Sandra Hoffmann ist: DRINNEN (20). Wie sehr der DJ ein Künstler geworden ist
Sandra Hoffmann arbeitet seit einem Studium der Literaturwissenschaft, Mediävistik und Italianistik (M.A.) als freie Schriftstellerin und lebt seit Ende 2012 in München. Bisher hat sie sechs Romane veröffentlicht. Sie schreibt Radiofeatures und Radioessays u.a. für den Bayerischen Rundfunk und v.a. Reisereportagen für DIE ZEIT. Auf dem Literaturportal Bayern veröffentlichte sie von 2021 bis 2022 die Kolumne DRAUSSEN. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. an der Universität Karlsruhe, dem Literaturhaus München und der Bayerischen Akademie des Schreibens sowie für Goethe-Institute im Ausland. Für ihren Roman Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist (Hanser, 2012) erhielt sie den Thaddäus-Troll-Preis, für ihren letzten Roman Paula (Hanser, 2019), der durch ein Arbeitsstipendium des Freistaats Bayern gefördert wurde, den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium. 2022 erhielt sie vom Freistaat Bayern das Arbeitsstipendium Neustart-Paket Freie Kunst.
In den kommenden 52 Wochen schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern wieder eine Kolumne: DRINNEN. Momentaufnahmen aus dem (halb)privaten Leben. Anders als Natur-Räume ermöglichen uns Innenräume, wenn es nicht gerade öffentliche Räume sind, nur einen privaten Blick. Wir sehen dort hinein, wo wir Einlass bekommen, oder wir uns den Einlass erkaufen, wie etwa in Museen, Zügen, Hotels. Es geht um Wahrnehmung. Diesmal aber von Orten, von Menschen, Begegnungen, Situationen. Immer mit der für Literatur relevanten Frage: Wie spiegelt sich im Kleinen oder im Privaten auch das große Ganze, die Welt. Wer sind wir im (anscheinend so) Geborgenen?
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20
Früher, ich weiß noch, mit sechzehn, da haben einen die achtzehnjährigen Freunde oder Freundinnen abgeholt, wenn man auf dem Land wohnte, um mit dem Auto in die nahgelegene Disko zu fahren. Im Auto hat man sich bereits warmgefreut, indem man die Lieblingsmusik von der Kassette abspielte, die man selbst aufgenommen hatte, aus der SWR-Hitparade, bei der Ansage schon gewartet mit dem Finger auf der Aufnahmetaste des Kassettenrekorders und dann draufgedrückt, diese ein zwei Sekunden zu spät, eben erst, wenn man hörte, jetzt geht der Song los.
Ich bin keine Nostalgikerin, ich habe alle Kassetten, soweit ich weiß, weggeworfen, mein Gefühl für Musik entwickelt sich mit mir und den Jahren, mein Geschmack auch. Nur die Klassiker bleiben. Die Klassische Musik meine ich und eben das, was heute vom Pop als klassisch gilt, oder auch sowas wie ein Jahrhundertsong: Elvis' In the Ghetto, nur zum Beispiel, wo ich jedes Mal fast weinen muss, wenn ich ihn höre. Aber sonst kommt immer Neues dazu, ich höre es, und es bleibt oder ich verliere es wieder.
Jetzt bin ich abgedriftet. Ich wollte sagen: Wenn man in der Disko dann vom Auto-Kassettenrecorder vorgewärmt ankam, war alles, was gespielt wurde, großer Sound. Richtige Musik eben aus richtigen Lautsprechern, mit Bässen, die so in den Körper hineinwummerten, dass es nichts anderes mehr gab. Man hatte keine Stimme dagegen und wenn, dann schreiend. Ich erinnere mich, dass in der Disko damals eben die Popmusik gespielt wurde, die gerade hip war, wobei es das Wort noch nicht gab, und wenn der Song von der einen Platte endete, tauchte im Ende schon der Anfang des Songs aus der anderen Platte auf. Wenn es gut gemacht war, klang das ganz schön lässig oder besonders. Aber ich erinnere mich nicht, dass damals 1985, als ich achtzehn war, bereits gescratcht oder gesampelt wurde oder sowas. Ich weiß es nicht. In meiner Erinnerung nicht.
Aber eben neulich fing ich mal an, darüber nachzudenken, weil ich in der Nacht, bei einer privaten Party in einem Münchner Club, Mirko Hecktor als DJ zuschaute, wie er Handarbeit an der Musik betrieb, wie er hier einen Regler drehte und dort etwas manipulierte, und wie ich nullkommanull Ahnung hatte, wie daraus die Musik wurde, die es dann wurde. Er stand hinter dem Pult und soundete so gut herum, und auch so, dass ich wirklich Lust hatte zu tanzen, und es auch eine Weile lang tat, und aber eigentlich sehr viel darüber nachdachte, wie das eigentlich geht, wie man mit Musik erzählt, wie sehr die Musik heute in einem Club sich unterscheidet von damals, weil es darum geht, aus dem, was schon da ist, so richtig selbst was zu machen.
Wie sehr der DJ ein Künstler geworden ist.
Welchen Gewinn ich daraus ziehe, weil alles, was ich in dem Moment dort höre, vollkommen neu ist oder neu sein kann. Ich weiß nicht einmal, ob das geht, dass so ein DJ zweimal alles gleich macht, oder ob sich alles, was er spielt, immer und jedes Mal komplett unterscheidet, ob etwas überhaupt wiederholbar ist? Ich habe ihn nicht gefragt, weil Mirko Hecktor hat Musik gemacht und neben ihm stand jemand, die es vielleicht lernen wollte. Ich verstand nicht viel beim Zuschauen, außer einer wirklich intensiven Körperlichkeit, die das Musikmachen an so einem DJ-Pult haben muss: Der Mensch ist immer in Bewegung, seine Finger seine Hände, seine Beine bestimmt auch, und bestimmt sein Geist. Ich verstand, das ist Konzentration, die das braucht, und die mich dann erreicht, im besten Fall, wie in meinem, als Tanzende.
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Alle Folgen der Kolumne finden Sie HIER.
Sandra Hoffmann ist: DRINNEN (20). Wie sehr der DJ ein Künstler geworden ist>
Sandra Hoffmann arbeitet seit einem Studium der Literaturwissenschaft, Mediävistik und Italianistik (M.A.) als freie Schriftstellerin und lebt seit Ende 2012 in München. Bisher hat sie sechs Romane veröffentlicht. Sie schreibt Radiofeatures und Radioessays u.a. für den Bayerischen Rundfunk und v.a. Reisereportagen für DIE ZEIT. Auf dem Literaturportal Bayern veröffentlichte sie von 2021 bis 2022 die Kolumne DRAUSSEN. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. an der Universität Karlsruhe, dem Literaturhaus München und der Bayerischen Akademie des Schreibens sowie für Goethe-Institute im Ausland. Für ihren Roman Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist (Hanser, 2012) erhielt sie den Thaddäus-Troll-Preis, für ihren letzten Roman Paula (Hanser, 2019), der durch ein Arbeitsstipendium des Freistaats Bayern gefördert wurde, den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium. 2022 erhielt sie vom Freistaat Bayern das Arbeitsstipendium Neustart-Paket Freie Kunst.
In den kommenden 52 Wochen schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern wieder eine Kolumne: DRINNEN. Momentaufnahmen aus dem (halb)privaten Leben. Anders als Natur-Räume ermöglichen uns Innenräume, wenn es nicht gerade öffentliche Räume sind, nur einen privaten Blick. Wir sehen dort hinein, wo wir Einlass bekommen, oder wir uns den Einlass erkaufen, wie etwa in Museen, Zügen, Hotels. Es geht um Wahrnehmung. Diesmal aber von Orten, von Menschen, Begegnungen, Situationen. Immer mit der für Literatur relevanten Frage: Wie spiegelt sich im Kleinen oder im Privaten auch das große Ganze, die Welt. Wer sind wir im (anscheinend so) Geborgenen?
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Früher, ich weiß noch, mit sechzehn, da haben einen die achtzehnjährigen Freunde oder Freundinnen abgeholt, wenn man auf dem Land wohnte, um mit dem Auto in die nahgelegene Disko zu fahren. Im Auto hat man sich bereits warmgefreut, indem man die Lieblingsmusik von der Kassette abspielte, die man selbst aufgenommen hatte, aus der SWR-Hitparade, bei der Ansage schon gewartet mit dem Finger auf der Aufnahmetaste des Kassettenrekorders und dann draufgedrückt, diese ein zwei Sekunden zu spät, eben erst, wenn man hörte, jetzt geht der Song los.
Ich bin keine Nostalgikerin, ich habe alle Kassetten, soweit ich weiß, weggeworfen, mein Gefühl für Musik entwickelt sich mit mir und den Jahren, mein Geschmack auch. Nur die Klassiker bleiben. Die Klassische Musik meine ich und eben das, was heute vom Pop als klassisch gilt, oder auch sowas wie ein Jahrhundertsong: Elvis' In the Ghetto, nur zum Beispiel, wo ich jedes Mal fast weinen muss, wenn ich ihn höre. Aber sonst kommt immer Neues dazu, ich höre es, und es bleibt oder ich verliere es wieder.
Jetzt bin ich abgedriftet. Ich wollte sagen: Wenn man in der Disko dann vom Auto-Kassettenrecorder vorgewärmt ankam, war alles, was gespielt wurde, großer Sound. Richtige Musik eben aus richtigen Lautsprechern, mit Bässen, die so in den Körper hineinwummerten, dass es nichts anderes mehr gab. Man hatte keine Stimme dagegen und wenn, dann schreiend. Ich erinnere mich, dass in der Disko damals eben die Popmusik gespielt wurde, die gerade hip war, wobei es das Wort noch nicht gab, und wenn der Song von der einen Platte endete, tauchte im Ende schon der Anfang des Songs aus der anderen Platte auf. Wenn es gut gemacht war, klang das ganz schön lässig oder besonders. Aber ich erinnere mich nicht, dass damals 1985, als ich achtzehn war, bereits gescratcht oder gesampelt wurde oder sowas. Ich weiß es nicht. In meiner Erinnerung nicht.
Aber eben neulich fing ich mal an, darüber nachzudenken, weil ich in der Nacht, bei einer privaten Party in einem Münchner Club, Mirko Hecktor als DJ zuschaute, wie er Handarbeit an der Musik betrieb, wie er hier einen Regler drehte und dort etwas manipulierte, und wie ich nullkommanull Ahnung hatte, wie daraus die Musik wurde, die es dann wurde. Er stand hinter dem Pult und soundete so gut herum, und auch so, dass ich wirklich Lust hatte zu tanzen, und es auch eine Weile lang tat, und aber eigentlich sehr viel darüber nachdachte, wie das eigentlich geht, wie man mit Musik erzählt, wie sehr die Musik heute in einem Club sich unterscheidet von damals, weil es darum geht, aus dem, was schon da ist, so richtig selbst was zu machen.
Wie sehr der DJ ein Künstler geworden ist.
Welchen Gewinn ich daraus ziehe, weil alles, was ich in dem Moment dort höre, vollkommen neu ist oder neu sein kann. Ich weiß nicht einmal, ob das geht, dass so ein DJ zweimal alles gleich macht, oder ob sich alles, was er spielt, immer und jedes Mal komplett unterscheidet, ob etwas überhaupt wiederholbar ist? Ich habe ihn nicht gefragt, weil Mirko Hecktor hat Musik gemacht und neben ihm stand jemand, die es vielleicht lernen wollte. Ich verstand nicht viel beim Zuschauen, außer einer wirklich intensiven Körperlichkeit, die das Musikmachen an so einem DJ-Pult haben muss: Der Mensch ist immer in Bewegung, seine Finger seine Hände, seine Beine bestimmt auch, und bestimmt sein Geist. Ich verstand, das ist Konzentration, die das braucht, und die mich dann erreicht, im besten Fall, wie in meinem, als Tanzende.
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