Logen-Blog [127]: Dem Rittmeister ins Gewissen geredet
So sollte auch Gustav nicht enden: als Bettler. Ein Bild von Giacomo Antonio Melchiorre Ceruti, der vor allem in der schönen, angenehmen Stadt Brescia lebte (ein Gruß an die vielen schönen und angenehmen Brescianerinnen und Brescianer!) und drei Jahre nach Jean Pauls Geburt starb. Er verstand sich besonders – da er eben ein typischer Mann aus dem alten Brixia war – auf liebenswürdige Bettler-Porträts. Auch die schöne Spinnerin stammt von seiner Hand.
Wie drückt man aus, dass einer zwanghaft Gäste einladen und das Geld verschleudern muss? „Solang er noch ein Zimmer oder einen Pferdestand ohne tierischen Kubik-Inhalt weiß: so hängt er seine Angelrute nach Gästen ein.“ Ein Pferdestand ohne tierischen Kubik-Inhalt: Man könnte es auch anders, einfacher ausdrücken, man könnte schreiben: „solange noch niemand zu ihm geritten war“ oder „solange die Pferdestände noch leer waren, in denen die Pferde zu stehen kommen sollten, die die Reiter zu ihm brachten“, aber so ist es natürlich wesentlich witziger – und man stolpert wieder ein bisschen, um zu merken, wo der Witz liegt: nicht im Naheliegenden, sondern im Intelligenten.
Er: das ist der Rittmeister, dem der Erzähler das Prassen vorwirft. „Er ist wie die jetzigen Weiber nirgends gesund als im gesellschaftlichen Orkan und Visiten-Dickicht“ – und so ruft ihm „Jean Paul“ pathetisch zu: „Falkenberg! Hör auf den Biographen! Ziehe deinen Beutel, dein Schlosstor und dein Herz zuweilen zu! Glaube mir, das Schicksal wird deine großmütige Seele nicht schonen, das rennende Glück wird dein weiches Herz mit seinem Rade überfahren und zerschneiden, um sein Lottorad hinter seiner Binde vor einem Röper auszuladen! O Freund!“... Der Ton der kleinen Predigt verdankt sich dem Vertrauensverhältnis zwischen dem Erzieher des Sohnes und dem Vater, das recht eigentlich nicht besteht, da wir wissen, dass ein Dr. Fenk, aber nicht ein Herr von Falkenberg mit dem dienstabhängigen Angestellten befreundet ist. Ob er es sein könnte, steht auf einem anderen Blatt. So sehr „Jean Paul“ aber die unvernünftige Prasserei des Adligen kritisiert, so sehr verfällt er – spricht hier „Jean Paul“? Oder nicht eher Jean Paul? – plötzlich in den zarten Ton des ausgeführten „Und doch!“: „Ich tadle dich nur vorher; aber nachher, wenn du dich einmal unglücklich gemacht durch Glücklich-Machen: so findest du Achtung in jedem guten Auge, liebe an jeder guten Brust!“ (Ich mag dieses „Und doch“ – und doch versehe ich es, wenn ich's schreibe, niemals mit einem harten Ausrufezeichen, sondern immer mit drei milden Pünktchen)
Ob sich der Erzähler da aber nicht wunschträumend täuscht? Ob er sich nicht über die Ungerechtigkeiten und Härten des Lebens irrt, weil der Wunsch Vater des Gedankens ist? Weil es hier weniger um den Vater als um den Sohn geht, der nicht im Elend aufwachsen sollte?
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So sollte auch Gustav nicht enden: als Bettler. Ein Bild von Giacomo Antonio Melchiorre Ceruti, der vor allem in der schönen, angenehmen Stadt Brescia lebte (ein Gruß an die vielen schönen und angenehmen Brescianerinnen und Brescianer!) und drei Jahre nach Jean Pauls Geburt starb. Er verstand sich besonders – da er eben ein typischer Mann aus dem alten Brixia war – auf liebenswürdige Bettler-Porträts. Auch die schöne Spinnerin stammt von seiner Hand.
Wie drückt man aus, dass einer zwanghaft Gäste einladen und das Geld verschleudern muss? „Solang er noch ein Zimmer oder einen Pferdestand ohne tierischen Kubik-Inhalt weiß: so hängt er seine Angelrute nach Gästen ein.“ Ein Pferdestand ohne tierischen Kubik-Inhalt: Man könnte es auch anders, einfacher ausdrücken, man könnte schreiben: „solange noch niemand zu ihm geritten war“ oder „solange die Pferdestände noch leer waren, in denen die Pferde zu stehen kommen sollten, die die Reiter zu ihm brachten“, aber so ist es natürlich wesentlich witziger – und man stolpert wieder ein bisschen, um zu merken, wo der Witz liegt: nicht im Naheliegenden, sondern im Intelligenten.
Er: das ist der Rittmeister, dem der Erzähler das Prassen vorwirft. „Er ist wie die jetzigen Weiber nirgends gesund als im gesellschaftlichen Orkan und Visiten-Dickicht“ – und so ruft ihm „Jean Paul“ pathetisch zu: „Falkenberg! Hör auf den Biographen! Ziehe deinen Beutel, dein Schlosstor und dein Herz zuweilen zu! Glaube mir, das Schicksal wird deine großmütige Seele nicht schonen, das rennende Glück wird dein weiches Herz mit seinem Rade überfahren und zerschneiden, um sein Lottorad hinter seiner Binde vor einem Röper auszuladen! O Freund!“... Der Ton der kleinen Predigt verdankt sich dem Vertrauensverhältnis zwischen dem Erzieher des Sohnes und dem Vater, das recht eigentlich nicht besteht, da wir wissen, dass ein Dr. Fenk, aber nicht ein Herr von Falkenberg mit dem dienstabhängigen Angestellten befreundet ist. Ob er es sein könnte, steht auf einem anderen Blatt. So sehr „Jean Paul“ aber die unvernünftige Prasserei des Adligen kritisiert, so sehr verfällt er – spricht hier „Jean Paul“? Oder nicht eher Jean Paul? – plötzlich in den zarten Ton des ausgeführten „Und doch!“: „Ich tadle dich nur vorher; aber nachher, wenn du dich einmal unglücklich gemacht durch Glücklich-Machen: so findest du Achtung in jedem guten Auge, liebe an jeder guten Brust!“ (Ich mag dieses „Und doch“ – und doch versehe ich es, wenn ich's schreibe, niemals mit einem harten Ausrufezeichen, sondern immer mit drei milden Pünktchen)
Ob sich der Erzähler da aber nicht wunschträumend täuscht? Ob er sich nicht über die Ungerechtigkeiten und Härten des Lebens irrt, weil der Wunsch Vater des Gedankens ist? Weil es hier weniger um den Vater als um den Sohn geht, der nicht im Elend aufwachsen sollte?