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15.05.2013, 14:35 Uhr
Frank Piontek
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [156]: Regensburger Abschweifung

„In Regensburg Politik Gegengift der Musik, obwohl die Staatskunst nichts ist als Tonkunst“, schreibt Jean Paul am 26. Mai des Jahres 1799 in sein Briefkopierbuch, als er in Weimar lebt. Der immerwährende Reichstag fand, als Gesandtenkongress, im Alten Rathaus statt, vor dem ich plötzlich stehe, nachdem ich genug jeanpaulsche Spuren entdeckt habe.

Diese Spuren haben, freilich vermittelt, durchaus etwas mit der Politik zu tun – denn der Dichter kam nach Regensburg, um sich bei seinem einstigen Mäzen, dem Herren Karl Theodor von Dalberg, zu bedanken. Dalberg war nun nicht irgendwer, er war

Reichsfreiherr, Doktor beider Rechte, weiland Erzbischof von Mainz, des Heiligen Römischen Reichs durch Germanien Erzkanzler und Kurfürst, Primas von Deutschland. Nach geschehener Reichs-Immutation im Jahre 1803 des heiligen Stuhls zu Regensburg Erzbischof, Fürst von Aschaffenburg, Bischof von Konstanz, Herr der Reichenau und zu Oeningen etc. Hernachmals ab 1806 bis zu dessen Auflösung 1814 Fürst-Primas des Rheinbundes, Grossherzog von Frankfurt, Fürst von Fulda, Graf von Wetzlar, Graf von Hanau etc.

Und dieser Herr, der eine zentrale Rolle in der Geschichte des Rheinbundes und der Beziehung Napoleons zum Deutschen Reich spielte, ließ dem Dichter, zumindest einige Jährchen, seit 1809 eine jährliche Rente von 1000 Gulden auszahlen. Dalberg war ein komplexer Mensch, auf den das Schiller-Wort So schwankt sein Bild in der Geschichte zutrifft. Heute beurteilt man ihn nicht mehr als „Verräter am deutschen Vaterland“, der als Marionette Napoleons agierte, sondern als ehrlichen, aufgeklärten Mann, der das Beste fürs Reich wollte – und der nicht begriff, dass sein Konzept der Rettung des Alten Reiches mit den imperial-imperialistischen Bestrebungen des Kaisers nicht in Einklang zu bringen war. Jean Paul muss ihn, aller zeitgenössischen Kritik zum Trotz, sehr geschätzt haben.

So suchte er ihn in seiner Regensburger Klause auf – im Jahre 1816, als Dalberg längst entmachtet war. Den Posten des Regensburger Fürstbischofs bekleidete er inoffiziell seit 1803, offiziell von 1805 bis 1810, wo er in der Dompropstei residierte. Ab 1814 hat er, heißt es, Regensburg kaum noch verlassen – und hier besuchte ihn Jean Paul im August 1816. Man trifft sich täglich, unterhält sich über letzte Dinge – worüber sich eben alte geistliche und geistlich interessierte Herren so unterhalten, wenn sie spüren, dass es aufs Ende geht. Jean Paul hat, in der Loge wie in der Rede des toten Christus, im Kampanertal wie in der spät geschriebenen Selina, sich tiefliegende und hochschwebende Gedanken über den Glauben, den Tod und die Unsterblichkeit gemacht, einiges von den Regensburger Gesprächen könnte in die Gespräche des Diskursromans Selina eingeflossen sein.

Und wo hat man sich getroffen? In der Dompropstei, wohin ihn der ehemalige Fürstbischof einlud? Oder doch in seiner bescheidenen Klause, die Dalberg in der Drei-Kronen-Gasse zur Untermiete bewohnte? Beide Häuser stehen noch; mag sein, dass Jean Paul beide Stätten besuchte. Der Mann, der das „einfache Volk“ so liebte, war auch gern bei der Fürstin Taxis, wo er mit Stiefeln erschien – eine Eigentümlichkeit, die ihn selbst zu einer von Jean Paul erfundenen Figur machte.

Das Wohn- und Sterbehaus des Herren Dalberg in der Drei-Kronen-Gasse und die ehemalige Regensburger Dompropstei: auch zwei Jean-Paul-Orte.

Zweierlei Erinnerungsmale: die Gedenktafel für den interessanten Mann und ein Buch über denselben, gefunden in der guten Dombuchhandlung. (Fotos: Frank Piontek, 13.5. 2013)

Dalberg in dem Jahr, in dem Jean Paul Die unsichtbare Loge schrieb – und ungefähr in der Zeit, in der er ihm persönlich begegnete.

Ich begegne ihm auch selbst, sozusagen: im Nordquerhaus des Doms. Luigi Zandomeneghi hat ihm das Grabdenkmal aus Marmor gemeisselt, nachdem Dalberg ein Jahr nach Jean Pauls Besuch gestorben war. Ich sehe die Büste des Mannes, dem Jean Paul ein paar finanziell sorgenfreie Jahre verdankte. Ein Genius schaut zu ihm auf, ein Putto scheint – aber nur, wenn man auf dem Foto nicht genau hinschaut – in ein unsichtbares Buch zu schreiben: in das Buch der Ewigkeit, die dem Mann ein Erinnerungsmal bescherte, das Jean Paul zweifellos geschätzt hätte - so wie den Mann, mit dem er sich so ausgiebig und so gut über die unsichtbaren Dinge unterhalten konnte.

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