Bilanz zum 42. Erlanger Poetenfest
Am Abend des 28. Augusts fand das 42. Erlanger Poetenfest im vollbesetzten Erlanger Markgrafentheater mit Petra Gerster und Christian Nürnberger in Lesung und Gespräch über Identitätspolitik und geschlechtersensible Sprache seinen Abschluss, der gleichzeitig als Ausblick verstanden werden konnte, während in der Orangerie im Schlossgarten Federico Italiano und Jan Wagner die lyrische Seite des Festivals ausklingen ließen. Der Abschlussabend stand so stellvertretend für die zwei Säulen des Erlanger Poetenfests, das seit vielen Jahren Literatur und Politik gleichermaßen betrachtet. Zwei Jahre durfte dieses Konzept lediglich in kleinen, dezentralen Formaten unter Infektionsschutzbedingungen umgesetzt werden. In diesem Jahr konnte das Erlanger Poetenfest mit annähernd 100 Einzelveranstaltungen in den Erlanger Schlossgarten und die Innenstadt zurückkehren und so seine unvergleichliche Atmosphäre zwischen Entspannung und Konzentration zurückerlangen. Mit über 12.000 Besucher*innen knüpfte das Festival zur Erleichterung des veranstaltenden Kulturamts auch hinsichtlich der Publikumsresonanz nahtlos an die Zeit vor Corona an.
Über 100 Schriftsteller*innen, Publizist*innen und Künstler*innen waren nach Erlangen gekommen. Die langen Lesenachmittage im Erlanger Schlossgarten, bei denen im halbstündigen Rhythmus Neuerscheinungen des Jahres vorgestellt und diskutiert werden, bildeten wieder das Zentrum des Festivals. Mit Fatma Aydemir, Thommie Bayer, Daniela Dröscher, Theresia Enzensberger, Alexa Hennig von Lange, Behzad Karim Khani, Abbas Khider, Martin Kordić, Shelly Kupferberg, Simone Lappert, Ana Marwan, Jürgen Nendza, Katerina Poladjan, Ronja von Rönne, Slata Roschal, Julia Schoch, Stefanie vor Schulte, Gün Tank, Ernest Wichner und Judith Zander waren sie weiblicher und vielfältiger denn je. „Die neue deutsche Literaturbetrieb“ lautete daher auch der Titel eines literarisch-diskursiven Samstagabends, bei dem Mithu Sanyal, Sharon Dodua Otoo und Winni Atiedo Modesto in der Moderation von Anne-Dore Krohn eigene und fremde Texte vorstellten und die Veränderungen in der deutschsprachigen Literatur besprachen. Offenheit und Freude an den neuen Perspektiven, die Autor*innen mit internationaler Geschichte oder Zugehörige anderer Minderheiten in die Gesellschaft und Kultur einzubringen vermögen, wünschte sich anknüpfend an diese Veranstaltung dann auch Petra Gerster am Abschlussabend. Einen Wunsch, den das Publikum in Erlangen in diesem Jahr bereits vielfach erfüllte.
Auf großes Interesse stießen auch die zahlreichen weiteren Diskussionsrunden, die vielfach vom Krieg in der Ukraine und den direkten und indirekten Folgen der Pandemie geprägt waren. Beim aktuellen Podium diskutierten Christoph Antweiler, Christoph Kappes, Philipp Lepenies und Veronika Settele über das Thema Verzicht. „Freiheit und Europa“ lautete der Titel der von Nana Brink moderierten Sonntagsmatinee mit Donatella Di Cesare, Herfried Münkler, Katja Petrowskaja und Krzysztof Wojciechowski, bei der persönliche Betroffenheit und wissenschafliche Distanz unmittelbar aufeinandertrafen. Di Cesare und Münkler vertieften dann auch in einem weiteren Gespräch die Frage nach der Zukunft des Pazifismus. „Putin verwandelt alles in Scheiße“ hatte das Kulturamt, anknüpfend an ein Zitat, die Veranstaltung mit Wladimir Kaminer übertitelt, der lieber das Wort „Mist“ verwendet hätte, da dieser wenigstens als Dünger verwendet werden könne. Der seit über 30 Jahren in Deutschland lebende Schriftsteller zeigte sich überzeugt davon, dass Putins Krieg nur aus der russischen Gesellschaft heraus beendet werden könne. Thomas Dworzak, Annekathrin Kohout und Gabriele Riedle beschäftigten sich mit der medialen Vermittlung von Krieg. Lehren aus zweieinhalb Jahren Corona-Management waren Gegenstand eines Gesprächs mit Sabine Rennefanz und Jakob Maske. Nora Bossong sprach über ethische Fragen im Zusammenhang mit neuen Waffensystemen und ihrer Arbeit in der AG Technikverantwortung des Airbus-Konzerns. Tobias Haberl und Boris von Heesen untersuchten in der bis auf den letzten Stehplatz gefüllten Aula des Erlanger Schlosses, was „toxische Männlichkeit“ weltweit anrichtet ...
Bereits am 25. August war das Erlanger Poetenfest mit der Bayern 2-Nacht der Poesie eröffnet worden. Die Erlanger Übersetzer*innenwerkstatt stand im Mittelpunkt des 26. Augusts, der mit einem Autorinnenporträt mit Helga Schubert seinen Abschluss fand. Das zweite Autorenporträt am Abend des 27. Augusts war Norbert Gstrein gewidmet. Eine bewegende Präsentation des Comics Aber ich lebe, zu der eigens die Holocaust-Überlebende Emmie Arbel aus Israel angereist war, Can Dündar, der unter hohen Sicherheitsvorkehrungen gemeinsam mit Mohamed Anwar die Graphic Novel Erdoğan vorstellte und über die aktuelle Situation in der Türkei sprach, zahlreiche Ausstellungen, unter anderem im Erlanger Stadtmuseum, ein umfangreiches Filmprogramm, ein Poetry Slam, vielfältige Attraktionen für Kinder und Familien, Performances der belgischen Needcompany und der russischen Künstlergruppe Akhe und Weltmusik des New Global Ensembles waren ebenso wichtige Bestandteile des diesjährigen Poetenfest-Programms.
Besondere Betroffenheit löste der emotionale Auftritt der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller am frühen Sonntagabend aus. Sie trug einen aktuellen Text vor, in dem sie die Parallelen zwischen Ceauşescus Rumänien und Putins Russland beschreibt: „Mich quält dieses bekannte, verdammte, wahnsinnige Muster. Es kriecht mir in den Körper. Ich muss von Ekel sprechen, im Kopf und in der Magengrube. Wie viele Osteuropäer, die ich kenne, bin auch ich gegen meinen Willen zur Putinversteherin geworden. [...] Wie der Größenwahn die ordinärsten Wörter wieder in den Mund zurücksaugt, um die Erniedrigung, die er anderen verabreicht hat, nochmal zu genießen.“
Die Moderator*innen des 42. Erlanger Poetenfests waren Maike Albath, Martina Boette-Sonner, Michael Braun, Nana Brink, Herbert Heinzelmann, Hauke Hückstädt, Adil Kaya, Anne-Dore Krohn, Dirk Kruse, Andrea Kuhn, Adrian La Salvia, Stephanie Metzger, Hajo Steinert und Florian Felix Weyh.
Das 43. Erlanger Poetenfest wird vom 24. bis 27. August 2023 stattfinden.
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Am Abend des 28. Augusts fand das 42. Erlanger Poetenfest im vollbesetzten Erlanger Markgrafentheater mit Petra Gerster und Christian Nürnberger in Lesung und Gespräch über Identitätspolitik und geschlechtersensible Sprache seinen Abschluss, der gleichzeitig als Ausblick verstanden werden konnte, während in der Orangerie im Schlossgarten Federico Italiano und Jan Wagner die lyrische Seite des Festivals ausklingen ließen. Der Abschlussabend stand so stellvertretend für die zwei Säulen des Erlanger Poetenfests, das seit vielen Jahren Literatur und Politik gleichermaßen betrachtet. Zwei Jahre durfte dieses Konzept lediglich in kleinen, dezentralen Formaten unter Infektionsschutzbedingungen umgesetzt werden. In diesem Jahr konnte das Erlanger Poetenfest mit annähernd 100 Einzelveranstaltungen in den Erlanger Schlossgarten und die Innenstadt zurückkehren und so seine unvergleichliche Atmosphäre zwischen Entspannung und Konzentration zurückerlangen. Mit über 12.000 Besucher*innen knüpfte das Festival zur Erleichterung des veranstaltenden Kulturamts auch hinsichtlich der Publikumsresonanz nahtlos an die Zeit vor Corona an.
Über 100 Schriftsteller*innen, Publizist*innen und Künstler*innen waren nach Erlangen gekommen. Die langen Lesenachmittage im Erlanger Schlossgarten, bei denen im halbstündigen Rhythmus Neuerscheinungen des Jahres vorgestellt und diskutiert werden, bildeten wieder das Zentrum des Festivals. Mit Fatma Aydemir, Thommie Bayer, Daniela Dröscher, Theresia Enzensberger, Alexa Hennig von Lange, Behzad Karim Khani, Abbas Khider, Martin Kordić, Shelly Kupferberg, Simone Lappert, Ana Marwan, Jürgen Nendza, Katerina Poladjan, Ronja von Rönne, Slata Roschal, Julia Schoch, Stefanie vor Schulte, Gün Tank, Ernest Wichner und Judith Zander waren sie weiblicher und vielfältiger denn je. „Die neue deutsche Literaturbetrieb“ lautete daher auch der Titel eines literarisch-diskursiven Samstagabends, bei dem Mithu Sanyal, Sharon Dodua Otoo und Winni Atiedo Modesto in der Moderation von Anne-Dore Krohn eigene und fremde Texte vorstellten und die Veränderungen in der deutschsprachigen Literatur besprachen. Offenheit und Freude an den neuen Perspektiven, die Autor*innen mit internationaler Geschichte oder Zugehörige anderer Minderheiten in die Gesellschaft und Kultur einzubringen vermögen, wünschte sich anknüpfend an diese Veranstaltung dann auch Petra Gerster am Abschlussabend. Einen Wunsch, den das Publikum in Erlangen in diesem Jahr bereits vielfach erfüllte.
Auf großes Interesse stießen auch die zahlreichen weiteren Diskussionsrunden, die vielfach vom Krieg in der Ukraine und den direkten und indirekten Folgen der Pandemie geprägt waren. Beim aktuellen Podium diskutierten Christoph Antweiler, Christoph Kappes, Philipp Lepenies und Veronika Settele über das Thema Verzicht. „Freiheit und Europa“ lautete der Titel der von Nana Brink moderierten Sonntagsmatinee mit Donatella Di Cesare, Herfried Münkler, Katja Petrowskaja und Krzysztof Wojciechowski, bei der persönliche Betroffenheit und wissenschafliche Distanz unmittelbar aufeinandertrafen. Di Cesare und Münkler vertieften dann auch in einem weiteren Gespräch die Frage nach der Zukunft des Pazifismus. „Putin verwandelt alles in Scheiße“ hatte das Kulturamt, anknüpfend an ein Zitat, die Veranstaltung mit Wladimir Kaminer übertitelt, der lieber das Wort „Mist“ verwendet hätte, da dieser wenigstens als Dünger verwendet werden könne. Der seit über 30 Jahren in Deutschland lebende Schriftsteller zeigte sich überzeugt davon, dass Putins Krieg nur aus der russischen Gesellschaft heraus beendet werden könne. Thomas Dworzak, Annekathrin Kohout und Gabriele Riedle beschäftigten sich mit der medialen Vermittlung von Krieg. Lehren aus zweieinhalb Jahren Corona-Management waren Gegenstand eines Gesprächs mit Sabine Rennefanz und Jakob Maske. Nora Bossong sprach über ethische Fragen im Zusammenhang mit neuen Waffensystemen und ihrer Arbeit in der AG Technikverantwortung des Airbus-Konzerns. Tobias Haberl und Boris von Heesen untersuchten in der bis auf den letzten Stehplatz gefüllten Aula des Erlanger Schlosses, was „toxische Männlichkeit“ weltweit anrichtet ...
Bereits am 25. August war das Erlanger Poetenfest mit der Bayern 2-Nacht der Poesie eröffnet worden. Die Erlanger Übersetzer*innenwerkstatt stand im Mittelpunkt des 26. Augusts, der mit einem Autorinnenporträt mit Helga Schubert seinen Abschluss fand. Das zweite Autorenporträt am Abend des 27. Augusts war Norbert Gstrein gewidmet. Eine bewegende Präsentation des Comics Aber ich lebe, zu der eigens die Holocaust-Überlebende Emmie Arbel aus Israel angereist war, Can Dündar, der unter hohen Sicherheitsvorkehrungen gemeinsam mit Mohamed Anwar die Graphic Novel Erdoğan vorstellte und über die aktuelle Situation in der Türkei sprach, zahlreiche Ausstellungen, unter anderem im Erlanger Stadtmuseum, ein umfangreiches Filmprogramm, ein Poetry Slam, vielfältige Attraktionen für Kinder und Familien, Performances der belgischen Needcompany und der russischen Künstlergruppe Akhe und Weltmusik des New Global Ensembles waren ebenso wichtige Bestandteile des diesjährigen Poetenfest-Programms.
Besondere Betroffenheit löste der emotionale Auftritt der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller am frühen Sonntagabend aus. Sie trug einen aktuellen Text vor, in dem sie die Parallelen zwischen Ceauşescus Rumänien und Putins Russland beschreibt: „Mich quält dieses bekannte, verdammte, wahnsinnige Muster. Es kriecht mir in den Körper. Ich muss von Ekel sprechen, im Kopf und in der Magengrube. Wie viele Osteuropäer, die ich kenne, bin auch ich gegen meinen Willen zur Putinversteherin geworden. [...] Wie der Größenwahn die ordinärsten Wörter wieder in den Mund zurücksaugt, um die Erniedrigung, die er anderen verabreicht hat, nochmal zu genießen.“
Die Moderator*innen des 42. Erlanger Poetenfests waren Maike Albath, Martina Boette-Sonner, Michael Braun, Nana Brink, Herbert Heinzelmann, Hauke Hückstädt, Adil Kaya, Anne-Dore Krohn, Dirk Kruse, Andrea Kuhn, Adrian La Salvia, Stephanie Metzger, Hajo Steinert und Florian Felix Weyh.
Das 43. Erlanger Poetenfest wird vom 24. bis 27. August 2023 stattfinden.