Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (41). Wo es raschelt und irgendwie auch schnaubt
Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.
Über einen längeren Zeitraum schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln. Die Kolumne pausierte und wird ab heute wieder fortgesetzt.
Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.
*
41
Wenn ich auf dem Land bin, gehe ich manchmal früh ins Bett. Ich liebe es, mich im Sommer, in der Dämmerung unters Moskitonetz zu legen, alle Fenster offen und zu lesen. Gestern habe ich es auch gemacht. Es war neun Uhr, gerade am Dunkelwerden, als ich mich hinlegte und das Buch aufschlug, da hörte ich durch die geöffnete Balkontüre, die nach hinten zum Wald hinausführt, lautes Rascheln und Geräusche, die ich nicht kannte. Ich stand auf und schlich hinaus auf dem Balkon, was mir anscheinend so unbemerkt gelang, dass die Geräusche blieben. Das Reh dachte ich zuerst oder die Ricke, die gerade zwei Kitze hat, denn es hörte sich nicht an, wie ein einziges Tier alleine. Ein wenig brauchte ich, um mich im schon schweren Dämmerlicht zu orientieren, aber dann sah ich, keine zwanzig Meter vom Haus entfernt, ein Tier auf einem Baumstumpf, das sich bewegte. Sofort dachte ich, der Dachs, auf den ich sehr warte, ist zurück. Das Tier saß für einige Sekunden ganz ruhig, seine Farbe dem des Baumstamms in der Dämmerung so ähnlich, dass ich nur ahnen konnte, wie es aussah – eher nicht wie ein Dachs. Dann wurde aus diesem Tier plötzlich eine sehr unruhige Bewegung und ich sah: es sind zwei Tiere. Vielleicht, dachte ich, ist der Dachs zurück und hat Kinder. Anscheinend sehne ich mich doch sehr nach ihm. Ich war von dieser Vorstellung begeistert, und so angetan, dass ich erst einmal ignorierte, dass die Kinder-Dachse eher gar nicht wie solche ausschauten. Eine ganze Familie wollte ich sehen, zumal plötzlich aus dem Gebüsch noch ein drittes Tier herbeigesaust kam, und sich einmischte in die Sache, die auf dem Baumstumpf passierte. Die dann aber vor allem ein Spiel von zwei Tieren wurde, die mehr braun als dachsfarben waren und auch keine Streifen hatten, sondern einen hellen Brustfleck. Sie spielten anscheinend auch nicht, sondern sie balgten sich, während das andere Tier den Wald hinaufrannte; und dann die beiden anderen hinterher. Geschätzt waren sie einen halben Meter lang, und was sich vorhin bereits andeutete, sie hatten wirklich sehr helle Flecken unterhalb des Kopfes. Und vor allem buschige Schwänze. Dachse haben keine buschigen Schwänze. Sicher nicht. Aber da war es schon egal.
Einmal mehr hatte mich der Wald und sein who is who: Und auch wenn ich die Tiere schon lange nicht mehr sah, sondern nur noch hörte, weit oben am Hang jetzt, wo es raschelte und irgendwie auch schnaubte oder vielleicht fauchte, konnte ich nicht ins Bett gehen. Ich hörte zu, wartete, ob sie umdrehten, was sie nicht machten, wurde von Stechmücken attackiert, was schließlich doch dazu führte, dass ich den Rückzug antrat. In der Nacht wachte ich auf, die Balkontür natürlich noch geöffnet, und es überkam mich plötzlich die Sorge, die Tiere könnten sich beim Was-auch-immer-Tun, die Hauswände hinauf verirren und zu uns ins Zimmer. Ich stand auf, horchte in den stockdunklen Wald hinein und schloss die Tür.
Heute Morgen beim Googeln stelle ich fest, die Marder haben gerade Paarungszeit. Und ich habe anscheinend einem Revierkampf erlebt.
Auf dem Balkon steht inzwischen eine Schale mit so einer italienischen Mückenvertreibungsspirale. Heute Abend, bei Dämmerung, zünde ich sie an, dann setze ich mich noch einmal dort hinaus und warte auf den Dachs.
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Alle Folgen der Kolumne finden Sie HIER.
Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (41). Wo es raschelt und irgendwie auch schnaubt>
Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.
Über einen längeren Zeitraum schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln. Die Kolumne pausierte und wird ab heute wieder fortgesetzt.
Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.
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Wenn ich auf dem Land bin, gehe ich manchmal früh ins Bett. Ich liebe es, mich im Sommer, in der Dämmerung unters Moskitonetz zu legen, alle Fenster offen und zu lesen. Gestern habe ich es auch gemacht. Es war neun Uhr, gerade am Dunkelwerden, als ich mich hinlegte und das Buch aufschlug, da hörte ich durch die geöffnete Balkontüre, die nach hinten zum Wald hinausführt, lautes Rascheln und Geräusche, die ich nicht kannte. Ich stand auf und schlich hinaus auf dem Balkon, was mir anscheinend so unbemerkt gelang, dass die Geräusche blieben. Das Reh dachte ich zuerst oder die Ricke, die gerade zwei Kitze hat, denn es hörte sich nicht an, wie ein einziges Tier alleine. Ein wenig brauchte ich, um mich im schon schweren Dämmerlicht zu orientieren, aber dann sah ich, keine zwanzig Meter vom Haus entfernt, ein Tier auf einem Baumstumpf, das sich bewegte. Sofort dachte ich, der Dachs, auf den ich sehr warte, ist zurück. Das Tier saß für einige Sekunden ganz ruhig, seine Farbe dem des Baumstamms in der Dämmerung so ähnlich, dass ich nur ahnen konnte, wie es aussah – eher nicht wie ein Dachs. Dann wurde aus diesem Tier plötzlich eine sehr unruhige Bewegung und ich sah: es sind zwei Tiere. Vielleicht, dachte ich, ist der Dachs zurück und hat Kinder. Anscheinend sehne ich mich doch sehr nach ihm. Ich war von dieser Vorstellung begeistert, und so angetan, dass ich erst einmal ignorierte, dass die Kinder-Dachse eher gar nicht wie solche ausschauten. Eine ganze Familie wollte ich sehen, zumal plötzlich aus dem Gebüsch noch ein drittes Tier herbeigesaust kam, und sich einmischte in die Sache, die auf dem Baumstumpf passierte. Die dann aber vor allem ein Spiel von zwei Tieren wurde, die mehr braun als dachsfarben waren und auch keine Streifen hatten, sondern einen hellen Brustfleck. Sie spielten anscheinend auch nicht, sondern sie balgten sich, während das andere Tier den Wald hinaufrannte; und dann die beiden anderen hinterher. Geschätzt waren sie einen halben Meter lang, und was sich vorhin bereits andeutete, sie hatten wirklich sehr helle Flecken unterhalb des Kopfes. Und vor allem buschige Schwänze. Dachse haben keine buschigen Schwänze. Sicher nicht. Aber da war es schon egal.
Einmal mehr hatte mich der Wald und sein who is who: Und auch wenn ich die Tiere schon lange nicht mehr sah, sondern nur noch hörte, weit oben am Hang jetzt, wo es raschelte und irgendwie auch schnaubte oder vielleicht fauchte, konnte ich nicht ins Bett gehen. Ich hörte zu, wartete, ob sie umdrehten, was sie nicht machten, wurde von Stechmücken attackiert, was schließlich doch dazu führte, dass ich den Rückzug antrat. In der Nacht wachte ich auf, die Balkontür natürlich noch geöffnet, und es überkam mich plötzlich die Sorge, die Tiere könnten sich beim Was-auch-immer-Tun, die Hauswände hinauf verirren und zu uns ins Zimmer. Ich stand auf, horchte in den stockdunklen Wald hinein und schloss die Tür.
Heute Morgen beim Googeln stelle ich fest, die Marder haben gerade Paarungszeit. Und ich habe anscheinend einem Revierkampf erlebt.
Auf dem Balkon steht inzwischen eine Schale mit so einer italienischen Mückenvertreibungsspirale. Heute Abend, bei Dämmerung, zünde ich sie an, dann setze ich mich noch einmal dort hinaus und warte auf den Dachs.
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