„Die schöne Frau bedarf der Zügel nicht“. Interview mit Christine Wunnicke über Margherita Costa
„Margherita Costa – nie gehört? Nach 400 Jahren wird es Zeit! Schließlich war die um 1600 geborene Römerin die wohl profilierteste Schriftstellerin ihrer Generation. Ihr wildes, respektloses und genresprengendes Werk blieb jahrhundertelang vergessen. Costa war Opernstar und Kurtisane, Intima dreier Papstfamilien und Räuberbraut, Feministin und Pornografin, Mutter vieler Töchter unklarer Herkunft und die wohl erste Satirikerin der Welt. Aus ihrer Dichtung strahlt die Sinnlichkeit in so grellen Farben, dass man beim Lesen gern zur Sonnenbrille greift.“ (Berenberg Verlag)
Die Münchner Autorin Christine Wunnicke hat sich in Costa verliebt und ihre Texte ins Deutsche übersetzt. Herausgekommen ist ein beeindruckendes Werk-Porträt einer im wahrsten Sinne des Wortes fantastischen Autorin. Wir haben mit Christine Wunnicke über ihr neues Buch gesprochen. Das Interview führte Thomas Lang.
*
Margherita Costa war eine römische Dichterin des Barock – aus dem 17. Jahrhundert. Hierzulande war sie kaum bekannt, es gab nur wenige ins Deutsche übersetzte Texte. Wie bist Du auf sie gestoßen und warum hast Du Dich mit ihrem Leben und ihrem Werk beschäftigt?
CHRISTINE WUNNICKE: Meines Wissens ist bislang wirklich noch gar nichts von ihr ins Deutsche übersetzt worden. Sie ist überhaupt sehr in Vergessenheit geraten, nicht nur hier; es gibt zum Beispiel auch in ihrer Heimat Italien bis heute keine einzige moderne Ausgabe. Sie ist nicht einmal vollständig gedruckt; der letzte Text in meinem Buch, „Die Reise nach Loreto“, ist nicht nur eine Erstübersetzung, sondern sogar eine Erstveröffentlichung aus dem Manuskript!
Ich bin das erste Mal Ende der 1980er-Jahren auf sie gestoßen, weil ich mich für dichtende barocke Opernsänger*innen interessiert habe (vor allem für den Kastraten Filippo Balatri); damals waren Costas Bücher aber sehr schwer zu bekommen, und ich habe die Sache nicht weiter verfolgt. Das alte Karteikärtchen „Margherita Costa Romana“ fiel mir dann bei einem Lockdown-Ausmisten in die Hände und ich stellte fest, dass ihr Gesamtwerk inzwischen online ist. Und dann fing ich an zu lesen und dachte: wow.
Den ersten Teil Deines Buches bildet ein biografischer Essay über Costa. In der deutschen Wikipedia gibt es bis heute, April 2023, keinen Eintrag zu ihr und über viele Stationen ihres abenteuerlichen Lebens ist nur wenig bekannt. Hast Du Neues über sie herausgefunden und wie bist Du bei der Recherche vorgegangen?
Ich hatte bei der biographischen Recherche ein wahnsinniges Glück, was aber auch zu einer gewissen Verwegenheit führte: Weil ich zwei Quellen fand, die meines Wissens vorher noch nicht verwendet wurden (ein sehr interessantes, nicht eröffnetes Testament der Autorin und eine schöne zeitgenössische Biographie ihres kriminellen Lebensgefährten), entferne ich mich ein gutes Stück von den bisherigen, immer noch sehr spärlichen, biographischen Publikationen. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass in den nächsten Jahren im akademischem Zusammenhang noch mehr Details zum Vorschein kommen werden; zum Beispiel hoffe ich sehr darauf, dass jemand herausfindet, wie es Margherita nach 1657 ergangen ist. Zu diesem Zeitpunkt verschwindet sie für mich, ich weiß nicht einmal annähernd, wann sie gestorben ist.
„Die schöne Frau bedarf der Zügel nicht“, heißt Dein Buch – und in der Tat scheint es so, als hätte Frau Costa ein eher zügelloses Leben geführt. In Rom arbeitete sie als Prostituierte, es scheint, dass sie Päpste wie Fürsten oder mindestens deren enge Anverwandte um den Finger wickelte. Sie war mit einem Räuber liiert und ging nach Florenz, während ihre drei Töchter in Rom zurückblieben. Sie schrieb Libretti und sang Opern, verfasste wilde Verse und fiktive Liebesbriefe. Taugt Frau Costa als frühe Ikone der Emanzipation?
Unbedingt! Alle diese Frauen, die in solchen Zeiten sich anmaßten, in Männerdomänen einzubrechen mit großer Geste, sind feministische Ikonen, auch wenn sie natürlich keine Feministinnen im modernen Sinn waren. Irgendwie stehen wir alle auf deren Schultern. Im 17. Jahrhundert sind das für mich vor allem die zwei „irren Margareten“, Margherita Costa und Margaret Cavendish – zwei Exzentrikerinnen mit diesen Unmengen an wilden, originellen Publikationen, die verschiedener nicht sein könnten; eine völlig unabhängige Autodidaktin aus dem Rotlichtmilieu und eine von ihrem Mann umsorgte, keusche Herzogin. Wenn es nach mir geht, dürfte man die beiden – und viele andere auch – gerne ein bisschen heiligsprechen.
Du hast viele Texte Costas ins Deutsche übertragen, aus einem doch recht altertümlichen Italienisch. Wie bist Du dabei vorgegangen?
Mit einer pandemiebedingten Engelsgeduld und dem schönen Wörterbuch der Accademici della Crusca von 1611. Wo ich steckenblieb, halfen mir die Romanistin Clizia Carminati in Bergamo und der Virtuoso Tobias Roth in München. Costas Verse sind insgesamt aber ganz gut zu verstehen. Ihre Prosa allerdings nicht, die ist höllisch schräg und schwer zu lesen.
Manchmal verwendest Du im Deutschen moderne Ausdrücke, sprichst etwa von „Tricks“, dann wieder lesen wir von einem „Rocken“ – ein kaum noch gebräuchlicher Ausdruck, der mit dem Spinnrad untergeht. Welcher Gedanke hat Dich bei solchen Übersetzungsentscheidungen geleitet? Wie kann man den Ton jahrhundertalter Texte in der Gegenwart hörbar machen?
Ich habe mich von der Autorin leiten lassen. Sie wirft alle Stilniveaus zusammen, ohne Rücksicht oder Respekt, die petrarkistischen Edelmetaphern stehen neben Umgangssprache und Zoten; sie weist da selbst darauf hin und ist auf ihren stilo rozzo („rauen Stil“) sehr stolz: „Schaut meine Verse an und gebt gut Acht/ Ihr findet, statt Daktylen und Spondeen/nur Backpapier, worin man Braten macht.“ Ich stelle mir vor, dass sie zwischen zwei Dates oder Auftritten oder Intrigen im Stehen, noch im Mantel, schnell ein paar Strophen hinhaute und danach nie korrigierte; ich habe versucht, mir so eine Stimmung vorzustellen, als ich das auf Deutsch nachbaute.
Wäre eine Gestalt wie Margherita Costa heute denkbar? Ist ein wildes und gefährliches Leben eine Voraussetzung für mitreißende und bedeutende Literatur?
Nein, glaube ich nicht. Es gab und gibt die größten Langeweiler*innen mit faden Lebensumständen, die dann die tollsten Bücher schreiben oder geschrieben haben.
Und ob Costa heute denkbar wäre? Das kann ich nicht mehr beurteilen. Ich habe zu lange mit ihr gelebt, ich kann sie mir zu gut vorstellen, für mich ist sie völlig heutig und wohnt quasi bei mir – aber das ist natürlich eine Illusion.
Margherita Costa: Die schöne Frau bedarf der Zügel nicht. Porträt, Werkauswahl und Übersetzung aus dem Italienischen von Christine Wunnicke. Zweisprachig Italienisch-Deutsch. Halbleinen, fadengeheftet. Berenberg Verlag, Berlin 2023, 352 S., ISBN 978-3-949203-48-0, € 30,00
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„Margherita Costa – nie gehört? Nach 400 Jahren wird es Zeit! Schließlich war die um 1600 geborene Römerin die wohl profilierteste Schriftstellerin ihrer Generation. Ihr wildes, respektloses und genresprengendes Werk blieb jahrhundertelang vergessen. Costa war Opernstar und Kurtisane, Intima dreier Papstfamilien und Räuberbraut, Feministin und Pornografin, Mutter vieler Töchter unklarer Herkunft und die wohl erste Satirikerin der Welt. Aus ihrer Dichtung strahlt die Sinnlichkeit in so grellen Farben, dass man beim Lesen gern zur Sonnenbrille greift.“ (Berenberg Verlag)
Die Münchner Autorin Christine Wunnicke hat sich in Costa verliebt und ihre Texte ins Deutsche übersetzt. Herausgekommen ist ein beeindruckendes Werk-Porträt einer im wahrsten Sinne des Wortes fantastischen Autorin. Wir haben mit Christine Wunnicke über ihr neues Buch gesprochen. Das Interview führte Thomas Lang.
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Margherita Costa war eine römische Dichterin des Barock – aus dem 17. Jahrhundert. Hierzulande war sie kaum bekannt, es gab nur wenige ins Deutsche übersetzte Texte. Wie bist Du auf sie gestoßen und warum hast Du Dich mit ihrem Leben und ihrem Werk beschäftigt?
CHRISTINE WUNNICKE: Meines Wissens ist bislang wirklich noch gar nichts von ihr ins Deutsche übersetzt worden. Sie ist überhaupt sehr in Vergessenheit geraten, nicht nur hier; es gibt zum Beispiel auch in ihrer Heimat Italien bis heute keine einzige moderne Ausgabe. Sie ist nicht einmal vollständig gedruckt; der letzte Text in meinem Buch, „Die Reise nach Loreto“, ist nicht nur eine Erstübersetzung, sondern sogar eine Erstveröffentlichung aus dem Manuskript!
Ich bin das erste Mal Ende der 1980er-Jahren auf sie gestoßen, weil ich mich für dichtende barocke Opernsänger*innen interessiert habe (vor allem für den Kastraten Filippo Balatri); damals waren Costas Bücher aber sehr schwer zu bekommen, und ich habe die Sache nicht weiter verfolgt. Das alte Karteikärtchen „Margherita Costa Romana“ fiel mir dann bei einem Lockdown-Ausmisten in die Hände und ich stellte fest, dass ihr Gesamtwerk inzwischen online ist. Und dann fing ich an zu lesen und dachte: wow.
Den ersten Teil Deines Buches bildet ein biografischer Essay über Costa. In der deutschen Wikipedia gibt es bis heute, April 2023, keinen Eintrag zu ihr und über viele Stationen ihres abenteuerlichen Lebens ist nur wenig bekannt. Hast Du Neues über sie herausgefunden und wie bist Du bei der Recherche vorgegangen?
Ich hatte bei der biographischen Recherche ein wahnsinniges Glück, was aber auch zu einer gewissen Verwegenheit führte: Weil ich zwei Quellen fand, die meines Wissens vorher noch nicht verwendet wurden (ein sehr interessantes, nicht eröffnetes Testament der Autorin und eine schöne zeitgenössische Biographie ihres kriminellen Lebensgefährten), entferne ich mich ein gutes Stück von den bisherigen, immer noch sehr spärlichen, biographischen Publikationen. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass in den nächsten Jahren im akademischem Zusammenhang noch mehr Details zum Vorschein kommen werden; zum Beispiel hoffe ich sehr darauf, dass jemand herausfindet, wie es Margherita nach 1657 ergangen ist. Zu diesem Zeitpunkt verschwindet sie für mich, ich weiß nicht einmal annähernd, wann sie gestorben ist.
„Die schöne Frau bedarf der Zügel nicht“, heißt Dein Buch – und in der Tat scheint es so, als hätte Frau Costa ein eher zügelloses Leben geführt. In Rom arbeitete sie als Prostituierte, es scheint, dass sie Päpste wie Fürsten oder mindestens deren enge Anverwandte um den Finger wickelte. Sie war mit einem Räuber liiert und ging nach Florenz, während ihre drei Töchter in Rom zurückblieben. Sie schrieb Libretti und sang Opern, verfasste wilde Verse und fiktive Liebesbriefe. Taugt Frau Costa als frühe Ikone der Emanzipation?
Unbedingt! Alle diese Frauen, die in solchen Zeiten sich anmaßten, in Männerdomänen einzubrechen mit großer Geste, sind feministische Ikonen, auch wenn sie natürlich keine Feministinnen im modernen Sinn waren. Irgendwie stehen wir alle auf deren Schultern. Im 17. Jahrhundert sind das für mich vor allem die zwei „irren Margareten“, Margherita Costa und Margaret Cavendish – zwei Exzentrikerinnen mit diesen Unmengen an wilden, originellen Publikationen, die verschiedener nicht sein könnten; eine völlig unabhängige Autodidaktin aus dem Rotlichtmilieu und eine von ihrem Mann umsorgte, keusche Herzogin. Wenn es nach mir geht, dürfte man die beiden – und viele andere auch – gerne ein bisschen heiligsprechen.
Du hast viele Texte Costas ins Deutsche übertragen, aus einem doch recht altertümlichen Italienisch. Wie bist Du dabei vorgegangen?
Mit einer pandemiebedingten Engelsgeduld und dem schönen Wörterbuch der Accademici della Crusca von 1611. Wo ich steckenblieb, halfen mir die Romanistin Clizia Carminati in Bergamo und der Virtuoso Tobias Roth in München. Costas Verse sind insgesamt aber ganz gut zu verstehen. Ihre Prosa allerdings nicht, die ist höllisch schräg und schwer zu lesen.
Manchmal verwendest Du im Deutschen moderne Ausdrücke, sprichst etwa von „Tricks“, dann wieder lesen wir von einem „Rocken“ – ein kaum noch gebräuchlicher Ausdruck, der mit dem Spinnrad untergeht. Welcher Gedanke hat Dich bei solchen Übersetzungsentscheidungen geleitet? Wie kann man den Ton jahrhundertalter Texte in der Gegenwart hörbar machen?
Ich habe mich von der Autorin leiten lassen. Sie wirft alle Stilniveaus zusammen, ohne Rücksicht oder Respekt, die petrarkistischen Edelmetaphern stehen neben Umgangssprache und Zoten; sie weist da selbst darauf hin und ist auf ihren stilo rozzo („rauen Stil“) sehr stolz: „Schaut meine Verse an und gebt gut Acht/ Ihr findet, statt Daktylen und Spondeen/nur Backpapier, worin man Braten macht.“ Ich stelle mir vor, dass sie zwischen zwei Dates oder Auftritten oder Intrigen im Stehen, noch im Mantel, schnell ein paar Strophen hinhaute und danach nie korrigierte; ich habe versucht, mir so eine Stimmung vorzustellen, als ich das auf Deutsch nachbaute.
Wäre eine Gestalt wie Margherita Costa heute denkbar? Ist ein wildes und gefährliches Leben eine Voraussetzung für mitreißende und bedeutende Literatur?
Nein, glaube ich nicht. Es gab und gibt die größten Langeweiler*innen mit faden Lebensumständen, die dann die tollsten Bücher schreiben oder geschrieben haben.
Und ob Costa heute denkbar wäre? Das kann ich nicht mehr beurteilen. Ich habe zu lange mit ihr gelebt, ich kann sie mir zu gut vorstellen, für mich ist sie völlig heutig und wohnt quasi bei mir – aber das ist natürlich eine Illusion.
Margherita Costa: Die schöne Frau bedarf der Zügel nicht. Porträt, Werkauswahl und Übersetzung aus dem Italienischen von Christine Wunnicke. Zweisprachig Italienisch-Deutsch. Halbleinen, fadengeheftet. Berenberg Verlag, Berlin 2023, 352 S., ISBN 978-3-949203-48-0, € 30,00