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05.01.2023, 13:41 Uhr
Tiny Stricker, Bernhard Setzwein & Ulrike Draesner
Neustart Freie Szene – Literatur
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Cover der 150. Ausgabe der Zeitschrift (c) Allitera Verlag

Warum es eine Literatur aus Bayern und „Literatur in Bayern“ geben muss

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Leser im Münchner Hofgarten. Bild von Frank auf Pixabay

Die 150. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern ist eine Jubiläumsausgabe und widmet sich dem Schwerpunkt Zukunft der Kultur in Bayern. Im folgenden Artikel stellen die Autor*innen Tiny StrickerBernhard Setzwein und Ulrike Draesner ganz eigene Überlegungen zum Wert dieser Zeitschrift und zur Zukunft der Literatur in Bayern an. Sie beteiligen sich damit zugleich an „Neustart Freie Szene – Literatur“, einem Projekt des Literaturportals Bayern zur Unterstützung der Freien Szene in Bayern. Alle bisherigen Beiträge des Projekts finden Sie HIER.

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Tiny Stricker: Warum es eine Literatur aus Bayern und Literatur in Bayern geben muss

Die Zeit des preußischen Zentralismus wilhelminischer Prägung ist zum Glück längst vorüber, obwohl gewisse Konventionen dieser Ära immer noch weiterwirken, in der deutschen Bühnensprache beispielsweise. Aber einer Literatur, die von ihrer unmittelbaren Umgebung und Erfahrung ausgeht – und gute Literatur tut dies in der Regel –, drohen heute andere, wahrscheinlich weit schlimmere Gefahren. Es ist die Dominanz der audiovisuellen und zunehmend der digitalen und sozialen Medien, die schon seit einiger Zeit einen unverkennbaren Einfluss auch auf die Erzählliteratur ausüben. Moritz Baßler hat in seinem vor Kurzem erschienenen Buch Populärer Realismus diese Einflussnahme näher analysiert und an vielen Beispielen gezeigt, wie sie zu einem uniformen, auch etwas langweiligen und vorhersehbaren „International Style“ geführt hat, der durch „leichte Lesbarkeit, routinierte Plots, aufgeladen mit Zeichen der Bedeutsamkeit“ gekennzeichnet ist.

Literatur in Bayern widersetzt sich dieser sich rasant ausbreitenden Gleichförmigkeit und tritt ein für eine authentische Literatur, die hier in der Region geschrieben wurde und geschrieben wird. Und das Tolle an dieser Zeitschrift ist, dass man bei der Lektüre schnell ein anderes Bayern-Bild erhält, weit entfernt vom trachtenseligen Stereotyp mit Volksmusik und Bierzelt, ein Image, das in bestimmten Medien ausschließlich gepflegt wird und über das kluge Bayern nur die Köpfe schütteln können. Wenn man sich in Literatur in Bayern vertieft, entsteht das Bild einer Region mit großer kultureller Vielfalt und einer hochentwickelten Literatur, die ihre eigene Aufklärung und Moderne hat und sich kritisch und kreativ mit ihrer Umwelt, aber auch mit der Welt draußen auseinandersetzt.

Literatur in Bayern schafft dies durch ein besonderes Format, eine immer wieder anregende und reizvolle Mischung verschiedener Genres, literarische Porträts, Rezensionen und Auszügen aus Werken natürlich, jedoch ergänzt durch Reise- und Lokalberichte, abseits der Touristenwege, und Interviews, die ganz nahe an den Personen sind.

Diese Zeitschrift zeigt uns vor allem, dass Bayern, was Literatur anbetrifft, beileibe keine Minderwertigkeitskomplexe zu haben braucht. Der Verlust des Magazins würde eine gewaltige kulturelle Lücke aufreißen, deshalb muss Literatur in Bayern mit ihren schönen, gehaltvollen und liebenswerten Heften weiter bestehen!

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Bernhard Setzwein: Porträt des bairischen Dichters als junger und ein bisschen weniger junger Mann

Als junger, sehr junger Mensch war ich der durch nichts zu erschütternden Ansicht, ich hätte etwas beizutragen zu dem, was man „Bairische Literatur“ nennt. Freilich war das der Hybris der Jugend zuzurechnen, die sich bekanntlich später verliert (wenn's gut geht). Als 16-, 17-Jähriger schrieb ich jedenfalls ein paar Mundartgedichte und dachte, die müssten nun aber auch gleich veröffentlicht werden. Ich schickte sie dem seinerzeit legendären Verleger Friedl Brehm, der damals ganz im Alleingang einer anderen, modernen bairischen Literatur eine Bresche schlug. Und tatsächlich veröffentlichte er in seinem mit bis unter die Zimmerdecke reichenden Bücherstapeln vollgestellten Verlagskellerloch mein erstes Büchlein ... ja vareck, ließe sich da angesichts der Tatsache sagen, dass ich zu diesem Zeitpunkt noch Abiturient war. So hieß das Bändchen dann auch, vareck. bairische lyrik, szenen und kurzprosa.

Ich hätte also Grund gehabt, mich von da ab für einen bairischen Autor zu halten. Wäre da nicht Friedl Brehm gewesen, der ja nicht bloß mein erster Verleger war, sondern persönlicher Freund und Privaterzieher. Bei unzähligen Gesprächen draußen in seinem Verlag in Feldafing brachte er mir bei – hauptsächlich durch Lektüretipps und das beiläufige Fallenlassen ständig neuer Autorennamen –, was es heißt, sich in diese Tradition stellen zu wollen. Bairische Literatur! Über 1.000 Jahre alt! Lern du Grünschnabel erst einmal den Abrogans kennen, les du erst mal den Jakob Balde, den Lorenz von Westenrieder und vor allem den Schmeller. Dann mach weiter mit dem Graf, dem Feuchtwanger, der Lena Christ und der Emerenz Meier. Und sowieso immer auf dem Tisch liegen sollte Jean Paul.

So sah mein privates bairisches Literaturstudium bei Friedl Brehm aus. Dann starb er, 1983, viel zu früh mit nur 65 Jahren. Wo sollte ich jetzt weiterstudieren? Zu diesem Zeitpunkt, wenn ich mich recht erinnere, gab es noch keinen Lehrstuhl für Bairische Literaturgeschichte an der LMU München, auch keinen Prof. Dietz-Rüdiger Moser und die durch ihn ins Leben gerufene Zeitschrift Literatur in Bayern. Die kam erst zwei, drei Jahre später. Wie mein privates Literaturarchiv mir Auskunft gibt, war ich bereits seit dem Heft Numero 4 mit dabei. Das wird sicherlich meine schon etwas in die Jahre gekommene Hybris wieder neu entfacht haben: Du bist ja doch ein Teil von Literatur in Bayern. Was ich dann in den vielen folgenden Jahrgängen lesen konnte, verfestigte dann allerdings wieder die schon durch Friedl Brehm angelegte Sichtweise: Do bist fei ned alloa. Wer da noch alles mitschreibt ... unfassbar! Was mir an Literatur in Bayern immer gefallen hat: Wie weit die wechselnden Macher das Feld absteckten, wer da alles mit hinauf durfte, auf die Spielwiese „Bairische Literatur“. Recht so! Wir sind nämlich polyglott und international in unserem Lokalpatriotismus. Und das soll noch mindestens 1.000 Jahre so anhalten. Das beste Medium, dies alles zu begleiten und zu dokumentieren, kann nur die Zeitschrift Literatur in Bayern sein. Sie muss weiterleben. Schon allein für alle, die in Zukunft wieder nicht mehr wissen werden, wo sie bairische Literaturgeschichte studieren können. Hier, in diesen Heften!

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Ulrike Draesner: Ein Institut für Wortkunst

Denke ich an Bayern – also das gesamte Gebilde, nicht einen spezifischen Ort, keinen besonderen Menschen –, bekomme ich es nicht zu fassen, weder im Weiß-Blau noch im Wurstzipfel noch in der Unendlichkeit der Brezenverknotung. Das gefällt mir schon einmal sehr, so als Ansatz, schließlich eignet dem „Bayrischen“ etwas grundsätzlich Entzügliches bis Widerständiges, wenn nicht Widerborstiges. Am ehesten, mit allen Einschränkungen (es ist „dem Bayrischen“ gegenüber immer angebracht, sich erst einmal eher demütig zu zeigen. Er hält sich dann kurz für Ludwig II., starrt auf die frisch erfundenen schlossinternen Aufzüge für exquisite Speisen und lässt sich dann kraulen), am ehesten also will es mir über die Sprache greifbar scheinen.

Meine Mutter stammte aus Erling-Andechs. Aus der älteren Generation lernte ich nur meine Oma noch kennen. Sie sprach die Sprache ihrer Kindheit, unberührt von Fernsehen, Radio oder etwas wie akademischer Bildung. Zehn Kinder hatte sie geboren, war früh Witwe geworden. Ein Leben als Landfrau, Gartenanbau, Tierhaltung, Kinder durchbringen. Mein Bairisch lernte ich von ihr und meinen ebenfalls in Erling aufwachsenden Cousins und Cousinen. Das waren ja nicht nur Wörter wie „broggn“ und „Fangamandl“, es waren auch grammatische Konstruktionen. „I waar jetzt do“ – „ich wäre jetzt da“ von der Form her, vom Sinn „ich bin da“ oder „ich bin so weit“, aber eben: zögerlich, konjunktivisch höflich in die Welt gestellt.

Der Beispiele gäbe es viele, der Konsequenzen jedoch, sage ich mit hochdeutschem Indikativ, gibt es nur eine. Zur Beförderung des Kulturlebens in Bayern gehört eine Schreibschule ins Land. Eine, an der man poetisches Schreiben (damit meine ich nicht unbedingt das Schreiben von Gedichten) lehrt und lernt. Vertraut gemacht wird mit poetischen Verfahrensweisen der Welteröffnung, mit hybriden literarischen Gattungen in den Schnittfeldern zwischen Forschung, Globalisierung, Medialität und KI. Ein Institut für poetisches Denken: das Mehrdeutigkeiten aufspürt, erwägt, erfahrbar macht. Ein Institut für Wortkunst, an dem man literarisches Schreiben für einen Bachelor studieren kann, angeschlossen an ein oder zwei Universitäten, an eine Hochschule für Kunst. Ein Institut, das junge und erfahrene Schreibende nach Bayern bringt. Wie von selbst ließe sich von dieser innivativen Faktenbasis aus auch der Konjunktiv (Möglichkeitsraum!) des Regionalen, Abweichenden, Mehrsprachigen, Global-Lokalen erweitern. Ganz sicher. Ich meine: I moanad scho.