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16.09.2022, 17:57 Uhr
Sandra Hoffmann
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Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (47). Und staunt über die Natur und sieht ein, dass Vegetationszonen gut und schön sind

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Alle Bilder (c) Sandra Hoffmann

Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.

Über einen längeren Zeitraum schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln. Die Kolumne pausierte und wird ab heute wieder fortgesetzt.

Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.

*

47

Ich bin seit fast einer Woche in Griechenland unterwegs. Es ist gar nicht so wichtig wo. Wichtig ist, dass das Klima ein anderes ist, mitten im Mittelmeer andere Pflanzen wachsen und überhaupt die Vegetation vollkommen verschieden ist von der bei uns in Deutschland.

Wichtig ist auch, dass ich das sehe. Das dauert nämlich immer eine Weile. Ich glaube das hat damit zu tun, dass der Mensch zuerst immer das Große wahrnimmt: einen neuen Ort, dessen Häuser, Menschen, Geschäfte, vielleicht auch seine Lautstärke, seine Geräusche, seine Atmosphäre also, bevor er sich dem Besonderen widmet: den kleinen Dingen.

Immer, wenn ich beginne, mich den kleinen Dingen zu widmen, lande ich bei den Pflanzen.

Und ich weiß, jetzt bin ich angekommen. Jetzt kenne ich mich im Großen so gut aus, dass mein Blick sich dem Kleinen zuwenden kann. Seinem Aussehen, seiner Art, seinen Namen, seinen Farben und Strukturen.

Vor dem Balkon, auf dem wir seit drei Tagen viel sitzen, wächst ein Baum, eine Konifere, das war klar, dessen genauen Namen ich nicht kannte. Sie gefiel mir vom ersten Moment an, aber ich habe erst heute nachgeschlagen, wie sie heißt. Es ist eine Araukarie; sie wächst nur in südlichen Ländern und macht Zapfen, groß und so ovalrund, wie ich sie bei uns noch nie gesehen habe. Die Vögel mögen sie, weil man gut darauf landen kann.

Was ich vom Balkon aus nicht sehen kann, mir aber ständig begegnet beim Herumlaufen, sind Kapern. Pflanzen, deren kleine runde Früchte wir kennen, von der Pizza Napoli oder dem Vitello Tonnato oder so. Aber als ich zu meinem Mann sagte: Schau Kapern und eine der wenigen Früchte, die am Busch wuchsen, erntete und hineinbiss, um ihren Geschmack zu erfahren, ohne dass sie eingelegt sind, sagte er skeptisch: Bist Du sicher?

Ich war sicher. Ich will mich ja nicht vergiften.

Aber tatsächlich schmeckt so eine ungesalzene Kaper eben gar nicht salzig, sondern ganz schön pflanzig. Das kam mir erst einmal sehr merkwürdig vor, aber als ich nachlas, stellte sich heraus, dass jetzt erstens keine Kapernerntezeit ist, weshalb auch nur wenige an den Büschen sitzen, und vor allem, dass die Kaper, wenn sie im Frühjahr geerntet wird, erst einmal gewelkt, also quasi getrocknet werden muss, um dann in Salzlake eingelegt zu werden, was dazu führt, dass die Caprinsäure und das Methylsenföl in der Pflanze aktiviert werden, wodurch sie den Geschmack bekommt, den wir kennen.

Voilà. Sowas gefällt mir dann.

Die Sträucher wachsen im Übrigen oft zwischen Felsen an Hängen, und es sieht so aus, als brauchen sie nichts.

Weil ich dachte, sehr gut, ich will solche auch im kargen niederbayerischen Garten haben, habe ich jetzt Samen in einer Art dörflichen Minibaumarkt gekauft. Und nachgelesen. Dass es eine echte Wissenschaft ist, einen Kapernsamen bei uns erst einmal zum Wachsen zu bringen. Wässern, wochenlang feucht im Kühlschrank liegenlassen, usw. - und dann dauert es nochmals Wochen bis Monate bis vielleicht was passiert und ein Kapernbusch in einem Topf voller Kakteenerde in Niederbayern vielleicht anfängt zu wachsen. Und im Winter ins Zimmer will.

Ich versuch das mal.

Aber kann sein, ich sollte es einfach lassen und nur noch ein bisschen mehr darüber staunen, was die Natur besser und leichter kann als ich und der Kühlschrank, und einsehen, dass es gut und schön ist, dass es sowas wie Vegetationszonen gibt. Weil, wenn die Klimaerwärmung erst einmal so fortgeschritten sein wird, dass die Araukarie und die Kaper im bayerischen Wald auftauchen, ohne dass ich Versuchsreihen gestartet habe, dann bedeutet das ja nicht wirklich etwas Gutes.

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Alle Folgen der Kolumne finden Sie HIER.

 

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