mir nicht trennen. / Nah ist das Land, / das sie das Leben nennen.“
Was war die frustrierendste Unterrichtslektüre Deiner Schulzeit?
Die frustrierendsten Lektüren waren rückblickend die schönsten, die wichtigsten, die prägendsten, und so ist es bis heute geblieben. Weil Frustration, Irritation, Widerstand wie Schmerz Teil des Lebens sind, sollten sie in der Lektüre nicht gemieden werden. Immerhin tut Schmerz dort ästhetisch weh, und das ist doch schon erstaunlich, dass Literatur dazu in der Lage ist.
Hat Dir Literatur im Leben weitergeholfen?
Da mein Leben Literatur ist, würde ich sagen, ja, Literatur hat mir im Leben weitergeholfen.
Jan, danke Dir für das Interview!
Schullektüre und Junges Lesen (14). Von Leander Steinkopf>
Die Corona-Krise hat das Sozialleben gerade junger Menschen stark beeinträchtigt. Darüber hinaus wurde ihre Schulbildung ins Digitale verlagert, wo manches auf der Strecke blieb. Gerade in sozialer Isolation kann Literatur eine Stütze sein, die einem hilft mit den Problemen des Lebens klarzukommen. Somit ist es ein guter Zeitpunkt, um sich mit der Frage zu befassen, welche Literatur in der Jugend gebraucht wird – und was Schullektüre leisten könnte. Dazu soll diese Interviewreihe einen Beitrag leisten.
Im Interview: Jan Wilm (*1983) ist Schriftsteller, Übersetzer und Kritiker. Er studierte Anglistik und Amerikanistik in Frankfurt am Main und wurde ebendort promoviert. Übersetzungen etwa von Maggie Nelson und Arundhati Roy bei Hanser Berlin und S. Fischer. Seine Bücher erscheinen im Schöffling Verlag, zuletzt der Roman Winterjahrbuch (2019) und Ror.Wolf.Lesen. (2022).
Interviewer: Leander Steinkopf (*1985) lebt nach Stationen in Mannheim, Berlin, Sarajevo und Plovdiv seit einigen Jahren in München. Von ihm erschienen verschiedene Bücher, u.a. der Roman Stadt der Feen und Wünsche bei Hanser Berlin. Er ist Herausgeber der gerade bei Claassen erschienenen Anthologie Neue Schule: Prosa für die nächste Generation.
Mit der folgenden neunteiligen Interviewreihe beteiligt sich Leander Steinkopf an „Neustart Freie Szene – Literatur“, einem Projekt des Literaturportals Bayern zur Unterstützung der Freien Szene in Bayern. Alle bisherigen Beiträge des Projekts finden Sie HIER.
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Hast Du als Schüler gern gelesen?
Ich habe immer gern gelesen, doch ich denke nicht gern von mir als Schüler, da ich nicht wüsste, was ich lesend jemals anderes gewesen wäre. Dabei hat Schülersein für mich nicht annähernd etwas mit Schreibstift und Schwamm, mit Stationenlernen und Smartboard zu tun, da ich die Institution Schule für etwas zutiefst Fragwürdiges halte: eine Vorbereitung auf ein Leben, das aus Arbeit besteht. So ist es nicht.
Ich war, bin und bleibe jedoch ein Schüler in der (pardon für die abgeschmackte Wendung!) „Schule des Lebens“. Aber nein, so abgegriffen lasse ich mich nicht davonkommen, denn es lässt sich spezifizieren: So wie der alte Sokrates meinte, nur ein untersuchtes Leben sei wertvoll und nur das Nichtwissen der Impuls für Wissen, so meine ich, dass ich ein Leben lang nicht ein Schüler des Lebens, sondern ein Schüler des Lesens bleiben möchte, der das Lesen nutzt, um immer etwas Neues zu lernen über das Leben und die Wesen darin.
Welches Buch würdest Du heute deinem jugendlichen Ich empfehlen?
Weil ich keine bessere Zeitmaschine kenne als die Literatur, würde ich meinem jugendlichen Ich raten, noch mehr zu lesen, um literarisch noch mehr Weitsicht und noch mehr Rücksicht zu erlangen. Wenn ich einen Moment aber allein zu meinem jugendlichen Ich sprechen darf, dann sage ich folgendes: Lass dich nicht entmutigen, Du tust, was Du tust, und Du tust es nicht falsch. Du tust, was Du kannst, und Du bist, wer Du sein kannst. Erinnere dich an Rilke: „Laß dir alles geschehn: Schönheit und Schrecken. / Man muß nur gehn: Kein Gefühl ist das fernste. / Laß dich von mir nicht trennen. / Nah ist das Land, / das sie das Leben nennen.“
Was war die frustrierendste Unterrichtslektüre Deiner Schulzeit?
Die frustrierendsten Lektüren waren rückblickend die schönsten, die wichtigsten, die prägendsten, und so ist es bis heute geblieben. Weil Frustration, Irritation, Widerstand wie Schmerz Teil des Lebens sind, sollten sie in der Lektüre nicht gemieden werden. Immerhin tut Schmerz dort ästhetisch weh, und das ist doch schon erstaunlich, dass Literatur dazu in der Lage ist.
Hat Dir Literatur im Leben weitergeholfen?
Da mein Leben Literatur ist, würde ich sagen, ja, Literatur hat mir im Leben weitergeholfen.
Jan, danke Dir für das Interview!