Brief des Malers Fehr an Franziska zu Reventlow
Anlässlich der Ausstellung „Frei leben! Die Frauen in der Boheme 1890-1920“ in der Monacensia im Hildebrandhaus erscheint dieser Tage ein Band mit ausgewählten Beiträgen aus den bisherigen Jahrbüchern der Freunde der Monacensia e.V., die sich mit Lebensentwürfen von Künstlerinnen und ihrem Schaffen in der Münchner Boheme beschäftigen. Als deren exemplarische Vertreterin und konstante Größe gilt gemeinhin die Autorin Franziska zu Reventlow. Ihre Stilisierung findet man in vielen Texten zur Boheme. Der Maler Friedrich Fehr schildert in einem Brief an sie am 20. Juni 1901 eine Reihe von Merkmalen, die „die Ökonomie, Libertinage und Vagabondage in der Boheme trefflich [miteinander] verbinden.“ Er kann insofern als eine Art Epiphanie auf die Boheme gewertet werden. Fehr selbst unterrichtete in München in der mit Ludwig Schmitt-Reute mitgegründeten Malschule. Dort hat er wohl Franziska zu Reventlow im Malen unterrichtet und irgendwann auch selbst gemalt. Wir drucken diesen Brief ab, der erstmals im neuen Ausstellungsband veröffentlicht wird.
*
Liebe Fanny!
Was wirst du von mir denken? Auf 2 Briefe keine Antwort! Der Entschuldigungen habe ich viele, keine vielleicht stichhaltig in deinen Augen. Das verlangte Geld bekam ich in die Hände, als dein 2ter Brief ankam. Du hattest den ersten geschrieben zu der Zeit, als ich selbst arg in der Klemme war u. Schmid eben um 60 M. angepumpt hatte (die ich ihm inzwischen wieder gegeben habe, weil er mich 2 mal gemahnt hat). Ich konnte das Geld erst für dich flüssig machen, als ich mein Gehalt bekam. Ich bin schlechter, viel schlechter situiert, wie früher. Meine Einnahme ist ungefähr die Hälfte, wie in München, dazu male ich unverkäufliche Bilder, die mich viel kosten, infolgedessen ich noch vom Vermögen zusetzen muß. Das nützt aber alles nichts, das muß ich thun, damit ich als Künstler wieder zu mir selbst komme; ich bin mir, meiner Zukunft das schuldig. Du kennst mich zu gut, um zu wissen, daß das oben Geschriebene keine Ausflüchte sind. – Wende dich auch nur, wenn du Geld nöthig haben solltest, an mich; kann ich es schicken, von Herzen gern, wenn nicht, – dann nicht; auch jetzt kannst du haben, wenn du welches brauchst. – Dann befand ich mich in Geburtswehen mit 2 größeren Bildern, die ich aber nicht für die Ausstellung fertig brachte (ein Temperadings habe ich im Glaspalast, unverkäuflich, wenig repräsentativ, – den Collegen gefällt’s.) Dann kam die Schulausstellung, die unter heftigem Schweißverlust meinerseits zu Stande kam, so so lala, ich hatte zu schlechtes Schulmaterial; nun – wenigstens habe ich mich nicht blamiert, wenn sie auch nicht brillant war.
Dann gab es in den letzten Wochen Differenzen zwischen meinen 3 Schwestern u. meiner Frau zu schlichten, mündlich u. schriftlich, fürchterlich unerquicklich. Ich war so verhetzt u. drangsaliert, jetzt kann ich hier verschnaufen. Der einzige große Druck, der noch auf mir lastet, ist mein Schweigen dir gegenüber. Wie oft, oft denke ich an dich, mein liebes Fanneken, an unsere Hochschule der illegitimen Liebe! Beleidigt dich dieser Ausdruck? Ich glaube, so toll hat uns Beide früher wie später die heiße Liebe nicht mehr herumgeschüttelt. Unsere Liebesnächte im heißen Sommer, nackt! Weißt du noch? Ich darf gar nicht daran denken! – Aber jetzt zu dir! Du armes Ding! Was hast du Alles durchgemacht! Einmal habe ich dich noch in der vorigen Wohnung aufsuchen wollen, aber sie war leer und ich traf Niemanden, der mir hätte Auskunft geben können. Dann erfuhr ich allerhand von dir, von deiner Krankheit, deiner Reise, hier hat ein gewisser Reichel (windiger Wiener) in Karlsruhe ein gewisser Lentz (auch Wiener u. phänomenaler Schwätzer) mir von dir erzählt, auch durch Giulia hört ich von dir; der ist es auch schlecht gegangen. Von ganzer Seele wünschte ich dir Ruhe. Ob sie wohl noch einmal kommen wird für Dich? Die meine wird wohl erst kommen, wenn ich einigermaßen die Stufe erreicht haben werde in meiner Kunst, die ich erreichen zu wollen mir fest vorgenommen habe, ich ringe u. kämpfe schwer, die 12 Jahre, die ich mit der Schule in München verschandelt habe, wiegen viel zu sehr; doch gebe ich die Wünsch Hoffnung noch nicht auf; ich fühle mich trotz meiner 39 Jahre noch jung genug zum Kampf. Seit Sonntag bin ich in Dorfen u. bleibe 4 Monate hier; schreibe mir bald wieder; ich komme oft nach München, sodaß wir uns sehen können. – Wie gehts Dir jetzt und Deinem Jungen? So was habe ich noch nicht, kann auch nicht sagen, daß ich Sehnsucht danach habe, hätte aber auch nichts dagegen, wenn es käme.
Adieu, 1000 Küsse u. Grüße.
Dein alter
Mukl
Transkription: Harald Beck und Walter Hettche
Für den freundlichen Hinweis auf den Brief danken wir Harald Beck.
Aus: Frauen der Boheme 1890-1920. Ausgewählte Beiträge zur Ausstellung Frei leben! von Bassermann-Jordan, Gabriele von; Fromm, Waldemar; Göbel, Wolfram; Kargl, Kristina (Hgg.). Paperback, mit farbigen Abbildungen. Allitera Verlag, München, 284 S., 24,90 €
Brief des Malers Fehr an Franziska zu Reventlow>
Anlässlich der Ausstellung „Frei leben! Die Frauen in der Boheme 1890-1920“ in der Monacensia im Hildebrandhaus erscheint dieser Tage ein Band mit ausgewählten Beiträgen aus den bisherigen Jahrbüchern der Freunde der Monacensia e.V., die sich mit Lebensentwürfen von Künstlerinnen und ihrem Schaffen in der Münchner Boheme beschäftigen. Als deren exemplarische Vertreterin und konstante Größe gilt gemeinhin die Autorin Franziska zu Reventlow. Ihre Stilisierung findet man in vielen Texten zur Boheme. Der Maler Friedrich Fehr schildert in einem Brief an sie am 20. Juni 1901 eine Reihe von Merkmalen, die „die Ökonomie, Libertinage und Vagabondage in der Boheme trefflich [miteinander] verbinden.“ Er kann insofern als eine Art Epiphanie auf die Boheme gewertet werden. Fehr selbst unterrichtete in München in der mit Ludwig Schmitt-Reute mitgegründeten Malschule. Dort hat er wohl Franziska zu Reventlow im Malen unterrichtet und irgendwann auch selbst gemalt. Wir drucken diesen Brief ab, der erstmals im neuen Ausstellungsband veröffentlicht wird.
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Liebe Fanny!
Was wirst du von mir denken? Auf 2 Briefe keine Antwort! Der Entschuldigungen habe ich viele, keine vielleicht stichhaltig in deinen Augen. Das verlangte Geld bekam ich in die Hände, als dein 2ter Brief ankam. Du hattest den ersten geschrieben zu der Zeit, als ich selbst arg in der Klemme war u. Schmid eben um 60 M. angepumpt hatte (die ich ihm inzwischen wieder gegeben habe, weil er mich 2 mal gemahnt hat). Ich konnte das Geld erst für dich flüssig machen, als ich mein Gehalt bekam. Ich bin schlechter, viel schlechter situiert, wie früher. Meine Einnahme ist ungefähr die Hälfte, wie in München, dazu male ich unverkäufliche Bilder, die mich viel kosten, infolgedessen ich noch vom Vermögen zusetzen muß. Das nützt aber alles nichts, das muß ich thun, damit ich als Künstler wieder zu mir selbst komme; ich bin mir, meiner Zukunft das schuldig. Du kennst mich zu gut, um zu wissen, daß das oben Geschriebene keine Ausflüchte sind. – Wende dich auch nur, wenn du Geld nöthig haben solltest, an mich; kann ich es schicken, von Herzen gern, wenn nicht, – dann nicht; auch jetzt kannst du haben, wenn du welches brauchst. – Dann befand ich mich in Geburtswehen mit 2 größeren Bildern, die ich aber nicht für die Ausstellung fertig brachte (ein Temperadings habe ich im Glaspalast, unverkäuflich, wenig repräsentativ, – den Collegen gefällt’s.) Dann kam die Schulausstellung, die unter heftigem Schweißverlust meinerseits zu Stande kam, so so lala, ich hatte zu schlechtes Schulmaterial; nun – wenigstens habe ich mich nicht blamiert, wenn sie auch nicht brillant war.
Dann gab es in den letzten Wochen Differenzen zwischen meinen 3 Schwestern u. meiner Frau zu schlichten, mündlich u. schriftlich, fürchterlich unerquicklich. Ich war so verhetzt u. drangsaliert, jetzt kann ich hier verschnaufen. Der einzige große Druck, der noch auf mir lastet, ist mein Schweigen dir gegenüber. Wie oft, oft denke ich an dich, mein liebes Fanneken, an unsere Hochschule der illegitimen Liebe! Beleidigt dich dieser Ausdruck? Ich glaube, so toll hat uns Beide früher wie später die heiße Liebe nicht mehr herumgeschüttelt. Unsere Liebesnächte im heißen Sommer, nackt! Weißt du noch? Ich darf gar nicht daran denken! – Aber jetzt zu dir! Du armes Ding! Was hast du Alles durchgemacht! Einmal habe ich dich noch in der vorigen Wohnung aufsuchen wollen, aber sie war leer und ich traf Niemanden, der mir hätte Auskunft geben können. Dann erfuhr ich allerhand von dir, von deiner Krankheit, deiner Reise, hier hat ein gewisser Reichel (windiger Wiener) in Karlsruhe ein gewisser Lentz (auch Wiener u. phänomenaler Schwätzer) mir von dir erzählt, auch durch Giulia hört ich von dir; der ist es auch schlecht gegangen. Von ganzer Seele wünschte ich dir Ruhe. Ob sie wohl noch einmal kommen wird für Dich? Die meine wird wohl erst kommen, wenn ich einigermaßen die Stufe erreicht haben werde in meiner Kunst, die ich erreichen zu wollen mir fest vorgenommen habe, ich ringe u. kämpfe schwer, die 12 Jahre, die ich mit der Schule in München verschandelt habe, wiegen viel zu sehr; doch gebe ich die Wünsch Hoffnung noch nicht auf; ich fühle mich trotz meiner 39 Jahre noch jung genug zum Kampf. Seit Sonntag bin ich in Dorfen u. bleibe 4 Monate hier; schreibe mir bald wieder; ich komme oft nach München, sodaß wir uns sehen können. – Wie gehts Dir jetzt und Deinem Jungen? So was habe ich noch nicht, kann auch nicht sagen, daß ich Sehnsucht danach habe, hätte aber auch nichts dagegen, wenn es käme.
Adieu, 1000 Küsse u. Grüße.
Dein alter
Mukl
Transkription: Harald Beck und Walter Hettche
Für den freundlichen Hinweis auf den Brief danken wir Harald Beck.
Aus: Frauen der Boheme 1890-1920. Ausgewählte Beiträge zur Ausstellung Frei leben! von Bassermann-Jordan, Gabriele von; Fromm, Waldemar; Göbel, Wolfram; Kargl, Kristina (Hgg.). Paperback, mit farbigen Abbildungen. Allitera Verlag, München, 284 S., 24,90 €