Gerd Scherm dokumentiert sein Werk
Die 147. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunkt Weitergeben. Darin rezensiert Klaus Hübner die kürzlich bei p.machinery erschienene Autobiografie des 1950 in Fürth geborenen Schriftstellers und Künstlers Gerd Scherm. Die Initialzündung für dieses Buch gab die Aktion „Kultur trotz Corona“, für die sich Gerd Scherm 2020 mit einem literarischen Spaziergang beim Literaturportal Bayern bewarb.
*
Der im Oktober 1950 im Kannengießerhof in der Fürther Altstadt geborene, seit vielen Jahren im westlichen Mittelfranken lebende Gerd Scherm hat unter dem Titel Einmal Leben und zurück ein quadratisches, sehr schön aufgemachtes, mit zahlreichen Fotos und Abbildungen versehenes Buch herausgebracht. Sein Untertitel Die Autobiografie des Gerd Scherm führt ein wenig in die Irre, denn eine Autobiografie, durch die man der Person ihres Verfassers näherkommen könnte, ist das nicht. Literatur ist es auch nicht. Eher eine überwältigende Dokumentation von Scherms öffentlichem und künstlerischem Wirken, eine opulente Werkmonografie oder ein akribischer Rechenschaftsbericht. Ein bisschen auch eine Werbeschrift. Interessant allemal.
Das gilt vor allem für den ersten Teil, wo zum Beispiel über eine Lesung von Peter Handke mit anschließendem gemeinsamen Kickern berichtet wird, was im jungen Scherm den Entschluss reifen ließ, auch einmal ein „richtiger“ Autor zu werden. So bekannt wie Handke wurde er nie. Aber egal – entscheidend für den weiteren Lebensweg war die Begegnung des 21-Jährigen mit Eugen Gomringer, dem damaligen Kulturbeauftragten der Rosenthal AG in Seib. Ab April 1972 arbeitete Scherm als „Allround-Kreativer“ mit dem Gründervater der Konkreten Poesie zusammen – ein sensationeller Aufstieg, zweifellos! Da konnte man nebenbei die Anthologie Militante Literatur herausgeben und ein Drei-Tage-Event zum Thema „Junge deutsche Literatur in Seib“ organisieren – auf dem entsprechenden Foto sieht man unter anderem Benno Käsmayr, Fitzgerald Kusz und Ludwig Fels. Das außergewöhnlich intensive kulturelle Engagement dieser Firma, deren Chef Philip Rosenthal liebevoll porträtiert wird – samt Porzellan-Bild von Andy Warhol aus dem Jahr 1980 –, brachte auch Gabriele Wohmann, Wolf Wondratschek und andere Literaten ins „Zonenrandgebiet“ an der tschechischen Grenze. „Die zeitgenössische Kunst beeinflusste Philip Rosenthal immens und er suchte nach Wegen, deren Gestaltungsvorstellungen in seine Kollektionen einfließen zu lassen.“ Die innovative Porzellan-AG arbeitete mit Künstlern wie Henry Moore, Lucio Fontana, Günther Uecker, HAP Grieshaber, Raymond Loewy oder Joannis Avramidis zusammen, und die damit verbundenen Geschäftsreisen um die halbe Welt scheint der junge Kreative sehr genossen zu haben. Viele Kunst- und Ausstellungsprojekte aus den 1970er- und 1980er-Jahren werden ausführlich dokumentiert – oft war Gerd Scherm Künstler und Organisator in einer Person. 1983 aber wurde der Stress zu viel – Zusammenbruch, Absturz, Alkohol und Drogen. „Im Jet-Tempo durchs Leben gerast / an irgendeiner Zwischenstation / war meine Seele ausgestiegen ...“, heißt es im Gedicht Warten. Es scheint ein langer und mühsamer Weg gewesen zu sein, bis Scherm wieder zurückfand zur bildenden Kunst, zur Literatur, zur Werbegrafik und ins Ausstellungs-, Theater- und Musikleben. „Eines Morgens wachst du auf / und merkst, dass du lebst. / Das ist ein so irrsinniges Gefühl, / dass du es zuerst gar nicht glauben kannst“, so ein mit Hoffnungsflimmern überschriebener Text. Ab 1990 beschäftigte er sich unter anderem intensiv mit der Freimaurerei – verquer und verblüffend, was er darüber zu Papier bringt. Später zog er nach Colmberg-Binzwangen auf der Frankenhöhe und entwickelte seine künstlerischen und organisatorischen Talente von dort aus weiter, etwa bei Kunstprojekten in Rothenburg, Wolframs-Eschenbach, Abenberg, Ansbach oder Schillingsforst. Und schrieb und schrieb, „Buch um Buch um Buch“, wie er selbst sagt. Das tut er bis heute: historische Romane, Erzählungen, Essays, Katalogtexte, auch Gedichte wie Worte. „Keines fliegt dir zu / holen musst du sie dir / Buchstabe für Buchstabe ...“ Neugierig geworden?
Einmal Leben und zurück. Die Autobiografie des Gerd Scherm. Außer der Reihe 63. p.machinery, Winnert 2021, 208 S., Hardcover, € 39,90.
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Die 147. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunkt Weitergeben. Darin rezensiert Klaus Hübner die kürzlich bei p.machinery erschienene Autobiografie des 1950 in Fürth geborenen Schriftstellers und Künstlers Gerd Scherm. Die Initialzündung für dieses Buch gab die Aktion „Kultur trotz Corona“, für die sich Gerd Scherm 2020 mit einem literarischen Spaziergang beim Literaturportal Bayern bewarb.
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Der im Oktober 1950 im Kannengießerhof in der Fürther Altstadt geborene, seit vielen Jahren im westlichen Mittelfranken lebende Gerd Scherm hat unter dem Titel Einmal Leben und zurück ein quadratisches, sehr schön aufgemachtes, mit zahlreichen Fotos und Abbildungen versehenes Buch herausgebracht. Sein Untertitel Die Autobiografie des Gerd Scherm führt ein wenig in die Irre, denn eine Autobiografie, durch die man der Person ihres Verfassers näherkommen könnte, ist das nicht. Literatur ist es auch nicht. Eher eine überwältigende Dokumentation von Scherms öffentlichem und künstlerischem Wirken, eine opulente Werkmonografie oder ein akribischer Rechenschaftsbericht. Ein bisschen auch eine Werbeschrift. Interessant allemal.
Das gilt vor allem für den ersten Teil, wo zum Beispiel über eine Lesung von Peter Handke mit anschließendem gemeinsamen Kickern berichtet wird, was im jungen Scherm den Entschluss reifen ließ, auch einmal ein „richtiger“ Autor zu werden. So bekannt wie Handke wurde er nie. Aber egal – entscheidend für den weiteren Lebensweg war die Begegnung des 21-Jährigen mit Eugen Gomringer, dem damaligen Kulturbeauftragten der Rosenthal AG in Seib. Ab April 1972 arbeitete Scherm als „Allround-Kreativer“ mit dem Gründervater der Konkreten Poesie zusammen – ein sensationeller Aufstieg, zweifellos! Da konnte man nebenbei die Anthologie Militante Literatur herausgeben und ein Drei-Tage-Event zum Thema „Junge deutsche Literatur in Seib“ organisieren – auf dem entsprechenden Foto sieht man unter anderem Benno Käsmayr, Fitzgerald Kusz und Ludwig Fels. Das außergewöhnlich intensive kulturelle Engagement dieser Firma, deren Chef Philip Rosenthal liebevoll porträtiert wird – samt Porzellan-Bild von Andy Warhol aus dem Jahr 1980 –, brachte auch Gabriele Wohmann, Wolf Wondratschek und andere Literaten ins „Zonenrandgebiet“ an der tschechischen Grenze. „Die zeitgenössische Kunst beeinflusste Philip Rosenthal immens und er suchte nach Wegen, deren Gestaltungsvorstellungen in seine Kollektionen einfließen zu lassen.“ Die innovative Porzellan-AG arbeitete mit Künstlern wie Henry Moore, Lucio Fontana, Günther Uecker, HAP Grieshaber, Raymond Loewy oder Joannis Avramidis zusammen, und die damit verbundenen Geschäftsreisen um die halbe Welt scheint der junge Kreative sehr genossen zu haben. Viele Kunst- und Ausstellungsprojekte aus den 1970er- und 1980er-Jahren werden ausführlich dokumentiert – oft war Gerd Scherm Künstler und Organisator in einer Person. 1983 aber wurde der Stress zu viel – Zusammenbruch, Absturz, Alkohol und Drogen. „Im Jet-Tempo durchs Leben gerast / an irgendeiner Zwischenstation / war meine Seele ausgestiegen ...“, heißt es im Gedicht Warten. Es scheint ein langer und mühsamer Weg gewesen zu sein, bis Scherm wieder zurückfand zur bildenden Kunst, zur Literatur, zur Werbegrafik und ins Ausstellungs-, Theater- und Musikleben. „Eines Morgens wachst du auf / und merkst, dass du lebst. / Das ist ein so irrsinniges Gefühl, / dass du es zuerst gar nicht glauben kannst“, so ein mit Hoffnungsflimmern überschriebener Text. Ab 1990 beschäftigte er sich unter anderem intensiv mit der Freimaurerei – verquer und verblüffend, was er darüber zu Papier bringt. Später zog er nach Colmberg-Binzwangen auf der Frankenhöhe und entwickelte seine künstlerischen und organisatorischen Talente von dort aus weiter, etwa bei Kunstprojekten in Rothenburg, Wolframs-Eschenbach, Abenberg, Ansbach oder Schillingsforst. Und schrieb und schrieb, „Buch um Buch um Buch“, wie er selbst sagt. Das tut er bis heute: historische Romane, Erzählungen, Essays, Katalogtexte, auch Gedichte wie Worte. „Keines fliegt dir zu / holen musst du sie dir / Buchstabe für Buchstabe ...“ Neugierig geworden?
Einmal Leben und zurück. Die Autobiografie des Gerd Scherm. Außer der Reihe 63. p.machinery, Winnert 2021, 208 S., Hardcover, € 39,90.