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19.05.2013, 11:35 Uhr
Frank Piontek
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [160]: Das Männliche im Weiblichen

Philippine ist eine Frau, ein „Weib“, wie man damals – durchaus nicht abschätzig – gesagt hat, ein „Weib“ mit einer degenerierten Seele, Gustav ist ein junger Mann mit einer weiblichen Seele, die intakt ist – aber aufgrund dieser Intaktheit leidet, nicht dem „normalen“ Leben kompatibel ist, sich den Normen nicht anpasst und daher weiblich leidet. Jean Pauls Mit-Leid mit dem Frauen – jaja, ich weiß, „Mitleid“ ist problematisch, man kann es, wenn man darauf Wert legt, alles zu problematisieren, als impotent bezeichnen: als impotent gegenüber einem Leben, das aktiv gestaltend, nicht passiv „mitleidend“ erlebt werden sollte, – des Dichters Mitleid also mit den Frauen, wie es sich auch in der Loge schon, wenn „Jean Paul“ nicht seinen Essig über die Gestalten schüttete, mehrmals äußerte, wird nun auf Gustav bezogen, denn: „Dass seine Seele in einer lebendigen Wunde lag, daran kann uns nichts wundern als das Geschlecht; denn die Männer schonen diese Wunde nicht; es erweicht sie gegen ein so weiches Geschlecht der Anblick nicht; dass die meisten nicht von einem Tage zum andern, sondern von einem Schmerze zum andern leben und von einer Träne zur andern....“

Jean Paul macht hier, da er das Wort Geschlecht kursiv und ans Ende des Satzes nicht weniger als vier, sehr ins Offene weisende Pünktchen setzt, sozusagen einen Gender-Diskurs auf, wie's modisch heißen müsste. Erstaunlich, dass schon ein Autor des späten 18. Jahrhunderts auf das Weibliche im Männlichen hinweist. Das macht: Gustavs Sensibilität gegenüber dem Anderen, dem Geliebten, ja: Amandus ist der „liebliche“ und „liebenswürdige“ Geliebte – warum trüge er sonst diesen extrem sprechenden Namen? Amandus ist nicht anwesend, da Gustav in der Kaserne sitzt, er ist es nicht körperlich – aber geistig, zudem „in der letzten Gestalt eines Sterbenden“. Er hat, der Autor klärt uns auf, die markaushöhlende „Nervenschwindsucht“, er bereitet sich auf den Tod (der schon die Treppe herauf steigt; das sind dann so schöne jeanpaulsche Bilder) vor, aber woher weiß Gustav dies? Er hat es ja nicht erfahren – aber er, der Übersensible, fühlt es, weil er es denkt: „Seine Gefühle waren überhaupt näher und dichter um seine Ideen als um seine Sinne“. Auch dies mag seine Lebensuntüchtigkeit – wenn es denn der Autor darauf absieht – bezeichnen: dieses Fixiertsein auf (auch fixe) Ideen, diese Untauglichkeit, sinnliche Eindrücke adäquat zu verarbeiten (wie's in der modernen Psychologie heißen könnte).

Hier liegt vielleicht schon die ganze Tragik des Falles Gustav beschlossen: ein Mensch, der gleichsam zu gut ist für die Welt, wie sie ist, ein Wesen, das zu viele weibliche Anteile hat, als dass es in dieser von Männern dominierten Welt bestehen könnte. Der Kontrast schon zum nächsten Absatz macht es – in zweierlei Sinne: schlagend – klar: da sitzen die lärmenden Stubenkameraden und beschießen ihn mit „Rapierstößen, Kartenschläfen und Flüchen“. Jean Paul findet ein tolles Wort für die Degeneration der Sitten und der Sprache: hier war „die Trommel das Sprachorgan und die Sprachmaschine“, so wie „die Heuschrecke allen ihren Lärm mit einer angebornen Trommel am Bauche macht“. Ich sehe ihn förmlich vor mir: den militärischen, auf „Zack“ gedrechselten, maschinellen, menschenfeindlichen Drill. Sterben und Sterbenlassen gehört immer noch zum Handwerk eines „ordentlichen“ Soldaten – kein Wunder, dass Gustav sein Sterbebild mit der heißen Liebe, nicht mit der Gefühlskälte verbindet.

Ist's ein Mann, ist's eine Frau? Es ist – der berühmte Chevalier d'Eon, einer der bekanntesten Transvestiten der Geschichte. In Jean Pauls Geburtsjahr beschloss er (mit 35 Jahren), zeitweise in weiblicher Identität zu leben (oder war es schon 1755, da er sich, um zur Zarin nach St. Petersburg zu gelangen, als seine Schwester ausgab? Se non e vero, e ben trovato.) Das Bild rechts zeigt ihn im Jahre 1792, als Jean Paul noch über der Loge saß, in der er über das Weibliche im Männlichen nachdachte.

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